Gerhard Vogl • Wort-Gefechte

Gerhard Vogl

WORT-GEFECHTE

Sprachliche
Gemeinheiten

aus Politik,
Kunst,
Wirtschaft &
Sport

ISBN 978-3-218-00905-8
Copyright © 2013 by Verlag Kremayr & Scheriau GmbH & Co. KG, Wien
Alle Rechte vorbehalten
Schutzumschlaggestaltung: Kurt Hamtil, Wien
unter Verwendung einer Illustration von istockphoto.com/duncan 1890
Typografische Gestaltung, Satz: Kurt Hamtil, Wien
Datenkonvertierung E-Book: Nakadake, Wien

Inhalt

Vorwort

Adel

Anrüchiges

Antisemitismus

Architektur

Äußere Schönheit

Austrochauvinismus

Banker, Bankster, Gangster

Blaue Kampfparolen

Bozen

Bundesländer-Spott

Diplomatensprache

Direktoren und Intendanten

Etikettierung

Farbenlehre

Fußball

Geld

Gesellschaft

Größenverhältnisse

Grüne Angstparolen

Hochkultur

Hymnen-Spott

Jagdgesellschaft

Journalisten

Kirchen-Konflikte

Kultur-Kämpfe

Land der Berge

„Mistelbacher“

Musikkritik

Nitsch der Bürgerschreck

Off the record

Ohrfeige vulgo Watschn

Ordinär oder nicht?

Persönliche Beleidigungen

Political correctness

Politiker-Spitznamen

Politische Gegnerschaften

Politisches Kabarett

Proleten

Regietheater

Reizworte

Schimpfwort Ausländer

Schimpfwort Staatskünstler

Schlagzeilen

Spießer

Sport

Tod

Verbal sexual

Verharmlosungstaktiken

Versprecher

Wahlslogans

Wien-Bashing

Zeitgeist

Zivildiener gegen Bauerngeneral

Zündler

Zwischenrufe

Namenregister

Anmerkungen und Quellen

Vorwort

Mit Worten zu kämpfen ist eine zivilisatorische Errungenschaft, wie Sigmund Freud Anfang des 20. Jahrhunderts treffend zusammenfasste: „Derjenige, der zum ersten Mal an Stelle eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation.“ Ingeborg Bachmann erweiterte den Gedanken: „Hätten wir das Wort, hätten wir die Sprache, wir bräuchten Waffen nicht.“ Dieser oft zitierte Satz der österreichischen Ausnahmeliteratin fiel wenige Jahre nach dem Ende des menschenverachtenden Zweiten Weltkriegs. Bachmann stellte damit jedoch nicht in Abrede, dass auch das Wort eine Waffe sein kann, dass öffentliche Konflikte oft zum „Krieg der Wörter“ werden, aber in der Regel unblutig enden.

Der politische, kulturelle, wirtschaftliche und noch mehr der sportliche Konkurrenzkampf wird im Medienzeitalter immer mehr über die Sprache ausgefochten. Waren es früher geistreiche Literaten wie Karl Kraus, Egon Friedell, Anton Kuh, später Friedrich Torberg, Hans Weigel, Helmut Qualtinger und Gerhard Bronner, danach noch André Heller, die mit sprachlichem Witz gleich Florettfechtern den öffentlichen Diskurs anregten, sind es heute vor allem Politiker oder Menschen, die ihnen sprachlich helfen, inzwischen Spin-Doktoren genannt, die Worte, oft auch beleidigende, im Kampf um Wählerstimmen einsetzen. Zur Kauf-Verführung der Konsumenten muss das Wort ebenso herhalten wie im Sport. Hier gilt es, den Gegner schon vor dem Wettkampf sprachlich einzuschüchtern, vom Skifahren bis zum Boxen. Das Wort-Gefecht ist besonders auch in der Kultur zuhause: Hier fechten die Traditionalisten mit den Stückezertrümmerern, bei der Architektur die bewahrenden Erneuerer mit den Brutal-Modernisierern, ersteren geht es um Ästhetik, den anderen um verbaute Kubatur. Dem Krieg der Worte kann sich selbst die Wirtschaft nicht entziehen. Die einen sehen in der Sozialen Marktwirtschaft eine Zähmung der Auswüchse des Kapitalismus, für die anderen ist der Begriff nur eine Tarnbezeichnung für schrankenlosen Neo-Kapitalismus.

Eine große Rolle spielt die Sprache traditionell in der Ideologie. Wer Wörter „besetzt“ und mit eigenen Wertungen füllt, hat gute Chancen, seine Klientel bei der Stange zu halten und den politischen Gegner öffentlich zu „beschädigen“, meist als borniert und hinterwäldlerisch anzupatzen. Die Ideologie besetzt Begriffe mit positiven oder negativen Wertungen, Beispiel dafür ist der Begriff Eliten. Was für das konservative Spektrum die Voraussetzung für den Fortschritt ist, gilt dem linken Lager als zu bekämpfende Begünstigung einer privilegierten Gesellschaft, die ihren Status gegen Aufsteiger von unten mit aller Macht verteidigen will.

Dieses Buch erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, dazu ist die Materie zu umfangreich, die Auswahl ist natürlich subjektiv, zeigt Vorlieben des Autors, Skepsis des Alters gegenüber vielen kurzlebigen Modernismen – auch das soll für den Leser eine gewisse Spannung vermitteln. Es scheut vor allem keine Grobheiten, denn oft werden die Wort-Gefechte nicht mit dem Florett, sondern mit dem (sprachlichen) Säbel oder Bihänder geführt, denn sie sind ja auf nachhaltige Schädigung und Beleidigung des Kontrahenten ausgerichtet.

