Günter Krenn

Romy & Alain

Eine Amour fou

Aufbau Digital

Impressum

ISBN 978-3-8412-0662-6

Aufbau Digital,

veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, September 2013

© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin

Die Originalausgabe erschien 2013 bei Aufbau, einer Marke der Aufbau Verlag GmbH & Co. KG

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Inhaltsübersicht

Cover

Impressum

Von der Unmöglichkeit, mit dem Lieben davonzukommen

29. Mai 1982

I. »In der Liebe will man alles von einem einzigen
Mann haben. Und das ist nicht möglich.«

1958

Flucht aus der »Blatzheimwelt«

10. April 1958

»Die blonde Gans«

Alain

Ein ideales Paar?

H. H. B.

»Wo ist Alain?«

Deutsch-französische Freundschaft

Ein Nervenkrieg

Paris – kein Fest fürs Leben

Halbzart

1959

Lugano

22. März 1959

Ein Engel wird ausgebuht

1960

Der talentierte Monsieur Delon

Luca

Mutlosigkeit ist ein Gebrechen

Rocco

»Der Teufel soll Sie holen, wenn Sie nichts aus Ihrem Talent machen ...«

1961

My Fair Romy

Verdammt die jungen Sünder nicht

»Endlich auf dem richtigen Weg«

Avenue de Messine 22

Boccaccio 70

1962

Die Möwe

»Nicht Sissi!«

Forever my love?

Vernichtungserklärungen

1963

»Unsere beiden Welten«

Das Leben ist kein deutscher Film ...

»Immer Ärger mit Romy«

Vorzeichen

Hollywood

Die Spaziergängerin von Versailles

II. »Freundschaft ist ein Gefühl, das dem Verschleiß
durch die Zeit widersteht bis in die Ewigkeit.«

1964–1968

»Und dann rief Alain an«

»... und plötzlich kam nur Romy Schneider in Frage«

12. August 1968

Eine Legende wird verfilmt

Herr Delon lässt sich scheiden

1969–1972

»Wenn die Kamera aus ist, musst du ein Leben haben«

Zurück in Paris

Der Mann, der Hunde liebte

Sisi statt Sissi

1973–1980

Zwischenzeit(en)

1980–1981

»Freunde, die Glück bringen«

1981

David

Marlene

1982

Einer für den anderen

»Geh nur schlafen ...«

2. Juni 1982

1982 –

»Ave moi!« – In der Vergangenheit

Fragmente einer Sprache der Freundschaft

Ein unzivilisierter kleiner Muskel in der Brust

Anhang

Anmerkungen

Personenregister

Dank

Bildteil

Bildnachweis

Informationen zum Buch

Informationen zum Autor

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Für Ilse und Karl Krenn

From you have I been absent in the spring,

When proud-pied April, dressed in all his trim,

That heavy Saturn laughed and leaped with him.

Yet nor the lays of birds, nor the sweet smell

Of different flowers in odour and in hue,

Could make me any summer’s story tell,

Or from their proud lap pluck them where they grew:

Nor did I wonder at the lily’s white,

Nor praise the deep vermilion in the rose;

They were but sweet, but figures of delight

Drawn after you, – you pattern of all those.

Yet seem’d it winter still, and, you away,

As with your shadow I with these did play.

William Shakespeare, Sonnet 98

Von der Unmöglichkeit, mit dem Lieben
davonzukommen

Vielleicht beinhalten unsere Liebesbriefe alles, was von uns bleiben sollte. Möglicherweise sollte statt dem kartesianischen »Ich denke, also bin ich« vielmehr ein »Wir lieben, also sind wir« gelten. Nicht uneingeschränkt wohl, denn wir »lassen auch lieben«, suchen Entsprechungen für unser Erl(i)eben oder den Wunsch danach, finden diese in Lyrik und Musik, auf Bühnen und heute wohl vor allem in bewegten Bildern.

Wir imitieren die auf der Leinwand vorgegebene Körpersprache von Kinoliebespaaren, suchen zumindest Vergleiche mit diesen Vorbildern. Umso bemerkenswerter wird die Angelegenheit, wenn das Filmpaar auch eines im Leben ist oder war. In diesem Falle erscheint uns alles Geschaute realer, werden wir zu Beteiligten einer als authentisch empfundenen Leidenschaft, erhalten wir intime Einblicke. Oder glauben es zumindest. Was heute für prominente Paare wie Angelina Jolie und Brad Pitt gilt, fand früher beispielsweise in Elizabeth Taylor und Richard Burton seine Entsprechung. Vor allem aber, so scheint es, in Romy Schneider und Alain Delon. Obwohl die eigentliche Liebesbeziehung nur etwa sechs Jahre dauerte, haben spätere gemeinsame Leinwandauftritte, zahlreiche Fotografien und beider Freundschaft in Schneiders letzten Lebensjahren ihre Namen zu einem bleibenden Synonym für ein legendäres Paar werden lassen, dessen Faszination sich auch im Abstand von Jahrzehnten nicht verloren hat.

Die Biographien von Romy Schneider und Alain Delon sind uns vertraut, wir vergleichen sie mit den Erfahrungen aus unserer eigenen. »Die Erfahrung des Biographen gleicht der des Liebenden«, schreibt einer der Chronisten von Alain Delon, »der weiß, daß ein ganzes Leben, dem anderen geweiht, nicht soviel Wissen über diesen vermittelt, wie eine Minute in seiner Haut«.1 Manche Biographie, manche fremde Liebesgeschichte gleicht in vielem unserer eigenen. Jede Liebe, von der wir erfahren, wird zum Spiegelbild unserer persönlichen Erfahrung, zur Erweiterung derselben, schafft neue Möglichkeiten zu träumen, das persönliche Erleben zu bereichern. Sie ist eine Bestätigung für Möglichkeit und Unmöglichkeit zugleich. Das Alltägliche, die Gewohnheit, Langeweile, Gleichgültigkeit, Enttäuschungen, die wir anderen oder uns selbst bereiten, sind in jenen Momenten eigener wie fremder Leidenschaft vergessen. Das Unmögliche scheint zumindest für diese Momente möglich – und letztlich besteht das Leben aus unzähligen Momenten, von denen jene der Liebe die entscheidenden sind, in denen wir uns in anderen begegnen wollen. Manchmal bleibt die Liebe Phantasie, wird die begehrte Person zu einer Variablen, die nach der jeweiligen Vorstellung besetzt wird, eine Sublimierung, die sich letztlich auch in Glaubensvorstellungen wiederfindet. »In Wahrheit ist es kaum von Bedeutung, wen wir lieben: Deshalb können wir ein ums andere den gleichen Gefühlsausbruch erleben. Wie der heilige Antonius sagt: Das, was der Verliebte liebt, ist die Liebe. Eine sehr schöne Droge zwar; doch das richtige und bescheidene Leben beginnt genau da, wo das Märchen endet. Jenseits der Prinzen und Prinzessinnen.«2

