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66 Lieblingsplätze

und 11 Seen

Sonja Ullrich

Ruhrgebiet

Für Zechenkinder und Badenixen

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Inhalt

Impressum

Das Ruhrgebiet

eNTLANG DES nIEDERRHEINS

1  Der 100-Stundenkilometer-Distrikt

2  »Wie heißt der Bürgermeister von Wesel?«

1/11  Outdoor-romantik bei Musik und Wein

3  Erholung staatlich anerkannt

4  Eine Krypta für neuzeitliche Märtyrer

5  Das Alte Rom zum Greifen nah

2/11  Wo man Kaffee und Kuchen auf Flößen verspeist

3/11  Strohschirme nur für die frühen Vögel

6  Shoppen mit niederfränkischer Mundart im Ohr

7  An der Straße der Gartenkunst für Rhein und Maas

8  Drehscheibe am Niederrhein

Entlang der Lippe

9  Die Goldmedaille fürs Fischerdorf

10  Münsteraner Gefühle im vest

11   Münster für Anfänger

4/11  Anders als See Nummer I, III und IV

12  Eine Landmarke für Waltrop

5/11  Dörfliche Ferien am Baggersee

13  Eine schlanke Mathilde für Lünen

14  Wo die echte Küche Italiens hofiert

15  Ein Stückchen Lüner Bergmannsgeschichte

6/11  Wo man in ›Preußen‹ Urlaub macht

16  Dörfliches Flair zwischen Lippetal und Lipper Höhen

17  Nautische Gefühle in der Kanalsackgasse

18  Die Elefantenstadt am Ostzipfel

19  Eine Begegnung der flatternden Art

20  Mitbeten ausdrücklich erlaubt!

7/11  Die Wasserski-Seilbahn ist der Renner

Entlang der Emscher

21  Ein besseres Zentrum für Oberhausen?

22  Die kleinen Reize sind entscheidend

23  Theateraufführungen Open Air in 126 Metern Höhe

Maloche als Touristenattraktion

24  Wo Alaska Asien küsst. Und Afrika.

25  Trekking für Abgedrehte

26  Luxusfutter für Ückendorf

27  Die Zeit zurückdrehen im ›Westfälischen Rothenburg‹

28  Stadt der Ruhrfestspiele

29  Eine Tierparade für die Bierstadt

30  Das U leuchtet wieder

31  Als Bleivergiftung zum guten Ton gehörte

32  Eine Blumenoase mitten in der Großstadt

33  Burgruinen im Luxusviertel

34  »Nichts geht mehr!«

8/11  Die Emscher hat wieder geöffnet

35  Eine Kreisstadt – aber irgendwie doch nicht

36  Artist sein und Artist werden in der Zirkusschule

Entlang der Ruhr

37  Für einen Besuch, der nötig ist

38  Brotkorb des Ruhrgebiets

39  Mäuschen spielen im größten Binnenhafen Europas

40  LED-SPektakel am Nachthimmel

9/11  Für jeden etwas dabei

41  Planschen an der A 40

42  Fürs Rennpferd des kleinen Mannes

43  Wo nicht nur Kinderaugen funkeln

44  Das gute alte auf der ›Rü‹

45  Eine Begegnungsstätte jüdischer Kultur

46  Eine Kinderhilfe im Grugawald

47  An der schönsten Zeche kommt keiner vorbei

Wo feste gefeiert wird

48  Eine Gartenstadt Für Bertha

49  Da, wo mehr Kettwig als Essen ist

50  Eine Landoase für Fuchs und Has

10/11  Der größte Stausee im Pott

51  Tief im Westen

52  Das ›Schwarze Gold‹ an der Pauluskirche

53  Alte Wiesen in einer alten Stadt

54  Seppel hat länger ausgehalten

55  Fesselnder Weltraum

56  Gärtnerische Schönheit mit Mini-China

57  Hier gibt’s die beste Currywurst im Revier

58  Eine Oase für Fachwerkliebhaber

59  Bochumer Geschichte in Hattingen-Blankenstein

60  Bloß die Kinder mitnehmen!

61  Ungeahnte Vielfalt im Niemandsland

62  Ein unterirdisches Wahrzeichen