Die Sprache dient auch der Verschleierung von Tatsachen, der Vernebelung der Situation, besonders wenn sie trist ist. Wie anders ist die Sprachschöpfung des „Minus-Wachstums“ zu verstehen, mit der Kreisky den Abschwung der 70er Jahre beschönigte, oder indem er die Steyr-Panzer als „Kettenfahrzeuge“ schönredete?

Das offene Wort-Gefecht ist hierzulande traditionell unterentwickelt, man vernadert lieber hinten herum, als sich face to face die Meinung zu sagen. So sei am Ende die beliebte deutsche TV-Schauspielerin Inge Meysels zitiert: „Ich liebe Wort-Gefechte – wenn die Messer von vorne kommen.“

Wien, Juli 2013

Prof. Gerhard Vogl

Adel

Ein eigenes Kapitel über einen Stand, den es seit 1918 in Österreich nicht mehr gibt? Dessen echte oder vermeintliche Vorrechte gestrichen wurden, dessen Standesinsignien, vor allem die Titel und die Anrede, verboten wurden – zumindest offiziell? Der im politischen Leben (fast) keine Rolle mehr spielt und damit auch als Ziel von Häme und Spott weitgehend ausfällt? Gemach, gemach! Wer suchet, der findet. Meist führt die feine Ironie das sprachliche „Schwert“.

Der einstige Reichstagsabgeordnete (1907–1911) Adalbert Graf Sternberg ließ sich nach dem Zusammenbruch der Monarchie und der Abschaffung des Adels die folgende Visitenkarte drucken:

Albert Sternberg

geadelt von Karl dem Großen

entadelt von Karl Renner

Hans Weigel, manchem Leser als bitterböser Spötter in Erinnerung, nahm die Abschaffung des Adels gelassen: „Nach der Ausrufung der Republik wurde der Adel in Österreich abgeschafft. An seine Stelle ist der Besitz eines Abonnements bei den Konzerten der Wiener Philharmoniker getreten.“ Das war natürlich lange bevor er die Schwarzmarktpreise für Karten des Neujahrskonzertes kannte.

Aber mit dem Stichwort Adel kann man natürlich auch ernsthaft Schelte austeilen, wie es etwa der urige Soziologe Roland Girtler tut, der sich das tiefliegende Milljöh zum Forschungsziel genommen hat, der sich in der Wiener Gaunersprache nicht nur exzellent auskennt, sondern auch in der Klangfarbe seiner Sprache viel davon angenommen hat. Er findet z.B. in seinem Buch: „Die feinen Leute. Von der vornehmen Art, durchs Leben zu gehen“: „Der Adel war nicht nur was Edles. Da hat es auch viele Gauner gegeben.“

Als Schimpfwort muss der Adel allerdings schon noch herhalten. Vor allem für Menschen, die unbegründet die Nase hoch tragen: „Du blaublütiger Aff!“ Oder als Vorurteil. Aus einer Filmbeschreibung: „Ein blasierter adeliger Schnösel …“

Oft werden Schimpfwörter in Verbindung mit dem Stichwort Adel gebraucht, ohne dass dem Fluchenden bewusst ist, woher sein sprachlicher Vorwurf stammt und was genau damit gemeint ist.

„Blaublüter“ zum Beispiel tauchte als Bezeichnung für Menschen aus dem Adel erstmals um 1800 im deutschsprachigen Raum als leicht abschätzige Umschreibung für die Herrschaften „von und zu“ auf. Gegen Ende der Monarchie setzte eine Adelsinflation ein. Diejenigen, die noch knapp vor der Abreise von Kaiser Karl ins Exil nobilitiert wurden, wurden abschätzig „Bahn-“ oder „Bahnhofsadel“ genannt. Sie galten dann viele Jahrzehnte als besonders kaisertreu. So fand ein ungenannter Abkömmling einer uralten Familie vor wenigen Jahren zum Thema „Brauchen wir eine Monarchie?“: „Es ist der Bahnhofsadel, der heute noch den monarchistischen Gedanken hochhält.“

Habsburger-Kannibalismus

Der „Franzl“ und die „Sisi“ sind der Zuckerguss der Habsburger-Monarchie. Ihre Geschichte wurde x-mal verfilmt, mit Romy Schneider und Karlheinz Böhm in den Hauptrollen ist sie auch jüngeren Menschen aus Dutzenden Wiederholungen rund um Feiertage bekannt, sie wurde für Musicals vertont, in zahlreichen Büchern und noch mehr Bildbänden seziert – und die sollen ein Kampfvokabel gewesen sein? Unvorstellbar. Oder doch?

Nur älteren Lesern ist wohl das in Erinnerung, was als „Habsburger-Kannibalismus“ in die österreichische Zeitgeschichte eingegangen ist: der Kampf der Spitze der Sozialisten gegen eine Einreise des (Kaisersohnes) Dr. Otto (von) Habsburg.

Der Verfassungsgerichtshof hatte sich im Dezember 1961 für unzuständig erklärt. Der älteste Sohn des letzten Kaisers wandte sich daraufhin mit einer Erklärung, auf jeglichen Regierungsanspruch zu verzichten, an den Verwaltungsgerichtshof, der die Bundesregierung zu einer Stellungnahme aufforderte, jedoch keine Antwort erhielt. Das Höchstgericht entschied schließlich, dass es wegen Säumigkeit der Regierung an deren Stelle tätig werden könne, und stellte am 31. Mai 1963 fest, dass der Wortlaut der vorliegenden Verzichtserklärung den gesetzlichen Bestimmungen entspreche und dass somit das Einreiserecht zu gewähren sei. Daraufhin sprachen die führenden Exponenten der SPÖ, allen voran Parteivorsitzender Bruno Pittermann und Justizminister Christian Broda, von einem „Juristenputsch“. Broda, der in diesem Zusammenhang auch von einer „Staatsstreichtheorie“ durch „Juristen, auch im Richtertalar“, sprach, warnte davor, dies unwidersprochen hinzunehmen. Er sah auch „Platz für eine kühne Maßnahme“, nämlich das Volk darüber entscheiden zu lassen, ob Otto Habsburg-Lothringen zurückkehren dürfe oder nicht.

