Mathias Bröckers

DIE
DROGEN

LÜGE

Warum Drogenverbote
den Terrorismus fördern und
Ihrer Gesundheit schaden

eBook Edition

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ISBN 978-3-864896-08-8
© Westend Verlag Frankfurt/Main
in der Piper Verlag GmbH, München 2010
Satz: Fotosatz Amann, Aichstetten
Druck und Bindung: CPI – Clausen & Bosse, Leck
Printed in Germany

Inhalt

Dank

Einleitung

1 Eine kurze Geschichte der Prohibition

Von den Opiumkonferenzen zum War on Drugs

Prohibition als außenpolitisches Machtinstrument und innenpolitisches Law-and-Order-Vehikel

2 There’s No Business Like Drug Business

Prisons for Profit: die Gefängnisindustrie

3 Drogen – Terror – Krieg

Die Drogenökonomie des Terrors

Eine kurze Geschichte der illegalen Außenpolitik

4 Mikroanalyse staatlich sanktionierten Drogen-und Waffenhandels: von Mena über Venus nach Venice

»Alle unsere Geheimnisse sind die gleichen«

5 Tendenzwissenschaft und Tabupolitik

Warum das Zeitalter der Aufklärung in Sachen Drogen immer noch auf sich warten lässt

Pharmakos : der Sündenbock

6 Heile und herrsche

Das Ende des Schamanismus und der Beginn der Drogenpropaganda

7 Don’t panic, it’s organic

Jack Herer und die Wiederentdeckung des Hanfs

Fakten über Cannabinoide

8 Die Drogenlüge

Oktoberfest und Goa – ein Vergleich

9 Das Paradies ist gleich um die Ecke

Vom »Open Mind« zur »Open Source«

10 Jenseits der Prohibition

Sucht und Ordnung: Entkriminalisierung heute, Legalisierung morgen

Abkürzungsverzeichnis

Anmerkungen

Dank

Ich danke Hans Cousto, der die Daten für die Statistiken und Infographiken recherchiert und zusammengestellt hat. Sie verdeutlichen schon auf einen kurzen Blick den Anlass für dieses Buch: dass die vor hundert Jahren begonnene Politik der Prohibition bestimmter Drogen durchgängig gescheitert ist.

Auch Daniel Hopsicker bin ich zu Dank verpflichtet, einem der letzten Überlebenden der nahezu ausgestorbenen Spezies des in-vestigativen Journalisten. Er hat die Zeit gefunden, für dieses Buch einen der Hot Spots des ebenso illegalen wie staatsgesponserten Drogenhandels unter die Lupe zu nehmen. Solange Machenschaften wie an dem kleinen Flughafen von Venice Beach in Florida – dem Trainingslager der 9/ 11-Terroristen – weitergehen, so lange wird die Welt mit unkontrollierten Strömen von Drogen und dem damit finanzierten Terrorismus leben müssen. Sowie mit Medien, die sich der Mittäterschaft schuldig machen, wenn sie diese Zusammenhänge weiter verschweigen.

Mehr als Dank gebührt Jack Herer, dem wahrscheinlich wichtigsten Antiprohibitionskämpfer der letzten Jahrzehnte und Vater der modernen Hanf-Renaissance. Sein Buch The Emperor Wears No Clothes hat in den USA und Europa ein neues Zeitalter eingeleitet – die Wiederentdeckung des Hanfs als Medizin und Nutzpflanze. Am 15. April 2010 ist Jack Herer den Folgen einer Herzattacke erlegen, die ihn im vergangenen September in Oregon ereilt hatte – nach einer engagierten Rede für die Freiheit des Hanfanbaus für jedermann und gegen das Verbrechen, Menschen wegen »der wichtigsten Pflanze des Planeten« zu verfolgen und einzusperren.

Diesem Vermächtnis und der Erinnerung an den Freund und Freiheitskämpfer Jack Herer ist dieses Buch gewidmet.