63  Bio-Brot mal anders

64  In den Seilen hängen in Wetter

11/11  Die Keimzelle kreiselnder Inliner

65  Märchen-Events im Märchenschloss

66  Ein Stück Hagener Geschichte

Bildverzeichnis

Karte

Lieblingsplätze im Gmeiner-Verlag

Belletristik im Gmeiner-Verlag

Das Ruhrgebiet

Vorwort

Was ist es uns doch auf die Nerven gegangen: Das Ruhrgebiet, Heimat der Hochöfen, Kohleflöze und Eisenhütten, wurde urplötzlich zur ›Metropole Ruhr‹, ihre Einwohner zu ›Ruhris‹ sowie sämtliche Industrieruinen zu Kulturdenkmälern erklärt. Plötzlich war aber auch alles schön. Selbst den funktionalen, zwei Mal zwei Mal Meter großen und zumeist nach Bier müffelnden Trinkhallen wurden Bildbände gewidmet. Und Kindern war es ab sofort untersagt, in den Fußgängerzonen nach dem gurrenden Geflügel, dem ›Rennpferd des kleinen Mannes‹, zu treten. Schuld an alledem war das Kulturhauptstadtjahr 2010, für welches die Stadt Essen federführend die RUHR.2010-Flagge hisste – und verdammt viel Geld in die kulturelle Entwicklung der Region pumpte.

Das Ruhrgebiet – das sind 53 Städte, drei Nebenflüsse des Rheins sowie mehr als fünf Millionen Einwohner. Nach außen hin gilt es als das drittgrößte Ballungsgebiet Europas. Von innen gesehen sieht es mit der geballten Kraft jedoch ganz anders aus: Hier gibt es keine ›Ruhris‹, sondern Dortmunder, Essener, Duisburger und so weiter (besonders auf den Fußballtribünen). Nördlich der Lippe will man sogar lieber Münsterländer sein. Ähnlich sieht es im niederrheinischen Kreis Wesel und in Hagen aus; dort wussten Vereinzelte bis vor 2010 gar nicht, dass sie zum Regionalverband Ruhr gehören.

Das Projekt RUHR.2010 jedoch hat mit so einigen Gerüchten und Halbwahrheiten aufgeräumt und klargestellt: Zum Ruhrgebiet gehören die kreisfreien Städte Bochum, Bottrop, Dortmund, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Hagen, Hamm, Herne, Mülheim, Oberhausen sowie die Kreise Recklinghausen, Unna, Wesel und Ennepe-Ruhr. Und deren individuelle Schönheit liegt ganz im Auge des Betrachters. Letzten Endes kommt es aber eher darauf an, von welcher Seite man ins Ruhrgebiet einfährt.

An der Westspitze entlang des Niederrheins erstreckt sich der Kreis Wesel, ein teilweise ländliches Areal mit fast niederländischem Flair, welches sich umso bemerkbarer macht, je weiter man sich von den östlich angrenzenden Industriehochburgen Duisburg (Lieblingsplatz 37) und Oberhausen entfernt. Hier führt übrigens kein Weg an Xanten (Lieblingsplatz 3) vorbei, der uralten Nibelungenstadt, in welche nicht nur ›Ruhris‹ einkehren, um zur Ruhe zu kommen. Gleiches gilt für die Xantener Nord- und Südsee (Lieblingsplatz 2/11). Nicht grundlos campieren die Wohnwägen hier über Jahre hinweg an gleicher Stelle.

Am Nordzipfel des Reviers, östlich von Wuppertal, lockt der Ennepe-Ruhr-Kreis (Lieblingsplatz 61) mit einer ähnlichen, eher ländlichen Betriebsamkeit den Wander-, Kanu- und Radfahrtourismus in die Gegend. Die kreisangehörigen Städte haben fast Dorfcharakter, nirgendwo sonst im Pott kann man so viele mittelalterliche Fachwerkhäuser, Hügel und Bäume bestaunen. Als Vorzeigestadt sei hier unbedingt Hattingen (Lieblingsplatz 58) erwähnt, die Perle der Fachwerkkunst im Kreisgebiet.