Eine Einreise Otto Habsburgs in seine Heimat wurde durch das Plenum des Nationalrats vom 4. Juli 1963 mit der Mehrheit von SPÖ und FPÖ abgelehnt. Dementsprechend turbulent verlief auch diese Sitzung. Die Emotionen gingen hoch, von einigen Rednern wurden unter gegenseitigen Beschuldigungen sogar die Auseinandersetzungen in der Ersten Republik und ihr Untergang wieder in Erinnerung gerufen. In Form von Zwischenrufen fielen Worte wie „Provokateur“, „größenwahnsinniger Jurist“ und „Sie Faschist“.

Unter dem Eindruck der immer aggressiver werdenden antihabsburgischen Kampagne schrieb das damalige SPÖ-Mitglied Günther Nenning: „Der Habsburger-Kannibalismus ist ein seltsamer Fall von Fresslust, wo garantiert nichts mehr zu fressen ist.“ Nenning befand später, 1972, gegenüber dem „Spiegel“, dass Österreichs Sozialisten in k.u.k.-Zeiten keineswegs „Monarchenfresser“ gewesen seien. Doch als der 1919 vertriebene Kaiser Karl versucht habe, sich über Ungarn wieder an die Macht zu intrigieren, hätten die Sozis ihren Hass gegen das Haus Habsburg entwickelt.

Der Politologe und Philosoph Norbert Leser, Mitglied der SPÖ, schreibt rückblickend: „Die Angst vor der Rückkehr Otto Habsburgs war nicht die vorgegebene vor einer monarchischen Restauration, sondern die Angst, vom Abkömmling einer Dynastie mit historischem Format überstrahlt und in den Hintergrund gedrängt zu werden.“

Dabei hätte man froh sein sollen, dass man in der Person Otto Habsburgs über eine polyglotte und integre Persönlichkeit verfügte, die man zum Wohle Österreichs einsetzen und zur Geltung hätte bringen können.

Hans-Werner Scheidl schrieb zum Tod Otto Habsburgs in der „Presse“: „Bruno Kreisky blieb es vorbehalten, dem geifernden ‚Habsburg-Kannibalismus‘ seiner eigenen Genossen Einhalt zu gebieten. Er spielte sogar kurz mit dem Gedanken, den Europäer Otto von Habsburg als österreichischen Botschafter zum Heiligen Stuhl zu entsenden.“

Die Nationalratswahlen 1966 jedenfalls wurden zu einem Debakel für die SPÖ, die ÖVP errang die absolute Mehrheit, am 1. Juni 1966 erhielt Otto von Habsburg einen österreichischen Pass ohne Einschränkungen.

Im Mai 1972, anlässlich eines runden Geburtstages der von Otto Habsburg gegründeten Paneuropa-Bewegung, empfing Bruno Kreisky den Kaisersohn erstmals persönlich in seinem Arbeitszimmer.

Hinter dem Schreibtisch des Kanzlers hing damals ein großes Bild des Malers Friedensreich Hundertwasser, vor dem er oft fotografiert wurde, eines Malers, von dem auch Otto Habsburg einige Bilder besaß. Die beiden Herren waren etwa fünfzehn Minuten allein. Danach fragte Kanzler-Sekretär Johannes Kunz neugierig: „Wie war er?“ Kreisky knapp: „No, vom Hundertwasser versteht er viel.“

SPÖ-Kanzler Bruno Kreisky ermöglichte schließlich Ottos Mutter, Ex-Kaiserin Zita, die Einreise. Schon vorher hatte er Dieter Kindermann von der „Krone“ angedeutet, wie er sich vorstellen könnte, das Problem auf typisch österreichische Weise zu lösen: „Wir geben ihr ein Durchreisevisum und keiner schaut nach, ob’s da bleibt!“

Selbst beim Begräbnis von Otto Habsburg im Juli 2011 war bei einigen kritischen Stimmen der einstige Habsburger-Kannibalismus noch spürbar. Die Teilnahme von Bundespräsident Heinz Fischer und Kanzler Werner Faymann trug den beiden Sozialdemokraten in linken Zirkeln wie etwa dem „Republikanischen Klub“ Kritik wegen „mangelnden republikanischen Verständnisses“ ein.

„Wir sind Kaiser“

Die Nostalgie hat – nach vielen Sisi-Filmen – inzwischen auch das aktuelle Fernsehprogramm erfasst. Zwar hat die satirische Talkshow des ORF mit dem Komödianten Robert Palfrader als „Robert Heinrich I. durch Gottes Gnaden Kaiser von Österreich“ den Höhepunkt ihrer Popularität bereits überschritten, aber der „Kaiser“ zieht noch immer hunderttausende Seher an. Fast so genial wie er selbst ist sein Haushofmeister „Seyffenstein“. Zur Eröffnung der öffentlichen, 40-minütigen Audienz des Kaisers wird jeweils die „Kaiserhymne“ vorgetragen: „Unser lieber Robert Heinrich, wir danken es dir recht. Wir haben einen Kaiser, uns geht es nicht mehr schlecht.“ So rettet die TV-Satire das Haus Habsburg bei der Jugend ins 21. Jahrhundert hinüber.

