Die guten Frauen von Christianssund

 

 

 

Für Rune

– meinen Erstgeborenen

In ein paar Stunden werde ich ein Mörder sein. Eigentlich müsste mich der Gedanke zu Tode erschrecken, doch wenn ich ganz ehrlich sein soll, beschäftigt mich im Augenblick mehr mein rechtes Bein, das eingeschlafen ist. Vor einigen Minuten fing ich an, das Gefühl darin zu verlieren, und kurz darauf kribbelte es, als würde ich von Tausenden winzig kleiner Nadeln gestochen. Das Problem ist die Wartezeit, die ich in einem Schrank verbringe, der so eng ist, dass ich mich buchstäblich nicht bewegen kann, ohne an etwas zu stoßen. Das Risiko, dass mich jemand hören könnte, ist also verhältnismäßig groß. Und irgendjemand befindet sich noch im Gebäude, da bin ich ziemlich sicher. Jedenfalls höre ich von irgendwoher Musik. Vermutlich hätte ich mehr Platz, wenn ich den Schrank mit den Putzmitteln gewählt hätte, nur konnte ich mich aus verständlichen Gründen dort nicht verstecken. Ich versuche, ein wenig mit dem Fuß zu wippen, um die Muskeln des Knöchels zu strecken und zu dehnen, habe aber das Gefühl, als würden sich die Nadeln nur noch tiefer ins Fleisch bohren. In ein paar Sekunden werde ich mir die Hand auf die Lippen legen müssen, um ein Jammern zu unterdrücken. Lautlos verfluche ich mich selbst. An so etwas hätte ich vorher denken müssen. Allerdings wäre ich überhaupt nicht in diese Situation geraten, wenn ich mir das vorher so genau überlegt hätte. Dann würde ich heute Abend ins Bett gehen können, ohne das Leben eines anderen Menschen auf dem Gewissen zu haben, und Lilliana würde weiterleben, ohne auch nur zu ahnen, wie erleichtert sie sein müsste.

Mir kommen beinahe die Tränen. Es ist zehn nach sechs. Wollen die Letzten denn nicht bald mal nach Hause? Möglicherweise ist es hier längst menschenleer? Vielleicht hat nur einer der Grafiker vergessen, sein Radio auszuschalten? Soll ich es wagen? Wenn mich jemand in dieser Situation erwischt, ist das Spiel aus. Dann muss ich von vorn anfangen, einen anderen Zeitpunkt finden, eine andere Methode, ein neues Alibi … Vorsichtig winkele ich den Arm an. Der Plastikoverall knattert wie ein Festzelt im Sturm, und die blauen Plastikhüllen, die ich über die Schuhe gezogen habe, sind auch nicht gerade geräuschlos. Das Haarnetz und die Gummihandschuhe kann man nicht hören – aber ich wünschte, ich hätte sie nicht angezogen! Klebrige Tropfen aus Schweiß sammeln sich am Haaransatz, unter den Achseln und auf dem Rücken. Und ich muss hier noch mindestens drei Stunden ausharren.

Noch einmal versuche ich, mich anders hinzustellen; vorsichtig lehne ich mich an den Rand einer Pappkiste und bemühe mich, ruhig zu atmen. Die Minuten schleppen sich dahin. Plötzlich kommt jemand in die Küche und bleibt ein paar Meter von meinem Versteck entfernt stehen. Ich habe das Gefühl, als würde mein Herz im Hals schlagen oder direkt unter dem Kehlkopf festsitzen. Ich atme so lautlos wie möglich und richte mich vorsichtig auf. Durch einen Spalt der Lamellentür sehe ich, dass Anders K. dort draußen rumort. Er pfeift leise und unmelodisch, während er den Kühlschrank untersucht. Er nimmt sich eine Scheibe Graubrot und ein paar Schokoladenplättchen, dann geht er. Nicht mal die Brottüte hat er wieder verschlossen. Das überlässt er vermutlich Lilliana – als hätte sie nicht genug zu tun. Typisch für dieses aufgeblasene Arschloch! Ich will mich gerade richtig aufregen, als mir einfällt, dass das, was ich Lilliana bald antun werde, sehr viel schlimmer ist, als sie eine Tüte aufräumen zu lassen. Ich lehne mich zurück und versuche, mich zu entspannen. Glücklicherweise spüre ich wieder etwas im Bein; ich verlagere das Gewicht von einem Fuß auf den anderen, wippe mit den Füßen und bleibe ständig in Bewegung, damit das Bein nicht noch einmal einschläft.

Eine Stunde später hört die Musik auf. Schnelle, feste Schritte nähern sich. Wieder ist es Anders K., jetzt trägt er seine Skaterjacke. Sie ist viel zu jugendlich und zu lang für ihn. Wie alt ist er? Vielleicht achtunddreißig oder neununddreißig. Und latscht noch immer in Klamotten für Teenager rum. Werd endlich erwachsen, Mann! Er füllt ein großes Bierglas mit Wasser aus dem Automaten, leert es in wenigen Zügen, stellt es auf den Küchentisch und verschwindet. Einen Augenblick später ist er am Empfang und legt den Hauptschalter um. Sämtliche Lampen auf der Etage verlöschen, um mich herum wird es stockfinster. Die Eingangstür fällt zu. Er hat vergessen, den Alarm zu aktivieren. Und noch immer dauert es mehr als eine Stunde, bis um neun die Putzkolonne kommt … Jemand sollte dem Personal morgen die Vorschriften in Erinnerung rufen, wenn … Aber nein. Mir geht durch den Kopf, dass morgen kein ganz gewöhnlicher Tag sein wird. Das morgendliche Meeting wird auf jeden Fall abgesagt. Und viel gearbeitet wird sicherlich auch nicht. Die meisten Mitarbeiter werden für den Rest der Woche vermutlich massive psychologische Unterstützung brauchen und in den nächsten Monaten in irgendeiner Gruppentherapie Socken stricken, denn der Schock über Lillianas Tod wird traumatisch für sie sein. Weicheier. Als ob auch nur einer von ihnen sonst je einen Gedanken an das Reinigungspersonal verschwendet hätte. Nur die wenigsten von ihnen wissen überhaupt, wie Benjamin und Lilliana aussehen, geschweige denn, wie sie heißen. Und nur eine Handvoll von ihnen hat je bis 9.00 Uhr abends bleiben müssen, obwohl der ganze Verein unablässig stöhnt, dass so viel zu tun sei, und … Ich spüre, wie mein Blutdruck steigt, besser, ich halte meine Gedanken im Zaum. So geht das nicht. Ich muss in der Lage sein, meine Aufgabe zu erledigen, ich muss mich zwingen, ruhig zu bleiben. Die meisten Fehler werden im Affekt begangen. Du weißt, dass du es kannst, sage ich mir immer wieder. Eiskalt bleiben. Immer ruhig Blut.