Zwischen Ruhr und Emscher, sozusagen im ›mittleren Westen‹, befindet sich das schwerindustrielle Zentrum der Region. Dessen Geschichte ist eine häufig gespielte Schallplatte im Revier: Alles begann mit den Eisenhütten in Oberhausen. Dann revolutionierte die Dampfmaschine den Bergbau (wohlgemerkt in Bochum auf Zeche Vollmond im Jahre 1799) – und die Produktion kam richtig in Fahrt. Um die 170 Zechen förderten parallel Millionen Tonnen von Kohle pro Jahr. Zunächst im Süden, entlang der Ruhr. Dann folgte der Bergbau dem Flöz nordwärts in die Tiefe, hoch zur Emscher bis hin zur Lippe. Die Einwohnerzahlen der Industriestädte explodierten und selbst heute, 60 Jahre nach der Kohlenkrise, pulsiert im industriellen Speckgürtel kaum eine Stadt mehr unter einem sechsstelligen Bereich. Das Landschaftsbild ist hier äußerst markant: Halden mit Kunstinstallationen wie bei Prosper Haniel (Lieblingsplatz 23) bilden ein künstliches Mittelgebirge, Fördertürme ragen zwischen Konzernbauten und Wohngebieten alle paar Kilometer aus dem Boden. Ihre angerosteten Räder drehen sich schon lange nicht mehr. Und trotzdem will man sie nicht niederreißen. Vielleicht wartet man auf bessere Zeiten. Wahrscheinlicher ist, dass da einfach zu viel Herzblut dranhängt.

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Entlang des Niederrheins

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1  Der 100-Stundenkilometer-Distrikt

Kreis Wesel

Jenseits von Moers, westlich des Niederrheins, betreten Zechen­touristen, Kohleflözfotografen und Freunde der Eisenhüttengaudis den überdimensionalen Landstraßendistrikt: Kreis Wesel. Ein hartes Brot für ebensolche, die bislang Fördertürme, Hochhausreihen und Zehn-Minuten-Takt-Züge gewöhnt waren. Dass dabei der Blick mehr als öfter auf der Landkarte landet, ist also ein bekanntes Symptom. Ein streikendes Navi übrigens auch.Seit Verlegung der B 57 durch Xanten sind ältere Karten und Stadtpläne, auf denen Navigationsgeräte basieren, nämlich unbrauchbar geworden.

Der Kreis Wesel – das sind 470.000 Einwohner auf einer Fläche von 1.042 Quadratkilometer. Nur, um sich die Zahlen auf der Zunge zergehen zu lassen: Die Fläche der Stadt Essen entspricht einem Fünftel des Landkreises, hat aber gut 100.000 mehr Einwohner zu verzeichnen. Wie sich diese Statistik auf die Stadtentwicklung niederschlägt, sieht man, wenn man den Weg aus dem Osten durch Hünxe querfeldein bis nach Xanten einschlägt. Auf dieser Strecke verfehlt man weder den breiten von Deichen und Auen umgebenen Rhein noch die Ausschilderungen zur Bislicher Insel in Wesel, einem Naturschutzgebiet, welches bei Beginn der Wintermonate als Herberge für rund 200.000 Wildgänse dient – jedes Jahr ein Naturschauspiel. Dazwischen bewegt man sich auf gut ausgebauten Landstraßen an Weiden, Wiesen, Wäldern und bestellten Feldern diverser Bauernhöfe vorbei. Fahrten von A wie Alpen nach X wie Xanten ziehen sich – doch zumindest verplempert man die Zeit hier nicht im Stau, wie zwischen den Kohlebrutkästen Essen oder Duisburg, sondern kann sich an den Anblicken bunter Kühe und Pferde entlang der Wege erfreuen.

Nichtsdestotrotz hat der Kreis auch eine gut gewachsene Städtestruktur vorzuweisen. Insbesondere Moers, Wesel und Dinslaken halten einige attraktive Shoppingmeilen in der Fußgängerzone parat. Vorwiegend aber kommen die Naturverbundenen inmitten der ›grünen Lunge‹ des Ruhrgebiets zu Wasser, zu Lande und auch in der Luft voll auf ihre Kosten – wie bei einer Ballonfahrt zum Beispiel.

Tipp: Das Radfahren macht im Kreis Wesel ganz besonders viel Spaß, insbesondere entlang des Rheins. Hier können fast tausend Kilometer lange, ausgeschilderte Radrouten befahren werden.