Jenseits dessen sind wir zu finden. Oftmals ist das, was von mancher Beziehung bleibt, im besten Falle etwas, das Roland Barthes in einem seiner bekanntesten Bücher treffend als Fragmente einer Sprache der Liebe bezeichnet hat. Ein Fragment ist der erhalten gebliebene Teil eines nicht mehr vorhandenen Ganzen. Und Liebe an sich ist stets etwas Vielschichtiges, nie zur Gänze Einsehbares. Selbst bei den literarischen Chronisten des Themas wie Stendhal oder Roland Barthes wird man auf der Suche nach Ausdeutung persönlicher Erfahrung nur bedingt fündig. Untersucht man die populärsten Mythen und Geschichten, so bestätigt sich die Ansicht des Schweizer Philosophen Denis de Rougemont: »Die glückliche Liebe hat keine Geschichte. Es gibt Romane nur von der Liebe, die zum Tode führt, d. h., von der bedrohten und vom Leben selbst verdammten Liebe. [...] es ist weniger erfüllte Liebe als die Leidenschaft der Liebe.«3 Die Dichter, so Rougemont, besingen nur scheinbar das Leben, denn dieses wirkliche Leben ist zugleich das unmögliche Leben. Im Grunde spricht man demnach bei solchen Lieben von Leidenschaft, ein Begriff, der sich auf Leiden gründet.

Leidenschaft ist kein Prinzip, das reifen und altern kann, sie ist jung, zeitlos, stets neu. In der irrigen Gleichsetzung zwischen Liebe und Leidenschaft versiegt unsere Hoffnung, jemals mit dem Lieben, statt nur dem Leben davonzukommen. Denn auch hier vollziehen wir eine Gleichsetzung. »Incipit vita nova« überschreibt der italienische Dichter Dante Alighieri im dreizehnten Jahrhundert seine erste Begegnung mit der Liebe seines Lebens, Beatrice: »ein neues Leben beginnt«. Jede neue Liebe ist ein neuer Lebensbeginn, entspricht der Sehnsucht nach etwas zunächst Unerreichbarem, birgt Verlustängste, bevor Besitz definiert werden kann. »Enttäuschung« bedeutete ursprünglich ein positiv besetztes »aus einer Täuschung Herausreißen« und den Beginn von Wahrheitserkenntnis.

Warum brauchen wir solche Liebesgeschichten, die mit anderen handelnden Personen doch stets etwas über uns erzählen sollen? Was interpretiert man in sie hinein – und warum? Sind es moderne Pendants zu archaischen Sagengestalten und Heiligenlegenden, taugen tragische Liebesgeschichten besser dafür, sich darin wiederzufinden? Sollen sie das von uns allen erlebte Scheitern mancher Beziehung überhöhen oder im umgekehrten Fall weniger tragisch erscheinen lassen? Überlebt im Scheitern der anderen dennoch die Möglichkeit, dass es gut hätte gehen können, man sich dadurch ein Bild einer jungen, attraktiven Liebe bewahren kann, das keine Korrektur mehr zu fürchten braucht? Die Filmhistorikerin Daniela Sannwald, Kuratorin der international gezeigten Ausstellung »Romy Schneider: Wien – Berlin – Paris«, meint dazu: »Ich denke, dass es weniger um die Vergangenheit als um die Unerfülltheit der großen, einzigen Liebe geht. Man denkt doch, dass Romy ihr ganzes Leben lang niemanden mehr so geliebt hat wie Alain Delon, und bei ihm scheint es ja auch immerhin so gewesen zu sein, dass er in allen anderen Bereichen außer der Liebe zuverlässig und loyal war. Unerfüllte, große Lieben, verbunden mit Leid und Verzicht, sind Melodramen ...«4

Stilisierende Bezeichnungen wie ein »erotischer Mythos«, die Geschichte zweier »ewiger Verlobter«, »die größte Romanze des Jahrhunderts«, wie man die Verbindung zwischen Romy Schneider und Alain Delon unter anderem nannte, bergen, wie alle Superlative, Gefahren der Überzeichnung. Längst haben sich Fakten mit Legenden vermischt, und »Legende« bedeutet in Printmedien bezeichnenderweise auch »Bildunterschrift«. Das macht Sinn, denn vieles rund um die Amour fou zwischen Romy und Alain entstand als kurzer Satz unter Bildern, die ständig neu interpretiert wurden und werden. Wenn man sich dem Phänomen nähert, wird man akzeptieren müssen, dass es, wie alle Liebesgeschichten, nicht bis ins letzte Detail rekonstruiert werden kann – und muss. Vieles wird zu Recht verschlossen bleiben, für immer Privatsache zweier Liebender, die sich nach einigen Jahren entliebt und -lobt haben, um später zu einer bemerkenswerten Freundschaft – und daher auch einer besonderen Form der Liebe – zu finden. Ihre Geschichte wurde bereits in Ansätzen erzählt, dennoch lohnt es sich, den dabei entscheidenden Fakten nachzuspüren, sie präziser nachzuzeichnen, sich an ihnen neu zu orientieren.

Spontan betrachtet wirkt alles wie eine gut erfundene Story: Ein Flirt auf einem Filmset, aus dem Liebe wird. Einer heftigen Auseinandersetzung mit der Familie folgt die Entscheidung für den Geliebten. Der Aufbruch aus behütender Umgebung in ein fremdes Land zieht das Abflauen einer bis dahin sensationell verlaufenden Filmkarriere nach sich. Dafür ergeben sich erste internationale Kontakte, neue Rollenfächer sind in Aussicht, eine Kurzvisite in Hollywood, das Ende der Beziehung, festgeschrieben auf einem banalen Zettel. Zusammenbruch, Ende des ersten Akts, dem nach einem halbbürgerlichen Intermezzo ein noch dramatischerer zweiter folgt, in dem der frühere Geliebte zum verlässlichen Freund wird.

Man muss wohl im Grunde mit dem Ende beginnen, damit sich die Teile wieder zu einem Ganzen fügen, das ein neues, besseres Verständnis ermöglicht. Vieles lässt sich rekonstruieren, anderes bleibt im Privaten zweier Menschen verborgen, das zu teilen niemand außer ihnen ein Recht hat. Manches lässt sich spekulativ oder anhand von Aussagen anderer belegen, wobei die Möglichkeit, sich gelegentlich zu irren, in Kauf genommen werden muss. Man vertraue in diesen speziellen Fällen auf Péter Esterházys Satz: »Es ist elend schwer zu lügen, wenn man die Wahrheit nicht kennt.«5

29. Mai 1982

Es sind Szenen wie aus einem Film.

