Elke Bräunling



Erntezauber

Ernte und Erntedank


Geschichten, Gedichte und Lieder für Kinder






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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek


Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.








Copyright © 2013/ 2017  Elke Bräunling

edition art.taeglich

http://www.elkeskindergeschichten.de

All rights reserved.

ISBN-13: 978-1500748289

ISBN-10: 1500748285






Jede Ernte ist ein Fest

Vorwort


Mit Erntedank bringen wir oft einzig das Erntedankfest, das am ersten Sonntag im Oktober gefeiert wird, in Verbindung. Zu dessen Anlass besinnt man sich bewusst darauf, was es bedeutet, jeden Tag satt zu sein und den Tisch mit all den Köstlichkeiten zu decken, die man nach Lust und Laune zu sich nehmen mag. Immer weniger denken wir beim Essen und Genießen darüber nach, woher unsere Nahrungsmittel kommen.

Wir können es uns in unserem logistisch wohl organisierten Leben gar nicht mehr so richtig vorstellen, was es bedeutet, für den langen Winter Vorräte anlegen zu müssen. Wer in früheren Generationen im Winter nicht verhungern wollte, musste selbst ernten, einkochen, einwecken oder Obst und Pilze trocknen. Geschäfte, in denen es das ganze Jahr über in Hülle und Fülle Obst und Gemüse frisch, in Dosen oder tiefgekühlt zu kaufen gab, kannten unsere Vorfahren nicht. Eingedenk dessen kann man sich leicht vorstellen, wie sehr man sich früher über den Frühling, die ersten frischen Kräuter, Salat-, Gemüse- und Obsternten freute. Die Menschen zeigten ihre Freude, indem sie viele Feste im Laufe eines Erntejahres feierten, nicht nur zum Erntedanksonntag.

Kindern nahe zu bringen, welche Mühen es kostet und auch welche Freuden es bringt, Obst, Gemüse, Korn, Blumen zu säen oder anzupflanzen, zu hegen, pflegen, ernten und weiter zu verarbeiten, ist Thema der Geschichten, Lieder, Gedichte und Spiele in diesem Buch. Jeder noch so kleine Erfolg im Laufe eines Pflanzjahres bietet Anlass zu einem Fest, sei es das Entdecken der ersten Kräuter im Frühjahr, das Blumenpflücken auf der Wiese, die Ernte von Beeren und Frühlingsgemüse, das Mähen der Wiese, das Trocknen und Einbringen des Heus, die Ernten zur Hochsaison von Juli bis Oktober, das Sammeln von Pilzen, Kastanien und Nüssen im Herbst.

Es gibt viele Anlässe zum Feiern, um nicht zu vergessen, was wir der Natur zu verdanken haben.






Nüssegeflüster

Gedicht


In den Tagen vor der Ernte

spielen Nüsse gern im Wind,

wiegen sich vergnügt im Baume,

klackern, weil sie fröhlich sind.

Leise, psst!, du kannst sie hören,

lausche und bleib einfach stehn,

hörst sie – klack! - zu Boden kullern,

solltest schnell nach ihnen sehn.

Lass sie dort nicht lange liegen.

Sie wolln bei den Kindern sein

und sich knacken, naschen lassen.

Hmm. Sie schmecken würzig fein.






Oma erzählt das Märchen von der Kornähre

Märchen nach Gebrüder Grimm


Mara und Max spazieren mit Oma durch die Felder.

„Früher“, sagt Oma, „sah es hier viel bunter aus. Kornblumen blühten überall zwischen den gelben Kornähren, Glockenblümchen und Klatschmohn, Rainfarn, Feldmargeriten und Kamille. Schön sah das aus.“

„Ein paar Kornblumen habe ich am Wegrand gesehen“, sagt Mara. „Es waren aber zu wenige für einen Blumenstrauß.“

„Wir könnten ja auch diese dicken Grashalme pflücken“, meint Max und deutet auf ein paar Büschel Kornähren am Wegrand, die bei der Ernte vergessen und übrig geblieben waren.“

Oma lacht. „Man sieht, dass ihr Stadtkinder seid. Sie pflückt einen dieser ‚Grashalme’. „Das ist nämlich kein Grashalm“, sagt sie.

„Was dann?“, fragt Max.

„Ich weiß es“, ruft Mara. „Eine Kornähre ist es. So eine haben wir in der Schule gemalt.“

„Richtig!“ sagt Oma. „Aus ihren Körnern wird Mehl gemahlen.“

„Aus diesen Körnern?“ Das haben Mara und Max nun doch nicht so recht gewusst.

„Das ist ja spannend!“, staunt Max.

Mara aber meint:

„Ich finde es aber nicht gut, dass die Bauern so viele Kornähren beim Ernten vergessen haben. Ganz viel Brot könnte man daraus backen.“

„Stimmt“, sagt Oma. „Aber die Vögel und die Feldmäuse freuen sich auch über ein paar Körnerleckerbissen.“

„Dann geht kein Körnchen verloren, nicht?“, fragt Mara.

Oma nickt und betrachtet gedankenverloren den Getreidehalm. „Da fällt mir ein altes Märchen ein“, sagt sie. „Wollt ihr es hören?“

„Aber ja!“ rufen die Geschwister, und Oma erzählt das Märchen von der Kornähre:

„Früher, heißt es, waren die Böden viel fruchtbarer als heute und eine Kornähre trug ihre Körner am ganzen Halm von oben bis unten. Es waren bis zu vierhundert Körner pro Halm, und Gott freute sich sehr, wenn er diese prächtigen Ähren sah. Für die Menschen aber war dieser Überfluss so normal, dass sie sich keine große Mühe gaben, die Pflanzen richtig zu pflegen. Sehr gleichgültig waren sie, und Gott ärgerte sich darüber.

