Verlag Voland & Quist OHG, Dresden und Leipzig, 2015
© by Verlag Voland & Quist OHG
Korrektorat: Sabine Tuch, Berlin
Umschlaggestaltung: HawaiiF3, Leipzig, mit einer Illustration von Jonas Evertz
Satz: Fred Uhde, Leipzig
E-Book: eScriptum, Berlin
www.voland-quist.de
Inhalt
- Wo ist die 36. Kalenderwoche hin?
- Haben andere andere Körper?
- Bumst Dumm gut?
- Was ist mir die Erleuchtung wert?
- Wie heiße ich?
- Will jemand kuscheln?
- Kann man ohne Sex schwanger werden?
- War es Liebe?
- Wie lange halte ich noch durch?
- Will ich in den siebten Himmel?
- Wann hat mein Affe das letzte Mal Zucker gekriegt?
- Bin ich fällig?
- Warum ficken wir am Freitag?
- Soll man mal tauschen?
- Bin ich alt?
- Bin ich Expertin?
- Bin ich offen?
- Ist ein Haar in der Suppe?
- Rede ich zu viel?
- Verfügt mein Leben über ausreichend Dramatik?
- Spielt die Größe eine Rolle?
- Bin ich ein nettes Mädchen?
- Bin ich anders?
- Bin ich exotisch?
- Bin ich sexsüchtig?
- Bin ich das Kind meiner Eltern?
- Brauche ich eine Brille?
- Ist Kontrolle wirklich besser?
- Muss man manchmal Fotze sagen?
- Sind eigentlich alle außer mir bekloppt?
- Bin ich arm?
- Bin ich hässlich?
- Wie geht richtiger Sex?
- Lebe ich richtig?
- Soll ich Frösche lecken?
- Reicht Atmen?
- Warum bewegt er sein [sic] Arsch nicht?
- Habe ich alles richtig gemacht?
- Wovon bin ich so müde?
- Bin ich ein Schwein?
- Sieht man mir was an?
- Will ich berühmt werden?
- Bin ich einsam? (1)
- Sind Männer besser als ihr Ruf?
- Was mache ich hier eigentlich?
- Bin ich langweilig?
- Bin ich eindimensional?
- Passt er unter meiner Lampe durch?
- Bin ich ein Pannenfahrzeug?
- Bin ich die Therapie?
- Soll ich mich beschweren?
- Kriege ich jetzt mal Kaffee?
- Habe ich eine Geschäftsidee?
- Warum schmerzt mein Herz?
- Muss ich die Feste feiern, wie sie fallen?
- Macht Schwarz schlank?
- Welche Hilfsmittel sind erlaubt?
- Wer liegt oben?
- Wie kriege ich einen Mann?
- Schlafe ich gleich ein?
- Wie sehe ich aus?
- Bin ich einsam? (2)
- Weiß ich, wo es langgeht?
- Was habe ich für Fesseln?
- Weiß ich zu viel?
- Habe ich Nebenwirkungen?
- Was macht mein Geschlecht in seiner Freizeit?
- Bin ich einsam? (3)
- Ist es Schicksal?
- Bin ich die Tapete?
- Brauche ich Rat?
- Kann ich eine Faust machen?
- Was hätte meine Mutter mir sagen müssen?
- Muss ich überleben?
- Was mache ich zuerst?
- Will ich gemeint sein?
- Bin ich grobmotorisch?
- Wer bringt das Kondom in den Mülleimer?
- Sind Frauen DAS BÖSE?
- Hab ich das Gegengift?
- Kann er Gedanken lesen?
- Wer macht das Licht aus?
- Danksagung
Wo ist die 36. Kalenderwoche hin?
Ich schlage mich durch mein Leben wie durch Regenwald: mühsam und widerwillig. Ich
mache ein ernstes Gesicht und trage zweckmäßige Kleidung: verwaschene T-Shirts, kackfarbene
Hosen, klobige Schuhe. Schmuck würde sofort oxidieren bei dem irren Klima hier. Meine
Frisur ist praktisch, meine Fingernägel sind aus Gründen der Tarnung keinesfalls feuerrot
lackiert. Statt also in einem blauen Seidenkleid, das an meinem verschwitzten Körper
klebt, lasziv auf Lianen zu schaukeln, Bananen zu essen und hin und wieder in einer
Lagune zu duschen – feuchte Locken kringeln sich in meinem Nacken, meine Augen spiegeln
das Wasser unfassbar blau –, statt also das Beste aus dem zu machen, was ich habe,
habe ich Angst vor dem Tod, Angst vor dem Leben, vor Kontrollverlust, Insekten, großen
Tieren, vor Dunkelheit, vor dem Fliegen und dem Vögeln.