Ich zwinge meine Atmung in einen gleichmäßigen Rhythmus, atme durch die Nase ein und durch den Mund aus, langsam ein und aus, langsam … Mir geht es bereits besser. Vorsichtig öffne ich die Schranktür und gehe in der stockfinsteren Küche ein wenig auf und ab, strecke die Arme über den Kopf, beuge mich vornüber und berühre mit den Fingerspitzen den Fußboden, richte mich auf, beuge mich mehrmals nach links und nach rechts, nach vorn und zurück. Der Zeltwand-Overall knistert. Ich spüre, wie mein Kreislauf langsam wieder in Schwung kommt, wie die Steifheit in den Gliedern nachlässt. Ich nutze mein Handy als Taschenlampe und finde ein Einwegglas in einem Unterschrank, fülle es am Wasserhahn mehrmals bis zum Rand und trinke es gierig ein ums andere Mal aus. Nachdem ich meinen Durst gelöscht habe, stecke ich das Glas in die Plastiktüte, die ich auf dem Schrankboden bereitgelegt habe. Hier kommen auch die Handschuhe, das Haarnetz, der Plastikoverall und die Schuhhüllen hinein, wenn alles überstanden ist. Und die Mordwaffe, selbstverständlich. Das Ganze will ich heute Nacht auf dem Heimweg loswerden, vielleicht in einem der großen Container bei den Baugerüsten in der Østergade.

Um 20.52 Uhr höre ich, wie jemand den Code eingibt und die Eingangstür sich öffnet. Ich verschwinde in dem Moment wieder im Schrank, als im ganzen Gebäude Licht aufflammt. So, jetzt ist es so weit. Benjamin kommt zuerst in die Küche. Ich ziehe mich ein paar Zentimeter zurück, damit man mich nicht durch die Ritzen sehen kann. Seine lange, hagere Gestalt erscheint in einem schwarzen T-Shirt, abgetragenen Jeans und nagelneuen weißen Sneakers. Das schulterlange dunkle Haar ist zu fettigen Dreadlocks verfilzt, die ihm jedes Mal ins Gesicht fallen, wenn er den Kopf bewegt. Seine Haut ist blass und unrein, die Nase voller großer schwarzer Mitesser. Ein Piercing in der Augenbraue vollendet das unappetitliche Bild. Ich schüttele mich. Gut, dass man seinen Anblick nicht bei Tage ertragen muss! Er öffnet den Kühlschrank und schnappt sich mit einer routinierten Bewegung eine Halbliterflasche Cola. Das macht er jeden Abend. Ich rechne aus, was das die Firma kostet, im Monat, im Jahr – eine Menge Geld. Von meinem Versteck aus sehe ich ihn die Hälfte der Cola trinken. Er rülpst lauthals, lehnt sich, den Hintern halb auf der Tischkante, an den Küchentisch, lässt sich hängen. Was für ein durch und durch abstoßendes Wesen. Der Gedanke ist geradezu erfrischend, dass er höchstwahrscheinlich von Anfang an der Hauptverdächtige der Polizei sein wird.

Als Lilliana zur Tür hereinkommt, rülpst Benjamin noch einmal. Sie runzelt nur die Brauen, sagt aber nichts, während sie sich an ihrem Kollegen vorbeidrückt und direkt zu der Schublade geht, in der die schwarzen Abfallsäcke liegen. Sie reißt zwei Säcke ab und verlässt die Küche wieder. Es ist sein Job, die Papierkörbe zu leeren, und wenn er damit fertig ist, holt er das benutzte Geschirr und die leeren Limonadenflaschen aus den Büros. Später bringt er dann den Müll zum Schuppen, auch das gehört zu seinen Aufgaben. Ich kenne ihre Arbeitsabläufe so gut wie sie selbst. Ich habe sie ja beobachtet. Abend für Abend. Nein, ich habe natürlich nicht in diesem lächerlichen Schrank gestanden und sie ausspioniert. Dazu ist meine Zeit dann doch zu kostbar. Aber eine oder drei kleine versteckte Kameras können Wunder vollbringen. Nanny Cam nennen sie so etwas in den USA. Unglaublich, was man alles im Netz kaufen kann. Ich habe ausgezeichnete Aufnahmen, stundenlang, man kann die Zeit für bestimmte Abläufe stoppen und in eine Tabelle übertragen. Ich bin ein guter Planer, denke ich und lächele vor mich hin. Ich bin gut. Es wird zweifellos alles klappen.

Lilliana hat ihr geblümtes Kopftuch wie eine Melkerin stramm um den Kopf gebunden. Eine einzelne Strähne hängt heraus und beschreibt einen sanften Bogen auf ihrer glatten, hellen Stirn. Hinten quillt ihr Haar unter dem bunten Dreieck des Kopftuchs hervor. Ihre Wangenknochen sind hoch und markant, sie lassen ihre Augen ein wenig schräg aussehen. Sie hat dunkle Ringe unter den Augen, vermutlich kann sie nachts nicht schlafen, weil sie an so vieles denken muss. Schon in anderthalb Stunden werde ich dich von alldem befreien, Lilliana, und ich wünschte, ich könnte es schon ein wenig früher beenden, dann müsstest du nämlich nicht mehr putzen. Aber ich bedauere, du musst dich noch etwas gedulden. Sie verschwindet aus meinem Blickfeld, ich höre, wie sie den großen Industriestaubsauger über die Schwelle des Putzraums bugsiert. Kurz darauf beginnt sie zu saugen, und ich lehne mich zurück und warte. Jetzt, wo der Zeitpunkt des Mordens näher rückt, merke ich, wie meine Bewegungen präzise und kontrolliert werden, wie sich meine Sinne schärfen; ich höre jedes noch so kleine Geräusch, spüre, wie jeder einzelne Muskel bereit ist. Die Schweißperlen sind verschwunden, genau wie die Steifheit in den Gliedern, das eingeschlafene Bein. Es gibt nur noch einen gut funktionierenden Körper, der weiß, was ich von ihm erwarte. Als ob die Alarmbereitschaft den Körper veranlasst hätte, bestimmte Nervenbahnen zu schließen, damit er sich auf andere konzentrieren kann.

Wenn alles so abläuft wie immer, bleiben noch genau fünfundfünfzig Minuten. Ich strecke und biege die Finger, überprüfe noch einmal meine selbst gebastelte Mordwaffe. Es ist eine Garotte, gefertigt aus einem Stück kräftiger, mit Plastik überzogener Wäscheleine, circa einen halben Meter lang, mit einer Schlinge an beiden Enden. Die Länge der Schnur habe ich exakt berechnet: der vermutliche Umfang des Halses plus einige Zentimeter, um die Schnur mithilfe eines Metallkugelschreibers zusammenzudrehen. Nach zahlreichen Experimenten erscheint mir der Kugelschreiber für dieses Vorhaben am besten geeignet zu sein. Ich habe zu Hause an einem zusammengerollten Sofakissen geübt, bis das Ganze optimal funktionierte – und zur Sicherheit habe ich zwei Exemplare mitgenommen. Allein die Vorstellung, nur einen Kugelschreiber dabeizuhaben und der dann eventuell mittendrin bricht … Ich höre dem Brummen des Staubsaugers zu. Es entfernt und nähert sich, je nachdem, wo Lilliana sich in der Bürolandschaft gerade befindet. Benjamin kommt in die Küche, er kratzt Essensreste und zusammengeknüllte Servietten von den Tellern, die er auf den Schreibtischen eingesammelt hat, und verschwindet dann wieder.

