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RICHARD WAGNER
wurde 1813 in Leipzig geboren. 1825 schreibt Wagner erste Gedichte und nimmt Klavierunterricht. Von 1828 bis 1830 besucht er das Gymnasium in Leipzig und erhält gleichzeitig Unterricht in Harmonielehre durch Christian Gottlieb Müller. Kleinere Kompositionen folgen.

Sein Studium der Kompositionslehre nimmt er im Jahre 1831 auf. Seine ersten Opern entstehen zwischen 1834 und 1840. Im Jahr 1839 muss Wagner mit seiner Ehefrau Minna nach Paris fliehen. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland wird er 1843 zum sächsischen Hofkapellmeister ernannt» In den darauffolgenden Jahren komponiert Wagner seine bekanntesten Werke. 1872 siedelt er nach Bayreuth um, wo 1876 das Festspielhaus mit der Premiere des Ring der Nibelungen eröffnet wird. Am 13. Februar 1883 stirbt Wagner in Venedig an einem Herzanfall.

Zum Buch

Kein Zweifel: Richard Wagner hat im 19. Jahrhundert die Musik revolutioniert. Vor allem seine Leitmotivtechnik und seine Auffassung des Musikdramas als «Gesamtkunstwerk» sind epochemachende Leistungen, und die auf ihn angewandte Bezeichnung «Genie» hat durchaus keinen Beiklang von übertreibung. Anhand der vorliegenden Auswahl seiner Briefe bekommt der Leser einen intimen Einblick in das Seelenleben der bis heute polarisierenden und faszinierenden Künstlerpersönlichkeit. Sie zeigen Wagner als Liebhaber, Kritiker und (politischen) Denker.

Richard Wagners Einfluss auf die europäische Kulturgeschichte ist unschätzbar, sein musikalisches Genie über jeden Zweifel erhaben. Und doch polarisiert Wagner als Denker wie als Künstler bis heute. Wer sich für den Menschen hinter dem unsterblichen Werk interessiert, kommt an der Lektüre der vorliegenden Auswahl seiner Briefe nicht vorbei. Wagner zeigt sich darin als leidenschaftlicher Liebhaber und sorgender Ehemann, Egomane und reflektierter Kritiker, als problematischer politischer Denker und einflussreicher Kunstphilosoph.

Richard Wagner

Wer als Meister ward geboren ...

Richard Wagner

Wer als Meister ward geboren ...

Briefe und Schriften

Herausgegeben von Bruno Kern

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
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Alle Rechte vorbehalten

Copyright © by marixverlag GmbH, Wiesbaden 2013
Der Text basiert auf der Ausgabe marixverlag, Wiesbaden 2013
Der Text wurde ausgewählt und behutsam revidiert
nach der Ausgabe Leipzig, 1880–1898
Covergestaltung: Nicole Ehlers, marixverlag GmbH
Bildnachweis: akg-images GmbH, Berlin
eBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main

ISBN: 978–3-8438–0336-6

www.marixverlag.de

Inhalt

Zum Geleit

Liebe, Leidenschaft und Eitelkeit: Wagner und die Frauen

An Minna Planer (Wagner)

An Mathilde Wesendonck

An Cosima von Bülow (Wagner)

An Bertha Goldwag

Musikerkollegen und Kritiker

An Giacomo Meyerbeer

An Robert Schumann

An Felix Mendelssohn Bartholdy

An Johannes Brahms

An Franz Liszt

An Eduard Hanslick

Dichter und Denker

An Peter Cornelius

An Friedrich Nietzsche

Anarchisten und Monarchen

An Michail Bakunin und August Röckel

An König Ludwig II. von Bayern

Zum Geleit

Kein Zweifel: Richard Wagner hat im 19. Jahrhundert die Musik revolutioniert. Vor allem seine Leitmotivtechnik und seine Auffassung des Musikdramas als „Gesamtkunstwerk“ sind epochemachende Leistungen, und die auf ihn angewandte Bezeichnung „Genie“ hat durchaus keinen Beiklang von Übertreibung. Umstrittener dagegen ist seine Qualität als Dramatiker und Dichter, und seine im Schweizer Exil verfassten „philosophischen“, kunsttheoretischen Schriften („Die Kunst und die Revolution“; „Das Kunstwerk der Zukunft“) zeichnen sich bedauerlicherweise durch einen nicht mehr tolerierbaren Antisemitismus aus.

Wie immer man zu Wagner stehen mag: Das gigantische Ausmaß seines Werkes verschlägt einem den Atem. Es liegt nahe, dass hinter diesem Werk eine Persönlichkeit mit durchaus megalomanen Zügen steht. Alle Dimensionen sprengend, wie in allem, was er anpackt, ist Wagner nicht zuletzt als Briefeschreiber. Über 10.000 Briefe sind von ihm bekannt, allein aus dem Jahr 1867 sind es 3000! Die noch nicht abgeschlossene Publikation seiner sämtlichen Briefe (sie liegen darüber hinaus bislang nur in einzelnen Adressaten gewidmeten Sammlungen und wenigen Auswahlbänden vor) wird dreißig Bände umfassen!

Diese Briefe sind natürlich eine Quelle von unschätzbarem Wert. Sie sind ein Schlüssel zur Biografie des großen Komponisten und machen mit den vielen Facetten seiner Persönlichkeit vertraut: mit den anrührenden, beeindruckenden, problematischen, ja auch befremdlichen oder – bei aller gebotenen Vorsicht – als pathologisch einzustufenden. Sie sind aber gleichzeitig auch Mosaiksteine, aus denen sich ein buntes Bild seines Jahrhunderts erschließen lässt.