Und wie beurteilt die Öffentlichkeit, vor allem die veröffentlichte Meinung, den gegenwärtigen „Ersatzkaiser“ Heinz Fischer? Vor allem die „Kronen Zeitung“ hat mit ihm fortwährend ein Hühnchen zu rupfen. So nannte ihn der „Chefangreifer“ der Muthgasse, Claus Pandi, den „Großmeister der mutlosen Routinefloskeln“, als er zu aktuellen Spionageaffäre der USA nur ein dünnes Statement fand: „Europa sei besorgt und irritiert.“

Anrüchiges

Was versteckt sich hinter dem Wort „Anrüchiges“? Etwas zum Thema Sexualität? Ein Bordell? Nicht so weit gefehlt, aber doch. Es geht um Clubs. Männerclubs! Das sind die Puffs allerdings auch. Im Vordergrund steht natürlich die österreichische Urmutter dieser Kontakt-Spielwiesen: der „Club 45“.

Die „rote Loge von Wien“, wie sie der Journalist Hans Pretterebner, zusammen mit Gerald Freihofner Aufdecker des Lucona-Skandals, nannte, war ein linker „Herrenklub“, gegründet von Demel-Zuckerbäcker Udo Proksch nach dem Vorbild der geheimnisumwitterten italienischen geheimen Loge P2 (Propaganda Due), dem die Spitzen der österreichischen Politik (SPÖ) und Wirtschaft der Siebzigerjahre angehörten.

Während die P2 sich auf mehr als tausend Mitglieder stützen konnte, hatte der Wiener Klub in seinen besten Tagen 300: „Lauter hochanständige, honorige Persönlichkeiten“, wie Bruno Kreisky anfangs betonte. Er persönlich vermied aber peinlich jeden Kontakt oder gar Besuch.

Pretterebners und Freihofners Hartnäckigkeit bei den Recherchen ist es zu verdanken, dass Udo Proksch als Vielfach-Mörder enttarnt wurde – um eine stattliche Versicherungssumme zu kassieren, sprengte er ein Schiff, die „Lucona“, die Eisenschrott geladen hatte, in die Luft und tötete damit sechs Matrosen. Proksch war eben doch nicht „ein kreativer, erdbezogener Produktivspinner“, wie Niki Lauda ihn nannte. Niki Lauda übrigens hielt ihm – zusammen mit ORF-Generalintendant Teddy Podgorski – bis zuletzt im Gefängnis die Treue. Zum 80. Geburtstag von Karl Blecha schrieb Hans Rauscher: „Er (Blecha) schützte den mörderischen Hofnarren der roten Schickeria, Udo Proksch.“

Der Ex-Chefredakteur des „profil“, Peter Michael Lingens, erinnert sich: Selbst als Pretterebner die Indizien in einem Buch derart konzentrierte, dass „der Pulverschmauch zwischen den Seiten hervorquoll“, erhob die Staatsanwaltschaft zuerst gegen Pretterebner Anklage wegen Verleumdung, ehe sie dann doch Mordanklage gegen Proksch erheben musste.

FPÖ-Justizminister Harald Ofner fand „die Suppe zu dünn“ für eine Anklage. Als dann Proksch endlich vor Gericht stand, hielt Richter Hans Christian Leiningen-Westerburg zunächst alles nur für eine Fehde zwischen „Freimaurern und CV“. Hans Rauscher fand im „Standard“ vom 11.3.2009: „Österreich liebt Verschwörungstheorien.“

Auch Heinz Fischer gehörte eine Zeitlang dem Club 45 an. Im Februar 1985 (Fischer war zu diesem Zeitpunkt Wissenschaftsminister) hatte ein mutiger Untersuchungsrichter wieder einmal versucht, Udo Proksch zu verhaften. Sofort bot sich Außenminister Leopold Gratz1 dem Gericht als Entlastungszeuge an, worauf Proksch prompt wieder freigelassen werden musste.

Um seinen Sieg über die Justiz zu feiern, lud Gratz seine engsten Freunde in den Club 45 ein. Auch Fischer eilte herbei, seinen Freund, den später verurteilten Mehrfachmörder, zu begrüßen: „Schön, dass du wieder da bist!“ In Prokschs Gästebuch schrieb er: „Quosque tandem abutere patientia nostra?“„Wie lange noch wird man unsere Geduld missbrauchen?“

Um seinen Sieg über die Justiz zu feiern, lud Gratz seine engsten Freunde in den Club 45 ein. Auch Fischer eilte herbei, seinen Freund, den später verurteilten Mehrfachmörder, zu begrüßen: „Schön, dass du wieder da bist!“ In Prokschs Gästebuch schrieb er: „Quosque tandem abutere patientia nostra?“„Wie lange noch wird man unsere Geduld missbrauchen?“

Fischers langjähriger Weggefährte Bruno Aigner, SPÖ-Vordenker, sah das anders. Er schrieb in einem Artikel im Ideologie-Organ der SPÖ, der „Zukunft“: „Eiterbeulen wie der Club 45 brechen auf, parasitäre Erscheinungen wie Winter, Wilfling, Bauer und Co. nehmen zu.“2

Proksch, dessen Club 45 damals die rote Elite vereinte, hatte die SPÖ nicht zuletzt im Telekom-Stil unterstützt: Er inserierte in den Zeitungen die Wahlkampagne „Geschichten vom Dr. Kreisky“, Schweizer und Liechtensteiner Briefkastenfirmen bezahlten. Kreisky, darauf angesprochen: „I kann mir ned den Kopf zerbrechen, wer was hergibt.“ Auch von der „Wiener Städtischen“ billigst eine Villa zu mieten, irritierte ihn so wenig wie später Christian Wulff die Finanzierung seiner Wohnung.

