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Über dieses Buch:

Die Schlüssel zu einem erfüllenden Leben sind ein gesundes Selbstvertrauen, das nie abreißende Bestreben, sich selbst zu verbessern und dabei genug Bodenständigkeit, demütig und dankbar für das Lebensglück zu bleiben. Der Philosoph Prentice Mulford gehört zu den Vordenkern eines gelebten Optimismus: Den Sinn des Lebens in uns selbst zu erkennen und unsere Lebensführung nach diesem auszurichten war ihm das höchste Gut und der sichere Weg, das Leben zu meistern.

Der lang vergriffene Klassiker des positiven Denkens – endlich wieder verfügbar!

Über den Autor:

Prentice Mulford (1834-1891) war ein US-amerikanischer Journalist, Philosoph und Schriftsteller, der als einer der bedeutendsten Vertreter der Neugeist-Bewegung gilt. Er verbrachte sein Leben mit verschiedenen Tätigkeiten. Seine Bücher vertrieb er ohne Verlag und ohne Werbung: Mundpropaganda genügte ihm, um weltweit gelesen zu werden.

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Aktualisierte Neuausgabe Februar 2013

Copyright © der Originalausgabe 1991 Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München

Copyright © der aktualisierten Neuausgabe 2013 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nicola Bernhart Feines Grafikdesign, München

Titelbildabbildung: Gemeinfreie Abbildung

Abbildungsnachweis Vorwort: Needham portraits / en.wikipedia.org

ISBN 978-3-95520-127-2

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Prentice Mulford
Meisterschaft des Lebens

Herausgegeben von Hans Christian Meiser

dotbooks.

Prentice Mulford und seine ›Meisterschaft des Lebens‹

Eines der wenigen existierenden Bildnisse von Prentice Mulford ist eine Photographie. Sie zeigt einen gemütlichen, etwas rundlichen Herrn im Alter von vielleicht fünfundvierzig Jahren. Ein mächtiger Schnurrbart verdeckt die Lippen, eine hohe Stirne lässt ahnen, dass es sich hier um einen gewaltigen Denker handeln muss. Entspannt, aber mit hellwachem Blick lehnt sich Mulford auf einem Sessel zurück, neben den leger übereinandergeschlagenen Beinen hält seine Linke einen englischen Bowlerhat. Auf einem anderen Photo lehnt er sich an die Reling eines Schiffes und schmaucht ein Pfeifchen.

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Das ist er also, der Autor des Welterfolges ›Unfug des Lebens und des Sterbens‹, eines Buches, das seit mehr als hundert Jahren ein Millionenpublikum begeistert. Hat man ihn sich so vorgestellt, diesen ›Gesunddenker‹, diesen Verkünder eines ›Neuen Geistes‹? Dachte man bei der Lektüre seines Werkes nicht vielmehr, wer so etwas schreibe, müsse entweder von hühnenhafter Gestalt sein oder aber das Gegenteil, ausgemergelt, kränklich, blass? Und jetzt, Mulford als braver Bürger? Er, der so immense Wahrheiten ausspricht?