Lilliana hat jetzt die Küche erreicht, ich beobachte, wie sie die Staubsaugerbürste systematisch über den Boden gleiten lässt. Hin und her, bis in die Ecken. Der Jogginganzug lässt sie unförmig erscheinen, er verbreitert ihre Taille, sie wirkt älter. Dann verschwindet sie auf dem Flur, der Staubsauger bleibt stumm, sie stellt ihn an seinen Platz im Putzraum. Ich höre Benjamin, aber ich sehe ihn nicht. Er wischt den Boden des Büros, das laut Arbeitsplan heute an der Reihe ist. Alle Böden werden turnusmäßig einmal in der Woche geputzt, wie ich herausgefunden habe. Abgesehen von der Küche und den Toiletten natürlich. Dort wird jeden Tag gewischt.

Noch achtundzwanzig Minuten. Lilliana kommt noch einmal in die Küche. Sie füllt einen der viereckigen blauen Eimer mit Seifenlauge und geht wieder hinaus. Jetzt wischt sie über die Schreibtische und Regale. Nicht alle Schreibtische und nicht alle Regale, aber hier und da, wo sie es gerade für notwendig hält. Es wird nicht unbedingt tipptopp geputzt, aber vermutlich so sorgfältig wie in den meisten anderen Büros auch. Benjamin wischt den Küchenboden mit dem großen Mikrofasermopp. Sjup-sjup-sjup. Es geht blitzschnell. Jetzt kippt er das schmutzige Wasser in die Toilette. Das ist mein Signal. In den nächsten zehn Minuten wird er die Müllsäcke einsammeln und in den Schuppen bringen. Für den Weg braucht er nur eine Minute, aber auf dem Rückweg wird er wie immer eine Zigarette rauchen. Das verschafft mir mindestens sieben Minuten, und wenn Lilliana sich dort befindet, wo sie sich normalerweise zu diesem Zeitpunkt aufhält, habe ich Zeit genug.

Jetzt kommt sie in die Küche, gießt den Inhalt des blauen Eimers in die Spüle, stellt ihn an seinen Platz und fängt mit der letzten Reinigungsphase an. Sie fährt mit einem blauen Lappen über den Küchentisch, die Mikrowelle, die Kaffeemaschine. Es sind deine letzten Handlungen in diesem Leben, Lilliana, ich hoffe, du denkst dabei an etwas Schönes. Jeder Muskel in meinem Körper ist gespannt, ich horche wie ein Wahnsinniger, und dann ist es so weit: Die Abfallsäcke knistern irgendwo außerhalb der Büros, Benjamins Schritte verhallen jenseits der Eingangstür. Ich höre, wie die Tür hinter ihm zufällt, gerade als Lilliana sich über die offene Spülmaschine beugt, um Wasserenthärter und Spülmittel in die kleinen Kammern zu füllen. Ich greife die Garotte mit beiden Händen und schiebe die Schranktür mit der Schulter auf. Lilliana dreht mir den Rücken zu, den Kopf hat sie gesenkt. Noch hat sie mich nicht gehört. Die marineblaue Jogginghose spannt über ihrem Hinterteil, der Pferdeschwanz ist nach vorn gefallen.

Als ich den ersten Schritt auf sie zugehe, lärmt mein Overall mehr als je zuvor. Sie richtet sich auf und dreht sich um. In den folgenden Sekunden lösen sich eine Serie von Ausdrücken in ihrem Gesicht ab: aufgerissene Augen, als sie entdeckt, dass jemand hinter ihr steht; der Ansatz eines vorsichtigen Lächelns, als sie mich erkennt; eine Falte zwischen den Augenbrauen zeigt ihre Verwunderung, als sie das Haarnetz, die Latexhandschuhe und das kleine Stück Wäscheleine registriert. In ihren Augen sehe ich, wie sich diese Puzzleteilchen plötzlich zu einem klaren Bild zusammensetzen. Sie dreht sich um und will zur Küchentür laufen. Sie ist schnell, aber glücklicherweise nicht schnell genug. Noch bevor sie den ersten Schritt getan hat, habe ich ihr die Garotte um den Hals geschlungen, und von diesem Augenblick an geschieht allein, was ich will. Ich ziehe die beiden Schlingen zusammen und verdrehe sie mit ein paar raschen Bewegungen. Lilliana zappelt mit Armen und Beinen, versucht verzweifelt, meine Hände zu erreichen, ihren Körper zu mir zu drehen, doch mich kümmert ihre Panik überhaupt nicht, ich konzentriere mich hundertprozentig auf mein Vorhaben. Nachdem ich den Kugelschreiber durch die beiden Schlingen gesteckt habe, ist es verhältnismäßig einfach. Ich halte das zusammengezwirbelte Stück mit der einen Hand, während die andere Hand den Kugelschreiber immer wieder herumdreht und die Schnur sich mehr und mehr strafft. Ich spüre, wie die Leine sich durch ihre Haut arbeitet, in ihr Fleisch schneidet. Ihre Bewegungen werden langsamer und kraftloser, als würde sie versuchen, in dickflüssigem Wasser an die Oberfläche zu schwimmen. Schließlich hängen ihre Arme schlaff herab, ich habe nicht die Kraft, sie aufrecht zu halten. Vor der Spülmaschine lasse ich ihren Körper langsam zu Boden gleiten. Ihre tiefbraunen Augen sind offen und bereits glasig. Sie ist ganz sicher tot, aber ich halte meine Waffe noch ein, zwei Minuten fest. Als ich die Garotte abziehe, hinterlässt sie eine tiefe, knallrote Furche, als hätte jemand versucht, sich durch die Haut zu sägen. An mehreren Stellen ist die Haut aufgeplatzt, es blutet ein wenig. Ich lasse Lilliana fallen, stopfe meine Waffe in die Plastiktüte und laufe ins große Sitzungszimmer. Mit einem Satz bin ich aus der Terrassentür und renne die knapp einhundert Meter hinüber zum Kai 11, wo ich mein Fahrrad versteckt habe. Hinter dem vordersten Container bleibe ich stehen und ringe um Atem. Mein Herz hämmert dermaßen laut, dass ich mir sicher bin, andere würden es hören können – vorausgesetzt, dass irgendwer in der Nähe wäre. Glücklicherweise ist das nicht so. Ich schäle mich aus der Schutzkleidung. Auf dem Overall und den Handschuhen sind Blutflecken. Alles kommt in die Plastiktüte, und alles muss verbrannt werden. Ich kann das Zeug doch nicht einfach in einen Container werfen und die Entsorgung dem Zufall überlassen. Ich zwinge mich, ruhig zu bleiben, umsichtig; ich atme so langsam wie möglich.

Als ich zwei Minuten später mit dem Fahrrad am Kai entlang in die Stadt fahre, ist mein Puls beinahe wieder normal.

Montag

Dänische Provinzstädte einer gewissen Größe wurden häufig in der Nähe eines Fjords gegründet: dicht am Wasser, aber geschützt vor den heftigen Stürmen, die an den eigentlichen Meeresküsten die Oberhand haben. Fjordstädte sind oft recht wohlhabend, mit gut erhaltenen Häusern, breiten Straßen und einem lebhaften Geschäftsleben. Und heutzutage explodieren in genau diesen Städten die Immobilienpreise. Denn die Dänen wollen nicht einfach nur Wasser. Die Dänen wollen Wasser und einen Ort, an dem sie vor dem Wind geschützt sind!