Mathias Bröckers, Berlin, 1. Mai 2010

Einleitung

Am Anfang war das Drogendelikt. Eva und Adam nahmen von der verbotenen Pflanze und wurden mit der Vertreibung aus dem Paradies bestraft. Theologen mögen einwenden, dass dies eine allzu profane Deutung des Sündenfalls sei, doch wenn wir die Geschichte aus dem Buch Genesis beim Wort nehmen, kann kein Zweifel daran bestehen, dass es sich bei der verbotenen Frucht um eine psychoaktive, bewusstseinsverändernde Pflanze – eine Droge – handelt. Und ebenso klar ist, dass Eva und Adam über ihre Eigenschaften im Dunkeln gelassen wurden: Die Autorität im Garten Eden hatte die Pflanze verboten, weil ihr Genuss angeblich tödlich sei. Mit dieser noblen Lüge – »nobel«, weil Gott per se nur das Beste für seine Geschöpfe im Sinn hat, und »Lüge«, weil es sich um Desinformation handelte – steht und fällt die ganze Dramaturgie der Geschichte. Denn was wäre geschehen, wenn Gott die Paradiesbewohner über »Risiken und Nebenwirkungen« des Präparats vom »Baum der Erkenntnis« sachgemäß aufgeklärt hätte?

Eines kann man mit Sicherheit sagen: Der Menschheit wäre viel Ärger erspart geblieben. Vielleicht hätten die beiden es erst einmal bei einer homöopathischen Kostprobe belassen, anstatt gleich den ganzen »Apfel« zu essen. Aber selbst wenn sie sich – des ewig harmonischen göttlichen Einsseins überdrüssig – mit einer gezielten Überdosis in die rauhe (aber spannende) Dualität des Erdenlebens geworfen hätten, stünden wir heute besser da. Ohne mythologische Schuld, ohne Erbsünde und ohne einen zürnenden Gott. So aber war Eva auf Arzneimittelinformationen von der Straße angewiesen – Gerüchte einer Schlange statt Aufklärung von einem Arzt oder Apotheker –, und die Katastrophe nahm ihren Lauf. Wir müssen dem Herrn im Garten Eden keine bösen Absichten unterstellen, als er den Baum der Erkenntnis als tödliches Gift deklarierte. Er wollte vermutlich nur das Beste für seine Geschöpfe, doch er erreichte das Gegenteil. Nicht der Genuss der Pflanze, sondern die mit ihrem Verbot einhergehende Desinformation sorgte für den Absturz aus dem Paradies.

Der Rausch und seine Mittel sind so alt wie die Menschheit. Hätte »Ötzi«, der in den Südtiroler Alpen Anfang der neunziger Jahre gefundene »Gletschermann«, die italienisch-österreichische Grenze nicht schon vor mehr als 5000 Jahren, sondern in unseren Tagen passiert – er hätte außer einem Wetterumsturz auch die Drogenfahndung fürchten müssen. In den Taschen des tiefkühlkonservierten Steinzeitmenschen wurden halluzinogene Pilze gefunden, deren Wirkstoffe heute auf dem Betäubungsmittelindex stehen. Hätte unser Gletschermann den Zollkontrolleuren freimütig gestanden, dass er die Pilze regelmäßig konsumiere und einen größeren Vorrat zu Hause hätte, er wäre nach erfolgter Höhlendurchsuchung einem Haftrichter vorgeführt worden. Auf seine Einwendung, dass er auf die Pflanze angewiesen sei – aus medizinischen Gründen oder um spirituellen Kontakt mit dem »Geist der Vegetation« zu halten –, hätte man ihn in die Psychiatrie überwiesen und mit legalen Drogen vollgestopft – aus Ötzi wäre ein »Fall« geworden, eines jener Opfer, zu deren Rettung die Drogenkrieger ausgezogen sind. Ihre grundlegende Idee einer drogenfreien Gesellschaft, so zeigt dieser kurze Rückblick in die Steinzeit, war nicht erst seit den Zeiten der Puritaner falsch, sie widerspricht den Grundtatsachen der menschlichen Zivilisation.