»Außen. Paris. Tag.«, würde man auf einer imaginären Drehbuchseite lesen können. Schauplatz, so die weitere Szenenanweisung, ist das moderne Appartementhaus Nr. 11 in der schmalen, ansonsten von historischen Gebäuden gesäumten Rue Barbet-de-Jouy im siebenten Pariser Arrondissement. Es ist der Vormittag des 29. Mai 1982, der Samstag des Pfingstwochenendes. Eine Horde an Fotografen und Fernsehteams hat sich versammelt, Schaulustige sich dazugemengt, die schnell erfragen, was der Anlass des Interesses ist. Auf der Windschutzscheibe eines Autos liegt die Morgenausgabe von France Soir, die Schlagzeile auf ihr lautet: »Romy Schneider s’est suicidée – Romy Schneider hat Selbstmord begangen«. Nur langsam ist die Öffentlichkeit bereit, das amtliche Verdikt »Herzversagen« zu akzeptieren.

Über den Rest darf man, wenn man möchte, spekulieren, denn die Stunden davor im gedachten Drehbuch anzusetzende Szene »Innen. Paris. Nacht.« war nicht für die Öffentlichkeit vorgesehen. Ihren letzten Auftritt gönnt das Schicksal Romy Schneider, der zu viel Beobachteten, im Off.

Freunde und Bekannte werden informiert, manche machen sich auf den Weg zur Totenwache, darunter auch Romys vertrautester Freund in Paris, Jean-Claude Brialy. Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die zentrale männliche Gestalt in Romys Leben sich ebenfalls dort einfindet. »Ich war gerade fünf, zehn Minuten dort, als sich plötzlich die Türe öffnet [...] und Alain Delon steht im Zimmer«, erzählt Brialy. »Wir haben uns nicht abgestimmt, wir haben überhaupt nicht miteinander gesprochen. Und er kommt herein, schließt die Tür, tränenüberströmt. Er nimmt meine Hand und weint. Nach fünf Minuten sagt er mir diesen formidablen Satz: ›Lass uns, lass uns allein, sie und mich. Du hast hier nichts mehr zu tun.‹ Und ich bin gegangen.«6

Als Delon Stunden später das Haus verlässt, ist die Menge der Wartenden, die mittlerweile von Polizisten vom Eingangsbereich des Wohnhauses entfernt gehalten müssen, weiter angewachsen. Bevor der Schauspieler wieder ins Auto steigt, sagt er ein paar Worte. Es ist symptomatisch, welcher von Romy Schneiders »Lebensabschnittspartnern« sich im entscheidenden Moment der Presse stellt. Es ist weder ihr letzter Lebensgefährte noch ihr geschiedener zweiter Ehemann, sondern die bestimmende männliche Figur in ihrem Leben, obwohl die intime Beziehung der beiden fast zwanzig Jahre zurückliegt. Polizisten weisen ihm den Weg, seine Schritte sind weitausholend wie immer, die Hände fest in den Taschen seiner Anzugshose verankert, am Hosenbund glänzt ein Schlüsselbund. Fast in derselben Haltung führte er vierundzwanzig Jahre zuvor die Gesellschaft mit Romy und den anderen beiden Partnern aus der ersten gemeinsamen Filmproduktion, Christine, bei einem Stadtbummel an, die anderen hatten Mühe, mit ihm Schritt zu halten, nur Romys Hand gelang es, ihn zu erreichen. Für damals wie für heute gilt: Seine Miene ist angespannt. Diesmal ist der Grund jedem klar, er wirkt sichtlich betroffen, er verbirgt nicht, dass er geweint hat. Die ersten Worte seiner rauen, kehligen, aber nun leisen Stimme sind kaum verständlich, gehen unter in den Zurufen der Fotografen und Journalisten, die exklusive Fotos machen und Statements hören wollen. Später werden Bruchteile seiner improvisierten Rede zitiert, bei der er sich immer wieder unterbricht, Atem holt, mit der Fassung ringt. Zu den Dingen, die man seither zitiert, gehören: »Ich habe Romy gesehen ... Ihr Gesicht strahlt Ruhe aus ... Ich bin fast erleichtert für sie ... Dort, wo sie jetzt ist, hat sie Frieden gefunden [...] Es kann sich um einen Schwächeanfall gehandelt haben, aber ich glaube eher, daß ganz einfach das Herz einer Mutter nicht mehr konnte ... Ihr Tod begann, als sie David verlor [...] Das Schicksal hat ihr mit der einen Hand das genommen, was es ihr mit der anderen Hand gegeben hatte ... Der Preis für den Ruhm, wie man so sagt, sie hat ihn wirklich teuer bezahlt ... Für mich bedeutet es, daß 25 Jahre meines Lebens, meiner Karriere mit einem Schlag zuende sind. Ich werde ihr Lächeln nie vergessen, denn es kam aus ihrer Seele.«7 Danach geht er zu seinem Auto, ignoriert weitere Rufe, niemand wagt, sich ihm in den Weg zu stellen, es hätte der Einsatzkräfte, die ihn abschirmen, nicht bedurft.

Abgesehen von einer Betroffenheitsbekundung hat Delon mit seinem Statement auch etwas anderes erreicht. Was er sagt, steht am nächsten Tag in allen Zeitungen. Der Sinn der Botschaft war primär, den Verdacht des Selbstmords zu widerlegen. Auch dafür fand er ein paar explizite Worte: »Keiner von uns, nicht einmal ihr Arzt, konnte das vorhersehen. Man kann von ihrer schlechten Gesundheit sprechen, von einer Krise.« Und er wiederholt: »In Wirklichkeit ist Romy an gebrochenem Herzen gestorben. Ihr Sterben begann mit dem Tod von David.«8

Am 29. Mai 1982 wurde Romy Schneider amtlich für tot erklärt. Von nun an kann keine Wirklichkeit mehr das Bild korrigieren, das man sich längst von ihr gemacht hat, in aller Widersprüchlichkeit und Mannigfaltigkeit. Für das Publikum bleibt Romy Schneider in über sechzig Rolleninterpretationen lebendig. Sie habe so viele Figuren überzeugend darstellen können, meint die Journalistin Christiane Höllger über ihre Freundin, an eine Rolle allerdings habe die Schauspielerin selbst nie zur Gänze glauben können: an die, Romy Schneider zu sein.