Im Falle Mulfords verbirgt sich hinter dem unscheinbaren Äußeren eine ganz besondere Kraft. Er selbst würde sie wohl ›Die Kraft von Oben‹ nennen. Es ist die Kraft, welche ihm jene dreiundsiebzig Aufsätze diktierte, die 1888–1890 unter dem Titel ›Your forces and how to use them‹ (›Deine Kräfte und wie Du sie nutzt‹)  in vier Bänden vom New Yorker Verlag Needham als ›White Cross Library‹ (›Bibliothek vom Weißen Kreuz‹) herausgegeben wurden und die 1909–1919 als Auswahl unter den Titeln ›Der Unfug des Sterbens‹, ›Der Unfug des Lebens‹ und ›Das Ende des Unfugs‹ in deutscher Übertragung erschienen (der oben genannte, zusammengesetzte Titel stammt aus einer späteren Zeit). Die Bearbeiterin und Übersetzerin des ›Unfugs‹ war die Mulford innerlich verwandte Schriftstellerin Bertha Eckstein-Diener (1874–1948), die sich selbst Sir Galahad (ein Ritter von König Arthus Tafelrunde) nannte und vor allem mit ihrer ersten Kulturgeschichte der Frau, ›Mütter und Amazonen‹ (1932), ein frühfeministisches Standardwerk schuf. Mulfords Bücher übersetzt sie zwischen ihrem dreißigsten und vierzigsten Lebensjahr, jener Zeitspanne also, in der auch für den heutigen Leser die Gedankenwelt des amerikanischen Sonderlings noch fruchtbar werden kann, vor allem, wenn man enttäuscht von dem durch Schule, Studium oder Leben Vermittelten einen neuen Geistesinhalt sucht. Bei Prentice Mulford ist er zu finden und – vorausgesetzt man verinnerlicht ihn – wird er einen bis zu seinem Lebensende nicht mehr loslassen, auch wenn Manches – wie etwa das Verhältnis Mann-Frau - dem Leser heute überholt erscheint bzw. von der Entwicklung der letzten Jahrzehnte eingeholt worden ist. Dennoch bleibt Mulford nicht nur in höchstem Maße originell, sondern auch unangepasster Freigeist, wie er in der Menschheitsgeschichte nur sehr selten auftritt. Wie aber ist solch ungewöhnliches Gedankengut in Mulford selbst entstanden? Eine Universität hat er nicht besucht, soviel wissen wir, und dennoch gibt es in seinem Werk Parallelstellen zu den frühgriechischen Denkern, zu den Philosophen des deutschen Idealismus – vor allem hinsichtlich des voluntaristischen Systems – und zur Lebensphilosophie französischer und deutscher Prägung. Auch belesen scheint er nicht sonderlich gewesen zu sein, sodass man unweigerlich annehmen muss, das Leben selbst sei Mulfords großer Lehrmeister gewesen. Nichts in seinem Werk stammt daher aus zweiter Hand, alles ist originär und: in höchstem Maße originell.

Mulford ist ein ursprünglicher Lebensphilosoph, einer der weiß, wovon er spricht, einer, der am eigenen Leib und an der eigenen Seele erfährt und nichts aus verstaubten Konvoluten und Folianten dunkler Bibliotheken schöpft.

Am 5. April 1834 wird er in Sag Harbour auf Long Island im Staat New York geboren, wo seine deutschstämmigen Eltern ein Hotel unterhalten. Als er 14 Jahre alt ist, stirbt der Vater, was den jungen Prentice derart erschüttert, dass er seinen Schmerz in jahrelangem Alkoholkonsum zu ertränken versucht. Sein Berufsleben beginnt er zur See - als Matrose, Schiffskoch und Walfischfänger. Mittlerweile hat er den Alkohol aufgegeben und zieht 23jährig nach Kalifornien, um dort als Goldgräber sein Glück zu versuchen.  Auch hier ist er nicht sonderlich erfolgreich – bis er plötzlich, als Neunundzwanzigjähriger, seine Liebe zur Feder entdeckt. Der ›Union Democrat‹, eine Zeitschrift, die in Sonora, Tuolumne County, Kalifornien erscheint, veröffentlicht einen humoristischen Artikel, den Mulford unter dem Pseudonym ›Dogberry‹ (eine Gestalt aus Shakespeares Drama ›Viel Lärm um nichts‹) eingereicht hat. Die Leser erreicht Mulford mit seinen Worten durchaus, doch arbeitet er gleichzeitig als in verschiedenen anderen Berufen, die ihm allerdings nicht die erwünschte Erfüllung bringen. Doch dann die Wende: 1866 schreibt er in San Francisco für die ›Golden Era‹ und den ›Dramatic Chronicle‹. Zwei Jahre später ist er Herausgeber der ›Stockton Gazette‹. Max Hayek, Journalist, Autor und Übersetzer der hier vorliegenden Auswahl Mulford’scher Essays, der 1882 geboren wurde, dessen Spuren sich aber nach 1930 verlieren, schreibt:

»Er erwirbt in all den Jahren keine Reichtümer. Als Mitarbeiter des ›Democrat‹ verdient er 75 Cents oder noch weniger am Tag und besitzt, nach seinem Bericht, lediglich eine alte Flinte, einen Sattel, ein paar wollene Decken und sehr anspruchslose Kleider. Aber er ist ein Ritter von Geist, der nur die Feder in die Hand zu nehmen braucht, um in sich einen Krösus zu fühlen. Mulford, scheu und schüchtern, unterschätzt sich, hält sich für einen moralischen Feigling und betrachtet die Feder als sein Zepter, das Papier als sein Reich.