Die Fjordstadt Christianssund ist so ein kleines Paradies. Nur vierzig Autominuten von Kopenhagen entfernt, hätte der Ort durchaus das Potenzial gehabt, als hundertprozentiges Pendlerreservat zu enden, doch dieses Schicksal ist der Stadt zum Glück erspart geblieben. Die Kommunalverwaltung hat dafür gesorgt, dass es für junge Unternehmen ausgesprochen attraktiv ist, sich hier niederzulassen. Ein gutes Beispiel ist die alte Schiffswerft der Stadt: Nach ihrer Schließung in den Neunzigerjahren wurde sie von der Gemeinde aufgekauft und in neue, attraktive Büroräume umgestaltet. Und bei Weitem nicht jeder kann sich im Sundværket, so der jetzige Name, einmieten. Ein eigener Planungsausschuss sortiert sehr gewissenhaft die Bewerber, und nur Firmen mit dem richtigen Profil bekommen den Zuschlag. Von Anfang an haben Werbeagenturen, Architekten, IT-Firmen und ein Radiosender in den frisch renovierten Räumen gearbeitet.

Gleichzeitig begann die Gemeinde mit einem ambitionierten Wohnungsbauprojekt, das aus Eigentumswohnungen, Reihenhäusern auf genossenschaftlicher Basis und Wohnungen für Jugendliche bestand. Das neue Viertel, über das bereits beim Richtfest sämtliche überregionalen Zeitungen berichteten, wurde direkt am Sund errichtet. Der Erfolg war überwältigend, und im Kielwasser der neuen, trendigen Christianssundbürger, von denen viele aus den überteuerten Vierteln der Hauptstadt hierhergezogen sind, eröffneten Cafés, Modeboutiquen und Sushi-Bars am Kai und in den engen, gewundenen Straßen der Stadt. Den Mitgliedern der Gemeindeverwaltung steht vor Begeisterung bis heute der Mund offen.

Aufgrund dieser vorausschauenden Politik ist Arbeitslosigkeit für die vierunddreißigtausend Bürger der Stadt auch längst kein so großes Problem wie in anderen alten Werftstädten. Natürlich handelt es sich bei den neuen Arbeitsplätzen in erster Linie um hoch spezialisierte Bürojobs, die den arbeitslosen Werftarbeitern nicht angeboten werden konnten, aber aus der Ferne betrachtet hat sich doch alles zur Zufriedenheit geregelt. Den meisten Bürgern von Christianssund ist es allerdings vollkommen egal, wer im Sundværket arbeitet und in dem neuen Viertel wohnt, um die Wahrheit zu sagen. Der größte Teil der Arbeitsplätze in der Stadt hat sich ja auch nicht verändert. Für die Lehrer an den Schulen, das Pflegepersonal im örtlichen Krankenhaus, für die Verkäuferinnen in den Geschäften an der Algade, das Personal im Finanzamt und die Beamten des Polizeipräsidiums, für sie alle ist Christianssund nichts Besonderes. Es ist lediglich der Ort, in dem man lebt und arbeitet. Einige Jugendliche zieht es nach der Schule in Richtung Kopenhagen, doch die meisten bleiben in ihrer Heimatstadt oder kehren irgendwann zurück, ohne sich weiter zu fragen, ob die Stadt nun wirklich der beste – oder der schlimmste – Ort auf der Welt ist.

Ganz gleich wie vorausschauend und progressiv die Kommunalverwaltung auch sein mag, Christianssund ist und bleibt ein Provinzstädtchen. Natürlich sind die alten Familien tolerant und höflich gegenüber den jungen, und die Zugezogenen bedanken sich lächelnd für die freundliche Aufnahme. Man ist schließlich erwachsen. Aber tief in ihrem Inneren halten die Alten die Neuen für oberflächliche Wirrköpfe, die sich nicht allzu viel herausnehmen sollten; und die Neuen denken etwas überheblich, die Alten sollten glücklich sein, dass ihr eingeschränkter Horizont ein wenig erweitert wird.

 

Die Familie Sommerdahl stand mit je einem Fuß in beiden Lagern. Dan Sommerdahl war in Christianssund geboren und aufgewachsen, allerdings hatte sich der größte Teil seiner Karriere in Kopenhagen abgespielt – dort hatte er auch viele Jahre gewohnt. Seine Frau Marianne stammte ursprünglich aus Randers und verfügte über das instinktive Gespür von Provinzlern dafür, was ein Zugezogener auf jeden Fall nicht tun und sagen sollte. Vielleicht lag es daran, dass Dan und Marianne im Lager der Alten sofort akzeptiert waren, als sie zum ersten Mal Eltern wurden und in Dans Geburtsort zogen. Sie kauften eines der begehrten Stadthäuser aus dem 19. Jahrhundert in der Gørtlergade, einer Seitengasse der Algade, der Hauptstraße von Christianssund. Fast zehn Jahre pendelte Dan zwischen dem Haus der Familie in der Gørtlergade und seiner Arbeit als Texter in einer Werbeagentur im Zentrum von Kopenhagen; ebenso wie Marianne, die als Ärztin lange Zeit alle möglichen Stellungen annehmen musste – in Aalborg, Esbjerg, sogar in Norwegen –, um sich als praktische Ärztin zu qualifizieren. Hätten sie nicht das enorme Glück gehabt, ein hervorragendes Au-pair-Mädchen zu finden, das Dans kinderliebe Mutter unterstützte, die zufällig in der Nähe wohnte, ihr Familienleben hätte niemals funktionieren können.

Doch diese Phase war glücklicherweise vorbei. Vor sieben, acht Jahren war Dan Kreativdirektor der Werbeagentur Kurt & Ko geworden, die ihre Räume im Sundværket hatte; und Marianne hatte sich erst kürzlich in das Ärztehaus von Christianssund eingekauft, dem größten und modernsten Praxiskomplex der Stadt. Abgesehen von Marianne gab es dort drei weitere Allgemeinmediziner sowie einen Gynäkologen, einen Hals-Nasen-Ohren-Arzt und eine Psychiaterin als Partner. Das Ärztehaus lag am Rathausmarkt, einem Platz, der allein wegen seiner Lage als Knotenpunkt zwischen Hafen und Fußgängerzone es verdiente, das Herz der Stadt genannt zu werden. Nicht dass irgendjemand außerhalb der örtlichen Händlergemeinschaft auf die Idee gekommen wäre, diesen Ausdruck ernsthaft zu verwenden, aber dennoch … Am Rathausmarkt lag – abgesehen natürlich vom Rathaus – auch das Polizeipräsidium sowie der älteste Gasthof von Christianssund, das Hotel Marina.

Mit ein wenig Wissen über die Lebensumstände von Kernfamilien überrascht es nicht besonders, dass diese neue und glückliche Situation mit Arbeitsplätzen am Ort und der daraus gewonnenen zusätzlichen Freizeit sich zu einer Zeit ergab, als die Sommerdahlkinder ihre Eltern im Alltag nicht mehr brauchten. Rasmus, der Sohn, ist zu Beginn dieser Geschichte gerade einundzwanzig Jahre alt geworden: ein dünner, blonder Filmenthusiast mit dem schüttersten Spitzbart der Welt. Erst kürzlich hat er eine eigene Wohnung im Kopenhagener Stadtteil Nørrebro bezogen. Und die siebzehnjährige Tochter Laura geht derzeit auf ein Internat irgendwo in Westseeland.