Schon lange vor ihrem Tod war Romy Schneiders Leben Ausgangspunkt einer Legendenbildung, die seither unablässig anhält. In ihren letzten Lebensjahren hatte Schneider auf die Journalistenfrage »Haben Sie sich Ihr Leben ausgesucht, oder waren die Umstände ausschlaggebend?« in der ihr eigenen fatalistischen Art und Weise mit einer Gegenfrage geantwortet: »Kann man sich sein Leben überhaupt aussuchen?«9

I.
»In der Liebe will man alles von einem einzigen
Mann haben. Und das ist nicht möglich.«

(Romy Schneider)

1958

Flucht aus der »Blatzheimwelt«

»Rosemarie Magdalena Albach war eine hervorragende Schauspielerin, sie war aber auch, was in dieser Branche selten ist, eine sehr intelligente Frau und eine hochsensible dazu«, stellt der Anwalt Heinrich Senfft zehn Jahre nach dem Tod seiner Klientin Romy Schneider fest, »in ihrer Jugend gab es leider niemanden, der ihr sagte, wie sie mit diesen Anlagen hätte umgehen sollen.«10

Dreiundvierzig Jahre und acht Monate vor jenem fatalen Tag im Mai 1982 wird Romy Schneider geboren. In Wien, jedoch nicht in Österreich, denn seit dem März 1938 liegt die Stadt in der »Ostmark«, einem Teil des Deutschen Reiches. Väterlicherseits waren ihre Vorfahren bis in die fünfte Generation Schauspieler. Ihre Großmutter, die Burgschauspielerin Rosa Albach-Retty, wird 1874 in Hanau geboren und stirbt 105 Jahre später in Baden bei Wien. 1906 kommt ihr Sohn Wolf zur Welt, der mit zwanzig Jahren ans Burgtheater engagiert wird. 1937 heiratet Wolf Albach-Retty die deutsche Schauspielerin Magda Schneider, ihr erstes Kind, Rosemarie Magdalena Albach, die sich später Romy Schneider nennen wird, kommt am 23. September 1938 zur Welt. Die ersten Lebensjahre verbringen Romy und ihr 1941 geborener Bruder Wolf-Dieter im oberbayrischen Schönau bei Berchtesgaden. Die Eltern sind zumeist mit Filmarbeiten beschäftigt, gehören zu den vielbeschäftigten Schauspielern des Dritten Reiches. 1945 wird die Ehe geschieden, die Kinder Magda Schneider zugesprochen. 1953 erhalten Romy und ihr Bruder einen Stiefvater, Magda Schneider heiratet den Kölner Großgastronom und Unternehmer Hans Herbert Blatzheim.

Nach der Volksschule besucht Romy das von geistlichen Schwestern geführte Internat auf Schloss Goldenstein bei Salzburg. Am 12. Juli 1953 verlässt sie die Schule, drei Tage später trifft sie in München ein, wohin Magda sie beordert hat. Der Produzent Kurt Ulrich hatte sie gefragt, ob sie sich vorstellen könnte, dass ihre Tochter an ihrer Seite in Wenn der weiße Flieder wieder blüht spielen könnte. Ihr Bruder Wolf-Dieter Albach erinnert sich »an die allerersten Tage ihrer Karriere. Vor den Dreharbeiten zum Weißen Flieder mussten erst einmal von dem vierzehnjährigen Mädchen Probeaufnahmen gemacht werden. Wäre sie nicht schon als Kind so außerordentlich fotogen gewesen, hätte womöglich alles einen anderen Weg genommen. In den ersten Jahren hat sie vor allem durch ihre Natürlichkeit begeistert, ihr wahres Talent und ihre Persönlichkeit zeigte sich jedoch erst in Frankreich, wo sie ihre große internationale Karriere begann.«11

Der Erfolg ihres ersten Films bringt Romy umgehend weitere Rollen ein. 1954 engagiert sie der österreichische Regisseur Ernst Marischka für Mädchenjahre einer Königin. Sie ist nun sechzehn Jahre alt und ihr Leben spielt sich mittlerweile fast nur noch in Hotelzimmern und Filmstudios ab. Zu schnell kommt der Erfolg, hebt sie aus der Menge hervor, wird die unbekannte Schulabgängerin Rosemarie Albach zum Allgemeingut Romy Schneider. Ein Kunstprodukt, geformt aus spärlichen biographischen Angaben, dressiert für den Geschmack eines Massenpublikums vor und hinter der Kamera.

1955 kreiert Marischka mit Sissi seinen ultimativen Welterfolg. Das vom deutschen Wirtschaftswunder profitierende Österreich wird auf eine operettenhafte Vergangenheit reduziert, deren Schauplätze und Figuren der Fremdenverkehr als neue Einnahmequelle entdeckt. Zudem erhält Österreich im selben Jahr den Staatsvertrag und legitimiert seine subjektive Geschichtsdarstellung mit kommerziell verwertbaren Mythen, die selbstbewusst von ferner Macht und Größe künden. Dieses sympathische Bild von sich selbst ist leicht zu lieben, ebenso wie dessen schöne Repräsentantin, die damit typmäßig festgelegt ist und an deren Bildnis man ebenfalls keine Korrekturen akzeptieren will. Auch keine von ihr selbst vorgenommenen, wie sie bald merken wird. Romy Schneider erkennt 1955, dass sie zunehmend die Erwartungen ihres Umfeldes und der Öffentlichkeit zu erfüllen hat, die sich immer weniger mit den ihren decken. Ihr Leben wird geregelt, man handelt für sie Verträge bis zu 75 000 Mark pro Film aus, verwaltet ihr Vermögen, gewährt ihr Taschengeld. Sie erkennt sich als Anziehungspunkt für zahllose Fans, begreift aber auch die eigene Bewegungslosigkeit in dem System. Ihr Umgang, Veränderungen an Gesicht, Frisur, Kleidung und Habitus, sind öffentliche Diskussionspunkte. Der Jungstar schwankt zwischen Selbstzufriedenheit, Versagensängsten, Depressionen und dem Wunsch nach totaler Veränderung. Romy soll nicht nur einen bestimmten Mädchentypus, sondern in der nach Illusionen suchenden Nachkriegswelt gleichzeitig »sozusagen das Gewissen der Welt«12 repräsentieren. Eine Aufgabe, die jeden jungen Menschen überfordern muss. »Wenn Romy etwas sagte«, erzählte ihre Mutter Magda Schneider, »ebenso harmlos und unwichtig wie das Geplauder anderer junger Mädchen, mußte sie damit rechnen, daß am nächsten Tag eine Zeitung der Sache einen lächerlich wichtigen Anstrich gab.«13

Um die Fortsetzungsfilme von Sissi angemessen zu bewerben, reisen die Hauptdarsteller durch etliche europäische Städte und werden in einer Weise begrüßt, die sie mit den von ihnen dargestellten gekrönten Häuptern gleichsetzt. Für den schon aus wirtschaftlichen Gründen unumgänglich scheinenden vierten Teil von Sissi trifft man sich in Berchtesgaden und offeriert Romy eine Million Mark. Als sie ablehnt, folgt eine hitzige Diskussion, in welcher der Jungstar umgestimmt werden soll. Doch Romy bleibt bei ihrem Entschluss.