Er ist sehr sensitiv, starke Willensströme anderer hält er nicht aus. Um 1872 bereist er, ein kalifornischer Propagator, über Auftrag heimatlicher Kaufleute, Englands Städte und Städtchen, besucht ein Jahr später, Korrespondent des ›San Francisco Bulletin‹, die Wiener Weltausstellung, und als er wieder amerikanischen Boden betritt, besitzt er neun Dollars und eine Frau. Er ist neuerdings freier Journalist, auch predigt er einmal von einer unitarischen Kanzel herab. Sein Geldbesitz ist sehr gering, um seine Gesundheit ist’s arg bestellt. Die Entsendung zur Hundertjahr-Ausstellung nach Philadelphia ist ihm eine Rettung. Und als er dann dem Mitarbeiterstab des Neuyorker ›Graphic‹ beitritt, ist er, um den harten Preis sechs mühseliger, in journalistischer Schwerarbeit verbrachter Jahre, vor materiellem Elend halbwegs geschützt. Er schreibt für jede Ausgabe des ›Graphic‹ die Spalte ›Geschichte eines Tages‹ – dann hat er genug. Er ist mit seiner Gesundheit am Ende. Mit geringer Habe wandert er in die Wildnis hinaus – in den Sumpf von New Jersey. Dort baut er sich, ein wenig geschickter Baumeister, mit eigenen Händen eine Blockhütte.«

Vierzig Jahre nach Henry David Thoreau, der sich an einem See in der Nähe von Concord, Massachusetts, ein Waldhaus zimmerte und darüber in seinem zum Kultbuch gewordenen Werk ›Walden oder Leben in den Wäldern‹ Zeugnis ablegte, unternimmt Mulford dasselbe Wagnis. Vierzig Dollar kostet ihn die Errichtung der Holzhütte in dem unwirtlichen Sumpf. Hier aber, endlich, beginnt er sein Lebenswerk zu verfassen, jene eingangs erwähnten dreiundsiebzig Essays ›Your forces and how to use them‹. In der selbsterwählten Einsamkeit fließen ihm die Gedanken, die ihn später so berühmt machen sollten, wie von selbst zu. Man kann sie Offenbarungen des Geistes nennen, wie sie sich einem schöpferischen Menschen nur in der Einsamkeit und durch das Einsamsein enthüllen können. Sichtlich wächst nur dort das, was einer in sich trägt; und es nimmt Gestalt an. Das Alleinsein kann einen befähigen, aus einer gewissermaßen selbstentrückten Schau die Dinge der Welt zu durchdringen und zu beurteilen. Die meisten und besten großen Dichter und Denker haben sich nicht umsonst bewusst auf den Kampf mit der Einsamkeit eingelassen. Wer mit ihr vertraut ist, braucht den horror vacui nicht mehr zu fürchten.

Für sein im Sumpf entstandenes Œuvre sucht Mulford zunächst keinen Verleger. Er versendet jeden Aufsatz als Heft gebunden an Freunde und Bekannte. Bald jedoch nimmt sich der New Yorker Verlag Needham des Gedankenguts an, und es entstehen die ersten tausend Exemplare, die Mulford freilich selbst bezahlen muss. Drei Jahre später, 1889, aber schreibt er: »Wir werden nun in allen Weltteilen gelesen. Wir haben Hunderte von Briefen empfangen, worin uns die Menschen, die sich zu den von uns verkündeten Prinzipien bekennen, Dank für die Hilfe sagen, die ihnen zu gewähren unser glücklicher Beruf ist.« Mulfords Beruf ist aber auch seine Berufung. Diese erlischt, als er am 27. Mai 1891 auf seinem Segelboot ›White Cross‹ nach Sag Harbour fährt, dem Ort seiner Geburt. Es wird berichtet, man habe ihn tot in seinem Boot vor Long Island gefunden, in Decken gehüllt, mit friedlichen Gesichtszügen, scheinbar schlafend. Sein Lebenskreis hatte sich geschlossen. Seine Pilgerfahrt war zu Ende.