Ich bin eine misstrauische, mürrische kleine Frau, die, wenn sie auf dem Mittelstreifen
steht, befürchtet, die Antenne eines vorbeifahrenden Autos könnte ihr das Gesicht
zerschneiden. Ich argwöhne, dass jemand sich meine Kontodaten erschlichen hat und
heimlich von meinem ohnehin schon wenigen Geld mitlebt. Und dann ist da noch diese
Frau, die nachts meine Kleider mit Abnähern versieht, sodass sie mir morgens zu eng
sind. Aber als mir letztens eine geschlagene Woche abhandenkam – ich wusste in der
38. Kalenderwoche schlicht nicht mehr, womit ich die 36. verbracht hatte, in der ich
etliche Aufträge zu erledigen gehabt hätte, die sämtlich unerledigt geblieben waren
–, konnte ich das wohl kaum mehr auf die feindliche Welt schieben. Ich suchte auf
Spiegel online nach Nachrichten aus der betreffenden Woche, ich checkte meine Mails, ich schaute,
wer mich angerufen hatte. Es musste diese Woche gegeben haben, das war ganz klar,
ich war sogar einmal aus gewesen, hatte schräg gegenüber einen Burger gegessen und
Rotwein getrunken, wie ich anhand einer Quittung nachvollziehen konnte. Sex hatte
ich nicht gehabt, es lagen immer noch die fünf Kondome im Sechserpack, dessen Haltbarkeitsdatum
um die 40. Kalenderwoche herum ablaufen würde.
Und als ich nun schon mal auf der Suche nach der verlorenen Zeit war, fiel mir auf,
dass es eigentlich gar nicht so sehr um die 36. Woche ging, hier drehte es sich offenbar
um ganze Jahre. Wo war die Zeit geblieben zwischen meinem 28. Lebensjahr, als ich
auf der Höhe meiner Möglichkeiten war, sexuell aktiv, fröhlich, im Job erfolgreich
und allgemein beliebt, und dem 35., in dem ich gerade erschöpft vor mich hinstapfte?
Sie war verschwunden, wenn auch nicht spurlos, die kleinen Falten in meinem Gesicht
bezeugen, dass irgendwas gewesen sein musste. Auf den Schreck goss ich mir erst mal
einen Whiskey ein, zog mich aus, steckte die bollerigen Hosen und das verschossene
T-Shirt in den Müllsack und schwang mich in meiner pinken Unterwäsche und mit dem
Drink in der Hand auf einen Ast. Erschrocken seilte sich eine Spinne ruckzuck auf
ein Zweiglein über mir. Ich prostete ihr zu und nahm einen großen Schluck. Von hier
sah das alles doch schon viel netter aus. Eins stand fest: Ich würde einiges ändern
müssen. Und ob das gelang, so bildete ich mir plötzlich ein, hing nicht unwesentlich
davon ab, ob ich die restlichen fünf Kondome verbraucht kriegte, bevor in zwei Wochen
das Verfallsdatum überschritten wäre.
Haben andere andere Körper?
Ich hätte wirklich mehr Zeitung lesen sollen. Und Bücher. Nicht solche Bücher, wie
ich sie lese, sondern andere Bücher. Man ist ja in einer Gesellschaft beheimatet,
in der Männer und Frauen sich in der Kneipe oder auf Job-Events durch Sprechen über
Bücher und Zeitungsartikel einander annähern. Na ja, letztlich ist es jetzt eh zu
spät, die Männer und Frauen haben sich längst angenähert und wohnen in gemeinsamen
Wohnungen, in denen auf dem Klo Zeitungen oder auch Bücher ausliegen, über deren Inhalt
beim gemeinsamen Frühstück gesprochen werden kann, und ich bin gewissermaßen übrig.
