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Band 119

 

Die Wut der Roboter

 

von Rainer Schorm

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

Nachdem der Astronaut Perry Rhodan im Jahr 2036 auf dem Mond ein außerirdisches Raumschiff entdeckt hat, einigt sich die Menschheit – es beginnt eine Zeit des Friedens. Doch im Jahr 2049 tauchen beim Jupiter feindliche Raumschiffe auf.

Rhodan spürt der Gefahr nach, und es verschlägt ihn mit der CREST in den Leerraum außerhalb der Milchstraße. Dort begegnet er einer aggressiven Roboterzivilisation – den Posbis. Die CREST wird gekapert. Will er verhindern, dass die Roboter die gesamte Milchstraße attackieren, muss Rhodan zunächst seine Besatzung befreien.

Der Wissenschaftler Eric Leyden kann derweil den Konstruktionsfehler der positronisch-biologischen Roboter identifizieren. Damit könnte er die Posbis von ihrem Hass auf das Leben heilen – da eskaliert die Lage. Es entbrennt die Wut der Roboter ...

1.

CREST: Schrott!

 

Gucky schielte vorsichtig um die Ecke. Der Posbi näherte sich langsam, aber zielstrebig, gefolgt von zwei Kampfrobotern aus den Beständen der CREST. Der Ilt fluchte lautlos und konzentrierte sich. Er entmaterialisierte; die Luft schoss ploppend in das hinterlassene Vakuum.

Der Korridor in der Nähe der Korvettenhangars öffnete sich fünfzig Meter weiter zu einem kleinen, runden Verteiler. Von dort waren es nur noch zwanzig Meter bis zu einem jener Tanks des Ultraschlachtschiffs, die von den Posbis zweckentfremdet worden waren. Das Deuterium hatten sie abgepumpt, um Platz für Anich zu schaffen, das intelligente Plasma, das den Kern der Roboterzivilisation bildete. Nun verteilte sich Anich auf etliche dieser Tanks und wurde damit zu einer transportablen Waffe, die allem, was kein »wahres Leben« war, den Tod bringen sollte.

Die Anpassung der Tanks an die Bedürfnisse der Plasmaintelligenz hatte nicht lange gedauert. Die Posbis waren vorgegangen, wie die Menschen es mittlerweile von den Robotern kannten: schnell und effektiv. Die verbliebenen Tanks enthielten genügend Deuterium, um der CREST den Flug von Pharaduat nach Uwawah zu ermöglichen.

Gucky rematerialisierte dicht unter der Decke und kauerte sich in eine Wartungsnische. Etliche Leitungen, unter anderem für Frisch- und Brauchwasser, waren an dieser Stelle zugänglich und gaben dem Mutanten Deckung. Sie zeugten von den diversen Umbauten, mit denen die Transporttanks an das Lebenserhaltungssystem der CREST angeschlossen worden waren. Sauerstoff, Wasser, Wärme: Anich war organisch und deshalb auf eine ausreichende Versorgung hiermit angewiesen. Die Luft- und Wasseraufbereitungsanlagen der CREST arbeiteten seither an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit. Die zusätzliche Belastung durch Anichs 30 Millionen Kubikmeter Biomasse führte zu unangenehmen Nebeneffekten, was die Besatzung nachdrücklich zu spüren bekam. Gucky holte tief Luft. Die Atmosphäre an Bord wurde zunehmend stickig, die Luftfeuchtigkeit war deutlich zu hoch. Der Mausbiber schnüffelte. Sein Pelz war feucht und roch muffig.

Josue Moncadas schob sich von hinten an Gucky heran. Auf seiner Glatze glänzte Schweiß. Der Interruptor war schlank und trug einen leichten Einsatzanzug, dessen energieintensive Systeme er desaktiviert hatte.

Zwar war die Zahl der Posbis an Bord recht gering. Es gab lediglich etwa hundert von ihnen, die sich in den Weiten des riesigen Schiffs beinahe verloren. Allerdings hatten die Besatzer die terranischen Kampfroboter aus den Depots aktiviert, umprogrammiert und für ihre Zwecke eingespannt. Das Überwachungsnetz, das die Posbis damit über die CREST geworfen hatten, war nicht lückenlos, aber sehr dicht.