Zu allen Zeiten haben Menschen bewusstseinsverändernde, geistbewegende Substanzen zu sich genommen. Zu allen Zeiten gab es Regeln, wie mit ihnen umzugehen ist, und Methoden, wie Missbrauch und Schäden durch diese Substanzen zu vermeiden sind. Doch erst seit etwa hundert Jahren sind einige dieser Substanzen international geächtet und werden mit den Mitteln des Strafrechts weltweit verfolgt. Auch diese Verbote waren, wie damals im Garten Eden, durchaus von guten Intentionen getragen, dem Wunsch, die Bevölkerung vor den Gefahren des Missbrauchs und der Sucht zu schützen. Die Beschlüsse, die auf dem ersten Treffen der Diplomaten der »Opiumkommission« in Schanghai (1909) und in den anschließenden Konferenzen in Den Haag (1911/12) und Genf (1925) gefasst wurden und später in die »Single Convention on Narcotic Drugs« der Vereinten Nationen (1961) einflossen, waren beseelt von dem Wunsch nach einer »drogenfreien Gesellschaft« und der Überzeugung, diese mit den Mitteln der Kontrolle und des Strafrechts erreichen zu können.

Ein Blick hinter die Kulissen dieser Konferenzen zeigt zwar, dass auch schon damals neben guten Intentionen vor allem macht- und geschäftspolitische Faktoren eine Rolle spielten. Deutschland etwa stimmte dem auf der Kippe stehenden Antrag Ägyptens nach einem Cannabisverbot nur zu, weil die Ägypter im Gegenzug versprachen, kein Importverbot für »Heroin«, den internationalen Bestseller der deutschen Bayer-Werke, zu erlassen. Doch der öffentlichkeitswirksame Grundgedanke dieser internationalen Abkommen versprach soziale Fürsorge und Gesundheitsschutz.

Würde man die Väter des Drogenverbots heute mit den Ergebnissen konfrontieren, zu dem ihre Beschlüsse ein Jahrhundert später geführt haben, würden sie wahrscheinlich erschrecken: Was sie als institutionellen Segen der Menschheit auf den Weg gebracht hatten, um zahllose unschuldige Opfer vor der Heimtücke der Drogenabhängigkeit zu retten, hat sich als Fluch erwiesen. Sie haben ein Monster in die Welt gesetzt, das sich, seit US-Präsident Richard Nixon es 1971 »War on Drugs« (Krieg gegen Drogen) taufte, zu einer der gefährlichsten Plagen des Planeten ausgewachsen hat. Der Krieg gegen Drogen bedroht die Bürgerrechte und Freiheiten in aller Welt und erschüttert demokratische Strukturen und die gesellschaftliche Ordnung in vielen Regionen – von den Andenstaaten und Mexiko, wo rivalisierende Banden derzeit ganze Provinzen in bürgerkriegsähnliche Zustände stürzen, bis nach Afghanistan und Pakistan, wo sowohl die »Taliban« wie auch ihre Gegner vom Drogengeschäft profitieren. So finanziert und fördert dieser Krieg gegen Drogen nicht nur den internationalen Terrorismus und die organisierte Kriminalität, sondern produziert darüber hinaus mit Abertausenden von »Drogentoten« die Opfer, zu deren Rettung er eigentlich erfunden wurde.

Die Lebenserfahrung, dass eine »gut gemeinte Absicht« ins Gegenteil umschlagen kann, trifft auf die Drogenprohibition zu wie auf keinen anderen Bereich der Politik. Was die Diplomaten 1909 auf Anregung der USA in Schanghai auf den Weg brachten und 1925 in der Genfer Drogenkonvention mündete, war eines der ersten Experimente einer globalisierten Politik und stellt praktisch das erste globale Gesetz der Welt dar. Hundert Jahre später nun haben die desaströsen Folgen dieser Politik eines der größten Probleme der globalisierten Welt geschaffen.