Was nicht schlimm ist, ich kann mir meinen Körper ohnehin schwer in einem Bett oder
auch nur in einem Raum vorstellen mit dem Körper irgendeines Mannes. Höchstens mal
für ein paar Stunden. Aber dann: Mein Körper schnarcht, mein Körper riecht, mein Körper
ist leck, mein Körper schlägt Falten. Warum habe ausgerechnet ich dieses Mängelexemplar
bekommen?
Meinem Kollegen Jonas, der bei mir frühstückt und mir seine Entwürfe für unser Gewinnspiel
im nächsten Heft von Haustierhaltung heute präsentiert, fällt auf, dass bei mir keine Zeitungen rumliegen, das findet er geradezu
ungemütlich. Ich erzähle ihm von meinem Problem. Er zeigt mir einen Vogel. »Das geht
doch allen so. Körper ist eben ein bisschen eklig.«
»Aber nicht sooo eklig«, entgegne ich. »Wenn die anderen Körper auch solche Sachen
machen würden wie mein Körper, wüsste ich das. Darüber könnte man nicht schweigen.
Das müsste doch in Büchern stehen und in der Zeitung. Steht es aber nicht. Deshalb
schaue ich da gar nicht mehr rein. Letztens dieser Blutklumpen in meinem Hosenaufschlag
…«, setze ich an.
Aber Jonas hält mir die Hand vor den Mund und legt die andere in meinen Nacken. »Warum
hast du das nicht früher gesagt. Schließlich bin ich Doktor, lass mich den Schaden
mal begutachten.« Die Hand immer noch in meinem Nacken, steht er energisch auf, schiebt
mit dem Fuß seinen Stuhl zurück und führt mich zum Schlafzimmer.
»Du bist Doktor der Philosophie«, sage ich, während er mir schon die nachtblauen Kniestrümpfe
auszieht und meine Zehen zählt.
»Zehn Zehen«, sagt er, »so weit okay. Nagellack muss mal neu, das machen wir nachher.«
Er holt sich ein Blatt Papier und einen Stift. »Na, immerhin was zum Schreiben hat
sie da, wenn sie schon nicht liest.« Er zieht mich weiter aus. Mustert mich ganz genau,
während ich mich vor Scham winde, aber aufstehen lässt er mich nicht, er dreht und
wendet mich, notiert jeden Leberfleck (17) und jede Narbe (5). »Geschlecht: Riecht
wie Sonne auf einer dunklen Waldlichtung – Moos, Feuchtigkeit, Kräuter. Schmeckt wie
… kleine, knallrote Blüten, Pilze …« Dann sagt er erst mal nichts mehr. Und ich sende
meinem Körper eine Videobotschaft, in der ich ihm zeige, auf welche Weise ich mich
entleiben werde, wenn er nicht kooperiert, während diese Sache passiert. Und mein
Körper hat offensichtlich verstanden. Er schwitzt nicht mal.
Leider ist es schnell vorbei. Ich greife nach meinen Strümpfen und stehe auf. »Noch
einen Kaffee?«
Kopfschüttelnd drückt Jonas mich zurück aufs Bett und beugt sich über mein Gesicht.
»So kommen wir keinen Schritt weiter, mach dich mal locker.« Dann richtet er sich
auf und rülpst. Ich bin starr vor Schreck. Er rülpst noch mal, lacht unverschämt,
zieht sich aus, zeigt mir seinen Körper. Schön sieht er aus. Helle Haut, muskulöse
Arme, bisschen Bauch. »Nach Furzen ist mir grad nicht, aber jetzt gehen wir zusammen
pinkeln«, sagt er.
Hinterher bin ich tatsächlich entspannter. Er streicht mir die Haare aus der Stirn
und flüstert mir nette Sachen über meinen Körper ins Ohr, während er sich in mir bewegt.
Und ich seufze, ich stöhne, ich schreie wohl auch. Auf jeden Fall schwitze ich wie
ein Schwein.