Das Ziel der beiden Mutanten war, die Maschen dieses Netzes ein wenig zu weiten. Die Überwachungssysteme des Ultraschlachtschiffs konnten die Menschen nicht ausschalten. Ein direkter Angriff auf die Kampfroboter verbot sich von selbst. Also hatte Gucky angeregt, dieses Problem indirekt zu lösen. Deshalb war er mit Moncadas seit Stunden im Einsatz.

Gucky tastete telepathisch nach der leisen mentalen Ausstrahlung, die von der Plasmakomponente des Posbis ausging, dem er mit seinem Teleportersprung gerade ausgewichen war. Die Emanation war schwer zu orten, da Anichs übermächtige mentale Präsenz ein ständiges, unangenehmes Hintergrundrauschen schuf. Dann zeigte der Ilt seinen Nagezahn. »Hab dich!«, murmelte er.

Der positronisch-biologische Roboter bewegte sich auf drei Beinen in einem irritierenden Rhythmus.

»Schlecht zu Fuß, wie?« Gucky kicherte leise. »Mal sehen, ob ich dir ein bisschen helfen kann.«

Moncadas, als Interruptor in der Lage, Energieflüsse zu blockieren und zu lenken, legte den Zeigefinger auf die Lippen. Gucky verzog die Nase. Zu hören waren lediglich die beiden Kampfroboter, die zum Inventar der CREST zählten. Der dreibeinige Posbi hingegen verursachte kein Geräusch. Seine Laufextremitäten waren auf den Trittflächen mit einer weichen Kunststoff-Keramik-Mischung beschichtet. Störende Geräusche existierten für Roboter nicht, die Sohlen hatten also eine unbekannte Funktion.

Wahrscheinlich, um ein Abrutschen bei der Arbeit zu verhindern! Für welche Spezialaufgabe er wohl gebaut wurde?, überlegte der Ilt. Trotzdem: Diese Schleicherei macht mich ganz irre!

Der Posbi betrat den Verteiler. Nicht weit hinter ihm folgten die zwei KAROS. Gucky grinste. Der Eindruck folgsamer Hunde, die ihrem Herrchen hinterhertrotteten, drängte sich förmlich auf. »Euch zeig ich, wo der Hammer hängt!«, flüsterte er. »Das gibt Beulen!« Er griff telekinetisch nach den beiden Maschinen und zwang ihre Waffen in Position. Kaum stellten die Kampfroboter eine unerklärliche Manipulation fest, wechselten sie in den Alarmmodus. Lichtzeichen und akustische Signale zeigten der Umgebung an, dass die KAROS Schwierigkeiten hatten. Das leise Summen steigerte sich zu einem schrillen Pfeifen.

Mit großer Wucht ließ der Mausbiber die ausgefahrenen Extremitäten auf das Chassis der jeweilig anderen Maschine prallen. Metallisches Scheppern gesellte sich zu den Alarmtönen. Gucky musste gegen den Widerstand der Roboter ankämpfen. Deren Bewegungen wirkten dadurch ruckartig und ungleichmäßig: Die Mechanik der KAROS wurde bis an die Grenze ihrer Funktionalität belastet. Die Servomotoren versuchten, die unsichtbare Kraft zu überwinden, die auf sie einwirkte, und scheiterten. Die Hydraulik jaulte auf.

Der Posbi hatte bisher alles ignoriert. Erst als die beiden KAROS sich ihm mit erhobenen Armen und aktivierten Waffen näherten, nahm er ihre Probleme zur Kenntnis. Gucky schob die Kampfroboter telekinetisch nach vorn. Der erste der beiden prallte gegen den Posbi, ein halbiertes, stählernes Ei. Aus der Schnittfläche ragten etliche Antennen, Tentakel und andere Aggregate. Ein rotes Teleskopauge richtete sich auf die zwei durchgedrehten Hilfskräfte. Hiebe trafen den Posbi, ohne dass die KAROS damit Schaden angerichtet hätten. Obwohl der Posbi kleiner war als die beiden Kampfeinheiten, wirkte es, als trommle ein wütendes Kind gegen die Brust eines Erwachsenen.