Dass das Desaster, welches der Krieg gegen Drogen anrichtet, tatsächlich monströse Ausmaße angenommen hat und es deshalb kaum einen dringenderen Punkt auf der Agenda der internationalen Politik geben kann, als diesen Krieg sofort zu beenden – diese Behauptung speist sich nicht aus ideologischen Gründen. Es kann nicht mehr länger darum gehen, eine ideologische Debatte fortzuführen, die seit nunmehr einem Jahrhundert festgefahren ist zwischen den Extremen einer religiösen Moral, die Drogen schlechthin als »Sünde« betrachtet, und eines libertären Individualismus, der sich jede Bevormundung durch Staat und Autoritäten verbittet. Worum es gehen muss, ist der nüchterne Blick auf die Empirie – auf Zahlen, Daten und Fakten – und die objektive Bewertung der Gewinne und Verluste, um eine Grundlage zu schaffen für eine pragmatische Entscheidung über eine Beibehaltung oder eine Änderung der bisherigen Strategie. Für einen ersten grundlegenden Befund freilich braucht es keine detaillierten empirischen Belege, sondern nur ein wenig Menschenverstand: Das »Drogenproblem« ist nicht lösbar. Vielmehr produziert die Prohibition das Problem, als dessen Lösung sie sich ausgibt.

Eine Welt ohne Drogen kann es genauso wenig geben wie eine Welt ohne Krankheiten oder ohne Kriminalität. Eine Politik, die derart unerreichbare Ziele durchsetzen will, wird idealistisch genannt und das Streben nach solchen Idealen als ehrenwert angesehen. Wenn aber dieses Streben nach einem bestimmten Ideal – sei es die Drogenfreiheit, der Kommunismus, der Gottesstaat oder was auch immer – mit Gewalt durchgesetzt wird und dabei alle anderen Werte und Ideale zunehmend eliminiert, nennen wir eine solche Politik dogmatisch, fundamentalistisch oder faschistisch. Ein Jahrhundert nach ihrem idealistischen Start ist die Politik des Drogenverbots heute in diesem Stadium angekommen: Sie hat die Probleme des Missbrauchs von Drogen nicht nur nicht gelöst, sie hat sie derart verschärft, dass längst nicht mehr nur die Benutzer von Drogen davon betroffen sind, sondern nahezu sämtliche Bereiche der Gesellschaft auf der ganzen Welt.

Nach den Anschlägen des 11. September 2001 sind die Gefahren des Terrorismus weltweit auf die Agenda der Regierenden gerückt und haben zu zahlreichen Maßnahmen zur Verhinderung und Bekämpfung von Terrorismus geführt. Terror ist ein Thema nicht nur für reißerische Schlagzeilen der Medien, sondern auch für wissenschaftliche Untersuchungen und Analysen, für Ministerialdebatten ebenso wie für Talkshowrunden. Nach den Anschlägen in New York und Washington schürten Medien und Politik die Angst vor unerkannt in jeder Nachbarschaft hausenden »Schläfern«, die auf ein Signal ihres Terrorfürsten Osama Bin Laden hin mit Selbstmordanschlägen angreifen würden – eine Bedrohung, der man nur mit verschärften Sicherheitsgesetzen, Kontrollen und Überwachung beikommen könne. Neue bürokratische Institutionen wie das US-Ministerium für Heimatschutz wurden geschaffen. Mit Schuh- und Shampookontrollen an allen Flughäfen wurde die Bevölkerung weltweit auf die neue Sicherheitslage eingestimmt und soll nunmehr im Rahmen der Terrorbekämpfung auch ihre sämtlichen Kontoauszüge und Bankdaten den US-amerikanischen Sicherheitsbehörden offenbaren.

Erstaunlich indessen ist, dass bei all diesen Maßnahmen und der Publizität des Themas Terrorbekämpfung ein zentraler Aspekt so gut wie unberücksichtigt geblieben ist, nämlich die Frage nach der wichtigsten Finanzquelle des internationalen Terrorismus: dem Drogengeschäft. Dass die Ökonomie des Terrors nicht von Mietüberweisungen und Kleinspenden gefüttert wird – deren Überwachung dann zu einem Austrocknen dieser Finanzströme führt –, sondern von den Milliarden aus dem Drogenhandel, ist zwar alles andere als ein Geheimnis, wird aber dennoch nicht thematisiert. Denn jede Thematisierung und jedes ernsthafte Nachdenken führen zwangsläufig zu einer Infragestellung des Prohibitionsprinzips. So kommt es, dass die EU-Behörden mit den USA jahrelange Diskussionen über die Freigabe sämtlicher Bankdaten zum Zwecke der Terrorbekämpfung führen. Doch über die naheliegende Maßnahme, gegen die gigantischen Profitmargen des Heroin- und Kokaingeschäfts vorzugehen, mit denen sich Terroristen und Warlords finanzieren, wird nicht gesprochen, geschweige denn in irgendeiner Weise politisch gehandelt.