Richard Wagner wird hier kein jeder Kritik und Skepsis enthobenes Denkmal gesetzt. Die an seinem Werk Interessierten werden es viel eher zu schätzen wissen, wenn der große Komponist ihnen als lebendiger Mensch in all seiner Widersprüchlichkeit begegnet: als der bis zur Selbstverleugnung Liebende, aber auch Liebesbedürftige, als der sich ständig auf der Flucht – vor Gläubigern und Landesherren – Befindliche und sich nach einem Zuhause sehnende, als der Revolutionär und untergebene Untertan, als der loyale Freund und als der andere für seine Zwecke Benutzende, als der Eitle, Selbstbewusste und für sein Werk alles Riskierende ...

Die vorliegende kleine Auswahl erhebt selbstverständlich keinen „wissenschaftlichen“ Anspruch.1 Sie ist für die „Liebhaber“ gedacht und darf sich deshalb die Freiheit einer gewissen Subjektivität nehmen. Dennoch war ich dabei darauf bedacht, die Persönlichkeit Wagners und die Sphären seines Lebens und Wirkens aus möglichst vielen Blickwinkeln zu zeigen. Und nicht zuletzt hat die Auswahl berücksichtigt, dass ein Band mit Wagner-Briefen vor allem das Herz der Musikfreunde erfreuen wird. Deshalb wurden gerade jene Briefe berücksichtigt, die die Begleitumstände schildern, unter denen ein großes Werk entstanden ist, die die Intention des Dramatikers und Komponisten wiedergeben, die zum Ausdruck bringen, wie er seine Bühnenwerke realisiert haben wollte, wie etwa die Sänger die Rezitative auffassen sollten etc. So kann diese Briefsammlung durchaus auf den Genuss der Wagner’schen Musik einstimmen und vorbereiten.

Bruno Kern

1   Um der besseren Lesbarkeit willen wurde die Orthografie – abgesehen von der Großschreibung der Anrede – unserer heutigen angepasst. Das betrifft auch bestimmte Eigenheiten Wagners, der zum Beispiel eine Zeitlang alle Substantive mit kleinem Anfangsbuchsaben schrieb. Auch die oftmals verwirrende Zeichensetzung wurde vereinfacht.

Liebe, Leidenschaft und Eitelkeit: Wagner und die Frauen

An Minna Planer (Wagner)

Bereits im Jahr 1836, mit 23 Jahren, heiratete Wagner die Schauspielerin Minna Planer (1809–1866). Die Ehe stand unter keinem guten Stern. Wagner gestand rückblickend, dass die frühe Heirat mit einer Frau, mit der ihn geistig allzu wenig verband, ein Fehler gewesen sei.(vgl. dazu auch die Briefe an Peter Cornelius vom 4.3.1862 und an Franz Liszt vom 15.1.1854, S. 177–183 und 151) Das unstete Leben Wagners mit seinen zahlreichen Übersiedlungen, mit seiner Flucht vor Gläubigern bzw. politischer Verfolgung trug Minna großenteils loyal und geduldig mit – abgesehen von ihren amourösen Eskapaden. Das vertrauliche Verhältnis zu Mathilde Wesendonck, der Zürcher Nachbarin Wagners, löste bei Minna allerdings starke Eifersucht aus, sodass das Paar sich schließlich trennte. Um die materielle Lebensbasis für Minna sicherzustellen, sah Wagner von einer formalen Scheidung ab. Trotz seiner notorischen Geldnöte sorgte Wagner stets treu für seine Gattin. Die Briefe an sie bezeugen, dass er auch nach der endgültigen Zerrüttung des Verhältnisses und vollzogenen Trennung um Minna in anrührender Weise Sorge trug und ihr weiter zugetan war. Minna erlag schließlich im Jahr 1866 einem langen Herzleiden. Die Verbindung der beiden war kinderlos geblieben.

Leipzig, den 6. Mai 1835

Mein liebes, liebes einziges Mädchen, schon über vierundzwanzig Stunden von Dir, nachdem ich vorher so oft nach einer Minute geizte. Wie soll das werden! Ich bin durch und durch voll Wehmut und Tränen, und kann mich über nichts freuen, über nichts – nichts! Du bist mir zu lieb geworden – das empfinde ich wohl, Du feinstes, liebes Kind! Wie soll ich mich so bald an die Trennung von Dir gewöhnen, wie könnte es mir möglich sein, Dich zu missen! Du bist ein Stück von mir geworden, und ich fühle in allen meinen Gliedern eine Verstümmelung, wenn Du mir fehlst! – Ach, wenn Du nur halb meine Wehmut teiltest, so wärest Du ganz Liebe und Andenken an mich.