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EntwicklungsAgentur Wirtschaft (EAW) ///

Reeser Landstraße 41 ///

46483 Wesel ///

2  »Wie heißt der Bürgermeister von Wesel?«

Wesel

Der Beitrag über Wesel hätte genauso gut in die Reihe ›Entlang der Lippe‹ gepasst. Immerhin mündet die Lippe bei Wesel in den Rhein. Doch da sich das Ruhrgebiet weniger mit dem Rhein als mit seinen drei Nebenflüssen identifiziert (was übrigens auf Gegenseitigkeit beruht), soll an dieser Stelle die Werbetrommel mehr für den Niederrhein gerührt werden – sowie für jene Stadt, die den größten Flussanteil im Kreis besitzt. Bliebe da nur eine Frage offen: »Wie heißt der Bürgermeister von Wesel?«

Esel! Einen Herr oder Frau Esel als Bürgermeister hat es allerdings dort nie gegeben. Und wenn doch, dann definitiv vor 1269. Doch Wesels Bürgermeister müssen sich hinter keinem Echo-Gedicht verstecken. Denn die Stadt ist alles andere als arm an Bürgermeisterpersönlichkeiten. So befanden sich unter ihnen Adelsgeschlechter wie ein werter Herr von Cotzhausen, aber auch der Großvater von Konrad Duden, dem Erfinder des orthografischen Wörterbuchs – die Familie Duden gehörte zu den Weseler Alteingesessenen. Enkelsohn Konrad verließ nach dem Abitur 1846 allerdings die Stadt und reiste mitunter nach Italien. Sein berühmtes Wörterbuch erschien 1880 in Bad Hersfeld, sein Grab befindet sich ebenda.

Wesel ist eine Stadt voller geschichtsträchtiger Facetten. Ein markantes Ziel im Zentrum ist das von Kurfürst Friedrich Wilhelm I. initiierte Berliner Tor, welches 1722 eingeweiht, 1892 aber weitestgehend wieder abgebrochen wurde. Heute ist es ein beliebter Treffpunkt, unter seinem Schatten finden Märkte und ähnliche Veranstaltungen statt. Gleichermaßen eindrucksvoll erschließt sich die Zitadelle aus dem 19. Jahrhundert, welche heute als Museum dient. Der nach einem Friesenmissionar benannte Willibrordi-Dom ist besonders abends, bei indirekter Beleuchtung, einen Besuch wert. Die Gebäude bilden einen markanten Kontrast zur topmodernen Niederrheinbrücke, die 2009 eingeweiht wurde, sowie die hin und wieder auftauchenden, bunten Eselsfiguren. Denn selbstverständlich ist der Tierparaden-Boom an der Keimzelle des Esel-Echo-Gedichtes nicht so einfach vorbeigegangen.

Tipp: Naturbegeisterte kommen im Diersfordter Wald voll auf ihre Kosten. Per Rad stoßen Sie dort auf Dammwild, Mufflons und zahlreiche Vogelarten. Die dortigen ›schwarzen Wasser‹ sind ein besonderes Naturschauspiel.

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WeselMarketing GmbH /// Großer Markt 9 /// 46483 Wesel ///

02 81 / 1 63 69 91 /// www.weselmarketing.de ///

1/11  Outdoor-romantik bei Musik und Wein

Wesel – Auesee

Anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der Tauchergemeinschaft Wesel versenkten die Vereinsmitglieder nach einjähriger Vorbereitungsphase das kleine Schiffswrack Poseidon direkt vor ihrer Haustür im Auesee. Ein halbes Jahr später musste Ferdinand dran glauben, ein Skelett. An einem Baum geknotet schaut er in Richtung Norden zur Poseidon. Seine Position: Von der Slipanlage links fünf Minuten, dann null Grad bis auf sieben Meter Tiefe.

Nicht nur bei Tauchern ist der Auesee ein heiß begehrtes Ziel. In den Sommermonaten herrscht trotz augenscheinlich ausreichender Fläche Parkplatznot und auch entlang der 60.000 Quadratmeter großen Liegewiese mit schmalerem Sandstrand kann von idyllischer Ruhe kaum die Rede sein. Bei Hitze steppt am Auesee förmlich der Bär. An den Uferböschungen im Flachwasser planschen die Kleineren und Nichtschwimmer, die Surfabteilung kehrt am Nordstrand ein, die Tauchgemeinschaft hat ebenfalls einen abgesteckten Bereich. Keine Frage, dass die dortige DLRG auf alles und jeden aufpassen muss. Mit Ausnahme der Beachvolleyballer, Frisbee-Werfer und Minigolfer vielleicht.