Die erwachsenen Sommerdahls konnten es also zum ersten Mal seit vielen Jahren ein wenig ruhiger angehen lassen. Beide hatten sie die richtig gut bezahlten Jobs, für die sie ihr ganzes Leben geschuftet hatten; sie mussten kein schlechtes Gewissen mehr haben, dass sie zu wenig Zeit für die Kinder hatten; das Haus war beinahe abbezahlt, ja sogar mit dem Hund kamen sie einfacher klar. Es handelte sich, das sei in Parenthese angemerkt, um einen gelben Labrador namens Luffe, der mit seinen elf Jahren inzwischen ein Alter erreicht hatte, in dem die Menge der Dummheiten doch erheblich begrenzt war – es sei denn, man zählte die stetig wachsende Häufigkeit von Darmwinden mit dazu.

Dan und Marianne hätten also glücklich sein können. Das Problem jedoch war, sie waren es nicht. Vor allem Dan nicht. Zusammengekrümmt unter seiner Bettdecke, hatte er vor nicht allzu langer Zeit einen ganzen Monat mit einer heftigen stressbedingten Depression im Bett verbracht. Dank Mariannes Kollegin, der Psychiaterin aus dem Ärztehaus, war er auf einem guten Weg der Besserung. Dan war inzwischen wieder in der Lage, sich an einem Gespräch mit mehreren Teilnehmern gleichzeitig zu beteiligen, längere Spaziergänge mit Luffe zu unternehmen und sich nicht allzu anspruchsvolle Fernsehsendungen anzusehen. Er hatte auch wieder angefangen zu joggen, und es schien, als würde allein die Bewegung der Depression entgegenwirken.

Alle gingen davon aus, dass Dan Sommerdahl in ein paar Wochen wieder an seinem italienischen Designerschreibtisch und in seinem Büro mit Blick über den Fjord von Christianssund und auf die alte Eisenbahnbrücke sitzen würde. Man rechnete fest damit, dass er seinen kometenhaften Aufstieg auf der Karriereleiter fortsetzen, seinen schwarzen Audi A6 durch ein noch protzigeres Auto ersetzen und noch mehr Preise und Auszeichnungen bekommen würde, die sich als hässlicher Kristallkram auf seinem Regal sammelten. Dan war sich da nicht so sicher.

Der Weg zum Titel des Direktors war gewunden und von Glück und Zufällen geprägt gewesen – angefangen hatte es mit einem blendenden Abitur, obwohl seine Mutter ihm nie ganz verziehen hatte, dass er nicht »etwas« daraus machte. Also etwas Richtiges, wie zum Beispiel ein Medizinstudium, eine Karriere in der Politik oder so etwas. Nach einem ganz kurzen Flirt mit dem Gedanken, auf die Polizeischule zu gehen, wo sein bester Freund Flemming untergekommen war, nachdem er seine Wehrpflicht abgeleistet hatte, entschied sich der einundzwanzigjährige Dan für ein Praktikum als Texter bei einer großen Kopenhagener Werbeagentur; und seine Intelligenz, gekoppelt mit einem geradezu unheimlichen und genialen Talent für Einzeiler, hatte ihn in den folgenden Jahren ganz nach oben gebracht, von Agentur zu Agentur. Er hatte seinen Job geliebt: Er liebte das Wissen um sein Können, er liebte die Überstunden, er liebte den ungezwungenen Umgangston, er liebte die coolen jungen Frauen, die in einem sanften Strom durch die Branche zogen – bisweilen auch mit kleinen Abstechern auf (oder unter) Dans Schreibtisch. Auf seine Frauengeschichten war er längst nicht mehr stolz, und die meiste Zeit gelang es ihm auch, sie zu vergessen. Jedenfalls war er glücklich, dass er Marianne nie in sein systematisches Fremdgehen eingeweiht hatte.

Und dann kam der Traumjob in seiner Heimatstadt, die Chance für einen Neustart: eine der angesehensten Positionen in der Branche und gleichzeitig die Chance, ein ordentlicher Ehemann und Vater zu werden. Dan war siebenunddreißig Jahre alt, als er zum Kreativdirektor von Kurt & Ko ernannt wurde. Er übernahm die Verantwortung für eine Gruppe von mit allen Wassern gewaschenen Artdirectors und Textern, die meisten hatte er selbst eingestellt. Eigentlich hätte alles gut sein müssen, doch es gab ein Problem: Dan eignete sich nicht zum Chef. Er war ein souveräner Planer von Konzepten, ein blendender Texter und ein unübertroffener Sparringspartner für so ziemlich jeden nur denkbaren Kunden, der es sich leisten konnte, ihn zu bezahlen. Aber er verabscheute es zutiefst, darüber zu bestimmen, wie andere Menschen ihre Zeit zu verbringen hatten. Es irritierte ihn, wenn ein Mitarbeiter zu ihm kam und ihm erklärte, warum er heute ein wenig früher gehen müsse, und Dan bekam Migräne, wenn er nur daran dachte, dass die Reinzeichner morgen vielleicht nicht genügend zu tun haben könnten. Natürlich versuchte er, das zu ignorieren. Denn wer verdiente nicht gern ein bisschen mehr, führte einen noch tolleren Titel und bekam ein größeres Büro? In den ersten Jahren verdrängte Dan die unangenehmen Fakten und versuchte, seinen Chefposten zu genießen. Um die Wahrheit zu sagen: Er versuchte in dieser Zeit ernsthaft, seiner Rolle als Abteilungsleiter besser gerecht zu werden. Er besuchte Kurse, bekam einen Coach, mühte sich regelrecht damit ab, sich selbst zu hypnotisieren und davon zu überzeugen, dass es schon irgendwie gehen würde. Sein Körper und seine Psyche reagierten jedoch allmählich auf den Fehler seiner Beförderung. Man ist nicht automatisch ein guter Chef, nur weil man auf seinem Fachgebiet gut ist. Je höher man auf der Karriereleiter steigt, desto weiter entfernt man sich in der Regel von dem Handwerk, in dem man gut ist. In Dans Fall bedeutete das, dass er Aufgaben an Mitarbeiter delegieren musste, bei denen es sich um die Besten handelte, die er für Geld hatte kaufen können, die aber im Grunde niemals so gut sein würden wie er. So etwas lässt sich ungestraft ein Mal machen, vielleicht auch zwei oder drei Mal, als diese Praxis dann alltäglich wurde, fraß sich die Frustration in seinen Organismus und setzte sich wie eine Krebsgeschwulst fest.