Immer wieder wird sie in ihrer Karriere die Lebensmaxime, die sie zu dieser Entscheidung trieb, auf den Punkt bringen: »Ich wollte leben, lieben, mich künstlerisch entwickeln, ein neuer Mensch werden.« Als sie es mit zwanzig Jahren zum ersten Mal tut, ergänzt sie: »Vor allem: frei sein. Jedes junge Mädchen versucht eines Tages, früher oder später, selbständig zu werden, sich vom Elternhaus zu lösen, ein eigenes Leben zu führen. Ich suchte diesen Absprung, seit ich achtzehn Jahre alt war. Aber ich fand ihn nicht.«14

Ihr Filmpartner Karlheinz Böhm musste ebenfalls lernen, mit der extremen Popularität, die er mit den Sissi-Filmen erreicht hatte, umzugehen: »In den fünfziger Jahren gab es Tage, an denen ich zwischen 150 und 200 Fanbriefe beantworten musste, manchmal sogar mehr. Es war eine Popularität, die ich nie vorausgesehen hatte.«15 Die Filmpremieren finden vor einer stets größer werdenden jubelnden Menschenmenge statt. Davon hat Romy bereits als Kind geträumt, weiß die Umsetzung ihrer Wünsche auch in potenzierter Form derselben durchaus zu schätzen. Was sie nicht vorausahnen konnte, waren die negativen Auswirkungen. In Athen bedrängen sie die Fans 1955 so, dass sie Angst hat, von dem Ansturm durch die Glastür des Hotels gedrückt zu werden. In Madrid rufen 1956 Tausende nach »Sissi«. Romy lächelt gemäß den Anweisungen ihrer Mutter, Karlheinz Böhm stellt sich mit ihr der Menge, bis man auch hier um sein Leben fürchten muss, vor der drängenden Masse zurückweicht, Fensterscheiben zu Bruch gehen, Angstschreie sich unter die Ovationen mischen, Menschen über Menschen stürzen.

Im Frühling 1958 ist Romy Schneider neunzehn Jahre alt und auf dem Höhepunkt einer Erfolgswelle, deren Ende sie bereits vorausahnt. Sie fühlt sich, was das Rollenangebot angeht, in einer Sackgasse, die sie nicht bis ans Ende gehen will. »Mir wurde klar, die Sissi-Filme sind schön und gut, ich habe drei gedreht, ich wollte nicht einmal den dritten machen, man hat mir aber gesagt, mach ihn.«16 Sie ist, was sie immer werden wollte, eine Schauspielerin, die zu jenem Zeitpunkt wohl erfolgreichste im deutschen Sprachraum. Gleichzeitig ist sie unglücklich mit ihrer beruflichen Situation, möchte sich verändern, neue Herausforderungen suchen, die ihr der deutschsprachige Film nicht bieten kann. Sie wolle, bekennt sie, eine wirkliche Schauspielerin werden, wie ihre Großmutter, die am Wiener Burgtheater engagierte Rosa Albach-Retty. Echte Menschen darstellen, wie ihr Vater, der am Burgtheater und im Film erfolgreiche Wolf Albach-Retty, eine respektierte Komödiantin sein, wie ihre Mutter Magda Schneider.

Doch die Popularität fordert ihren Preis. Eine Sekretärin, so ist ihr klar, könnte sich bereits durch einen Ortswechsel und eine neue Anstellung in einer fremden Stadt einen solchen Ausbruch ermöglichen. Sie dagegen ist eingebunden in Verträge, überwacht von ihrer Familie und der Öffentlichkeit, ihre Karriere wird gelenkt von wirtschaftlich denkenden Strategen. »Es war ständig ihre Mutter um sie und ganz besonders ihr Stiefvater Blatzheim, der sie lenkte und kontrollierte. Ich habe mich bewusst aus der Familiengeschichte herausgehalten, hatte aber den Eindruck, dass Blatzheim Romys Leben gerade in der Zeit der Sissi-Filme sehr stark dominierte, daher konnte sich die Selbständigkeit der jungen Frau nur sehr schwer entwickeln«,17 schildert Karlheinz Böhm seine Sicht der damaligen Situation.

Nicht nur menschlich, auch künstlerisch sucht Romy Schneider 1958 neue Herausforderungen. Eine USA-Reise liegt hinter ihr, die zwar neue Eindrücke, aber keine konkreten Rollenangebote mit sich brachte, auch wenn sich Metro-Goldwyn-Mayer und die Walt Disney Company einen »geeigneten« Stoff für sie überlegen wollen. Etwas Neues kann damit kaum gemeint sein. Sie ist sich der handwerklichen Qualität ihrer bisherigen Filme, vor allem jener mit Ernst Marischka, durchaus bewusst, spürt aber auch, dass sie in diesem Genre den Zenit erreicht hat, der Weg nicht mehr weiterführen kann. Schon bei Sissi II hatte sogar Magda Schneider Bedenken, wie ein Brief an Marischka verdeutlicht: »Es hat mir sehr gefallen, aber Ernstl, es ist zu früh für Romy, eine Frau und Mutter zu spielen! Der ganze schöne Aufbau geht flöten, und wir unterbrechen mit dieser einen Rolle die ganze schöne Entwicklungslinie. Ich erinnere Dich an Deine eigenen Worte!! Junge taufrische Geschöpfe muss sie spielen! Ich habe sehr genau überlegt und nachgedacht, und ich verstehe Dich gut, es ist sehr nahe liegend, den Sissi-Erfolg weiter auszunützen, aber ich muss ja in erster Linie an die Weiterentwicklung des Kindes denken und kann jetzt nicht plötzlich überspringen [...] Lass uns ›Elisabeth, die junge Kaiserin‹ dann machen, wenn Romy soweit ist, denn der Stoff liegt mir sehr am Herzen, aber dann neu und nicht als II. Teil. Ich halte es auch für wirkungsvoller, denn nie hat ein II. Teil den I. erreicht!«18

Romy Schneider will jedoch völlig andere Wege gehen, träumt von Rollen wie der Titelpartie in Max Ophüls’ Lola Montez, der 1955 gedreht wird, während sie in München für Der letzte Mann vor der Kamera steht. Auch Ophüls’ Figur bewegt sich in adeligem Filmmilieu, aber abseits der Klischees, die Schneider nun in Zukunft unter dem Überbegriff Sissi zusammenfassen wird. Einer französischen Journalistin wird sie später bekennen: »Ich war sehr einsam zu dieser Zeit, weil alle um mich herum dafür waren.« Die Reporterin vermutet: »Sie sagten Ihnen: Du bist verrückt!« Darauf Romy: »Ja, das auch, sie sagten, du pfeifst aufs Geld und so ... aber ich wusste genau, dass ich nicht mehr wollte.«19 Natürlich garantierte ein Weiterführen der Sissi-Saga weiteren enormen finanziellen Gewinn, es war, wie manche Biographen es ausdrücken, fast so effizient wie »Gelddrucken«.