Ich habe noch viel geweint – sag’, warst Du mir bös, über den Brief, den ich Dir noch so spät zukommen ließ? – O, ich wär’ noch bald selbst zu Dir gekommen – aber dann wär’ ich bei Dir geblieben – das wusste ich wohl – und hätte Reise u. alles aufgegeben! – Ach – wer beschreibt meinen einsamen Zustand! – Ja, meine Minna, ich liebe Dich, und bin dabei ein wenig eitel, sieh, ich bilde mir nun ein, ich hätte Dir Leben und Seele eingehaucht, die Du früher nicht hattest, oder die ich wenigstens nicht bei Dir kannte; ich glaubte auch oft, Du liebtest mich doch nicht, aber ich glaube es jetzt, ja, als ich Dir den letzten Kuss gab, da drang all’ Deine Liebe doppelt u. tausendfach in mich! – O mein Leben, vergiss mich nie, verrate mich nie, halte treu an mir, bleib’ meine Minna, und wenn Du je Liebe empfandest, so wende alles mir ganz zu, und lass mich nie mit jemand teilen, Du hast ja selbst mein ganzes Herz! – Hörst Du? Hörst Du? Verrate mich nie! – Du kannst nicht glauben, mit welch’ schmerzlichem Gefühl ich auf Euch alle zurückblicke; tief in meine Seele geht mir’s, Euch in diesen jämmerlichen, entwürdigenden Verhältnissen zu wissen; ich will mir alle Mühe geben, um etwas für die Haas zu tun. Du hast ja meinen Wunsch refüsiert, etwas für Dich zu tun. – Fort müsst Ihr von dort, das ist klar! – Ich hasse jetzt Leipzig u. Magdeburg u. alles, nur Dich liebe ich, o komm’ bald hieher, dass ich Dich sehe u. mich überzeuge, ob Du mich noch liebst! Schreib’ mir umgehend, ob Du mich liebst, ob Du an mich denkst! Schreib! Schreib! Und stärke mich, mein Engel! Bald mehr! Bald mehr! Adieu! Adieu! Gedenke mein, gedenke

Deines Richards.

Reichels Garten, Hintergebäude,
pro Adre.: Rosalie Wagner.

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Magdeburg, den 5. November 1835

Nein, Minna, es kann nicht sein, ich kann es nicht glauben, dass Du von mir gegangen wärest, um nicht wiederzukehren! O dieser gestrige Tag! Schon um des Jammer’s dieses Tages willen müsstest Du wissen, was Du zu tun hättest! Wie mein Schatten wankte ich hier herum; nichts hat mehr Bezug, nichts mehr Interesse für mich. Mein Streben, die Oper, meine Geschäfte, existieren für mich nicht mehr, wenn Du mich verlässt; denn Du warst ja der Brennpunkt, in dem sich mein ganzes Streben u. Wirken dahier konzentrierten; denn nur um Dich zu besitzen, übernahm ich es ja. Mein Kind, noch eine Woche wie diesen Tag, und ich habe mich verzehrt vor Gram u. Kummer; selbst auf der Straße konnte ich meinen Tränen nicht wehren; ach, und Deine Wohnung – wenn ich sie betrete, zerknirscht mich der Schmerz. O Minna, Du machst mich elend, u. bedauerst mich nicht einmal! Mein Herz ist mir gebrochen, alles liegt farblos u. freudenleer vor mir; u. diese Zukunft; was soll ich noch hier? Was? – Kehrst Du mir nicht zurück, u. erfahre ich, dass Du Dich fest in Berlin gebunden hast, so muss ich das als den Treubruch unserer Liebe ansehen; u. dann hält mich auch kein Gott mehr hier; ich bin dann fest entschlossen, einen Verzweiflungsstreich zu begehen; wohin? – mir gleich viel, ich stürze mich dann mit Willen in meinen Untergang, denn es ist unmöglich, dass Du mich noch lieben solltest, nachdem Du diese Tränen u. diese Bitten kalt von Dir gewiesen. – Ich werfe mich dann in ein ganz neues Leben, u. will darin untergehen – O Minna, Mädchen, mit aller Inbrunst, deren die auf den höchsten Punkt gesteigerte Liebe fähig ist, sieh mich Deine Knie umfassen, u. wie ein Verzweifelnder von Todesangst Dich anflehen: Kehre zu mir zurück; komm wieder! So lacht uns bald eine glückliche schöne Zukunft, kommst Du nicht, so ist mein Verderben gewiss! O komm! Komm! Höre diesmal nicht auf die Stimmen der Eitelkeit, mögen sie von Deiner Mutter, oder wem sonst kommen; höre die Stimme der Liebe! Und, warum muss ich denn darum anflehen? Könnte ich denn nicht in einem ganz anderen Tone sprechen? Könnte ich denn nicht auf das Recht der Liebe hin sagen: Minna komm zurück, ich biete Dir hiermit förmlich nach dem Gebrauch meine Hand u. den Ring u. Du gehörst mir. Und, bei Gott, so will ich jetzt sprechen, u. mit Deiner Mutter ebenfalls so. Und jetzt höre: Bethmann war außer sich, u. wollte den Kontrakt als gebrochen ansehen, doch habe ich ihn schon insoweit umgestimmt, dass er Dir diesen widerrechtlichen Streich vergeben wird. Er hat mir bewiesen, dass Romeo u. Julia noch nicht von ihm, sondern von Grabowsky auf seine eigene Hand ausgeteilt sei u. wenn er auch selbst die Julia, die er nicht ganz für Dich geeignet hielt, an die Grabowsky austeilen würde, so solltest Du doch jedenfalls das Gretchen u. die Luzia haben; das sei gewiss. Im Übrigen solle der Glöckner wieder daran kommen, damit Du immer in Deinem vollen Rechte bliebest. Das sind seine eigenen Worte, u. er sprach sie in der Absicht, dass ich sie Dir mitteilen solle. Und Minna, gesetzt auch, Du könntest Dich selbst mit hier nicht wieder einigen, nun, gehörst Du denn mehr dem Theater als mir? Wir verloben uns, Du bleibst bei mir, u. der Rest dessen, was mir noch zu Gebote steht, soll uns so lange durchhelfen, bis uns eine sichere Stellung ganz vereinigt. Minna – mehr kann ich Dir nicht bieten, verschmähst Du dies alles, u. verlässt Du mich dennoch, so wirst Du wohl begreifen, dass ich dann nicht mehr an Deine Liebe glauben kann. Gott sei mit Dir! Amen!