Beim nächsten Mal bringt er einen Vierfarbkuli mit, trägt mich ins Bett, küsst meine
Stirn, sagt, seine Freundin ist schwanger, und er kann nicht mehr kommen. Aber ich
soll ganz genau aufschreiben, was mein Körper so an denkwürdigen Dingen tut. »Das
ist nichts für die Zeitung, das gibt eine Enzyklopädie – zehn Bände mindestens. Bei
diesen Dellen hier …«, er streicht über meine Kniekehlen, so sanft und geil, dass
sich mir ein Seufzer entringt, »und das Geräusch, wenn man hier draufdrückt – irre
–, und was ist das Nasse da hinten?« Er prüft und tastet, und obwohl ich so traurig
bin, komme ich doch lauter als je zuvor. »Oh, du musst alles notieren. Im Dienst der
Menschheit gewissermaßen. So was wie deinen Körper hat die Welt noch nicht gesehen.«
Dann ist er weg. Ich trinke Rotwein und gehe irgendwann raus, ein Notizbuch kaufen.
Bumst Dumm gut?
Dieses »Dumm fickt gut«, das man immer wieder hören kann, gilt bestimmt nur in Bezug
auf Frauen. Ein Indiz dafür ist die ruinierte Alliteration. So unsensibel kann nur
ein Mann gewesen sein. Keine schöne Vorstellung: Unsensible Männer werden von dummen
Frauen gut gebumst. Werden sensible Männer dann im Umkehrschluss von schlauen Frauen
schlecht gebumst? Ich bin ja nur ein recht kleiner Teil der Bevölkerung, aber auf
mich trifft das zu. Ich bin so linkisch und bemüht – beim Ausziehen, beim Blasen,
beim Kondomüberstreifen –, ich glaube, es ist kein Spaß, sich von mir bumsen zu lassen.
Das zerrt an den Nerven, das geht an die Nieren, das macht blaue Flecke und Quetschungen.
Und auch ich selbst habe von meiner Bumserei nicht viel und bin immer recht dankbar,
wenn der jeweilige Mann in meinem Bett, ob nun dumm oder nicht dumm, entnervt das
Ruder an sich reißt und seinerseits anfängt, mich zu bumsen. Meiner Erfahrung nach
weiß man vorher nie, wie gut oder lausig das Gegenüber sein wird. Tendenziell sind
die Schlauen besser. Oder sind es die weniger Schönen? Oder die mit schlechtem Selbstwertgefühl?
Die nerdischsten Nerds scheinen in Sex ihre ganze Leidenschaft zu legen. Die lausigst
angezogenen Männer haben ein Körpergefühl, dass man vermuten möchte, die Kleidung
sei eventuell Tarnung wegen der Groupies. Ich fürchte, der Sex-Intelligenz-faktor
wurde noch nicht entdeckt.
Jedenfalls reicht es für guten Sex nach meiner Erfahrung völlig, wenn einer pro Bett
es draufhat. Da ich das in meinem Fall nicht bin, kann ich nur auf gute Typen hoffen.
Mir doch piepe, ob die schlau oder doof sind. Ich bin schon ziemlich lange nicht mehr
gekommen. Und bei der Schlüsselposition, die ich als Korrektorin der Zeitschrift Haustierhaltung heute innehabe, könnte ein gewaltiger volkswirtschaftlicher Schaden entstehen, wenn ich
nicht bald einen zugeteilt kriege, der gut bumst … Moment …, Sekunde …, es klingelt.
Was ist mir die Erleuchtung wert?
You can’t have your cake and eat it, sagen die Amis und meinen damit: Man muss sich entscheiden. Früher dachte ich, das
bezieht sich auf Steuererklärung, gesunde Ernährung und so. Aber es bezieht sich noch
tausendmal mehr auf den Bereich des Sexuellen, wie ich an den sehr sexuellen Verben
to have und to eat leicht hätte ablesen können. Weil ich aber mal wieder nix abgelesen habe, kann ich
jetzt nicht mehr ins Grubert. Im Grunde könnte ich mich gleich erschießen. Aber von
Anfang an:
Ich bin Korrektorin und verbringe meine Abende korrekturlesend im Grubert. Außerdem
bin ich aber auch noch Single und habe demzufolge viel zu wenig Sex. Wie schön wäre
es, wenn man beides verbinden könnte, hab ich irgendwann gedacht und: Heute setze
ich mich mal an die Theke und signalisiere, dass ich Liebe dringender brauche als
Lektüre. Ich habe also gegen zehn meine Brille abgesetzt, ein ausgewiesenes Angstobjekt
für jeden Mann unter sechzig, und habe wahllos – rechts saß keiner – meinen Nachbarn
zur Linken angelächelt, der fragte auch gleich brav, was ich denn da lese. Haustierhaltung heute, habe ich gesagt und das Heft zugeklappt.