Prentice Mulford gehört in die Reihe jener großen amerikanischen Dichterphilosophen, die schon damals den noch heute wirksamen Geist der Unbekümmertheit verkündeten: Henry David Thoreau (1817–1862), Ralph Waldo Emerson (1803–1882) und Walt Whitman (1819–1892). Der Positivist Mulford ist aber auch Zeitgenosse des Nihilisten Friedrich Nietzsches (1844–1900). Doch während sich in Europa gerade das Zeitalter der Dekadenz breitgemacht hat, befindet sich Amerika im Aufbruch. 1865, als Mulford einunddreißig ist und seine ersten journalistischen Übungen unternimmt, stirbt Abraham Lincoln, zwei Jahre zuvor war der Sezessionskrieg beendet worden, zwei Jahrzehnte später verfasst Mulford seine Essays. Es ist eigenartig und bewundernswert, wie aktuell seine Gedanken heute noch sind. Zwar wurde Mulford von der Neugeistvereinigung, einer Splittergruppe der Theosophischen Gesellschaft, die sich 1894 organisierte, in Anspruch genommen (vgl. K.O. Schmidt, ›Richtig denken – Richtig leben – In Schönheit sterben‹, Inspirationen von Prentice Mulford, Pfullingen 1926), doch Mulford selbst wäre wohl kaum glücklich gewesen, von welcher Vereinigung auch immer zitiert zu werden. Als Individualisten ist ihm jede Form der Gruppenbildung fremd. Sein Geist nährt sich aus der ›Höchsten Macht‹, deren Kräfte und Gesetze er für sich nutzbar macht.

Wovon spricht Mulford, was lebt er, weshalb ist er heute nicht weniger aktuell als vor einem Jahrhundert? Er spricht Urgedanken aus und er lebt sie. Er schöpft aus einem Menschheits-Urwissen, das durch Sublimation und industrielle Revolution verlorengegangen scheint. Mulford sagt und lebt die einfachsten Wahrheiten, jene Lebensgründe, nach denen sich jeder sehnt, doch die kaum einer in Leben zu wandeln sich zutraut. Jeder Gedanke, schreibt Mulford, den wir denken, ist eine Wirklichkeit. Daraus folgt, dass jeder schlechte Gedanke unweigerlich eine schlechte Wirklichkeit erzeugt. Nun ist Geist jeder Art ansteckend. Wer also ausschließlich positiv denkt, bringt nichts als Positives in die Welt – und dieses wird weitergetragen, da die menschliche Natur zum Guten hin ausbaufähig ist. Ein Gedanke, der kaum einer Religion fremd ist. Die ethische Forderung, sich zu vervollkommnen, ist aber durchwegs nicht alleine eine religiöse Angelegenheit. Mulford verwendet sie für alle Gebiete des Lebens – vom Binden der Schnürsenkel bis zum richtigen Gebrauch innerer und äußerer Kräfte. Es sind hier vor allem die Detailbeobachtungen, die Prentice Mulford so originell erscheinen lassen. Er sieht die Dinge hinter den Dingen, bleibt jedoch nicht bei ihnen stehen, sondern entwickelt aus ihnen eine übergeordnete Philosophie, da er erkannt hat, dass das Ganze schon im Kleinen verborgen ist. »Der Himmel wird aus dem Tag der kleinen Dinge geboren«, sagt er. Mulford selbst glaubt an die unermessliche Kraft des Geistes, die sich in allem, was uns umgibt und woraus wir sind, manifestiert – eine deutliche Absage an den Materialismus gleich welcher Prägung – denn auch Materie ist ursprünglich Geist.

Mulfords praktische Philosophie ist als geistdurchdrungener Zukunftsoptimismus manchem wissenschaftlichen Philosophen ein Gräuel. Nur darf man sich getrost fragen, wer das ›Sein‹ und das ›Wesen‹ besser zu deuten vermag, der Gelehrte, der aus einem Stapel vergilbter Bücher zum Firmament blickt, wo er das Absolute vermutet, oder der ›Sumpf-Diogenes‹ Mulford, der Künder eines kosmischen Menschheitsfrühlings.

Hans Christian Meiser

Der Gott in dir

Es ist heute mehr von dir und jeder wünschenswerten mentalen Kraft für dich da als je zuvor. Die Unbefriedigtheit und der Missmut über deine Unfertigkeit beweisen das. Du bist heute nicht mehr der selbstgefällige Mensch, der du einst warst. Du schlägst heute ins Gegenteil über. Weil dir die Augen über gewisse Unzulänglichkeiten plötzlich geöffnet wurden, wähnst du, diese Unzulänglichkeiten werden sich nur noch verschlimmern. Beruhige dich: sie werden es nicht! Der Gott in dir, die ewig zunehmende Kraft in dir, ließ dich eine Unvollkommenheit deines Wesens erkennen. Aber diese Unvollkommenheit war niemals so nahe daran, eine Vollkommenheit zu werden wie heute. Der größte Beweis dafür ist, dass du heute in dir erschauen und fühlen kannst, was du nie vorher zu fühlen oder zu erschauen vermochtest.