Und damit bin ich zu Ende; ich kann nichts mehr hervorbringen; ich habe jetzt als Liebender u. als Mann gesprochen u. alles wohl überlegt. Tue Du dies auch u. sprich als Weib.

Dein Bräutigam, Richard Wagner.

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Berlin, den 23.–27. Mai 1836

Gestern war mein Geburtstag, das war ein übler garstiger Tag. Keinen, keinen teilnehmenden Menschen! Ach Minna, es ist doch recht elend, ich wüsste nicht, was aus mir werden sollte, wenn mir der Himmel meine Vereinigung mit Dir noch lange vorenthalten sollte. Ich bin stumpf für alles, mein Inneres verzehrt sich, u. ich sehe mehr als jemals ein, nur ein glückliches Leben mit Dir kann mir meine Kraft wiedergeben; dann auch erst, fühle ich, werde ich kräftig u. glücklich als Mann handeln u. wirken können. Jede Hoffnung, die mir einzeln winkt, existiert für mich gar nicht. Mein Kind, ich las eben Deine sämtlichen Briefe der Reihe nach durch, u. freue mich wie ein Seeliger über unsre Liebe; wie hat sie sich entfaltet, u. immer inniger, fester geschlossen! Es rührt mich bis in das innerste Mark. Sieh, meine Minna, ich kann jetzt wieder schmachten, so jugendlich u. sehnsüchtig, wie vor einem Jahre; so heiß, so jung ist noch meine Liebe. Und welch eine Liebe! Welch ein Paar hat sich mehr bewährt als wir? Mitten unter den niederdrückendsten Drangsalen des Lebens, fast erliegend der Last der niedrigsten Bekümmernisse, schmachten wir u. lieben wir uns, als ob uns das Leben gar nichts anginge. Meine Liebe zu Dir ist so kräftig u. kräftiger als sie je gewesen. Ist das nicht schön? Und was haben wir erlebt? Sind wir denn bloß ein Liebespaar, sind wir denn nicht geprüfter u. inniger verschmolzen als manches Ehepaar? Nun denn, wir wollen es durchkämpfen, wir wollen ein Beispiel geben, was wahre Liebe ist u. vermag! – Letzthin sah ich im Opernhaus Fidelio; Schwabe saß neben mir. Bei der Stelle, als Leonore ihren Florestan gerettet hat u. ihn umarmt, stürzten mir die heißen Tränen aus den Augen. Schw. glaubte, dass mich das Spiel so ergriffen hätte; oh, aber was war alles in mir vorgegangen! Wie diese Leonore, dachte ich, ließe wohl auch deine Minna für dich ihr Leben, oder es würde ihr gewiss kein Leiden, kein Drangsal groß genug sein, um dich, wüsste sie dich im Verderben, zu retten, u. diese Minna solltest du verlassen, wie einige kalte Menschen es wünschen? Ein Weib, das mir überall hin standhaft u. liebend folgen würde? Und nicht wahr, meine Minna, das würdest Du? Ich weiß es, Du würdest es, Du hast es mir bewiesen, – u. ich? Was will ich denn, sind wir denn nur noch zu trennen, sind wir denn nicht schon vereinigt, welch ein Band ist denn fester als Unseres? Gibt es ein festeres als das, welches Leiden u. Teilnahme knüpft? Es hat uns vereint, Du bist mein Weib!

Den 24sten Mai.

Jeden Morgen werde ich Dir etwas schreiben, mein Engel, sodass Du ein völliges Tagebuch von mir haben sollst. Nie hatte ich einen so unruhigen Schlaf als jetzt; es peinigt mich früh aus dem Bett heraus, das mich in seiner Einsamkeit nie mehr erquicken kann. Ich kann sagen, ich träume nur von Dir, aber immer beängstigende Träume. Wie wird es werden? Mit Cerf stehe ich auf dem besten Fuß der Welt; er hält sehr viel von mir, u. hat gestern im Kronprinzen laut davon gesprochen, dass Gläser bald verreisen würde, u. ich, so lange er wegbliebe, seine Stelle einnehmen u. meine Oper aufführen sollte. Die Oper ist mir natürlich die Hauptsache, denn auf ein längeres Engagement kann es hier unmöglich abgesehen werden. Meine Hoffnung u. mein Zweck ist höchstens das, dass ich, falls ich mein Engagement in Königsberg nicht sogleich antreten kann, ungefähr 6 Wochen oder 2 Monate hier in Gläsers Stelle bleibe, was mir doch gewiss viel Ehre u. Ruf machen wird; während dieser Zeit führe ich nun hier meine Oper auf u. sind dann die Leute, wie ich hoffe, recht mit mir zufrieden, wofür meine schriftstellerischen Bekannten schon sorgen werden, – so schließe ich, eh’ ich hier fortgehe, mit Cerf einen Kontrakt von künftigem Jahre an ab, denn da ist Kuglers Kontrakt um; versteht sich aber, dass ich mir dann mehr Gewalt als Kugler geben lassen werde, sodass ich mit Gläser alterniere u. auch eine bedeutendere Gage als jener bekomme. Demnach würde ich Ende Sommers nach Königsberg kommen, u. Dich schnell heiraten, u. dann in einem Jahre mit Dir nach Berlin zurückkehren, wo Du dann allenfalls auch gar nicht beim Theater zu sein brauchst, denn bis dahin, denke Ich, sollen mir auch meine Kompositionen etwas einbringen. Das ist nun alles recht gut, u. besser, als ich mir erwartet habe. Das Liebste aber wäre mir doch, wenn ich gleich nach Königsberg kommen könnte; Berlin läuft mir doch nicht fort, u. in Königsberg weiß ich jemanden, der mir lieber ist als Berlin u. die ganze Welt, u. das bist Du, mein Einziges, mein Alles. Berlin ist mir weniger wichtig für die Gegenwart als für die Zukunft. Ach, meine Minna, dürfte ich Dich denn auch so lange allein lassen, könnte ich es denn auch? Du weißt, wie unentbehrlich Du mir bist, Du weißt, was ich ohne Dich bin, ein trostloser, verlassener u. unglücklicher Mensch, dem Atem, Luft u. alles fehlt, wenn Du ihm fehlst. Und das ist keine hohle Redensart, das weißt Du wohl, wie wahr, wie natürlich das ist! O meine Minna, meine Minna! Bist Du jetzt froh, oder leidest auch Du?