So einfach ist das.
Nach einem Pseudogespräch lässt er sich willig in meine Wohnung bringen, er hatte
noch einen Hund vor der Bar sitzen, groß wie ein ausgewachsenes Schaf und auch so
milde. Wir gehen zu dritt ins Bett, und während mir der Typ auf das Wundervollste
die Hände (!) massiert, fragt er nach meinem Sternzeichen und fängt an, über Astrologie
zu schwadronieren. Der Hund seufzt und lässt sich neben mich fallen, der kennt den
Sermon offensichtlich schon. Fisch/Aszendent Labertasche redet inzwischen von Reinkarnation.
Ich kann ihn doch nicht rausschmeißen, bevor er es mir gemacht hat. Hastig schiebe
ich mich an ihm runter und blase ihm einen. Endlich Ruhe. Dem Himmel sei Dank ist
er beim Vögeln nicht halb so weichgespült, wie sein beseeltes Gequatsche vermuten
ließ. Und abgesehen davon, dass der Hund mein linkes Ohr leckt, während dieser Buddha
mich von hinten erleuchtet, ist es wirklich geil. Danach faselt er irgendwas von Venus,
weswegen das mit dem Sex bei mir kein Wunder sei. Ohne mich zu ihm umzudrehen, knurre
ich, dass ich früh raus muss.
Als ich am nächsten Abend mit meinen Büchern ins Grubert komme, ist little Buddha
schon da. Wieso ist mir dieses verblichene Rettet-den-Regenwald-Shirt nicht gestern
schon aufgefallen? Na ja, ich hatte meine Brille nicht auf. Er wird in einer Eso-Disco
auflegen, erzählt er ungefragt. »Scheiße, da muss man doch die Schuhe ausziehen, und
das bei meinen hässlichen Füßen«, ich versuche, lässig bis desinteressiert rüberzukommen.
Als er milde lächelnd von meinem schlechten Selbstwertgefühl anfängt, was kein Wunder
sei bei meiner Konstellation, verziehe ich mich an den allerhintersten Tisch, kann
mich dort aber nicht auf meine Arbeit konzentrieren und gehe bald. Einen Tag lasse
ich aus. Aber am übernächsten bin ich wieder da. Und wer sitzt brezelbreit an der
Theke, wo es theoretisch all die ungewaschenen, lustigen Jungs gäbe, die ich so gern
zwischen zwei Büchern beobachte? Buddha. Ich gehe gar nicht erst rüber, lächle nur
säuerlich.
Und so geht das jetzt geschlagene zwei Wochen. Warum nur hab ich für einen Moment
der Erleuchtung mein sympathisches Leselokal geopfert? Sex gibt es im Gegensatz zu
so einem netten Plätzchen wie dem Grubert doch nun wirklich an jeder Ecke und außerdem
auch im Internet, wo der schöne, kalte Mr. Imperfect nur darauf wartet, dass ich schreibe: Heute 19 Uhr bis 23 Uhr will ich dich. Vielleicht
lässt er mich erst eine Stunde bei sich lesen, und dann machen wir’s?
Wie heiße ich?
Als ich letztens mit ein paar Freundinnen bei Tee und Keksen zusammensaß und wir über
dies und das plauderten, fanden alle total indiskutabel, dass mein Geschlecht Geschlecht
heißt (»da hast du schlecht für schlechten Sex ja schon im Wortstamm«) und dazu verdammt ist, Sportunterwäsche
mit Beinansatz zu tragen. »Bist du wahnsinnig!«, echauffierte sich Claudia, eine extrovertierte,
extrem schöne Tänzerin. »Sweet Amanda ist bei uns«, sie zeigte erst auf ihren Kopf
und dann auf Sweet Amanda, diejenige, die die Männer aussucht. »Ich tue alles, um sie nicht zu verärgern. Letztens
fühlte sie sich vernachlässigt und hat vor Wut einen Fußballer abgeschleppt. Ihr wisst,
was das bedeutet …« Alle nickten betroffen. Ich wusste zwar nicht, was das bedeutet,
wollte mir aber keine weitere Blöße geben und nickte auch.