Das Kellergeschoß deines Hauses war voll Ungeziefer und schlechter Luft. Es stand am schlimmsten um dich, als du nichts davon wusstest. Aber nun, da du es weißt, ist die Gefahr so gut wie vorüber. Du lässt jenes Gelass reinigen.

Solche Kellergelasse voll üblen Elements gibt es auch in unserem Geistesgebäude. Aber wir müssen darum nicht entmutigt sein: der Gott in uns wird sie uns zeigen.

Wir dürfen nicht sagen; »Ach, ich bin ein so unvollkommenes Geschöpf, ich kann ja meine Fehler niemals loswerden!« Du kannst es, Lieber, kannst es! Du bist gerade dabei, es zu können. Jeder Protest deines Ichs gegen Mängel und Unzulänglichkeiten reißt den Geist vorwärts. Nur darfst du nicht erwarten, sie alle in einer Stunde, einem Tag, einer Woche oder einem Jahr loszuwerden. Es wird in allen deinen künftigen Leben niemals eine Zeit geben, in der es dir nicht möglich sein wird, dich besser zu machen. Siehst du aber die Möglichkeit der Verbesserung, dann wirst du auch den Mangel erkennen, der behoben werden muss. Anders gesagt: du erschaust für dich eine noch höhere Vervollkommnung und Vollendung, eine immer vielfältigere Segnung aus der Kraft, die dir zuströmt. So wirst du auch aufhören, dich als das unvollkommene Geschöpf zu bemitleiden. Denn du bist einer der ›Tempel Gottes‹ ewig aufgebaut aus dir zu immer höherer Herrlichkeit.

Keines deiner Talente hörte je zu wachsen auf – so wenig der Baum im Winter zu wachsen aufhört. (Wenn du Maler, Zeichner, Schauspieler oder öffentlicher Redner bist: setze deine Tätigkeit einen Monat, setze ein Jahr, zwei Jahre aus – und du erkennst, wie deine Talente inzwischen zugenommen haben!)

Du fragst: Was ist das Ziel des Lebens?

Nun, du kannst deinem Leben eigentlich gar kein Ziel geben. Es gibt ein Schicksal, das dem Leben das Ziel setzt, ein Gesetz, das es beherrscht und trägt.

Wohin?

Unbegrenzbarer Kraft, dem Glück und Genuss entgegen! Diese Kraft wächst, wie deine Kraft wächst. Und sie muss wachsen! Du kannst dieses Wachstum nicht hemmen – wie sehr auch der Anschein dagegen sprechen mag. Der Schmerz, den du durchlittest, wurde durch dieses Wachstum hervorgerufen, das dich härter und härter dem entgegenpresste, was dir Elend schuf, damit der Schmerz dir endlich als Beweis diene, wie falsch deine Straße war und wie schnell du sie zu verlassen hättest. Und wenn du aufrichtig und ernsthaft nach dem rechten Weg verlangst, wird immer etwas zu dir kommen, um dir den rechten Weg zu sagen. Denn es ist ein Gesetz der Natur: Jedem ernsten Ruf wird Antwort.

Was also ist der Sinn des Lebens?

Höchste Seligkeit aus ihm zu empfangen. So leben zu lernen, dass jedem kommenden Tag mit der Gewissheit entgegengesehen werden kann, er werde so reich an Freude sein wie der eben gelebte – und reicher noch! Den Gedanken an das Gewicht der Zeit wegzutun. (Wie soll Erinnerung an Zeit uns beschweren!) Dankbar zu sein dafür, dass wir leben dürfen. Krankheit und Schmerz zu überwinden. Dem Körper durch Geisteskraft so zu gebieten, dass er Schmerz nicht fühlen kann. Unser Denken so zu überwachen und zu beherrschen, dass es immer an Vermögen zunehme, abgesondert und fern vom Körper zu wirken und uns so alles zuzubringen, dessen wir bedürfen: Haus, Grund, Nahrung, Kleidung. Und alles das, ohne wen zu berauben, ohne jemand unrecht zu tun. So sehr an Kraft zuzunehmen, dass der Geist unsern Körper stetig erneut, mit immer neuer Kraft erfüllt und verjüngt – solange wir uns seiner zu bedienen wünschen. Keines seiner Teile oder Organe soll schwächer werden, welken, verfallen. – Neue Quellen der Freude für uns und andre zu erfahren. Uns mit Glück so sehr zu erfüllen und es andern so sehr nutzbar zu machen, dass ihnen unsre Gegenwart immer willkommen ist. Niemandes Feind und jedermanns Freund zu sein, das ist der Sinn des Lebens in der Sphäre des Seins, darin Menschen, so lebendig wie wir, gelernt haben und noch lernen, am meisten Himmel auf Erden zu empfangen.