Gucky schob den linken Kampfroboter gegen die Wand und dann nach vorn. Ein metallisches Kreischen drang durch den Gang. Moncadas zog eine Grimasse.

»Machen wir mal ein bisschen Dampf!« Gucky gab Moncadas einen Wink.

Der Interruptor konzentrierte sich. Ein Kommandosignal des positronischen Gehirns wich vom vorgesehenen Pfad ab. Die Paraimpulse des Mutanten lenkten ihn zur Waffenkontrolle um. Ohne Vorwarnung gab der KARO einen Schuss aus dem linken Thermostrahler ab. Die Energieentladung verwandelte einen Teil der Wand in einen weiß glühenden Fleck. Wasser in einer der Versorgungsleitungen verdampfte, expandierte und zerriss das heiße Metall. Eine Dampfwolke explodierte in den Gang hinein und schob die terranischen Kampfroboter auseinander. Die Druckwelle raste wie ein unsichtbares Ungeheuer durch den Gang. Der Posbi bewegte sich nicht. Dann war das Metall weit genug abgekühlt. Der Dampf wich einem dichten Sprühregen, der mit hohem Druck aus der Wand schoss.

Endlich reagierte der Posbi. Ein kräftiger Funkimpuls legte die zwei anscheinend durchgedrehten Hilfskräfte lahm. Kontrollanzeigen erloschen, Extremitäten senkten sich und hingen leblos nach unten.

Die automatischen Kontrollsysteme der CREST isolierten die detonierten Leitungen sehr schnell, dennoch glich der Verteilerknoten einer Trümmerwüste. Verbogene Metallplatten, Bruchstücke der geborstenen Leitung, Kunststoffe, Isolierungen und jede Menge Wasser waren das Ergebnis von Guckys Zugriff.

Vint Rasmussen wird mich umbringen!, überlegte Gucky amüsiert. Zumindest wird er es versuchen! Der Versorgungsoffizier der CREST war kein impulsiver Mann und erst recht kein Choleriker, aber mutwillige Zerstörungen wie diese waren ihm ein Gräuel.

Der Posbi verharrte einige Sekunden reglos, kommunizierte wahrscheinlich mit dem Netzwerk seiner Artgenossen, dann setzte er sich wieder in Bewegung und verschwand. Zurück blieben die zwei desaktivierten und demolierten Kampfroboter.

Moncadas versuchte, sich in eine etwas bequemere Position zu bringen. Das war bei der Enge des Verstecks schwierig. Der Mutant ächzte. »Und?«, fragte er.

Gucky sondierte telepathisch die Gedanken von Kommandant Deringhouse, der in der Zentrale versuchte, den Anschein von Normalität zu wahren. Der Mausbiber pfiff laut und misstönend. »Endlich. Es tut sich was! Hat das lange gedauert!«

»Was meinst du?«, erkundigte sich Moncadas.

»Unser wievielter Zugriff war das?«, fragte Gucky zurück. »Du zählst doch mit!«

»Der zweiunddreißigste!«, sagte der Mutant.

»Na also. Die Posbis sind zur Überzeugung gekommen, dass die KAROS unzuverlässig sind. Sie legen sie großflächig still! Endlich!« Gucky rieb zufrieden die Hände aneinander. »Das war ein hartes Stück Arbeit. In der Zentrale summieren sich die Desaktivierungsmeldungen. Bislang haben sie gute siebenundachtzig Prozent aus dem Verkehr gezogen. Jetzt haben wir nur noch die Posbis selbst an der Backe. Die KAROS waren mir mit ihrer Bewaffnung von Beginn an ein Dorn im Auge. Damit können die Blecheimer nun nicht mehr drohen. Weil es keine Defekte gibt, können sie bei den Kampfrobotern keine finden. Ein Rätsel. Die Posbis werden suchen und suchen und unsere Maschinen als problembehaftet aus der Gleichung nehmen. Der Besatzung oder Deringhouse können sie keine Schuld geben. Klasse, oder? Aber ich frage mich, warum sie erst nach zweiunddreißig Vorfällen reagieren. Hätte nie gedacht, dass sie eine dermaßen lange Leitung haben.«