»Bei mir ist es genauso, ich hatte ein geschlagenes Jahr keinen Orgasmus, während
ich an meiner Dissertation geschrieben habe«, klagte Silvia, eine üppige Rothaarige,
die wirkt, als hätte sie pro Tag mindestens drei Orgasmen. »Erst seit ich sie Zuckerschnecke
nenne, jeden Morgen einöle und in die Tagesplanung einbeziehe, läuft es wieder zwischen
uns.«
Ich war alarmiert. War mein Geschlecht verärgert und boykottierte mich deswegen? Mein
Sexleben war nämlich echt ausbaufähig. Eine Großbaustelle gewissermaßen, wo es seit
Ewigkeiten nicht voranging, es wurde nur immer mal wieder pseudomäßig durchgefegt,
wenn potenzielle Investoren sich angekündigt hatten.
Daheim angekommen, setze ich mich mit einem Spiegel auf den Klodeckel und schaue mir
mein Geschlecht an.
Interessant.
Fleischfressende Pflanze fällt mir ein. Aber fleischfressende Pflanze hat ganz schön viele Silben. Das schreit förmlich nach einer verkürzten Form. Und
die Vorstellung, dass irgendein Fußballer mein Geschlecht Fleischi nennt, macht mich
nicht glücklich. Immerhin habe ich jetzt Lust auf Sex. Ich klappe den Spiegel zu,
fege noch mal durch im Schlafzimmer und gehe los.
Die Party ist eine Herausforderung. Mein deutlich wahrnehmbares Geschlecht und ich
lassen jeden, mit dem wir je schlechten Sex hatten und, wenn es nach mir ginge, gut
und gerne noch mal haben könnten, nach ungefähr einer Minute eiskalt mit seinem jeweiligen
Thema (Medienprojekt, The Circle, Nabokov) stehen, um dann einen Wildfremden mitzunehmen, mit dem wir kaum zwei Worte
gewechselt haben. Mehr ist auch nicht möglich, weil mein Geschlecht schon einen ausgesucht
hat, unkontrolliert rumzuckt und mir eine Ahnung von Veitstanz beschert, zu dessen
Funktion innerhalb von stark reglementierten Systemen ich unter normalen Umständen
gut und gerne einen der anderen Typen hier hätte befragen können. Ich mache mir keine
Hoffnungen, was die Partnerwahl meines Geschlechts angeht. Aber egal. Sex ist Sex.
Und irgendwie riecht der Mann gut, erzählt lustige Sachen und bezahlt das Taxi.
Als ich ihm im Rahmen eines überraschend ausgedehnten Vorspiels das Problem der Namenssuche
schildere, beugt er sich umstandslos über mein Geschlecht. Und während ich erst mal
abgemeldet bin und schon bedaure, keine Bücher neben dem Bett liegen zu haben, fällt
ein Name nach dem anderen. »Babe? Oder Süße, bist du eine Süße?« Er hat eine schön
kratzige Stimme. »Nein, bist du nicht. Du bist stolz und gefährlich, das denkst du
zumindest …« – nun höre ich doch interessiert zu – »… soll ich dich Charlie nennen,
Charlene, wenn du mal rosa Wäsche anhast? Nein? Wie wäre es mit Zaza oder Lou?« Keine
Antwort. Er fährt mit der Zunge der Länge nach mein Geschlecht entlang, erst ganz
zart, dann heftiger, tiefer. »Ich hab’s.« Er taucht auf. Nasses Gesicht, wirre Haare.
»Du bist eine Anemone, eine Seeanemone«, sagt er. »Und ich bin deine Muräne.« Er taucht
wieder ab.
»Da hättest du ja gleich Hannelore nehmen können, das hat genauso viel Glamour«, sage
ich leicht genervt ob der unpopulären Entscheidung, doch da ist der seltsame Typ schon
unter mir durchgetaucht, hat mir mit der Schwanzflosse einen Nasenstüber versetzt
und sich in Anemone versenkt.