Das ist das unvermeidliche Geschick jedes einzelnen von uns. Du kannst dem endlichen und dauernden Glück in diesem und anderm Leben nicht entgehen. Und alle Leiden, die du leidest oder durchlitten hast, sind wie Stichel und Stachelpflöcke, um dich vom falschen Weg abzubringen und dich das Gesetz befolgen zu heißen. Und je empfindlicher du wirst, desto deutlicher wirst du das Gesetz erkennen, das von allem Schmerz hinwegführt und einen Zustand des Gemütes schafft, darin zu leben ein solches Höchstgefühl ist, dass jeglicher Sinn für Zeit sich verliert. Denn wir verlieren den Sinn für Zeit, wenn uns etwas mächtig bannt oder erfreut, wenn wir ein erschütterndes Schauspiel sehen. Die Bibel spricht davon mit den Worten: »Ein Tag wird sein wie tausend Jahre und tausend Jahre wie ein Tag.« Das Nirwana der Hindus deutet auf alle Möglichkeiten des Lebens hin, die unseres Planeten harren. Nirwana, das ist Ruhe und Heiterkeit, ist Zuversicht der zweifellosen Gewissheit: alles, was ich tue, muss gelingen. Das Glück dieses Tages ist nur die Stufe zum höheren Glück des nächsten.

Halte nichts für unmöglich! Weise nie etwas mit Spott als unmöglich zurück – und wenn es dir noch so toll erschiene! Denn du weißt nicht, was du damit vor die Tür setzest! Zu sagen, etwas sei unmöglich, weil es unmöglich scheint, heißt sich in der gefährlichen Gewohnheit üben, jeder neuen Idee ein ›Unmöglich!‹ entgegenzurufen. Dein Geist gleicht dann einem Gefängnis voll Gittertüren, die dich nach außen gänzlich absperren – und du allein bist der Gefangene. »Bei Gott sind alle Dinge möglich!« Gott wirkt in dir und durch dich. Und darum ist es Sünde, wenn du zu etwas, das du tun oder werden sollst, ›unmöglich!‹ sagst. Das heißt die Kraft Gottes, die in dir wirkt, verleugnen! Das heißt die Kraft des unendlichen Geistes verleugnen, der durch dich mehr schaffen will, als du jetzt zu begreifen imstande bist. Dein ›Unmöglich!‹ stellt die relative Beschränktheit deines Geistes als Maß des Weltgeistes auf. Das ist so kühn wie der Versuch des Schneiders, den endlosen Raum mit der Elle auszumessen.

Dein ›Unmöglich!‹ oder ›Ich kann nicht!‹ schaffen sogleich eine Unmöglichkeit. Solche Gedanken sind die größte Hemmung des Möglichen. Du kannst es zwar nicht aufhalten, denn du wirst vorwärtsgestoßen, und wenn du mit allen deinen Kräften zurückbleiben willst. Denn es gibt keinen erfolgreichen Widerstand gegen die ewige und stete Verbesserung alles Geschaffenen, dich eingeschlossen.

Du sollst aber besser sagen: »Es ist mir möglich, alles zu werden, was ich bewundere.« Du sollst sagen: »Es ist mir möglich, Schriftsteller, Redner, Schauspieler, Künstler zu werden.« Dann hast du die Pforte zum Tempel der Kunst geöffnet, der in dir ist. Solange du ›unmöglich‹ sagtest, hieltest du sie verschlossen. Dein ›Ich kann nicht!‹ war der eherne Riegel, der die Pforte für dich verschloss. Dein ›Ich kann!‹ ist die Kraft, die den Riegel fortschiebt.