Untertags, auch im Demel-Shop und in den Clubräumen, lief Proksch mit einer geladenen Pistole herum und schockte seine Umgebung mit Scharfschuss-Wettbewerben. Nicht zu vergessen: Er gründete auch den Verein zwecks „Senkrechtbestattung“3 von Leichen auf Friedhöfen und den Verein CUM.4

Proksch seinerseits flüchtete. Er ging nach Manila und ließ eine Gesichtsoperation an sich vornehmen5. Mit Bart kam er zurück – und wurde noch in Schwechat erkannt. Schließlich setzte das Parlament einen Untersuchungsausschuss ein. Die Folge: SP-Nationalratspräsident Leopold Gratz trat zurück, detto SP-Innenminister Karl Blecha. Verteidigungsminister Karl Lütgendorf hatte schon früher Selbstmord begangen. Erst 1992 kam es zum Schuldspruch: Lebenslänglich wegen Mordes. Proksch starb 2001 im Grazer Gefängnis Karlau an Herzversagen.

Republik der Gauner6

Der Fall „Lucona“ ist ein Politkrimi7, dessen Personen und Verwicklungen die Vorstellungskraft jedes Fiction-Schreibers überfordern würde – doch an der Donau übertrifft die Realität bisweilen selbst wildeste Fantasien. Und das gilt auch für den angeblichen Versuch einer politischen Aufklärung. In Österreich ist halt vieles ganz anders. Resümee des „Spiegel“ vom 5.12.1988: „In Deutschland versuchte der Milliardär Flick, die Republik zu kaufen. In Österreich war so etwas gar nicht nötig. In Wien wurde die Republik zu einer Zeit, da sie unter dem ,Sonnenkönig‘ Bruno Kreisky weltweit als ,Insel der Seligen‘ galt, einem kleinen Gauner in dessen eigenem Kaffeehaus serviert. Er brauchte sich nur noch zu bedienen.“

Antisemitismus

Der Holocaust war der grausame Kulminationspunkt eines Antisemitismus, der in Österreich eine lange Tradition hat.

Ende des 19. Jahrhunderts entstand der rassische Antisemitismus, antisemitische Parteien entstanden, wie etwa Georg von Schönerers Alldeutsche Partei oder die christlich-soziale Partei, die von Karl Lueger, dem späteren Bürgermeister Wiens, gegründet wurde. Hitler widmete vor lauter Begeisterung beiden viele Seiten in seinem Buch „Mein Kampf“.

Diesen aufkommenden Antisemitismus bekamen auch jene jüdischen Abgeordneten zu spüren, die zwischen 1861 und 1918 im Reichsrat bzw. später im Nationalrat als Vertreter verschiedener Parteien saßen.

Otto Bauer war trotz seiner atheistischen Überzeugung Mitglied der israelitischen Kultusgemeinde. Als Ernst Fischer ihn damals auf diesen Widerspruch aufmerksam machte, meinte Bauer: „Das können Sie nicht verstehen, denn hinter Ihnen hat niemals irgendwer das Wort Saujud gemurmelt!“ Es blieb nicht beim Murmeln. Das stenografische Protokoll des Parlaments vom 11. Juli 1930 weist folgenden Zwischenruf während einer Rede Bauers auf: „Ein Frechling sind Sie, ein frecher Saujud!“ Der Zwischenrufer war der junge Abgeordnete Julius Raab, in der Zweiten Republik hochgeachteter Bundeskanzler.

Der Antisemitismus war auch schon viel früher in der Politik spürbar, im Reichstag wie im Herrenhaus der k.u.k.-Monarchie.

Jüdische Abgeordnete beschränkten sich nicht nur auf die faktische Widerlegung der Vorurteile; sie betonten die besondere Staats- und Kaisertreue von Juden und Jüdinnen. Dabei bedienten sie sich oft des Witzes und der Ironie.

So entgegnete der Jüdischnationale Benno Straucher auf den Zwischenruf „Ruhig, Jud!“ des Abgeordneten Ernst Schneider: „Schweigen Sie, Christ! Sie sind auch nur ein Neujud!“

Linker Antisemitismus

Auch wenn man im „linken Lager“ beim Thema Antisemitismus gerne auf Lueger und Kunschak zeigt, tauchen immer wieder kritische Stimmen aus unverdächtigem Milieu auf, die sich auch an einen „linken Antisemitismus“ erinnern können. So erzählte die in Wien geborene Trude Grünwald, die im britischen Exil zu einer großen Anthropologin wurde, dass sie als Kind auch im Karl-Marx-Hof zu hören bekam: „Du bist eine Saujüdin, geh weg!“

Um die Frage, wer die rabiateren Antisemiten waren, tobt seit dem Jahr 2012, als der Dr.-Karl-Lueger-Ring in Universitätsring umbenannt wurde, schon wieder ein wilder Streit zwischen beiden Lagern. Ausgelöst hat diesen ein Gastkommentar des Historikers Kurt Bauer im „Standard“ zum 60. Todestag der ÖVP-Ikone Leopold Kunschak, in dem er diesen als unbelehrbaren Antisemiten hinstellte und die ÖVP aufforderte, sich endlich – ähnlich wie von Dollfuß – von ihm zu distanzieren. Dem konterte der inzwischen zum Parteihistoriker aufgestiegene einstige Landeshauptmann Dr. Franz Schausberger. Er will beim Aktenstudium für eine Biografie des Kurzzeitkanzlers der Ersten Republik Dr. Rudolf Ramek folgende Sätze Renners entdeckt habe: „Es sei doch unverständlich, dass man jeden kleinen jüdischen Kaufmann oder Hausierer für den Verlust entschädigt, nicht aber eine so stolze Partei.“ (Es ging um das 1934 von der Dollfuß-Regierung beschlagnahmte sozialdemokratische Eigentum).