Eines Tages beobachtete er, wie eine Frau mit einer Handvoll Ähren das von Staub, Erdbrocken und Matsch beschmutzte Kleid ihres Kindes sauber rieb. Da riss ihm der Geduldsfaden. „Von nun an“, rief er voller Wut, „gibt es keine Körner mehr auf den Halmen. Ihr Menschen seid sie nicht wert.“

Da erschraken die Menschen sehr. „Wir wissen, dass wir die wertvollen Körner nicht verdienen!“, flehten sie. „Aber bitte lass uns noch wenigstens ein paar Körnchen an den Halmen, damit wir Futter für unsere Hühner haben!“

Weil sie so sehr bettelten, gewährte ihnen Gott ihre Bitte, und so kommt es, dass oben an den Halmspitzen die Kornähren übrig geblieben sind, so wie ihr sie hier jetzt seht.“

Mara und Max sind beeindruckt.

„Gut, dass Gott an die Hühner gedacht hat“, sagt Max schließlich.

„Stimmt“, meint Mara, „sonst gäbe es kein Brot und keinen Kuchen. Ganz schön schlimm wäre das.“

„Eigentlich“, sagt Max nachdenklich, „müssen wir den Hühnern ‚Danke’ sagen. Und ich weiß auch schon wie wir das tun können: Wir pflücken einen Strauß von diesen vergessenen Kornähren und bringen sie den Hühnern vom Huberhof mit!“

„Das ist eine gute Idee“, sagt Oma. „Und ein paar Ähren bewahrt ihr auf für die Vögel im Winter. Einverstanden?“

„Einverstanden!“ rufen Mara und Max und machen sich ans Pflücken. Doch nicht alle Kornähren nehmen sie mit. Die Tiere auf den Feldern sollen schließlich auch satt werden.






Die Ernte und der Aberglaube 

Brauchtum


Viel Aberglaube rankt sich um die Getreideernte, die Ende Juni beginnt und bis Ende August dauert. Früher war das für die Menschen ein ganz bedeutendes Ereignis im Jahr, denn eine gute Kornernte bedeutete Brot für alle und einen kommenden Winter ohne Hunger. Daher machten sie aus der Ernte trotz der harten Arbeit fast so etwas wie ein Fest, und der erste Erntewagen wurde hübsch mit einem Strauß oder einem Erntekranz geschmückt. Ganz Abergläubische warfen die ersten drei geschnittenen Getreidehalme über die Schulter nach hinten. Sie waren als Geschenk für die Kornmutter oder die Feldgeister gedacht. Eine andere Sitte war, Ähren oder Beeren in Kreuzform auf den Boden oder an bestimmte heilige Orte zu legen.

Ähnlich sorgfältig behandelte man die letzten Korngarben, die vom Feld geerntet wurden. Man band neun Ähren zu einem Strauß. Das war die ‚Glücksgarbe’. Sie wurde dem Bauern oder Gutsherrn überreicht. Eine alte Sage erzählt, in der letzten Korngarbe säße ein Geist. Der würde im Sommer in den Feldern wohnen und durch die Getreidehalme hüpfen und tanzen. Kamen die Ernteleute, würde er sich rasch in die letzte Garbe flüchten. Die Menschen gaben diesem Geist viele witzige Namen, und die lauteten so: Kornkater, Weizensau, Kornmockel, Habergeiß, Roggenhund, Kornhahn, Erntehenne oder einfach „der Alte“. Um diesen Geist zu besänftigen, ließ man oft ein Ährenbüschel zusammengebunden auf dem Feld stehen. Es galt als Ernteopfer und man betete, dass das Getreide auch im nächsten Jahr so gut und kräftig wachsen möge.

Ein weiterer Geist war die Kornmuhme, eine alte Frau mit grauen Haaren, roten Augen und einer schwarzen Nase. Sie galt als Beschützerin des Getreides auf dem Feld, und den Kindern drohte man, die Kornmuhme würde ihnen einen mächtigen Schrecken einjagen, wenn sie in den kostbaren Getreidefeldern Verstecken oder Fangen spielten oder Blumen pflückten und dabei die kostbaren Halme umknickten. So hatten die Kinder einen großen Respekt vor dieser unheimlichen alten Frau – doch ehrlich, nie hat jemand sie je zu Gesicht bekommen. Oder hast du sie etwa gesehen?






Kirmes/Kirchweih

Brauchtum


Waren im Sommer die wichtigsten Arbeiten auf Feldern, Wiesen, in Gärten und Weinbergen getan und die wichtigsten Ernten eingebracht, freuten sich die Menschen auf ein Fest. Man traf sich zu einem guten Essen und Trinken mit Musik, Tanz und Fröhlichkeit. Meist dauerten solche Feste von Samstag bis Dienstagabend, und die Menschen begannen viele Tage zuvor mit den Vorbereitungen. Sie machten Hausputz, backten Kuchen und luden Verwandte von außerhalb ein. Das ganze Dorf war an den Festtagen auf den Beinen. Man nannte diese Feste Kirchweih oder Kirmes, Kerwe, Rummel.