Am nächsten Morgen, wieder auf dem Klodeckel, frage ich sie scheinheilig, ob es bei
Anemone bleibt, oder ob wir nicht doch lieber noch ein paar Expertenmeinungen einholen
wollen. Aber sie will bald wieder mit der Muräne spielen, diesbezüglich ist sie ganz
klar. Wie um ihre ozeanische Herkunft zu betonen, hinterlässt sie ein Pfützchen auf
dem Klodeckel. Beim Gedanken an das nächste Kaffeekränzchen winde ich mich schon mal
prophylaktisch vor Scham. Und zwar eher wegen Muräne als wegen Anemone. Bis mir einfällt,
dass ein Geschlecht in der Runde Lilifee heißt und ein Techtelmechtel mit Garfield
hat.
Will jemand kuscheln?
Die ganzen Schriftsteller damals hatten recht mit ihrer Furcht vor Freud. Mein Analytiker
hat mein Leben ruiniert. Das Problem besteht allerdings weniger darin, dass ich nicht
mehr schreiben oder korrekturlesen kann. Schreiben muss ich eh nur das Inhaltsverzeichnis,
und Korrekturlesen geht. Was ich nicht mehr kann, ist vögeln. Und Vögeln war das Einzige,
worin ich es wirklich, wirklich zu großer Meisterschaft gebracht hatte in meinem Leben.
Vögeln war das, worauf mein Selbstvertrauen, meine Ausstrahlung und meine Lebensplanung
basierten. Immer mal wieder hat mein Analytiker hämisch eingeworfen, ich könne ja
kaum die Sexbombe sein, für die ich mich hielte. Ein Mann hätte eine solch unverfrorene
Behauptung, noch dazu von einer Tucke in schmuddeligen weißen Hosen, einfach überhört,
Männer überhören grundsätzlich alles, was über ihre Qualitäten im Bett gesagt wird,
es sei denn, es ist was Lobendes. Im Grunde war dies das Einzige, was der Typ in den
vier Jahren meiner Analyse gesagt hat. Ganze Sitzungen kein Wort von ihm. Zwischendurch
hatte ich manchmal Angst, der alte Mann wäre gestorben, und fing an, über Sex zu reden.
Und prompt ruckelte er sich in seinem Sessel zurecht, und da kam sie wieder, die Unterstellung,
wirklich grandios könne mein Sex ja kaum sein.
Und jetzt ist es so. Jetzt hat er recht bekommen. Seit der Analyse lebe ich keusch
wie Schildkrötenmann George, der Letzte seiner Art. Und ich sehe auch so aus: glanzlose
Haare, anderthalb Kilo Übergewicht, große traurige Augen. Sex macht nämlich schön.
Kein Sex macht nämlich hässlich. Dabei ist es nicht etwa so, dass ich dem Mann diese
Sache mit meinem Sex auch nur eine Sekunde geglaubt hätte. Im Grunde glaube ich jetzt
noch nicht, dass ich eine Niete im Bett bin. Neuerdings verweigert mein Körper allerdings
zu kooperieren. Zuerst habe ich es auf einer Journalistenparty gemerkt. Viele charismatische
Männer waren anwesend, ich wurde großartig unterhalten, und dann war da der eine.
Der Mann des Abends, das Alphatier. Ich lachte über seine Witze, hielt ihm mein ausgezeichnetes
Dekolleté unter die Nase, machte das Lippendings und das Augenbums, trank und trank
mit ihm – und dann, Weidmanns Dank, waren wir bei mir. Und da lag ich nun, Schildkröte
George, und hatte keine Lust, ihm einen zu blasen. Ich lag, mein Kopf auf seinem Bauch,
gemütlich herum, träumte, trank Rotwein, hörte Lambchop. Hätte mich einer nach Sex
gefragt (er zum Beispiel), ich hätte nur milde mit dem Kopf geschüttelt. Was ich wollte,
war nackt sein wie ein Baby und fühlen und genießen. Und das Ergebnis: Nach zwei Stunden
zog er hastig seine Sachen an, verabschiedete sich, den Blick auf den Boden geheftet,
und war weg. Und mir, mir war es egal. Leute, Leute, auch wenn mich das einerseits
zutiefst beunruhigt, fühlt es sich andererseits sehr behaglich an, wer hätte gedacht,
dass aus mir mal ’ne gemütliche Alte wird. Jemand Lust auf Kuscheln?