Und Chefredakteur Dr. Herbert Lackner zitiert im „profil“ unter dem Titel „Ein Mann für alle Jahreszeiten“ eine noch ärgere Textstelle in Richtung der ohnedies rabiat judenfeindlichen Christlich-Sozialen: „Während sie (die Juden, Anm.) in unserer Jugend noch bescheiden in der Leopoldstadt wohnten, haben sie jetzt Mariahilf und alle Bezirke überschwemmt, sie sind gediehen unter Ihrem glorreichen antisemitischen Regime.“8

Neuer Antisemitismus

Der neue Antisemitismus in Österreich ist codiert, wird aber allgemein verstanden. Dem widmete sich z.B. der „Spiegel“ 12/2001 in seinem Bericht über den FPÖ-Aschermittwoch in Ried im Innkreis, wo Jörg Haider versuchte, in die Schuhe seines rhetorischen Vorbilds Franz Josef Strauß zu schlüpfen:

„,Außerdem‘, sagt Haider, und setzt eine dramatische Pause, ,haben die Linken ja jetzt einen Wahlkampfstrategen, „den Herrn ,wia haaßt er‘ – wissendes Gelächter im Publikum –, ,Greenberg, direkt von der Ostküste.‘ ,Wollt ihr Ostküste oder Wienerherz?‘, hatte der Ex-FPÖ-Chef schon Wochen zuvor gefragt – im Klartext: jüdische Weltverschwörung aus den USA oder anständige Österreicher. ,Wie soll dieser Herr Greenberg wissen, was die Wiener bewegt?‘, höhnt Haider nun.“ Und weiter: „Ich verstehe überhaupt nicht, wie einer, wenn er Ariel heißt, so viel Dreck am Stecken haben kann.“

Diese Anspielung auf den Präsidenten der israelitischen Kultusgemeinde, den Immobilienmakler Ariel Muzicant, nahm Haider ein Jahr später mit einer Ehrenerklärung und Entschuldigung zurück, er habe die Gefährlichkeit bestimmter Andeutungen und Wortspiele, aber auch von Unterstellungen, nicht erkannt.

Der Tonfall hat sich unter H.C. Strache nicht geändert. Nach seinen umstrittenen Aussagen am Ball des Wiener Korporationsrings am 30.1.2012 steht er stark in der Kritik. Auch weiterhin weigert sich der Bundesparteiobmann der FPÖ, sich für seine „Wir sind die neuen Juden“-Aussage und für zweifelhafte Vergleiche mit der „Reichskristallnacht“ zu entschuldigen und spricht von einer linken Jagdgesellschaft.

Schon vorher, im August 2009, hatte der Vorarlberger FPÖ-Spitzenkandidat Dieter Egger den Direktor des jüdischen Museums in Hohenems, Hanno Loewy, als „Exiljuden aus Amerika“ bezeichnet. Dabei ist Loewy Deutscher und stammt aus Frankfurt. Trotz öffentlicher Proteste fand es Egger nicht notwendig, sich zu entschuldigen. H.C. Strache hatte ihm ja den Rücken gestärkt, indem er erklärte, „Exiljude“ sei kein Schimpfwort.

Der Schriftsteller Michael Köhlmeier hingegen kritisierte Egger scharf: „Ein Mann, der so etwas sagt, ist für alle Zeiten diskreditiert. Der Mann ist erledigt.“ Eine klare politische Reaktion zeigte ÖVP-Landeshauptmann Sausgruber: Er kündigte die Zusammenarbeit mit der FPÖ auf.

Architektur

Es gibt kaum ein Gebiet, das dem bissigen Spott der Menschen mehr „Futter“ gibt als die Architektur. Das gilt für weite Teile Österreichs, besonders aber für Wien. Der Wiener ist ja extrem wertkonservativ und Neuerungen gegenüber überaus skeptisch eingestellt. Für alles, was ein bisschen außerhalb der akzeptierten Norm liegt, wird in kürzester Zeit ein Spottname gefunden, der oft über Jahrzehnte hält. Bekanntestes Beispiel: die vergoldete Kuppel der Sezession am Naschmarkt. Das Ausstellungsgebäude, erbaut 1897/98 vom Architekten Joseph Maria Olbrich, krönt ein Blätterwerk aus vergoldeter Bronze. Die Wiener hatten schnell einen Spottnamen parat, der auch heute noch geläufig ist. Sie nannten das – vor allem bei Sonnenschein – weithin sichtbare Geflecht das „Krauthappel“, für unsere deutschen Leser: Kohlkopf.

Nicht weit von der Sezession und dem „Krauthappel“ entstand wenig später am Karlsplatz/Ecke Operngasse ein Kaffeehaus. Aufgrund der reduktionistischen Architektursprache des revolutionären Architekten Adolf Loos erhielt es bald den Beinamen „Café Nihilismus“, obwohl es offiziell „Café Museum“ hieß und bald zu einem Treffpunkt vieler Künstler wurde. Der Namensgeber ist bekannt: Es war der ungarisch-österreichische Schriftsteller und Journalist Ludwig Hevesi.

Ein anderes prominentes Künstlerkaffee erhielt nicht wegen der Architektur, wohl aber wegen der „Insassen“ einen bösen Spitznamen: Das „Griensteidl“ am Michaelerplatz hieß im Volksmund „Café Größenwahn“.

Als das Gebäude, in dem sich das „Griensteidl“ befand, 1897 einem Neubau weichen musste, konnte Karl Kraus das nicht verwinden und fand: „Unsere Literatur sieht einer Periode der Obdachlosigkeit entgegen, der Faden der dichterischen Produktion wird grausam abgeschnitten.“ Erst 1990 feierte das „Griensteidl“ seine Auferstehung.

Generell fand Kraus: „Wien wird jetzt zur Großstadt demoliert.“ Eine Kritik, der sich auch heute manche Architekturkritiker anschließen.