Der Grund für diese öffentliche Verdrängung ist ein Paradox: Der Kampf gegen den Terrorismus, dem sich die internationale Gemeinschaft verpflichtet hat, kann nur dann Erfolg haben, wenn der Kampf gegen Drogen, dem sie sich ebenfalls verpflichtet hat, aufgegeben wird. Oder anders ausgedrückt: Solange der War on Drugs dafür sorgt, dass mit Heroin und Kokain mehr Profit gemacht werden kann als mit jedem anderen Produkt dieser Erde, so lange bleibt jeder Kampf gegen Terrorismus aussichtslos.

Zu den Opfern des Drogenkriegs zählen deshalb nicht nur die toten Junkies, die täglich aus der Toilette eines Bahnhofs oder Clubs geborgen werden, nicht nur die Millionen nicht gewalttätiger Gefangener, die weltweit wegen Drogen in Gefängnissen sitzen, nicht nur die von Beschaffungskriminalität bedrohten Bewohner der Großstädte oder die Bauern und Landbewohner, deren Umwelt durch Chemikalien zerstört wird, die im Rahmen von »Ausrottungsprogrammen« per Flugzeug versprüht werden. Eine noch viel größere Zahl von Opfern schafft der Krieg gegen Drogen indirekt bei Menschen, die nie etwas mit dem Gebrauch, der Gewinnung oder dem Handel dieser Substanzen zu tun hatten, sondern in das Kreuzfeuer rivalisierender Banden und Milizen geraten, die in Mittelamerika oder Afghanistan ganze Provinzen kontrollieren. Und das nicht erst seit kurzem.

1986, mehr als fünfzehn Jahre bevor er gegen George W. Bush um die Präsidentschaft kandidierte, leitete der US-Senator John Kerry als Vorsitzender den »Ausschuss für Terrorismus, Drogen und internationale Operationen«, der den als Iran-Contra-Affäre bekannt gewordenen Skandal um staatlich sanktionierten Waffen- und Drogenschmuggel untersuchte. Dabei wurden unter Federführung des Weißen Hauses illegal Waffen an den Iran verkauft und den »Contra«-Terroristen in Nicaragua Drogengeschäfte gestattet. Seine entsetzten Worte, als er aus den Akten erfuhr, dass der Geheimdienst CIA Drogen ins Land schmuggelte und die Narco-Dollars aus diesen Geschäften zur Finanzierung verdeckter Operationen verwendete, lohnen noch immer, zitiert zu werden: »Was wir zuerst fanden, konnten wir einfach nicht glauben, nein, das ist einfach zu unglaublich. Ich glaube das nicht. Und dann wird es an einer anderen Stelle von jemandem erhärtet, Detail für Detail: die Macht des Narco-Dollars, der ganze Länder kauft und ganze Rechtsinstitutionen – auf beiden Seiten der Revolutionen – und der die Geopolitik in einer Weise ändert, mit der wir wirklich nichts zu tun haben wollen. Und das geschieht nicht nur in Mittelamerika, sondern es geschieht auch im Fernen Osten, und es geschieht im Bekaa-Tal. Ist es wahr oder ist es nicht wahr, dass nahezu alle politischen Gruppen, ob revolutionär oder nicht, Profite aus Drogengeschäften nutzten, um Waffen zu kaufen und ihre Operationen zu finanzieren?«1