Es gab nur zwei Möglichkeiten: Entweder musste Dan lernen, sich auf seine Mitarbeiter zu verlassen, mit ihren Lösungen zu leben, sich eine dickere Haut zuzulegen und seine fachliche Eitelkeit zu beherrschen. Oder er musste zu einem Kontrollfreak werden, der sich in alles einmischte und die Vorschläge seiner Mitarbeiter ständig überarbeitete – auch wenn es ihn sämtliche Freizeit kostete, die er so dringend benötigte. Dass Dan Sommerdahl sich für die zweite Möglichkeit entschied, versteht sich beinahe von selbst. So ist das, wenn man seinen Beruf liebt, aber ein schlechter Chef ist. Und mit diesem Entschluss befand sich Dan auf dem sicheren Weg zum Zusammenbruch. Die ersten Symptome ignorierte er, obwohl es lästig war, jeden Morgen mit Magenschmerzen zur Arbeit zu fahren. Im Laufe des Tages hielt er die Fassade aufrecht, lächelte und machte Witze, während er sich innerlich nur noch darauf freute, wieder zu Hause unter die Bettdecke kriechen zu können. Erst als ihm die erheblich zugenommene Gleichgültigkeit gegenüber seiner Arbeit auffiel, die er früher immer geliebt hatte, fingen die Alarmglocken allmählich zu schrillen an – aber noch immer weigerte er sich, dem Problem in die Augen zu sehen. Vielleicht würde ein neuer Kunde helfen, eine neue Aufgabe, ein paar neue Mitarbeiter. Er bündelte immer mehr Kompetenzen bei sich, nahm an Konferenzen in aller Welt teil, organisierte ambitionierte Werbekampagnen und wurde regelmäßiger Protagonist der Fernsehsendung »Zeig mir deinen Stil«, in der Experten versuchten, sich in ihrem Wissen über Konsum und Lebensart gegenseitig zu übertreffen.

Dan hatte immer mehr zu tun, doch seine Lunte wurde kürzer und kürzer. Nicht ganz so wichtige Geschäftsverbindungen erlebten ihn stets lächelnd und gut gelaunt, bei seinen eigenen Mitarbeitern indes sank seine Popularität rasch. Und es gibt nichts Demotivierenderes als einen schlecht gelaunten, gereizten Chef. »Ich weiß, dass du keine Lust hast, aber du musst doch eine Meinung zu dieser Typografie haben, Dan«, murrte der Artdirector. »Wer hat bloß auf deinen Mars-Riegel gepisst, Sommerdahl?«, pflaumte ihn der Medienberater an, ohne dass sich auch nur der Ansatz eines Lächelns in seinen Augen zeigte. »Willst du nicht mal Urlaub machen, Boss?«, fragte der Grafiker ganz direkt und sprühte verärgert Reinigungsmittel auf seinen Bildschirm, um die Spuren von Dans ewig krittelndem Zeigefinger zu löschen.

Ja, er brauchte Urlaub. Aber Ferien waren das Letzte, was er sich erlauben konnte. Wenn er sich nicht um all diese unglaublich langweiligen Aufgaben kümmerte, würden seine geistig zurückgebliebenen Mitarbeiter sie ja selbst übernehmen müssen, und dazu waren sie einfach nicht in der Lage. Niemand kam ohne Dan zurecht, meinte Dan. Und je schwerer es ihm fiel, seiner Arbeit nachzukommen, desto überzeugter war er, Opfer eines bösartigen Komplotts seiner Mitarbeiter zu sein, die bewusst gegen ihn zu arbeiten versuchten.

Er fing an, ein Leben zu führen, in dem es nur noch Platz für das Allernotwendigste gab. Im Büro hielt er sich aufrecht, aber sobald er nach Hause kam, ging er ins Bett oder legte sich mit der Fernbedienung in der Hand aufs Bett. Er schlief immer länger, zehn Stunden, elf Stunden, zwölf Stunden am Tag, trotzdem war er nicht weniger müde. Im Gegenteil. Schließlich hatte er außerhalb der Arbeitszeit keinerlei Kraft mehr für irgendwelche Aktivitäten. Er hatte kaum noch Kontakt zu seiner Frau, seinen Kindern oder seiner Mutter.

Es musste übel ausgehen, und so kam es auch. Eines Tages Ende September wachte Dan morgens auf, und sowie er die Augen aufgeschlagen hatte, wusste er, dass er nicht in der Lage sein würde, aufzustehen und zur Arbeit zu gehen. Tatsächlich konnte er überhaupt nicht gehen. Er hätte seine Beine niemals aus dem Bett schwingen können, nachdem er noch nicht einmal den Kopf heben konnte und das Kopfkissen offensichtlich in seinem Nacken festklebte. Also blieb er einfach liegen. Als Marianne eine halbe Stunde später den Kopf zur Schlafzimmertür hineinsteckte und fragte, ob er nicht bald aufstehen wolle, kamen ihm plötzlich die Tränen. Er konnte nichts sagen, er starrte einfach nur an die Decke, während ihm die Tränen in die Augenwinkel, über beide Wangen und weiter auf die Bettdecke liefen.

Marianne reagierte so kühl und professionell, als hätte sie Wache in der Notaufnahme der Psychiatrie. Sie fühlte seinen Puls, setzte sich einen Moment zu ihm und hielt seine Hand; als ihr klar wurde, dass sein Tränenfluss nicht zu stoppen war und sie keinen vernünftigen Kontakt zu ihm bekam, holte sie ihre Arzttasche und nahm eine Spritze, eine Kanüle und einen winzigen Flakon mit einer klaren Flüssigkeit heraus. Als sie die Spritze aufgezogen hatte, hielt sie sie senkrecht und schnipste zweimal hart mit dem Fingernagel daran, damit die Luftblasen aufstiegen. Dann drückte sie ein wenig auf den Stempel, bis ein paar Tropfen herausspritzten. Daraufhin schob sie ihren Mann auf die Seite, zog seine Boxershorts herunter und setzte die Spritze in seine rechte Hinterbacke. Sie verließ das Zimmer, rief in der Agentur an und teilte mit, dass er mindestens ein paar Wochen krank sein würde. Danach telefonierte sie mit dem Ärztehaus und gab Bescheid, dass sie erst nachmittags kommen konnte. Die Helferin sollte versuchen, jene Patienten, die einen dringenden Termin hatten, auf die anderen Ärzte im Haus zu verteilen.

Zurück im Schlafzimmer, legte sie sich neben ihren Mann, hielt seine Hand und redete leise auf ihn ein, bis das Beruhigungsmittel wirkte. Als die Tränen versiegt waren, half sie ihm, auf die Toilette zu gehen, dann begleitete sie ihn zurück ins Bett. An diesem Vormittag lagen sie nebeneinander, ohne viel zu sagen. Nach ein paar Stunden war Dan in einen tiefen Schlaf gefallen, und Marianne lief das kurze Stück über die Gørtlergade, bog links in die Algade und kam zum Rathausmarkt mit dem schönen niedrigen Eckgebäude, in dem sich ihre Praxis befand. Bevor sie sich um ihre Patienten kümmerte, hinterließ sie am Empfang des Ärztehauses eine Nachricht für eine ihrer Partnerinnen, die Psychiaterin Kirsten Loft. Sie wusste, dass eine Spezialistin hinzugezogen werden musste.

 

Sieben Wochen nach Dans Zusammenbruch saßen sie eines Abends Mitte November mit ihrem besten Freund zusammen, dem Kriminalkommissar Flemming Torp. Sie tranken Irish Coffee, der offene Kamin strahlte Hitzewellen aus. Flemming hatte gerade die Scheidung hinter sich, und nur zu dritt zu sein, war ungewohnt und eigenartig – nach all den Jahren, in denen sie zu viert gewesen waren: im Urlaub, bei Weihnachtsfeiern, beim Badminton. Ihre Kinder waren zusammen aufgewachsen, und seit über zwanzig Jahren hatten sie mindestens einen Abend in der Woche gemeinsam verbracht. Die Lücke, die Flemmings Frau Karin hinterlassen hatte, war noch längst nicht geschlossen, aber das würde sicher noch kommen.