Hier erfreut man sich an einer vielfältigen Population: Fische, Krebse und Muscheln unter sowie Vögel über Wasser, die auf ihrer eigenen Insel brüten. Im westlichen Bereich erstreckt sich außerdem ein strenges Naturschutzgebiet – hier gilt: Betreten verboten. Dabei schließt sich mit dem Auesee, der durch Auskiesung der Rheinwiesen in den 80ern entstanden ist, der Renaturierungskreislauf. Der Sand- und Kiesabbau hat am Niederrhein eine gut hundertjährige Tradition. Und die Nachfrage bleibt konstant, was vor allem der Bauindustrie geschuldet ist – Beton besteht zu großen Teilen aus Kies und Sand. Doch die Nassgrabungen, die den Ruhrgebietlern Wasserlandschaften wie die Sechs-Seen-Platte in Duisburg, die Xantener Seen und auch den Auesee in Wesel beschert haben, müssen langsam dem trockenen, lärmenden Lkw-Transport weichen. Naturschützer und Industrielle prallen deswegen seit Jahren aneinander.

Tipp: Behalten Sie die Veranstaltungstermine auf der Website der Stadt Wesel im Auge, denn während einer Regatta ist der See für Gäste komplett gesperrt.

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Stadt Wesel /// Herzogenring 34 /// 46483 Wesel ///

02 81 / 2 03 23 20 /// www.wesel.de ///

3  Erholung staatlich anerkannt

Xanten

Spätestens seit RUHR.2010 identifiziert sich die Römerstadt Xanten, die neben zwölf weiteren Städten um den Titel der ältesten Stadt Deutschlands buhlt, auch als Stadt des Ruhrgebiets. Tatsächlich hat es hier keine Zeche gegeben – ihr Anschluss an den Pott ist nur ihrer Angehörigkeit an den Kreis Wesel geschuldet, zu dessen Gebiet die Kohlenpottstädte Moers und Dinslaken gehören. Man kennt ihn aber auch als ›Grüne Lunge des Ruhrgebiets‹.

Die meisten Touristen zieht es nach Xanten, einfach weil die Stadt verdammt alt ist. Immerhin blickt sie auf eine mehr als 2.000-jährige Geschichte zurück, die ihren nachweislichen Anfang mit der Errichtung der römischen Legionslager nahm. Nicht ohne angemessenen Stolz tituliert sich Xanten daher auch als Römer- und Domstadt sowie ›Geburtsort‹ des sagenhaften Siegfried, seines Zeichens Held und Drachentöter aus der Nibelungensage. Ihm zu Ehren hat die Stadt das SiegfriedMuseum errichtet, welches an sämtlichen Werk- und Feiertagen seine Pforten öffnet und eine anschauliche Ausstellung über das Nibelungenlied präsentiert. Unterdessen schmückt sich eine Turmwindmühle fernab der Stadtmauern mit seinem Namen. Sie bildet damit das Gegenstück zur Kriemhildmühle, einer auf einem Festungsturm errichteten Getreidemühle, die auch heute noch von einem Müller und Vollwertbäcker betrieben wird und besichtigt werden kann. Bei gutem Wind und trockenem Wetter lädt im Rücken der Mühle eine satte Wiese zu einem Picknick ein, die schlagenden Segel als eindrucksvolle Kulisse dienend.

Doch man muss kein Kenner der historischen Mythen sein, um sich von dem Charme der Stadt einfangen zu lassen. In jedem Winkel besticht die Stadt am Niederrhein mit ihrem nostalgischen Charme. Der Stadtkern, in liebevoller Kleinarbeit restauriert, haucht den Besuchern gleichermaßen Behagen und Ehrfurcht ein, wenn man unter den Schatten des Gotischen Hauses, dem Klever Tor oder dem St.-Viktor-Dom spaziert, dem wohl größten Dom zwischen Köln und dem Meer.