Den 25sten.

Von nun an erwarte ich täglich einen Brief von Dir; das ist eine peinliche Zeit! Kannst Du es wohl glauben, dass das ganze große Berlin für mich zu weiter nichts da ist, als in allem nur eine Erinnerung an Dich zu fühlen? Was ist doch im Ganzen dieser Schwabe für ein unbedeutender Mensch, u. doch bin ich viel mit ihm zusammen, weil er unsre Liebe kennt, u. weil ich immer mit ihm von Dir reden kann. Gestern fuhr ich mit ihm, Dedel u. einem Königsberger nach Charlottenburg; es war unter uns unausgesetzt nur von Dir die Rede; es wurde mir auch gesagt, dass Hr. Hübsch, ein sehr hübscher Mann, junger Mann sein solle, u. man wollte mich nun durchaus eifersüchtig machen; diesmal gelang es ihnen aber nicht, denn ich weiß wohl, dass, wenngleich Du auch Dein Bild Hr. v. Barby überlassen hast, was Du mir doch durchaus leugnen wolltest, eine völlige Untreue Dir jetzt jedoch unmöglich sein dürfte, weil ich Dich kenne, dass Du mir herzlich gut bist. Das Verhältnis u. Leben in Königsberg ist mir von mehreren dortigen durchaus nicht so unangenehm geschildert worden, im Gegenteil weiß ich ganz bestimmt, dass es mir dort mit Dir vereint, wie überall, recht gut gefallen würde. Von Wohlbrück aus Riga habe ich erfahren, dass L. Schubert, euer Musikdirektor, jedenfalls zum Herbst nach Riga geht, u. ich demnach, wenn nicht früher, doch dann gewiss zu Dir kommen könnte. Aber bis dahin noch von Dir getrennt zu sein, halte ich nicht aus. Tue alles Mögliche, um mich bald zu Dir zu bringen, ich trag’ es sonst nicht. Wie gesagt, Berlin läuft mir nicht davon, Cerf wird meine Oper am Ende auch ohne mich geben, und einen Kontrakt vom künftigen Jahre an will ich schon herauskriegen. Es hat mir aber jemand gesagt, wir würden uns in Königsberg so gefallen, dass wir nicht so bald fortgehen würden. Nun, Schwabe hat mir schon den schönsten, schwersten weißen Atlas für Dein Brautkleid zurückgelegt; das bring’ ich Dir mit. – Minna, Minna, mein Engel, nur bald, bald. Ich vergehe vor Sehnsucht! –

Den 26sten schreibe ich nun schon, u. ich habe noch keinen Brief von Dir; Du wirst meinen ersten Brief nun schon lange empfangen haben. Ach Minna, meine Unruhe wird nun schon peinlich; es ist mir jetzt nicht nur schon alles andere gleichgültig, sondern es ekelt mich schon alles jetzt an. Nein, Minna, Du kannst die Gewalt meiner Liebe kaum ermessen; vereint mit Dir muss ich sein, oder ich bin für alles tot; ich habe für nichts Sinn, für nichts Lust, nichts hat Bedeutung für mich. Ich bin jung, aber schon hat das Leben kein Interesse mehr für mich allein. Wenn mir irgendetwas glückt, wie jetzt meine Unterhandlungen mit Cerf, so freut mich das nur insofern, weil ich darin einen Schritt zu unserem gemeinschaftlichen Glück erblicke. Ich weiß doch nun, dass meine Oper hier aufgeführt wird, u. das ist doch schon viel wert. Wenn wir nun auch weit fortgehen, so habe ich nun doch hier etwas hinterlassen, was uns wieder die Rückkehr erleichtert. Gefällt nun hier die Oper, wofür mir nicht bange ist, welch einen Schritt habe ich dann vorwärts getan! Denn das bleibt dann der Welt nicht verschwiegen; ich gebe dann hier meine Oper in Kommission, lasse sie in die Zeitungen setzen, u. den Direktionen anbieten, gewinne Ruf u. Geld, u. Du hast einen tüchtigen Mann. Auf jeden Fall bleibt mir dann auch von künftigem Jahre an ein Engagement hier gewiss, u. unter solchen Aussichten kann ich Dich nun gewiss mit gutem Gewissen heiraten, denn ich habe nun auch etwas für unsre Zukunft getan. Um die nächste Zukunft musst indessen Du noch Sorge tragen, denn wenn ich nicht spätestens in 14 Tagen bei Dir sein kann, so komme ich zu Fuße hin u. bettle mich zu Dir. Du musst mich dann aufnehmen u. pflegen, mich armen Sünder, denn länger halte ich es nicht mehr ohne Dich aus, u. Berlin ist mir gesichert u. läuft mir nicht davon. Schreiben, Schreiben, hörst Du? Recht viel, recht Gutes, Alles schreiben, mein süßer Engel, u. Dich nicht vor mir verbergen! Sieh Minna, ist das nicht recht abscheulich, dass ich heute noch nicht erfahren kann, wo Du hier abgestiegen bist? Ich bin nun erst Mittwoch früh hier angekommen, wäre ich aber meiner Abrede gemäß schon Dienstag früh hier angekommen, so wärst Du noch hier gewesen, u. ich hätte nicht gewusst, wo, u. hätte Dich nicht noch einmal sehen können. Ist das Dein Wille gewesen, Du Abscheuliche? Sag’ mir! O Du begehst mitunter so eigentümliche Handlungen, dass ich oft nicht recht weiß, was ich davon denken soll! Das solltest Du denn doch vermeiden, Du weißt, wie empfindlich ich bin. Geh Du, Du abscheuliches, liebes, gutes, süßes Mädchen! Aber nun, schreib’ bald, u. lass mich nicht länger hier zittern u. zagen!