„Bausünden“

Die schärfsten Kritiker sind oft gar nicht die Architekturkritiker, meist sind es Kollegen, die natürlich auch Konkurrenten sind. Friedrich Achleitner, beides in einer Person, meinte daher in einem Interview in der „Presse“ vom 22. Mai 2010 anlässlich seines 80. Geburtstags: „In Wien ist es ja so: Wenn man einen kritisiert, hat man hundert Freunde. Wenn man einen lobt, hundert Feinde.“

Kollegenurteil bedeutet in dieser Zunft selten Gutes – Gustav Peichl beweist es mit dem folgenden Satz: „Hans Hollein ist der Schlingensief der Architektur.“

Der Architekturkritiker Christian Kühn setzt in der „Presse“ das Hollein-Bashing am Beispiel des „news“-Towers in der Wiener Taborstraße fort: „Nicht zufällig heißt der Hollein des kleinen Mannes Friedensreich Hundertwasser“ – eine Anspielung auf Holleins kunsthandwerklichen und skulpturalen Baustil.

Und der Chefredakteur der Wiener Stadtzeitung „Falter“, Armin Thurnher, zur Wiener Baupolitik im Zusammenhang mit dem Bau des Hollein-Hauses am Wiener Stephansplatz: „Bezirksvorsteher-Architektur“. Damit tut er allerdings Helmut Zilk Unrecht, der etwa das Hrdlicka-Denkmal vor der Albertina gegen viele Widerstände durchsetzen musste.

Ähnlich der Rundumschlag, den der karikierende Architekt Gustav Peichl in „news“ 25/13 führt: „So hässlich baut Wien.“ Speziell in seinem Kritik-Radar ist Kollege Hollein. Das Haas-Haus sei „imposantes Design von außen, innen wegen Unbenutzbarkeit im Dauerumbau begriffen.“ Zur Albertina: „Gutes Design am falschen Platz, beleidigt die ganze Gegend.“

Zur Verteidigung Holleins trat Klaus Albrecht Schröder an und nannte Hollein zu seinem 80er „einen der vielleicht zwei Dutzend wirklich einflussreichen Architekten des 20. Jahrhunderts“, einen „Meister der Collage, der Montage, der Assemblage“, womit er gleich auch den umstrittenen „Soravia Wing“ vor dem Reiterstandbild des Erzherzog Albrecht auf der Albertina-Rampe in Schutz nahm. Die lästernden Wiener nannten das aus Aluminium gefertigte Flugdach abschätzig „Tankstelle“.

Gustav Peichl hingegen hofft, dass sein Portal des „Kunstforums“ auf der Freyung mit den freistehenden Säulen und der goldenen Kugel (sie ist eine Hommage an Josef Hoffmann und Joseph Maria Olbrich, die Architekten des Secessionsgebäudes mit dem „Krauthappel“) ähnlich populär wird und die Wiener bald sagen: „Warst schon bei der goldenen Kugel?“

Das vor dem Weihnachtsgeschäft 2012 „voreröffnete“ neue Bahnhofszentrum Wien-Mitte provoziert den Ex-Museumschef des MAK (Museum für Angewandte Kunst) Peter Noever zu einem harten Vergleich: „Ein Paradebeispiel architektonischen Mittelmaßes.“

Einer der letzten, die das Thema Mittelmaß aufgegriffen haben, findet Noever, war Thomas Bernhard: „Ich glaube nicht, dass er ein Promille übertrieben hat, hinsichtlich des Mittelmaßes, in dem wir wollüstig leben.“ Und: „Viele Architekten fangen mit einem modernistischen Entwurf an, der in die Zeit passt. Wenn das Gebäude fertig ist, wirkt er bereits von gestern.“

Gustav Peichl rechnet in seinem Buch „Doppelgänger“ mit der postmodernen Architektur und mit jenen Kollegen ab, die sich dieser verschrieben haben. Aber auch mit jenen, die diese Entwicklung zulassen, den (nicht vorhandenen) Städteplanern und – in Ermangelung dieser – mit den Bauherren. Ein Bereich, der sich dem Gendering bisher verweigert hat, wie wir gleich lesen werden. Peichl im O-Ton: „Der Bauherr von heute ist kein Herr mehr.“ Entscheidungen über Planungsvorhaben werden in Gremien und Ausschüssen getroffen. Die Anonymität der Bauherrenschaft führt unweigerlich zu Qualitätsverlust. „Gute, bahnbrechende Architektur fördert Mut. Anonymität fördert Feigheit.“

Das nach wie vor geltenden Motto der Architektengruppe Coop Himmelb(l)au aus dem Jahr 1980 ist: „Architektur muss brennen.“ Mit einem der größten Bauvorhaben der letzten Jahre, dem auch preislich aus den Fugen geratenen Skylink am Flughafen Schwechat geht der Gründer, Stararchitekt Wolf Prix, hart ins Gericht: „Das ist der gebaute provinzielle Größenwahn von Wien.“

Ironie des Schicksals

Architekturkritik hat in Wien natürlich eine große Vergangenheit. So schrieb etwa die „Neue Freie Presse“ über Otto Wagners monumentale Kirche am Steinhof: „Eine hübsche Ironie des Schicksals, dass so ziemlich das erste vernünftige sezessionistische Gebäude großen Stils in Wien für die Irrsinnigen erbaut worden ist.“

Auch die Ringstraßen-Architektur bot Anlass zu manch bösem Spott, etwa über den Stil-Mischmasch der beiden Opernarchitekten August von Sicardsburg und Eduard van der Nüll:

„Sicardsburg und van der Nüll

die haben beide keinen Styl,

griechisch, gotisch, Renaissance,

das is denen alles ans!“

Selbst der Kaiser betätigte sich als Architekturkritiker und nannte das neue Opernhaus die „versunkene Kiste“. Was missfiel seiner apostolischen Majestät? Die Torbögen der Staatsoper lagen ursprünglich unter dem Straßenniveau. Erst als die Ringstraße dem Gebäudeniveau angeglichen wurde, verstummte die Kritik. Trotzdem hielt sich lange das Urteil der Fachleute und der Wiener über das Opernhaus, sie verspotteten es in Anlehnung an das militärische Desaster der Donaumonarchie als „Königgrätz der Baukunst“.