»Freust du dich, bald wieder arbeiten zu können?«, erkundigte sich Flemming und trank einen Schluck des heißen Getränks. Ein kleiner Sahneschnurrbart zog sich über seine Oberlippe, Marianne gab ihm eine Serviette.

Dan zuckte mit den Achseln. »Eigentlich nicht.«

»Wie, du vermisst es nicht?« Flemming tupfte sich die Oberlippe sauber.

»Ganz ehrlich? Nein«, antwortete Dan. »Wenn ich überhaupt wieder bei Kurt & Ko anfange, dann nur wegen des Geldes.«

»Was für ein Unfug!«, ging Marianne dazwischen. »Wenn du keine Lust mehr hast, kannst du doch einfach kündigen. Wir können auch nur von meinem Einkommen leben.«

»Davon leben? Ja, das sicher«, erwiderte Dan. »Aber so gut wie jetzt? Nein.« Er kraulte Luffe im Nacken. Der alte Labrador lehnte am Knie seines Herrchens, ein wenig beleidigt, weil er nicht aufs Sofa durfte. Es war eines von Mariannes eher obskuren Prinzipien: Wenn sie Gäste hatten, musste der Hund auf dem Fußboden bleiben.

»Du könntest auch als Freelancer arbeiten«, sagte sie. »Einen gut dotierten Job würdest du jederzeit bekommen, das weißt du genau. Dann könntest du dir die Arbeit einteilen, damit so etwas nicht noch einmal passiert.«

»Und was ist mit dem Firmenwagen? Und der Rente? Man muss ziemlich schuften, wenn das Einkommen als Freiberufler all das abdecken soll.«

»Wir haben einen ausgezeichneten Wagen, der die meiste Zeit ohnehin nur in der Garage herumsteht und Staub frisst. Und deine Rente ist doch schon jetzt geradezu grotesk hoch«, widersprach sie und griff nach Flemmings Zigaretten. »Darf ich?«

»Hast du nicht aufgehört?« Flemming gab ihr Feuer.

»Ich bin nur eine Party-Raucherin.« Sie lächelte und stieß den Rauch in einem langen Strom aus.

»Ja, und jeder Tag ist ein Fest«, sagte Dan. Er versuchte, munter zu klingen. »Wen willst du damit zum Narren halten?«

»Ach, hör schon auf!« Marianne sah ihn wütend an. »Ich habe das durchaus im Griff.« Ihr gekräuselter, hellbrauner Pony stand in der Luft wie ein Strohdach im Sturm. Darunter blitzten ihre dunklen Augen mit einer gehörigen Portion Eigensinn. Etwas an diesem Blick erinnerte Dan an ein kleines, freches Shetlandpony, aber er wusste aus bitterer Erfahrung, dass er das auf keinen Fall sagen durfte, wenn sie in dieser Stimmung war.

»Na dann«, sagte Flemming und trank den letzten Schluck Kaffee. »Ich muss sehen, dass ich nach Hause komme.«

»Bist du mit dem Wagen da?« Marianne stand ebenfalls auf.

»Zu Fuß. Das tut mir ganz gut.« Flemming klopfte sich auf den kleinen Rettungsring, der sich in den letzten Jahren über seinem Gürtel gebildet hatte. »Herzlichen Dank für das Essen, Marianne. Es war wie immer wunderbar!« Er küsste sie auf die Stirn, und sie hielt einen Augenblick seine Hand, bevor sie ihn glücklich paffend in den Flur begleitete.

»Und du, Dan?« Flemming drehte sich um. »Bist du bald wieder so weit, um dir eine Abreibung beim Badminton zu holen? Den Platz könnten wir gleich morgen früh bekommen.«

Dan wollte gerade zu einer Entschuldigung ansetzen, als Flemmings Handy klingelte. »Mist«, sagte er, nachdem er die Nummer gesehen hatte. »Sieht fast so aus, als wäre mein Arbeitstag noch nicht zu Ende.« Er hob das Handy ans Ohr. »Ja, ich bin’s. Wo, sagst du?« Er warf Dan einen Blick zu. »Das gibt’s doch gar nicht! Ist Giersing auf dem Weg?« Er griff nach seinem Mantel, den Marianne ihm entgegenhielt, aber sein Blick war auf unendlich eingestellt. »Ja, ja sicher, ich komme sofort. He, ich hab keinen Wagen dabei. Lass mich bitte abholen, Gørtlergade 8. Bis gleich.«

Er klappte das Handy zusammen und steckte es in die Tasche. Dann überprüfte er, wie viele Zigaretten er noch in seinem Päckchen hatte, erst danach richtete er den Blick auf seinen Gastgeber, der am Türrahmen lehnte und wartete.

»Bei dir in der Agentur wurde eine Leiche gefunden, Dan«, sagte Flemming endlich. »Eine Frau.«

»Wer?« Dan richtete sich auf.

»Noch haben wir sie nicht identifiziert, so wie es aussieht, ist es eine Putzfrau.«

Dan runzelte die Stirn. »Lilliana?« Er schüttelte den Kopf. »Sie ist jung und stark. Wieso sollte sie plötzlich umfallen und …«

»Sie wurde ermordet, Dan.«

Marianne ging wortlos zu ihrem Mann und nahm seine Hand.

Dan sah verstört aus. »Aber wer kommt denn auf die Idee – Lilliana? Bist du sicher, dass sie es ist?«

»Du kannst ja mitkommen und sie identifizieren. Je eher wir ihren Namen wissen, desto besser.« Flemming öffnete die Haustür und sah sich nach dem Streifenwagen um, der ihn abholen sollte.

»Aber ist denn der andere nicht bei ihr?«, erkundigte sich Dan.

»Welcher andere?«

»Na, ihr Kollege. Zum Teufel, wie heißt er doch gleich: Benjamin! Ist er nicht dort?«

Flemming zuckte mit den Achseln. »Gefunden wurde sie von einem Mann namens Kristian Helbjørn. Von einem Benjamin war nicht die Rede.« In diesem Moment hielt der Streifenwagen vor dem Haus, und Flemming trat auf den Fußweg. »Kommst du?«

Dan und Marianne sahen sich einen Augenblick an. Dann ließ sie seine Hand los. »Warte«, sagte sie. »Ich hol deinen Mantel.«

 

Um in die Werbeagentur Kurt & Ko zu kommen, musste man zuerst durch ein hohes altes Tor fahren. Die imponierenden verschnörkelten, gusseisernen Gittertore standen immer offen, sodass man direkt über den gepflasterten Hof zur Parkgarage in der Kelleretage der alten Werfthalle fahren konnte. Einige Firmen im Sundværket arbeiteten in einem der mehrstöckigen Gebäude, in denen früher die Ingenieurbüros und die Buchhaltung der Werft untergebracht waren, während andere ihre Büros in der eigentlichen Werfthalle oder in einem der flachen Gebäude an den Docks eingerichtet hatten.