Den 27sten: Heute muss wohl ein Brief kommen; O mein Gott, wie peinlich! Gestern las ich in der Königsberger Zeitung vom 21sten: „Dem Theaterfreunde die freudige Nachricht, dass Fräulein Planer, die liebenswürdige Schauspielerin, die von Magdeburg für die hiesige Bühne gewonnen ist, hier eingetroffen.“ Ach, diese Nachricht hat mich höchst unangenehm berührt. Ich sehe Dich schon fern, fern von mir, als das Eigentum fremder, roher Menschen betrachtet, Du kommst mir gleich gar nicht mehr wie meine Minna vor. Ich sehe, wie sich alle Deiner freuen, u. missgönne allen diese Freude, ich will mich ja nur allein Deiner freuen! Du hast jetzt einen schlimmen Stand bei mir, Minna; vielleicht, wenn es Dir mit dem besten Willen nicht möglich sein sollte, mir augenblicklich das Königsberger Engagement zu verschaffen, werde ich nun doch argwöhnisch, u. glaube, Du wolltest mich nicht bei Dir haben. Du wirst Dir am Ende recht gefallen, u. vergisst mich, denkst nicht mehr an mich! Nein, Minna, das ist wohl nicht möglich, das kann ja wohl gar nicht mehr sein, dass wir uns noch vergessen könnten? Was will ich denn? Verzeih’ mir, nicht wahr, das ist nun nicht mehr möglich, das geht ganz und gar nicht mehr! Nicht wahr, nicht wahr? Du liebst mich ja, Du bist mir wenigstens herzlich gut; u. dafür danke ich Dir Zeit meines Lebens! Mein Engel!

Nach Tisch: Heute Mittag erhielt ich Deinen Brief. Der Eindruck, den er auf mich machte, war zu stark, als dass er mich nicht auf eine Zeitlang sprachlos gemacht hätte. Ich bin selbst jetzt noch zu sehr erschüttert u. bewegt, um alles ganz beantworten u. mich ganz aussprechen zu können; ich will es tun, wenn ich ruhiger bin. Ein Geschöpf so zu lieben, nein anzubeten, wie ich Dich liebe u. anbete, zu wissen, wie warm sie mich wieder liebt, u. doch noch einer längeren Trennung entgegensehen zu müssen, das ist mehr als hart, das ist schrecklich. O, mein süßes, wonniges Weib, mein Alles, mein Alles! Du bist mir mehr, als Du fassen u. ahnen kannst, ein Brief, wie der Deinige, den ich in den Händen halte, ist mir mehr als eine Welt; oh ich könnte rasen vor Liebe zu Dir! Meine Minna, unsre Liebe muss belohnt werden, u., glaube mir, eine Treue wie die unsre ist in diesen Tagen selten. Nun, so bauen wir denn auf den Himmel, auf den Himmel, den wir in unserm Herzen tragen, er muss uns glücklich, glücklich machen! Standhaftigkeit, festen Mut, festes unwandelbares Vertrauen zu uns, u. Fluch u. Schande in alle Ewigkeit, wer die Treue bricht! Harre aus, mein Kind, habe nur einen Gedanken, Deinen Richard, mit all seinem Gram, seinem Schmerz u. seiner Liebe, u. sei eingedenk des Schwurs, den wir unter heißen Tränen wechselten, als wir uns gelobten, nie, nie im Leben uns zu verlassen, voll Mut alles zu tragen, nie in Treue u.Glauben zu wanken! Nun helf uns Gott, also Treue u. Glauben, feste Treue, fester Glauben, dies sei unser Wahlspruch, u. nun mutig den Schmerz ertragen, möge er mir auch den Schlaf meiner Nächte rauben, ich werde jeden wachen Moment mit deinem süßen Bilde beleben, u. will dann nicht mehr schlafen, es ist erquickender, an dich zu denken [...]