Dass der Chef des Geheimdienstes CIA auf diese entsetzte Frage wahrheitsgemäß antworten würde: »Leider ja, Sir. Da Ihr Senat uns die Gelder, die wir zur Stabilisierung unseres geopolitischen Einflusses in insgesamt fünfzig Ländern benötigen, niemals bewilligen würde, sind wir gezwungen, andere Einnahmequellen zu erschließen. Drogengeschäfte bieten sich wegen der hohen Profitraten da ebenso an wie der Waffenhandel, Letzteres vor allem, wenn wir beide Konfliktparteien damit beliefern …« – Mit einer solchen Antwort war natürlich nicht zu rechnen. Nicht weil sie falsch wäre – zu den Fakten, die den Ausschussvorsitzenden John Kerry seinerzeit sprachlos machten, sind noch viele weitere Beweise hinzugekommen –, sondern weil diese Wahrheit mit der nationalen Sicherheit kollidieren würde. Außerdem ist es für die Öffentlichkeit nicht zumutbar, dass im Namen des Staats mit Drogen gehandelt und mit diesen Geldern Terrorismus finanziert wird und dass es sich dabei nicht um vergangene, historische Ereignisse handelt – wie etwa der Aufbau der Contras in Nicaragua oder der Mudjaheddin im Nahen und Mittleren Osten, aus denen dann al-Qaida hervorging, sondern um die aktuelle Finanzierungspraxis zum Beispiel der mit dem Westen verbündeten Warlords und Taliban-Milizen in Afghanistan.

Dass der Junkie, der in der Parkanlage nebenan an verunreinigtem Heroin krepiert, in dessen Herstellungs- und Handelsprozess die Bundeswehr, die am Hindukusch »unsere Freiheit« verteidigt, nicht eingreifen darf, weil dies ihren Auftrag gefährden würde, ist ein Paradox und in der Tat schwer vermittelbar. Denn es bedeutet, dass die » Freiheit des Westens« weniger von den Heroen der Bundeswehr am Hindukusch als von den Heroinabhängigen zu Hause verteidigt wird, die horrende Preise für einen verbotenen und verunreinigten Stoff bezahlen, dessen regelmäßige Produktion und Ausfuhr von unseren eigenen Soldaten und Steuergeldern vor Ort sichergestellt werden – und sowohl ihre lokalen Alliierten als auch ihre Gegner finanzieren.

Beispiele wie dieses zeigen, dass das Festhalten am Prohibitionsdogma und die Fortsetzung des Kriegs gegen Drogen Schäden verursachen, die weit über das Leid der Drogenabhängigen selbst hinausgehen. Und der Kollateralschaden betrifft nicht nur deren Familien und Umfeld, er betrifft ganze Regionen und Länder und damit die internationale Gemeinschaft und das friedliche Zusammenleben der Völker insgesamt. Das Marktvolumen illegaler Drogen wird auf 500 Milliarden US-Dollar jährlich geschätzt, und diese unkontrollierten Ströme von Schwarzgeld, die gewaschen in den legalen Geldkreislauf einfließen, sind eine ernste Bedrohung für die Finanzsysteme. Dass eine rigorose Kontrolle von Graubanken2 und Steueroasen in der Karibik und anderswo auch nach der großen Finanzkrise 2008 nicht gelungen ist, dass sich die Großfinanz und viele Politiker gegen eine radikale Schließung dieser »Geldwaschanlagen« aussprechen, zeigt die immense Bedeutung, die diese Schwarzgeldströme für das legale Finanzsystem haben. Auch hier einmal mehr ein schwer kommunizierbares, aber real existierendes Paradox: Der Kleindealer, der im U-Bahnhof Heroin vertickt, um seinen Eigenbedarf zu finanzieren, garantiert steigende Börsenkurse an der Wallstreet.

Wenn eine Politik mehr Schaden als Nutzen verursacht, wenn eine Schutzmaßnahme mehr Opfer produziert als rettet, wenn ein Gesetz Kriminalität nicht reduziert, sondern fördert und finanziert – dann sollte man davon ausgehen, dass die für die Gesetze, den Gesundheitsschutz, die Politik Verantwortlichen an diesem Missstand etwas ändern. Dass dies nicht geschieht, dass an einem untauglichen und schädlichen System beharrlich festgehalten wird wider besseres Wissen und jede politische Vernunft, lässt nur den Schluss zu, dass der Krieg gegen Drogen außer einem unübersehbaren Kollateralschaden auch so etwas wie einen Kollateralnutzen haben muss.