Äußere Schönheit

Wertvoller ist natürlich die innere Schönheit, über die lässt sich aber schwerer schreiben, reden und vor allem spotten. Ganz im Gegensatz zur äußeren. „A schöner Mann“ – darüber wurde schon viel geschrieben.

Hier geht es nun vor allem um die Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, und da wir noch keine Angela Merkel hatten, waren das in Österreich bisher vor allem Männer. Also Politiker, Künstler, Sportler, Manager. Weder Figl, Raab, Schärf noch Pittermann gerieten je in Gefahr, dass ihr Äußeres zum Thema der Berichterstattung wurde. Auch die Glatze von Josef Klaus stand nicht im Rampenlicht wie später bei Erwin Pröll.

Anders schon beim „schönen Franz“9: Da waren es weniger Frisurfragen als die gestreiften (Banker-)Anzüge, die den (politischen) Spott „Nadelstreifsozialist“ auslösten. Vor allem Jörg Haider hat an allen politischen Hotspots, wie etwa am Viktor-Adler-Markt in Wien-Favoriten, damit gepunktet. Vranitzky selbst zum Thema „Bänker“: „Ich habe mir einen Nadelstreifanzug gekauft, damit keine Klischee-Schädigung eintritt.“

Bleiben wir beim Vornamen Viktor: Der hier gemeinte war nicht Parteigründer (Viktor Adler), sondern bloß sozialdemokratischer Kurzzeitkanzler (Viktor Klima) mit einem Charakteristikum: einem überdimensionierten Gebiss. Was Rudolf Burger, kritischer Politphilosoph, zur Metapher der „zähnefletschenden Herzlichkeit“ greifen ließ. Im vollen Wortlaut: „Viktor Klima war angetreten, um mit viel Modernisierungsrhetorik und zähnefletschender Herzlichkeit Haider den Wind aus den Segeln zu nehmen.“

Ganz anders der blasse Alois Mock, von dem nur ein stilistischer Ausrutscher in den Archiven zu finden ist, verbunden mit einer weltweiten medialen Häme, als nämlich sein Bild in „kurzen Hosen mit geschultertem Seesack“ während eines Staatsbesuchs im muslimischen Jordanien um die Welt ging.

Der erste, der wirklich im Schönheitsbusiness antrat, war KHG, das Kürzel muss nicht erläutert werden. In der deutschen Ausgabe der Zeitschrift „Vanity Fair“ (zu Deutsch: „Jahrmarkt der Eitelkeit“) erschien eine ursprünglich für die private Ergötzung gedachte Fotostrecke: KHG ohne Hemd, dafür aber mit – so die Illustrierte – „unglaublichem Sexappeal“. Der österreichische Dorian Gray wollte, so die Eigenaussage, „die Welt meiner Frau kennen lernen“.

Die eitle Selbstdarstellung des Ex-Finanzministers, der zum damaligen Zeitpunkt bereits im Visier des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses stand, wurde zum „politischen Schuss ins Knie“. Die Grünen spotteten auf ihrer Webseite: „Im Übrigen gilt für KHG die Schönheitsvermutung.“ Sogar die über jeden Verdacht der Boulevardisierung erhabene „FAZ“ nahm sich am 10. Mai 2011 des Themas der ewigen Schönheit des Ex-Ministers an: „Noch immer verbreitet sein Äußeres eine androgyne Ästhetik, scheinbar alterslos verteidigt der Österreicher eine Aura als Dorian Gray in einem Land, dessen Menge an schönen Menschen sich in Grenzen hält.“

Das saß! Da haben’s uns die Deutschen wieder einmal gezeigt, was sie von uns – vor allem von unserem körperlichen Äußeren – halten. Wenig bis nichts!

Umso wohltuender war eine Meldung aus jüngster Zeit. Das bereits zitierte Hochglanz-Schönheits-Magazin hat Werner Faymann zu den zehn „Best dressed World Leaders“ gewählt, wobei es den Zeitungsmachern neben den perfekt sitzenden Anzügen sein „perfektes, graumeliertes Haar“ angetan hatte. So etwas löst fast automatisch Spott und Häme aus. Faymann konterte: „Fürs Anziehen oder fürs Frisieren wurde ich nicht gewählt.“

Austrochauvinismus

Die Überschrift ist negativ genug, um in das Thema „Wort-Gefechte“ zu passen. Wenn man noch den ebenfalls schlecht angeschriebenen Begriff Patriotismus dazurechnet, müsste das genügend Stoff bieten. Dabei ist in anderen Ländern der Patriotismus eher positiv besetzt, man denke nur an die USA. Vielleicht, weil er dort nicht so hysterisch daherkommt. Die Grenze zwischen Patriotismus und Chauvinismus ist fließend. Bei uns scheint sich – zumindest im Skisport – eine Tendenz zur nationalen Hysterie zu zeigen.

Der Journalist und Texter Heinrich Breidenbach findet im „Salzburger Fenster“: „Österreich ist im Spitzensport eine tragische Nation. Immer hin- und hergerissen zwischen überzogenen Erwartungen, geschürten Hoffnungen, bejubelten Erfolgen, latenten Versagensängsten, großer Ernüchterung und tiefer Verzweiflung. Manisch-depressiv wäre die Diagnose bei Patienten.“

Und der Sporthistoriker Rudolf Müller sieht im alpinen Skisport einen