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Berlin, vor dem 21. September 1837

Meine Minna,

Soeben habe ich Deinen Brief gelesen; meine beiden letzten werdet Ihr bereits erhalten haben; vielleicht bist Du schon mit Amalien2 auf der Reise begriffen, was das Schönste wäre, obgleich Dich dann dieser Brief nicht mehr treffen könnte; oder Du bist noch in Dresden, jedenfalls aber, hoffe ich, in der Abreise begriffen; solltest Du damit noch zögern, mein Weib, so gebe Gott meinen Zeilen Kraft, Dich schnell dazu anzuspornen, u. jede Stunde, die Du noch zögern könntest, Dir zu entführen. Nichts mehr von allem, mein armes Weib, ich kenne keine Vergangenheit, keine Gegenwart, nichts, nichts mehr, nur ein glühender Wunsch, eine Sehnsucht lebt noch in mir, u. dies zählt jede Minute, bis ich Dich in meine Arme werde schließen können. Was soll denn bis dahin mit mir werden? Krank bin ich auch wieder, ich habe ja keine Pflegerin mehr! Ach, haltet Euch nur warm, nur hab’ mich lieb, u. habt Eile, u. komme bald! Der garstige weite Weg! Sieh mal das dumme Zeug, was ich da in der Rührung u. Freude herausbringe, schönes dummes Zeug, u. immer weine ich! Du hast mich Deiner grenzenlosesten Offenheit gewürdigt, hast jede Falte ausgeglättet, die doch so vielen Jammer u. Schmerz verbargen; bin ich dessen wert? Nein: Unbegrenzte Treue kann ich Dir nur dagegen schenken, nichts weiter. Sieh, was Du damit anfängst! Aber dazu musst Du ja hieher kommen, wie oft ich Dir das sagen muss. Du hörst gar nicht; Du denkst wohl, ich hätte nicht schon längst daran gedacht, wie wir hier wohnen wollten? Sieh, wie ich mir mein Logis mietete (auf ein Jahr), da habe ich gleich auf die beiden großen Stuben gesehen, auf die Küche, damit Du mir doch manchesmal abends was machen kannst, eine Bratwurst oder ein bisschen Eierkuchen, oder Käsekeulchen, u. nun habe ich auch schon in unsrem Haus, gleich an unsrer Treppe eine Wohnung für Amalien gemietet, da sind wir dann doch gleich zusammen, wenn wir mal recht schlampamben wollen. Aber über’s Jahr da mieten wir uns gleich eine großes Logis, wo wir alle noch mehr zusammenhocken können, u. wenn die Amalie dummes Zeug macht, da kriegt sie was, nicht wahr? Na, packt sie nur gut ein, dass die Stimme nicht unterwegs bleibt, denn hier bekommt man nichts mehr nachgeschickt; deswegen musst Du auch unsere Sachen von Königsberg mitbringen. Mach’s nur so, wie ich’s Euch geschrieben habe, wenn Du auch den alten Möller nicht leiden kannst. Es ist so die einzige Art, wie wir die Sachen hereinbekommen. Du kannst ja da gleich dem alten Kerl tüchtig Deine Meinung sagen. Fahrt nur gleich vor meine Wohnung hier vor, auf der großen Schmiede-Straße, bei dem Weinhändler Zau (aber dass Du nicht etwa glaubst, dass ich pichle!!!). Da fragt nur nach dem schlechten Kapellmeister, der gar nichts kann. Bringe nur auch die Betten mit, denn die sind hier sappermenst teuer, wir wollen sie ja auseinanderschneiden, ja doch, ja doch! Na, was soll ich denn nun noch schreiben, meine Minna, lass mich nur ja aufhören, denn es kommt doch nichts als Unsinn heraus; ich bin ganz verdreht! Die Minna kommt wieder, die Minna kommt wieder! Und was sie mir für einen schönen Brief geschrieben hat! Wie wahr, wie offen, wie richtig, und – o mein Gott – wie unglücklich! Du arme, arme Minna, schrei nur nicht so, guter Gnaugust3! Ich habe mir auch schon 2 schwarze Pudel gekauft; wir haben ja doch noch keine Kinder, mit weißen Schnauzen; aber wenn die Kinder kommen, da müssen die 2 schwarzen Pudel fort, nicht wahr? Das wären sonst ein bisschen zu viele Pudeln? Nicht wahr? Ihr werdet doch mit dem Gelde auskommen? Ich will die beiden schwarzen Pudel „Dreck u. Speck“ nennen, meinst Du nicht auch! Packt Euch nur warm ein! Und lass mich jetzt um Gottes Willen aufhören, es hält mich nicht länger auf dem Kanappee; ich muss nun mit Deinem Briefe ein bisschen in der Stube herumtanzen.

Mein Gott, komm nur, komm nur u. zahle tüchtige Trinkgelder, sonst werd’ ich toll. Verzeihe mir schon hier meinen vielen Unsinn, Du bist schuld, Du bist schuld, warte nur, nein, nein, komm nur, u. warte ja nicht, komm, komm, mein liebes einziges Weib zu Deinem

Richard W. W. W. W. W. W.

Hab’ nur keine Angst für meine Schulden, ich einige mich mit ihnen auf das Anständigste, wie, das sollst Du erfahren!

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Genf, den 4. Mai 1850

Liebe Minna!

Ich kann nicht umhin, Dir noch einmal zu schreiben, ehe ich weit fort von Dir gehe. Es ist mir, wie ich es auch wollen musste, unbekannt geblieben, wie Du den entscheidenden Schritt, den ich meinerseits in meinem letzten Briefe Dir verkündete, aufgenommen hast. Da Du so oft schon mit dem Gedanken Dich vertraut gemacht hast, von mir getrennt zu leben und so Deine Unabhängigkeit wieder zu gewinnen, so vermute und hoffe ich auch, dass Du vielleicht wohl verwundert, nicht aber erschreckt über meinen Entschluss geworden bist. Ich für mein Teil lebe der Hoffnung, dass sich in der Trennung die gegenseitige Erinnerung an unser beider vergangenes Leben wohltuender und selbst tröstender gestalten wird als bei fortgesetztem Zusammenleben dies der Fall gewesen sein würde, in welchem die fortgesetzten Reibungen unserer von Grund aus verschiedenen und sich entgegenstehenden Naturen nur Gehässigkeit und freudloses Dasein hätten erzeugen können.