Der Geist Christi hatte Gewalt, den Elementen zu gebieten und den Sturm zu stillen. Dein Geist ist ein Teil des Weltgeistes und birgt im Keim, der wächst und wachsen wird, die gleiche Gewalt. Durch die vereinigte Kraft des unsichtbaren Elements seines Geistes vermochte Christus das Unsichtbare in Sichtbares zu verwandeln – in Brotlaibe und Fische. Das ist die Kraft, die jedem Geist innewohnt, und jeder Geist wächst zu solcher Kraft hinan.

Du siehst heute ein gesundes Kindchen. Es kann kein Pfund heben. Aber du weißt, dass in diesem schwachen Kindchen die Kräfte und Möglichkeiten sind, die es, zwanzig Jahre später, dazu befähigen, mit Leichtigkeit zweihundert Pfund zu heben.

So auch kann uns die höhere spirituale Kraft zugesprochen werden. Denn wir sind heute geistig eigentlich noch immer Kindchen. Der Grund, warum das Leben in der Sphäre unseres Seins so unglücklich ist, liegt darin, dass wir in Unkenntnis des Gesetzes dagegen verstoßen und so statt zu Freuden zu Schmerzen gelangen.

Dieses Gesetz kann durch nichts, was in der Vergangenheit geschrieben oder erlebt wurde, völlig erlernt werden – wie wertvoll und beispielhaft es auch sei. Aufzeichnungen und Hinweise mögen ja sehr nützlich sein, aber so wie es Prinzipe gibt, die für alle gelten, so gibt es welche, die nur für den einzelnen Gesetz sein können. Du kannst nicht genau tun, was ich tue, um glücklicher zu sein und dich zu vollenden, noch kann, umgekehrt, ich es. Denn jeder von uns wurde aus anderem Stoff gemacht, und wir müssen jeder selbst studieren und herausfinden, wonach unsre besondere Natur verlangt, um dauernd glücklich zu sein. Du bist wie ein Buch, das du öffnen und Seite für Seite und Kapitel für Kapitel lesen musst als Erfahrungen deiner Tage, Wochen, Monate, Jahre. Niemand kann genau so denken, wie du denkst, oder fühlen, wie du fühlst, oder von andern Menschen berührt werden, wie du von ihnen berührt wirst. Und darum kann auch niemand besser als du selbst beurteilen, was dir wirklich nötig ist, um dein Leben reicher, vollkommener und glücklicher zu machen.

Christus bat einst einen seiner Jünger, ihn nicht anzubeten. »Was heißest du mich gut?« sagte er ihm. »Niemand ist gut denn Gott allein!« Christus sagte auch: »Ich bin der Weg und das Leben!« Diese Worte bedeuten für mich, dass er gewisse allgemeine Gesetze kannte, über die er, als vom Geiste geführt, gewisse Mitteilungen machen konnte. Aber Christus hat niemals gefordert, dass sein individuelles Leben mit all seinen menschlichen Schwächen und Gebrechen, das er ›auf sich genommen‹ hatte, getreulich nachgeahmt werden möge. Er betete zum unendlichen Geist des Guten um Stärkung und Befreiung von der Sünde der Furcht, als sein Geist in der Vorschau der Kreuzigung erbebte. Als er so tat, bekannte er, dass er, so mächtig er war, dennoch der Hilfe bedürfe wie jeder andre Geist. Und weil er dies wusste, vermied er es, sich seinen Jüngern als Gott hinzustellen. Wohl aber sagte er ihnen, sie mögen, wenn sie sich vor der allmächtigen und niebegreiflichen Kraft zu beugen begehren, auf der auf des Menschen Gebet alles Gute herniederströmt, Gott allein anbeten, Gott, die ewige und unergründliche bewegende Kraft dieses grenzenlosen Universums. Die Kraft, die kein Mensch je sah, noch jemals sehen wird, es sei denn, er sähe sie in ihren mannigfachen Offenbarungen als Sonne, Stern, Wind, Wolke, Tier, Blume, Mensch. Oder im Menschen als den künftigen Engel oder Erzengel, ja als ein Wesen, höher an Geist und höher noch an Kraft, als diese sind. Und immer und immer noch zu dem Quell aufblickend, aus dem alle Kraft herniederströmt, und nie und nimmer eine Form solcher Offenbarung der Kraft anbetend, sondern ›das Geschöpf größer machend als den Schöpfer‹.