Kurt & Ko verfügte in einem der Dockhäuser über eine ganze Etage mit insgesamt circa fünfzehnhundert Quadratmetern. Das Haus bestand vollständig aus Holz, mit über hundert Jahre alten massiven Eichenbalken als tragenden Elementen. Von der breiten Terrasse, die direkt am Wasser lag, hatte man freien Zugang zu dem langen Hafenkai, das sich bis zum Rathausmarkt im Zentrum der Stadt zog. Ein Streifenwagen hielt mit eingeschaltetem Blaulicht auf dem Platz vor der Eingangstür. Das Licht wurde vom regennassen Pflaster reflektiert und ließ die Fenster des denkmalgeschützten Gebäudes kalt glitzern. Am Eingang stand ein jüngerer Mann im Smoking. Er hatte seine Fliege aufgebunden, sodass sie ihm wie ein getüpfeltes Paddel um den Hals hing. Neben ihm stand ein Mann in silberfarbenen Laufschuhen und einem schwarzen Ski-Anorak. Er hatte grau gelocktes Haar und musste so in den Vierzigern sein.

Flemming sprang über das rot-weiße Plastikband, das ein paar Meter vor den Glastüren gespannt war. Er hielt direkt auf die kleine Gruppe zu. Dan blieb ein wenig zurück, als Flemming und der Mann in den Vierzigern sich begrüßten. Ein komisches Gefühl, so mitgeschleppt zu werden, er fühlte sich wie ein unwillkommenes, sensationslüsternes Anhängsel und wünschte sich einen großen Anstecker mit der Aufschrift: Die Polizei hat mich darum GEBETEN, hier zu sein! Doch dann rief er sich in Erinnerung, dass Flemming hier der Chef war. Das Risiko, dass einer der uniformierten Beamten oder der junge James-Bond-Klon einen Begleiter des Kriminalkommissars verscheuchen würden, war so gut wie inexistent.

Nach einer Minute siegte die Neugier über die Verlegenheit, und Dan trat ein wenig näher. Kristian Helbjørn erklärte gerade, wie er die Leiche gefunden hatte. »Wir wechseln uns mit dem nächtlichen Kontrollgang ab«, sagte er. »Und ich habe mich gewundert, dass die Terrassentür offen stand. Also ging ich …«

»Entschuldigen Sie, wenn ich unterbreche«, sagte Flemming. »Können wir nicht hineingehen und uns setzen? Ich friere.« Er ging ins Haus und gab Dan mit dem Kopf ein Zeichen, dass er gern mitkommen könne. James Bond hatte offensichtlich andere Dinge zu erledigen, er verschwand in Richtung Küche, wo ein paar Menschen in weißen Overalls schweigsam ihrer Arbeit nachgingen. Kriminaltechniker, vermutete Dan.

Kurt & Ko bestand aus einem einzigen großen, von tonnenschweren Eichenbalken dominierten Raum. Wie auf einer kleinen Insel waren mittendrin die Toiletten, die Küche und ein Essraum untergebracht, außerdem der Server- und Lagerraum. Rund um diese Insel breitete sich eine durchgestylte Bürolandschaft aus, an der Wasserseite lagen eine Reihe durch Glaswände abgetrennte Sitzungszimmer und ein einzelnes Büro. Es gehörte Sebastian Kurt, dem Inhaber und Verwaltungsdirektor der Agentur. Top-Chefs sind häufig der Ansicht, dass Großraumbüros eine hervorragende Erfindung für die Mitarbeiter sind, sie selbst haben allerdings gern vier Wände um sich – und eine Tür, die sich schließen lässt. Will man in einer modernen Firma arbeiten, muss man gefälligst lernen, die Ohren zuzuklappen und sich zu konzentrieren. Dan spürte, wie der Schmerz im Zwerchfell zurückkehrte. Er hatte überhaupt nicht darüber nachgedacht, wie es sein würde, nach so langer Abwesenheit seinen Arbeitsplatz wiederzusehen, doch die Reaktion seines Körpers war eindeutig. Er zwang sich, an etwas anderes zu denken, und folgte Flemming und dem Zeugen in den Wartebereich am Empfang, wo ein ausladendes pinkfarbenes Ledersofa das Interieur dominierte.

Flemming wandte sich wieder an Kristian Helbjørn: »Sie sagen, Sie hätten sich mit der Wache abgewechselt. Was meinen Sie damit?«

Helbjørn zog seine Lammfellhandschuhe aus und rieb sich die Hände. Er lächelte ein wenig verlegen. »Na ja, Wache ist vielleicht etwas übertrieben.« Er errötete unter Flemmings Blick und fuhr fort: »Also, ein paar von den Nachbarn gehen abwechselnd am späten Abend noch mal eine Runde. Es hat hier so viele Einbrüche gegeben, außerdem gibt’s diese Bande von Ausländern …«

»Haben Sie eine Firma im Sundværket?«

»Nein, ich wohne dort drüben.« Er wedelte mit den Handschuhen, die er jetzt beide in eine Hand genommen hatte, in östliche Richtung. »In einer der Penthouse-Wohnungen. Aber wir gehen auch immer hier rüber, falls es …«

»Sind Sie bewaffnet?«

Der Kopf des Mannes zuckte einen ganzen Zentimeter zurück. »Nein. Oder … Das heißt …« Sein Kopf war jetzt tiefrot. »Ich habe das hier.« Er zauberte eine kleine Spraydose aus der Tasche und reichte sie Flemming. »Zur Sicherheit.«

»Pfefferspray.« Flemming schüttelte den Kopf und steckte die Dose ein. »Sie können froh sein, dass ich im Moment Wichtigeres zu tun habe, als mich um Sie zu kümmern, Herr Helbjørn. Im Augenblick können wir es dabei belassen, dass Sie mir erzählen, wie Sie die Leiche gefunden haben.« Er zog seinen Block und einen Kugelschreiber heraus. »Also … können Sie sich erinnern, wie spät es war, als Sie hierherkamen?«

»Kurz vor elf.« Kristian Helbjørn berichtete, dass er die offene Terrassentür bemerkt und ein paarmal gerufen habe, bevor er hineinging. »Im ganzen Haus brannte Licht«, erklärte er. »Eventuell sind noch die Leute von der Putzkolonne da, dachte ich. Mir gefiel nur nicht, dass niemand antwortete, ich …« Er räusperte sich und hielt einen Moment die Handschuhe an die Stirn – eindeutig ein plötzliches Unwohlsein. »Ich hatte einfach so ein unangenehmes Gefühl.«

»Haben Sie die Klinke angefasst, als Sie hineingingen?«

»Ich glaube nicht. Die Tür stand ja weit offen.«

»Und dann?«

»Dann bin ich ins Gebäude hineingegangen und habe dabei ›Hallo!‹, ›Ist hier jemand?‹ oder so etwas gerufen.« Er blickte zu Boden. »Als ich in die Küche kam, dachte ich zuerst, ihr sei schlecht geworden, aber als ich näher kam, habe ich ihre Augen gesehen, und …« Er legte den Zeigefinger quer über seinen Adamsapfel und hielt inne.

»Haben Sie irgendetwas berührt, Herr Helbjørn?«

»Nein. Ich habe ja gesehen, dass sie tot war.« Er schluckte. »Aber meine Schuhe haben natürlich den Boden berührt, und …«

»Welches Telefon haben Sie benutzt, als Sie den Notruf anriefen?«