Die Nachricht, die ich Dir heute mitteilen darf, bestimmte mich aber ganz besonders, noch einmal an Dich zu schreiben, weil ich das Gefühl habe, als müsse sie geeignet sein, Dir alles vielleicht Bittere unserer Trennung zu mildern. Soeben stehe ich nämlich im Begriffe nach Marseille abzureisen, von wo ich sogleich mit einem englischen Schiffe nach Malta abgehe, um von da aus Griechenland und Kleinasien zu bereisen. Ich fühlte von je, und namentlich am stärksten auch in der letzteren Zeit, das Bedürfnis, aus dem bloßen Bücher- und Gedankenleben, das für mich so verzehrend ist, herauszugehen, um mich noch einmal in der Welt etwas umsehen zu können. Für jetzt ist die moderne Welt hinter mir geschlossen, denn ich hasse sie und mag nichts mehr mit ihr, noch mit dem, was man heutzutage in ihr „Kunst“ nennt, zu tun haben. Deutschland kann für mich erst wieder ein anregendes Feld sein, wenn alle Zustände in ihr gänzlich umgeändert sind: alle Bemühungen, mit Ihnen mich in EInklang zu setzen, können mich nur grenzenlos unglücklich machen und mein Leben mir immer mehr verleiden. [...]

Für Dich, liebe Minna, glaubte ich nun, müsste diese Nachricht etwas Beruhigendes – falls Du dessen bedarfst – haben: Ich hoffe, Du gönnst mir unter allen Umständen die Ausführung meines Vorhabens, und – solange Du Dich nicht vollständig von mir scheiden zu müssen glaubst – erhältst Du hier einen guten Grund gegen jedes öffentliche Aufsehen, Du kannst aller Welt sagen: Nach dem Aufgeben meiner Pariser Pläne hätte ich gefunden, dass ich für jetzt weder in Deutschland noch in Frankreich etwas mir Entsprechendes und Nützliches zu tun hätte; dass ich demnach willig eine Gelegenheit ergriffen hätte, die sich plötzlich mir darbot, einen alten Lieblingswunsch ausgeführt zu sehen, nämlich eine Zeitlang Griechenland und den Orient zu besuchen und dass ich endlich – sowohl wegen drängender Gelegenheit, als auch um mir das Schmerzliche eines persönlichen Abschiedes zu ersparen – ohne Dich noch einmal zu sehen auf die Reise gegangen sei. Hiermit sagst Du nichts Unwahres, zumal in Bezug auf den letzten Punkt. Es wäre mir unter allen Umständen ganz unmöglich gewesen, Dich noch einmal in Zürich zu besuchen, Dich zu sehen, von Hund und Vogel Abschied zu nehmen. So sehr ich jetzt gelitten habe, so hätte mir jener persönliche Abschied jedoch wahrscheinlich alle Zukunft zerstört. Glaube mir! Es musste so sein! Es ist besser für Dich - wie für mich.

Lass uns denn so jetzt getrennt sein! Bleiben wir gesund, ändern sich die Zeiten und Verhältnisse, so haben wir ja die Hoffnung, uns wiederzusehen. Gut aber wird uns jetzt die Trennung tun! –

Von London aus erhältst Du bald das Nötige zu Deinem Leben: Willst Du mich herzinnigst erfreuen, so gestalte Dir Deine Existenz so angenehm wie möglich; lege Dir irgendwo ein kleines Gärtchen an, pflege Hund u. Vogel, und – hoffe auf die Zukunft. [...]

So lebe denn wohl, liebe Minna! Hart geprüfte Frau, der ich leider keinen Ersatz geben kann, die ich – um sie selbst vielleicht zu heilen – sogar verlassen muss. Lebe wohl, und kannst Du, so gedenke meiner in Gutem! Nachricht sollst Du von mir erhalten, und auf ein Wiedersehen dürfen wir ja wohl auch noch hoffen!

Grüße Deine Eltern, grüße unsre Freunde! Zürnet mir nicht, dass ich von Euch scheiden musste!

Leb wohl! Leb wohl! Liebe, gute Minna! Leb wohl

Sonnabend, 4. Mai 1850. Dein Richard W.

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Genua, den 1. September 1853

Ach, Mienel! Mienel! So was hab’ ich denn doch noch nicht gesehen, wie dieses Genua! Das ist etwas unbeschreiblich Schönes, Großartiges und Eigentümliches: Paris und London schwinden mir zu öden, formlosen Häuser- und Straßenmassen zusammen, gegen diese göttliche Stadt! Ich wüsste wahrlich nicht, wo und wie ich anfangen sollte, Dir den Eindruck zu schildern, den dies Alles auf mich gemacht hat und fortwährend ausübt: Ich habe gelacht wie ein Kind und konnte schwer meine Freude verbergen! Anstatt eine unmögliche und unnütze Beschreibung zu versuchen, will ich Dir bloß meine Reise berichten.

GrimaldiFiescoBrignolemeinemGenuamusstDugucken!!Thalberg