Tipp: Der Jüdische Friedhof Am Heesberg besticht durch eine alte Bestattungskultur in drei konzentrischen Kreisen. Das älteste Grab stammt von 1767.

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Tourist Information Xanten GmbH ///

Kurfürstenstraße 9 /// 46509 Xanten /// 0 28 01 / 9 83 00 ///

www.xanten.de ///

4  Eine Krypta für neuzeitliche Märtyrer

Xanten – St. Viktors Dom

Heinz Bello war kein Kind Xantens. Geboren in Breslau, wuchs er im Weseler Schillviertel auf. Im Alter von nur 24 Jahren starb er während des NS-Regimes, welchem er sich nicht beugen wollte. Seine sterblichen Überreste wurden von Berlin über Wesel bis nach Xanten in die neue Krypta des Doms St. Viktor gebracht, welche im Jahr 1966 für NS-Märtyrer erweitert und hergerichtet wurde. Anders als Bello hat dieser den Weltkrieg überstanden – wenn auch mit Schäden.

Das Märtyrerdenkmal hat im Dom St. Viktor eine lange Tradition: Im 4. Jahrhundert sollen Viktor von Xanten und seine Kohorte den Märtyrertod gestorben sein, weil sie sich weigerten, den römischen Göttern zu opfern. Für, aber nicht wegen St. Viktor, soll Kaiserin Helena von Konstantinopel dann eine Märtyrerkapelle errichtet haben. Die Kapelle soll es nach archäologischen Befunden tatsächlich gegeben haben. Die Suche nach dem heiligen Viktor erweist sich allerdings als schwierig. So schwierig, dass man sich auf den Passus geeinigt hat, der Begriff ›Victor‹ sei mehr als Ehrentitel (Sieger Christi) zu verstehen denn als Name oder Person.

Dass der Dom selbst von einigen märtyrerähnlichen Toden bedroht wurde, ist historisch belegt: Vollendet im Jahre 1544, 281 Jahre nach Grundsteinlegung, wurde er 1802 von Napoleon säkularisiert, schließlich ein halbes Jahrhundert der Verwahrlosung überlassen sowie 1945 von Fliegerbomben massiv beschädigt. Walter Bader sei Dank wurde der Dom nach Kriegsende restauriert. Die 1936 geweihte Krypta erhielt mehr Raum für eine Gedenkstätte neuzeitlicher Märtyrer unter dem NS-Regime. Dieses Grabgewölbe ist kühl, die Beleuchtung punktiert die weißen Gedenktafeln entlang der Mauern. Das andächtige Schweigen ist hier ohrenbetäubend, während es die Touristen oben im Langhaus eher wagen, im Flüsterton zu kommunizieren. Aus Tradition. Oder aus Sorge, dass die leidvoll blickenden Schnitzfiguren an den 24 Altären aufgeweckt werden.

Tipp: Betrachten Sie auch den aufwendig gepflegten Innenhof sowie den Obelisk auf dem Domplatz.

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Tourist Information Xanten GmbH ///

Kurfürstenstraße 9 /// 46509 Xanten ///

0 28 01 / 9 83 00 /// www.stviktor-xanten.de ///

5  Das Alte Rom zum Greifen nah

Xanten – Archäologischer Park

Die Stadt Colonia Ulpia Traiana existiert heute nicht mehr. Zumindest nicht auf map24.de oder im Telefonbuch. Tatsächlich wurde sie um 275 von den einfallenden Franken zerstört. Nichtsdestotrotz herrscht ein reges Treiben an jener Stelle, an welcher einst der römische Kaiser Trajan die germanische Kolonie errichtete: Die Arena ist bis auf den letzten Platz ausgebucht, der Museumsführer zündet für Führungen bereits die antike Funzel an.

Die Nachbildung der Überreste des 27 Meter hohen Hafentempels ist das Wirkungsträchtigste, was man bereits aus der Entfernung sieht. Und es ist schwer, an diesem einfach nur vorbeizufahren. Stattdessen dreht man den Kopf ein wenig weiter, um Blicke von den Wehrtürmen und den Dächern der hinter den Hecken liegenden Herberge zu erhaschen. Währenddessen setzt sich der Blinker zum Parkplatz beinahe wie von selbst. Man möchte einfach noch mehr sehen.