Vor dem dritten Teil von Sissi meinte Ernst Marischka noch: »Ich möchte [...] nicht, dass es heißt, dass ich mich den Bedenken von Romy, die Romy mir ausführlich auseinandersetzte, verschlossen habe, und den Plan, einen Film zu machen, in der Art der beiden Sissi-Filme, fallen gelassen habe. Wolle Gott, dass mir ein dritter Sissi-Film gelingt, wie die beiden anderen Sissi-Filme waren, und wolle Gott, dass Romy in ihrem Leben wieder in einem Film spielt, mit dem sie so einen Erfolg hat, wie sie in den beiden Sissi-Filmen hatte. [...] Romy unterschätzt, wie viele Zeitungsleute, die schwere Rolle, die sie in den beiden Sissi-Filmen gespielt hat, das heißt, sie lässt sich anscheinend zu sehr von den anderen Leuten beeinflussen.«20

Für das Publikum und daher auch die Filmschaffenden war Romy Schneider ab diesem Zeitpunkt mit der Erfolgstrilogie identifizierbar, die somit auch das Rollenangebot bestimmte. In unzähligen Interviews betont sie später: »Ich fühlte mich abgestempelt. Und nichts ist gefährlicher für eine Schauspielerin, als wenn sie einen Stempel auf der Stirn trägt. Mein Stempel hieß: Sissi.«21 Noch 2012 schreibt ein österreichischer Feuilletonist, freilich mit ironischem Augenzwinkern, über die Darstellung der Schauspielerin Hannah Herzsprung als Kaiserin Elisabeth im Film Ludwig II. (D 2012): »Sieht sie der Kaiserin ähnlich? Ja, schon, denn die Kaiserin sah nie wie die Kaiserin aus, sondern immer wie Romy Schneider.«22

1958 versucht Romy Schneider genau das zu vermeiden. Während eines Interviews im Hotel »Belvedere« in Köln sitzt sie zwischen den Covers einiger ihrer Lieblingsschallplatten und einer auf dem Boden ihrer Suite liegenden Fotoserie, stochert fahrig in den Abzügen herum und wählt für die Journalisten schließlich ein Bild aus, das verdeutlicht, wie sie sich selbst als neuen Typus von Frau und Rolle sehen möchte: Strähnig herabfallendes Haar, bittere Mundhaltung, Tränen in den Augen. Letztere wären echt, betont sie stolz, der Fotograf hätte sie zum Weinen gebracht. Das werden seine Berufskollegen in Zukunft noch öfters tun, freilich nicht immer zu künstlerischen Zwecken.

Noch will man sie jedoch »taufrische Geschöpfe« spielen lassen, die Erfolgsformel so lange ausreizen, bis die Verkaufszahlen der Kinotickets zu einer anderen Strategie raten. Schneiders bisherige Versuche künstlerischer Abweichungen von diesem Weg – Robinson soll nicht sterben (D 1956/57) oder Monpti (D 1957) – wurden von Publikum und Kritik nicht akzeptiert. Auch Ernst Marischka ist von dem neuen Weg nicht überzeugt, er habe sich die besagten Filme auch »angesehen und immer darauf gewartet, was Romy damit gemeint hat, wenn sie schrieb, dass sie mit diesem Film auch bewiesen hat, dass sie inhaltsreichere Rollen spielen kann [...], aber ich muss sagen, dass ich auch nicht eine Szene gefunden habe, in der Romy wirklich nur annähernd hätte zeigen können, was sie in Sissi, die junge Kaiserin gezeigt hat.«23

Vom Stereotyp abweichende Rollen wie jene bei Mädchen in Uniform (D 1958), dessen Dreharbeiten im März 1958 beginnen, bringen Romy Schneider nicht die erwartete künstlerische Veränderung, auch für das darauffolgende Projekt, die österreichisch-französische Koproduktion Christine, hat sie diesbezüglich keine besonderen Erwartungen. Doch gerade diese Produktion wird der entscheidende Wendepunkt für ihre Karriere und vor allem für ihr Leben sein.

10. April 1958

Die Entstehung einer Liebesbeziehung lässt ihrer Vorgeschichte oft nachträglich größere Bedeutung zukommen. Zufällige Konstellationen, die zwei Menschen letztlich zueinanderführen, bleiben in wacher Erinnerung, werden zu wesentlichen Teilen der Geschichte erhoben. Vermutlich hätte sich Romy Schneider ansonsten später kaum daran erinnert, wann und wo sie ihre Mitarbeit an dem Film Christine per Unterschrift festlegte. In diesem speziellen Falle jedoch sehr wohl. Es war 1955, während der Dreharbeiten zu dem Film Der letzte Mann, in dem sie, wie sie glaubt, ihre erste »moderne« Rolle spielt, womit sie eine »zeitgenössische« meint, kurz bevor sie mit der Arbeit an dem daran anschließenden ersten Sissi-Film begann.

Michel Safra, der Eigentümer der französischen Spéva Films, plante eine Neuverfilmung von Arthur Schnitzlers Liebelei und offerierte Romy Schneider die weibliche Hauptrolle darin. Das Sujet ist tragisch: Die junge Christine Weiring verliebt sich im Stück in einen jungen Leutnant, der sich jedoch wegen einer früheren Affäre mit einem betrogenen Ehemann duellieren muss und dabei umkommt. Als Christine erkennt, dass der von ihr geliebte Mann wegen einer anderen Frau sterben musste, zerbricht sie an dem Schmerz, dass das, was für sie Liebe war, für ihn nur eine »Liebelei« bedeutete, und nimmt sich das Leben. Eine solche Rolle hatte Romy bis zu jenem Zeitpunkt noch nicht gespielt, was Mutter Magda zunächst mit der Unterschrift unter den Vertrag zögern ließ, doch der französische Produzent bot ein spektakuläres Salär von 400 000 Francs.

Die Aussicht, dass Romy die Hauptrolle in der Verfilmung von Schnitzlers populärem Stück übernehmen würde, schien in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. 1933 hatte ihre Mutter die Rolle der Christine im Film Liebelei unter der Regie von Max Ophüls gespielt, und diese Rolle etablierte den oft gebrauchten Konjunktiv in Magda Schneiders Filmschaffen, der bei allen Erörterungen zitiert wird: Was sie an anspruchsvollen Rollen noch hätte spielen können, wäre sie nur besetzt worden ... Als der Film seine Premiere erlebt, sind die Nationalsozialisten in Deutschland bereits an der Macht, weshalb der jüdische Regisseur in den Credits nicht mehr genannt wird. Kurz danach verlässt Ophüls das Land in Richtung Frankreich, wo er eine französische Version des Stoffes dreht, wieder mit Magda Schneider in der Hauptrolle. Als Romy Schneider 22 Jahre später für ein Remake unter dem Titel Christine unterzeichnet, versucht Magda, Ophüls zu überreden, erneut die Regie zu übernehmen. Der Regisseur lehnt entschieden ab, findet »die Kleine« für die Rolle noch nicht reif genug. Er wolle die Sache gern in ein paar Jahren überdenken, momentan sei es für ihn kein Thema, in dieser Konstellation eine zweite Liebelei zu drehen, zumal der erste Film in der Erinnerung der Menschen noch sehr präsent sei.