Der Gott Wunsch ist im letzten Trunkenbold am Werke, der in den Rinnstein kollert. Er wünscht den Mann aus dem Rinnstein heraus. Er ist im feinsten Lügner am Werk und flüstert ihm, wenn auch noch so leise, zu: Wahrheit ist besser. Er ist in Menschen am Werke, die dir verächtlich und schlimm erscheinen. Als Christus gefragt wurde, wie oft einem Menschen zu vergeben sei, antwortete er in einem Sinne, der besagte, es gäbe keine Grenze dafür, wie oft ein Mensch dem anderen Schwäche und Unreife zu vergeben hätte.

So sollte auch unser freundliches und helfendes Denken mit jenen sein, die schwach oder unreif sind. Es ist ein großer, oft unbewusst getaner Fehler, von einem Trinker oder Gesunkenen zu denken oder zu sagen: »Ah, der Kerl ist ja ganz heruntergekommen! Es hat gar keinen Zweck mehr, noch etwas für ihn zu tun!« Wenn wir dies denken oder sagen, setzen wir einen Gedanken der Hoffnungslosigkeit und Entmutigung in die Luft. Dieser Gedanke trifft den Menschen. Er wird ihn fühlen und er wird ihm ein Element sein, der den Prozess, aus der Pfütze herauszugelangen, für ihn verzögert – so wie irgendeines Menschen Gedanken uns unsre eigene Bemühung erschwerte, aus einer Pfütze, in der wir staken oder stecken, herauszukommen: aus der Pfütze der Unentschlossenheit, der Verzagtheit, der Misslaune, des neidischen, hassvollen Denkens.

Die Zeit ist herbeigekommen, da unser Geschlecht das Gesetz nicht mehr aus Furcht vor Strafe achtet, sondern aus Liebe zum Gesetz. Du isst mäßig, weil Erfahrung dich lehrte, Mäßigkeit bereite die höhere Freude. Du bist edel, gütig und aufmerksam gegen deinen Freund, nicht, weil du stetig fürchtest, diesen Freund zu verlieren, wenn du es nicht mehr gegen ihn bist, sondern weil es dir Freude gibt, so zu sein, weil du Handlungen der Güte liebst.

Das menschliche Gesetz und selbst das göttliche Gesetz, wie es bisher vom menschlichen Verstande ausgelegt wurde, hat in aller Vergangenheit immer gesagt: »Du darfst dies und das nicht tun, sonst wirst du gepeitscht werden!« Des Predigers Worte waren immer wieder: Strafe und Züchtigung, Züchtigung und Strafe!

Wir werden alle Strafe und Züchtigung vergessen. Wir werden gütiger sein, wir werden ein geläuterter und verfeinerter Typus sein. Die Freude wird uns empor führen.

Drohung mit Strafe war nötig, als wir noch tiefer standen. Wir waren ja blind. Wir liefen in Stachelpflöcke hinein! Das tat weh. Aber fortan werden wir sehen.

Wer zu einem Feste will, den muss niemand mit dem Knüttel erst dazu treiben.

Die Befehle Gottes

Das Leben ist eine endlose Wissenschaft, und es gibt keine Höhe in ihm, auf der wir sagen können: wir sind vollendet. Was wir heute zu begreifen und zu verstehen vermeinen, wird morgen für unseren reiferen, helleren Geist – und wir werden immer heller und reifer! – eine neue Bedeutung gewinnen und in der Zukunft eine neue und immer neuere Auslegung finden. Was uns heute schlecht tut, kann uns morgen gut tun; und umgekehrt. Das hängt davon ab, wie weit wir gelernt haben, ein Ding zu gebrauchen. In den Händen eines Knaben ist Schießpulver gefährlich. Es ist weniger gefährlich, wenn sich ein Mann seiner bedient, der weiß, wie man sprengt.

Ein Wort, mit dem wir heute einen ganz bestimmten Begriff verbinden, kann morgen einen völlig neuen Sinn bekommen. Ideen lassen sich nicht einfach durch den Klang gewisser Buchstaben und Silben ausdrücken. So wie unser Geistesblick schärfer und heller wird, gewinnt jedes Wort der Sprache für uns neue Bedeutung. Und diese Bedeutungen werden in keinem Wörterbuche zu finden sein. Denn es gibt eine Sprache der Ideen, die durch Worte niemals völlig offenbar wird und an die kein Wörterbuch heranreicht.

darfbefehlen.