»Organisierte Kriminalität wirkt von innen. Hätte die Mafia nicht ihre Referenten in der Politik, wäre sie nie zu ihrer Macht gelangt«, sagt der berühmte Mafiajäger Leoluca Orlando.3 Und auch wenn man die italienischen Verhältnisse der Ära Silvio Berlusconis nicht ohne weiteres auf deutsche oder internationale Politik übertragen kann, von der Tendenz her trifft Orlandos Aussage auch dort zu. So zählt zum Beispiel die Lobby der privaten Gefängnisindustrie in den USA zu den größten Spendern an die Kandidaten beider Parteien – zwecks Beibehaltung der Prohibition, die ihnen ihren größten Kundenstamm sichert.

Von diesen und anderen legalen Profiteuren des Drogenverbots wird die Rede sein müssen, wenn man die Frage beantworten will, warum wider jede Vernunft am Prohibitionsdogma festgehalten wird. Dass es ihnen so leicht gemacht wird, liegt an der Dämonisierung, die tief in das kollektive Bewusstsein eingebrannt ist. Und es ist durchaus sinnvoll, für eine Analyse des aktuellen Drogenproblems noch hinter den Mythos von Adam und Eva zurückzugehen, denn auch der Krieg gegen Drogen speist sich nicht aus rationalen Gründen, sondern aus mythologischen. Es ist ein Glaubenskrieg, der weniger mit vernunftgemäßem Handeln zu tun hat als mit einem archaischen Ritual, weniger mit nüchterner, rationaler Politik als mit kämpferischem Irrationalismus: mit einer ebenso willkürlichen wie strikten Trennung von Gut und Böse, von Erlaubtem und Verbotenem sowie dem unverrückbaren Beharren auf diesen Glaubenssätzen und dem aggressiven Kampf für ihre Durchsetzung. Wie alle heiligen Krieger sind auch die Drogenkrieger gegen Vernunft und Logik weitgehend immunisiert. Wie für alle Fundamentalisten sind auch für sie jeder Kompromiss und jede schadensmindernde Realpolitik gleichbedeutend mit einer Kapitulation vor dem Bösen. Und wie in jedem Krieg gibt es Profiteure, die ein gigantisches Geschäft damit machen und allein deshalb alles für seine Fortsetzung tun.

Die guten Intentionen – etwa der Schutz der Gesellschaft vor dem Missbrauch bestimmter Substanzen – waren von Beginn an zwar ein öffentlichkeitswirksamer Aspekt der Drogenprohibition, im Hintergrund aber ging es schon damals um globale Machtpolitik: Das Opiumverbot traf das britische Weltreich an seiner empfindlichsten Stelle, denn seine wichtigste koloniale Finanzquelle waren die Opiumprofite. So konnten die Vereinigten Staaten als junge und »moderne« Imperialmacht, die sowohl Sklaven- als auch Drogenhandel ächtete, leicht die Unterstützung vieler anderer Nationen für eine internationale Prohibitionspolitik gewinnen. Ein Jahrhundert später indessen scheint es einmal mehr an der Zeit, das Vehikel Prohibition für eine epochale, weltpolitische Bewegung zu nutzen – und sie ein für alle Mal zu beenden.

Das erste Kapitel dieses Buchs skizziert die Geschichte der Prohibition als eines der ersten globalpolitischen Gesetze. Dabei ging es den Vereinigten Staaten, den Initiatoren, von Beginn an vor allem um außen- und machtpolitische Ziele und weniger um konsequenten Gesundheitsschutz. Das zweite Kapitel geht dem Geschäft mit illegalen Drogen nach, die dank der Prohibition zu den profitabelsten Handelsprodukten des Planeten wurden und so zu einer Haupteinnahmequelle für Terrorismus, organisierte Kriminalität und die verdeckte Außenpolitik von Militär und Geheimdiensten. »Ohne Opium kein Empire« lautete die Schlussfolgerung einer Finanzanalyse des britischen Weltreichs im 18. und 19. Jahrhundert. Dies gilt angesichts des Opiumbooms in Afghanistan auch heute noch für die Imperialmächte des 21. Jahrhunderts.