Kann man ohne Sex schwanger werden?
Von Kindern, die durch Analverkehr gezeugt wurden, habe ich schon verschiedentlich
gehört. Blöde Sache, so eine Existenz scheint ja von vornherein unter einem schlechten
Stern zu stehen. Wie will man denen das später erklären? Vermutlich werden sie alles,
was ihnen je misslingt, darauf zurückführen. Gott sei Dank ist es nicht gerade gang
und gäbe, seinen Kindern neben dem genauen Geburtstermin auch noch die Details der
Zeugung mitzuteilen …
Aber Schwangerschaft ganz und gar ohne Sex? Da gibt’s doch nur den einen Fall.
Und jetzt ich.
Ich bin aber auch wirklich zu vertrauensselig gewesen. Diese Allgemeinärztin, für
die ich mich ausschließlich wegen der geringen Entfernung ihrer Praxis zu meiner Wohnung
entschieden hatte und die sich schnell als Hexe/Heilerin erwies, wusste alles über
mich. Sie wusste, wann ich geboren bin und dass meine Mutter ein Aas war (obwohl sie
nicht exakt dieses Wort gebrauchte). Sie wusste, dass ich Musik liebe und mir ein
Kind wünsche (was ich wohlweislich noch nie irgendwem gesagt hatte). Aufrecht saß
ich in ihrem Besuchersessel und fühlte mich zutiefst verstanden. Zum Abschied berührte
sie meinen Arm, nickte milde, ein bisschen wie zu einer Idiotin, dann schob sie mir
eine Tüte mit Kügelchen in meine rechte Faust und schickte mich heim.
Und jetzt gehe ich schwanger. Mit Lust und Sehnsucht und farbigen Träumen, wie ich
sie gar nicht kannte. Und eben nicht nur damit. Manchmal macht mir das Angst. Aber
höchstens minutenlang. Ansonsten trage ich ein neues knallrotes Kleid und schiebe
meinen üppigen Körper durch die belebten Straßen. Mir ist heiß, und mich gelüstet
nach allem Möglichen. Unter anderem nach kühlen Händen auf meinem Körper. Da ist nichts
Knabenhaftes, Linkisches mehr an mir. Nicht daran zu denken, dass eine mit diesem
schweren Körper sich eilfertig bückt, um jemandem, der es nicht wert ist, einen zu
blasen. Ich bin Mutter Erde. Ich bin DIE FRAU und brauche DEN MANN. Der da im Straßencafé
am Nebentisch sitzt, wird es nicht sein. Schaut den ganz Jungen und ganz dürftig Angezogenen
hinterher. Ich trinke süßen, bitteren Kakao. Den Mann muss ich gar nicht erst probieren.
Aber keine fünf Minuten später hält er mir, fast ohne herzusehen, in der offenen Hand
seine Erdnüsse hin.
»Sie essen gern salzig«, hatte die Hexe/Heilerin konstatiert. »Ja, das stimmt«, hatte
ich gesagt, »hab ich noch nie drüber nachgedacht.« Ich nehme von den Nüssen in seiner
Hand, der Mann hat eine Glatze, er liest weiter in der Zeitung, einhändig jetzt, weshalb
ihm die obere Ecke immer umklappt, die andere Hand mit den Nüssen in meine Richtung
ausgestreckt, ich nehme noch mal ein paar und noch mal, er schaut nach wie vor nicht
her, nehme mir alle Nüsse schließlich in meine linke Hand, esse gierig, und als ich
alle mit zwei Fingern aufgepickt habe, sehe ich, dass er meine Gier amüsiert beobachtet
hat. Er nimmt meine linke Hand, sagt »Darf ich?« und leckt, ohne mit dem amüsiert
Dreinschauen aufzuhören, das Salz aus der Handfläche. Wie ein Tier, denke ich, das fühlt sich gut an. »Ich mag Salz«, sagt er dicht vor meinem Gesicht und hat hellblaue Augen und geschwungene
Lippen. Ich schätze, die Hexe wusste, was sie tat, ich schätze, er ist auch ein bisschen
spät dran mit den Dingen. Vielleicht ist meine Medizin ja auch seine Medizin.
War es Liebe?