Christine ist eine internationale Produktion, die in Kooperation zwischen Frankreich und Deutschland entsteht, der Produzent Safra verhandelt zunächst mit Regisseuren wie dem Ukrainer Anatole Litvak und dem Deutschen Robert Siodmak, schließlich erhält der Franzose Pierre Gaspard-Huit den Zuschlag. Für die weibliche Hauptrolle verpflichtet er 1955 den angehenden deutschen Star Romy Schneider, über die ihre Freundin Gertraud Jesserer bezeichnenderweise aussagt: »Ein süßes Mädel, wie von Schnitzler erdacht.«24 Für Romy jedoch liegt in dieser Einschätzung auch eine Einschränkung. Wieder soll sie nur ein süßes, in der Historie verankertes Geschöpf verkörpern und erhält zudem nicht den von ihr erhofften Regisseur Ophüls. Sie fürchtet, an der Leistung ihrer Mutter gemessen zu werden und dabei nicht bestehen zu können: »Ich würde bei den Filmkennern und Kritikern wieder nur ein Lächeln hervorrufen: Die Mutter hatte Format.«25

Die Franzosen hatten bei der Auswahl ihrer weiblichen Hauptdarstellerin keine Bedenken, man hatte sich schließlich für die bekannteste und beliebteste Schauspielerin im deutschsprachigen Raum entschieden. »Zu dieser Zeit war sie eine faszinierende Frau, strahlend schön, sehr professionell und angenehm als Person«,26 urteilt Pierre Gaspard-Huit fast sechzig Jahre später. Die Besetzung ihres männlichen Partners dauert länger. Der Agent Paul Kohner, der sich in Amerika um eine mögliche internationale Karriere Schneiders kümmert, empfiehlt seinen Schützling Horst Buchholz, der mit Romy Schneider 1957 in Monpti vor der Kamera gestanden hatte. In Frankreich dagegen hat man andere Pläne. Der Brite Roger Moore, zu jener Zeit durch TV-Arbeiten und Historienfilme nur mäßig bekannt, erscheint 1955 mit seinen damals 28 Jahren dem Regisseur als zu alt, daneben kursieren die Namen der in etwa gleich alten Franzosen Paul Guers, Bernard Dhéran und Jacques Toja – und ein weiterer, etwas jüngerer Nachwuchsdarsteller, der bis zur Vertragsunterzeichnung erst einen Film gedreht hat: Alain Delon. Pierre Gaspard-Huit schildert den Umstand, dass der völlig unbekannte Delon überhaupt in Betracht kam, aus seiner Sicht als Zufall: »Damals stand ich unter Vertrag mit einem Filmunternehmen, für welches ich einen Film über die ›Blousons noirs‹, die Halbstarken, drehen sollte. Ich hatte dafür schon Probeaufnahmen mit jungen Leuten dieser Bewegung aus Saint-Germain-des-Prés gemacht und unter ihnen einen jungen Mann ausgewählt, der Alain Delon hieß. Ich machte also die Probeaufnahmen mit Delon, der für diese Proben die Uniform eines Akteurs aus dem Film von René Clair Les grandes manœuvres (Das große Manöver) trug. Sie hat ihm Glück gebracht. Er war außergewöhnlich in diesem Gewand. Ich habe ihn gecastet. Dann haben wir diese Aufnahmen nach Wien an Magda Schneider geschickt. Magda wollte keinen großen internationalen Star an Romys Seite für diesen Film, so dass sie sich unserer Wahl angeschlossen hat. So wurde Alain Delon letztendlich für die Rolle engagiert – obwohl der französische Produzent nicht wirklich von dieser Wahl überzeugt war.«27

Es wäre logisch, dass Magda Schneider, die sich per Vertrag die Entscheidung über einen adäquaten Partner vorbehielt, auch in diesem Falle die Entscheidung traf. Wenn die von Jean-Claude Brialy erzählte Geschichte stimmt, beginnt die Beziehung zwischen Romy Schneider und Alain Delon jedoch mit einem Fingerzeig, mittels dessen Schneider in einem Fotoalbum unter französischen Nachwuchsdarstellern den auswählt, der ihr am besten gefällt. Es ist ein junger, dunkelhaariger, auffallend gutaussehender Mann mit einem entwaffnenden Lächeln. Anders als bei Karlheinz Böhm wird Romy bei ihm nie auf die Idee kommen, ihn »Onkel« zu nennen. Der Name Alain Delon sagt ihr nichts, was zu jener Zeit auch auf die meisten französischen Kinobesucher zutrifft. Einerlei welche Version der Auswahl stimmt: Der Fingerabdruck Romy Schneiders wird von nun an Delons weiteres Leben prägend überziehen. Der Regisseur ist mit der Wahl durchaus einverstanden, der Produzent dagegen gesteht dem Nachwuchsschauspieler nur eine für eine Hauptrolle relativ geringe Gage zu. Seine Partnerin mit dem europaweit bekannten Namen wird mehr als das Fünffache davon erhalten.

Das erste Treffen zwischen Alain Delon und Romy Schneider ist eines, das vor allem für die Medien inszeniert wird, die zu jenem Zeitpunkt noch nicht wissen können, dass hier eines ihrer über die nächsten Jahre meistgejagten Traumpaare zum ersten Mal zusammen auf Fotos erscheint. Starempfänge sind heute eine »Red carpet«-Angelegenheit, in den 1950er Jahren war der rote Teppich noch dem Adel vorbehalten, stattdessen inszenierte man die Presseempfänge der Filmstars auf Flugplätzen. Fliegen war teuer und noch kein allgemein erschwingliches Transportmittel, somit war ein Fotoshooting mit einem Star vor der Gangway einer eben gelandeten Maschine ein exklusiver und würdiger Ort, die Bilder davon füllten die Zeitungen, wie es heute die von der Haute Couture gesponserten Roben der Prominenten über jedwedem roten Bodenbelag tun.

Man schreibt den 10. April 1958. Auf dem Pariser Flughafen Orly landen Magda und Romy Schneider, in voller Repräsentation deutschen Starruhms – und natürlich begleitet von Magdas zweitem Ehemann, Hans Herbert Blatzheim. Sie werden von vier Männern auf französischem Boden willkommen geheißen. Zwei gehören dem Produktionsteam an: Michel Safra und Pierre Gaspard-Huit. Die anderen beiden Herren sind Schauspieler und werden im weiteren Leben Romy Schneiders bedeutende Rollen spielen.

Der eine ist Jean-Claude Brialy, zu jenem Zeitpunkt 24 Jahre alt. Im Jahr von Romy Schneiders Geburt, 1938, hat der Fünfjährige mit Walt Disneys Snow white and the seven dwarfs (Schneewittchen und die sieben Zwerge) sein erstes prägendes Kinoerlebnis. Brialy entstammt einer französischen Militärfamilie und hat bereits in über fünfzehn Filmen mitgewirkt; die Zahl inkludiert freilich auch Kleinst- und Komparsenrollen, darunter jene in Ascenseur pour l’échafaud (Fahrstuhl zum Schafott) von Louis Malle (F 1957). Er durchlief eine fundierte mimische Ausbildung, besuchte das Konservatorium gemeinsam mit Annie Girardot, Jean-Paul Belmondo und Jean Rochefort, die in den kommenden Jahren zu Frankreichs Schauspielelite gehören werden. Danach war Brialy Mitglied von Wanderbühnen und sprach Kino-Wochenschauberichte. Er zählt zur jungen Pariser Bohème und frequentiert wie diese in den 1950er Jahren die Cafés von Saint-Germain-des-Prés, wo ihn die Schauspielerin Brigitte Auber mit einem jungen Mann namens Alain Delon bekannt macht.