Um zu ergründen, warum die in jeder Hinsicht irrationale und destruktive Politik der Prohibition auch nach hundert Jahren immer noch so leicht auf Mehrheiten hoffen kann, blenden wir dann zurück in die frühe Steinzeit, auf die Wurzeln des Kriegs gegen Drogen und den Befund, dass das Zeitalter der Aufklärung in Sachen Drogen immer noch auf sich warten lässt. Tabupolitik und Tendenzwissenschaft regieren das Feld.

Doch nicht nur die desaströsen Auswirkungen der Prohibition fordern dringend eine politische Reform der globalen Drogenpolitik. Die erst in den letzten Jahrzehnten gewonnenen Erkenntnisse über die endogenen Cannabinoid- und Opioidsysteme – jene körpereigenen cannabis- beziehungsweise opiumartigen Substanzen, die im Nervensystem an denselben Rezeptoren andocken wie ihre Verwandten aus dem Pflanzenreich – machen auch eine wissenschaftliche Neubetrachtung des gesamten Drogenkomplexes notwendig. Zumal auf dem Hintergrund sogenannter Neuro-Enhancement-Präparate zur Leistungsverbesserung und Gehirnsteigerung, in denen die Pharmaindustrie einen ihrer großen Zukunftsmärkte sieht.

Wie aber erzieht man den evolutionär mit einer körpereigenen Drogenfabrik ausgestatteten und deshalb zutiefst pharmakophilen Primaten im 21. Jahrhundert zur Drogenmündigkeit und einem verantwortungsvollen Umgang mit dem natürlichen Paradies gleich um die Ecke? Dafür werfen wir am Ende des Buchs einen vorsichtigen Blick in die Zeit jenseits der Prohibition und die Drogenfachgeschäfte der nahen Zukunft. Denn ganz so aussichtslos scheint es nicht, die seit einem Jahrhundert eingefahrene, hochprofitable Maschinerie der Prohibition zur Umkehr zu zwingen. Portugal etwa, wo sämtliche Drogen seit 2001 entkriminalisiert sind, hat in jeder Hinsicht hervorragende Ergebnisse vorzuweisen. Es kam dort weder, wie Befürworter der Prohibition im In- und Ausland befürchteten, zu einem erhöhten Drogenkonsum, noch setzte ein vermehrter Drogentourismus ein. Portugal könnte zum Vorbild für den Rest der Welt werden.

Und in den USA, der Führungsmacht des Drogenkriegs, bröckelt jetzt sogar die Heimatfront: Im November 2010 stimmen die Bürger Kaliforniens, die schon 1996 medizinisches Marihuana wieder erlaubten, jetzt über die Legalisierung für alle Bürger über 21 Jahren ab. Dass im Mutterland der Marihuanadiffamierung nun die größte aller Drogenlügen zurückgenommen und das »Mörderkraut« Hanf rehabilitiert wird, könnte ebenfalls globalen Modellcharakter bekommen, selbst wenn die sich in Umfragen derzeit abzeichnende Mehrheit am Wahltag dieses Mal doch noch nicht zustande kommt.

Aber dass das Modell der Prohibition nach einem Jahrhundert definitiv ausgedient hat, scheint festzustehen. Offen indessen ist, wann eine rationale, schadensmindernde Drogenpolitik an seine Stelle treten kann. Die größte kulturelle Errungenschaft des 20. Jahrhunderts war die Überwindung zweier archaischer, patriarchaler Traditionen: der gewaltsamen Unterdrückung von Frauen und Kindern und der Diskriminierung der Sexualität. Jetzt steht die Überwindung des letzten großen Tabus der Moderne an: das Ende der Drogenlüge.