Brialy kennt auch die jungen Leute des »Cahiers du Cinéma«-Kreises, diskutiert mit François Truffaut und Claude Chabrol. Unter dessen Regie spielt Brialy 1959 in Les Cousins (Schrei, wenn du kannst), weitere Arbeiten mit Truffaut, Jean-Luc Godard, Jacques Rivette und Agnès Varda machen Brialy zu einem der bekanntesten Nouvelle-Vague-Akteure. Privat ist er ein homme de cœur, stets gut gekleidet und frisiert, charmant, gebildet und vielsprachig. Nicht zuletzt seine Deutschkenntnisse verhelfen ihm zu seinem Auftritt an jenem Tag in Orly und einer Nebenrolle im geplanten Filmprojekt. Vielleicht nicht ganz wortwörtlich, aber im übertragenem Sinne richtig, betont Brialy, dass seine Übersetzungskünste zwischen Romy und Alain bereits nach kurzer Zeit überflüssig waren: »Liebe braucht doch keine Worte! Sie unterhielten sich in einer Art Kauderwelsch und brauchten mich nicht, um irgend etwas zu regeln.«28 Zu Beginn freilich sah es überhaupt nicht nach einer harmonischen Zusammenarbeit aus.

»Die blonde Gans«

Der andere junge Mann vor der Air-France-Maschine in Orly ist Brialys Freund Alain Delon, zu jenem Zeitpunkt 23 Jahre alt. Am Fuße der Gangway findet die erste Begegnung statt, beide Damen erhalten Blumensträuße, den für Romy hat man Delon anvertraut. Er wusste, dass er einen deutschen Star zu begrüßen hatte, und war von der Tatsache nicht im Mindesten beeindruckt, sondern fühlte sich eher davon provoziert: »Sie war der europäische Star, genauso wie Brigitte Bardot. Für viele wird sie für alle Zeiten die unvergessliche Sissi bleiben, die aus Liebe die Kaiserin Österreichs wurde. Als ich sie kennenlernte, wusste ich, dass sie ein Star war, komischerweise liebte ich sie aber nicht sofort.«29

Um das Bild der Ankommenden zu verschönern, hat der Produzent Safra Delon ein großes Rosenbouquet verordnet, das er Schneider chevaleresk zu übergeben hat. Da ihm das floristische Apportieren peinlich ist, delegiert Delon die Aufgabe zunächst an Brialy, der damit kein Problem hat. Die Übergabe besorgt dennoch schließlich Delon selbst, wie die in den Zeitungen der kommenden Tage abgedruckten Bilder belegen. Nach dem offiziellen Teil, erinnert sich Brialy amüsiert, gab Romy, die ebenso wenig wie Delon unhandliche Dinge zu transportieren gewillt war, ihm den Strauß wieder zur Aufbewahrung zurück.

Entgegen seinen alltäglichen Gewohnheiten trägt Delon Mantel, Anzug und Krawatte, anders als bei seinem soignierten Freund Jean-Claude wirkt es bei ihm wie eine Maskierung. Er selbst fühlt sich, eigenen Angaben zufolge, wie eine Verkörperung der Figur aus Jacques Brels Chanson Les Bonbons und praktisch wie ein Idiot. Sophie Grimaldi, der man die zweite weibliche Hauptrolle in Christine anvertraute, meinte: »Er war damals, nun ja, nicht ein Ganove, aber, sagen wir, ein Schlingel.«30

Wohl unter dem Korrektiv seiner späteren Erscheinung fasst Romy Schneider ihren ersten Eindruck von Delon zusammen: »ein zu schöner, zu wohlfrisierter, zu junger Bursche, ganz als Gentleman verkleidet, mit Schlips und Kragen und einem übertrieben modischen Anzug [...] Ich fand das Ganze geschmacklos und den Knaben uninteressant.«31 Sogar die mitgebrachten Rosen bedenkt sie mit der in dem Zusammenhang inflationär verwendeten Präposition als »zu rot«. Später erinnert sie sich daran, dass sie und ihre Mutter unabhängig voneinander der Gedanke beschäftigte, ob Delons Augen nun grün oder blau wären. In Magda Schneiders Memoiren kommt dem ersten Treffen ebenfalls entscheidende Bedeutung zu. Sie erinnert sich, »wie dieser Junge [...] die Treppe herunterkam: so schlank, so lässig, so schön mit seinem schwarzen Haar und diesen Augen, die kein anderer Mann hat – intensiv veilchenfarben.«32 Wie ein moderner Prinz, befindet sie, von dem Romy, die sich leicht verliebte, von Beginn an elektrisiert war. Pierre Gaspard-Huit meinte über Magda Schneider, »sie misstraute Alain Delon ein wenig. Sie hatte ja schon gehört, was man über ihn erzählte, dass er einen gewissen Ruf habe.«33

Hans Herbert Blatzheims Gefühle gegenüber Delon sind von Beginn an negativ, er findet ihn »muffig, ablehnend, ungehobelt. Er zeigte offen seine Grundeinstellung, die er später immer wieder von neuem produzierte: Einen unsagbaren Haß gegen alles Bürgerliche, jede Art von Ordnung. Nicht aus Unkenntnis, sondern aus Prinzip benahm er sich schlecht und unpassend [...] Das war mein erster Eindruck – und Delon gab mir nie Gelegenheit, diesen Eindruck zu korrigieren.«34

Romy Schneider hat immer wieder betont, wie sehr sie solche Empfänge auf Flughäfen hasste. Sobald sie durch die Kabinentür auf die Gangway trat, wurde sie auf die reine Oberfläche reduziert, musste sie den Vorstellungen anderer von ihr entsprechen. Fotoapparate klickten, ihr Name wurde in einem Tonfall gerufen, wie man einem Hund Kommandos erteilt. Hinter ihr ermahnte ihre Mutter sie stets: »Jetzt lächeln, lächle ...«

Nichts scheint sich am 10. April 1958 von den bisherigen Szenarien zu unterscheiden. Die Bilder in der Presse, auf denen die erste Zusammenkunft zwischen Romy und Alain dokumentiert ist, gleichen denen anderer Starempfänge auf Flughäfen. Nur ein Jahr zuvor wurden von Romy Schneider in Orly – allerdings bei Regenwetter – ganz ähnliche anlässlich der Dreharbeiten zu Monpti geschossen, damals mit Horst Buchholz in der »Delon-Rolle« und mit Helmut Käutner als Spielleiter. Auch die Flirt-Szenen, die das jeweilige Paar in festlichem Rahmen zeigen, gibt es dort bereits. Der Blumenstrauß bestand 1957 aus Nelken, und statt Brialy komplettierte Boy Gobert das Darstellertrio.

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