»Ich glaube, du unterschätzt sie.« Moncadas winkte ab. »Die Analysen sind längst angelaufen. Ich schätze, sofort nach dem ersten Zwischenfall! Ich denke mal, sie haben einfach so lange gewartet, bis ein Toleranzstandard überschritten war. Den könnten sie übrigens höher angesetzt haben als bei ihren eigenen Prüfroutinen: Unsere KAROS sind für sie ziemlich primitiv. Da lässt man schon mal etwas mehr durchgehen. Wir haben zwar spektakulär angefangen, aber ...«

»Aaah!« Gucky schloss genüsslich die Augen. »Das war 'n Ding! Fünf Kampfroboter, die versuchen, sich um die Landebeine einer Korvette zu wickeln. Herrlicher Einfall. Wahre Kunst!«

»Ich unterbreche deine Träume nur ungern«, spottete Moncadas. »Aber wir müssen weg. Die Posbis reagieren zwar langsam, was das angeht, aber sie werden diesen Vorfall untersuchen. Das tun sie immer, und das tun sie trotz ihrer geringen Zahl sehr genau! Wir sollten dann nicht mehr hier sein. Wir haben, was wir wollten.«

Gucky öffnete die Augen. »Spielverderber!«

»Blödsinn«, protestierte Moncadas verhalten. »Mir tut ganz einfach alles weh. Du bist klein, aber ich muss mich im wörtlichsten Sinn krumm machen. Hörst du mir überhaupt zu?« Tatsächlich wirkte der Ilt abwesend, als lausche er auf etwas. »Was ist denn?«, hakte Moncadas nach.

»Keine Ahnung. Ich ... spüre ... Was ist das nur?« Gucky starrte fasziniert nach unten.

»Was?« Moncadas kniff die Augen zusammen. Nach wie vor waberte Wasserdampf durch den Gang. Die Sicht war eingeschränkt. Durch die reduzierte Luftumwälzung hielt sich der Dunst erheblich länger, als das unter normalen Umständen der Fall gewesen wäre.

»Da! Dort!« Gucky deutete auf eine breite Pfütze, die sich im Bereich der geborstenen Wand gebildet hatte.

»Ich seh's!« Moncadas' Stimme war leise. »Als ob jemand durchs Wasser gehen würde!«

»Genau so sieht das aus!«, murmelte Gucky. »Aber ich nehme nichts wahr. Dort ist nichts und niemand!«

»Hast du nicht gesagt, du spürst etwas?«, erkundigte sich Moncadas verwirrt.

»Ja. Das tue ich noch immer – aber das ist was anderes. Kommt anderswo her ... Ich bin doch kein Anfänger!«, empörte sich Gucky. »Außerdem verfolge ich, was Meister Deringhouse so durch den Kommandantenkopf geht. Ich bin multitaskingfähig!«

Die Wasserbewegungen, die aussahen, als marschiere ein Zwerg durch die Pfütze, näherten sich dem Rand. Guckys Augen wurden groß. »Pfoten! Das sind Pfoten! Katzenpfoten!«

»Stimmt!« Moncadas war ebenfalls fassungslos. »Wie ist das möglich?«

»Keine Ahnung!«, flüsterte Gucky. »Das ist ... Das kann nicht Bastet sein! Ich war dabei. Die Posbis haben das Programm aus den Bordservern entfernt.«

»Wieso sieht man nur die Pfotenabdrücke?«, fragte Moncadas.

»Woher soll ich das wissen?«, murrte der Ilt. »Sieht für mich so aus, als hätten unsere puddinggefüllten, positronischen Freunde das eine oder andere Bit übersehen! So was!«

»Blödsinn!«

»Hast du 'ne bessere Idee?« Gucky beobachtete, wie sich die nasse Spur durch den Verteiler in Richtung Deuteriumtank bewegte und an der Sicherheitsschleuse stoppte. Dort begann die Spur, sich im Kreis zu bewegen. Die Nässe nahm mit jedem Schritt der unsichtbaren Katze ab.

Bastet war ein in der Computerinfrastruktur der CREST verankertes Schutzprogramm, das in Notfällen helfend eingriff. Bastet hatte sich vor Kurzem erstmalig manifestiert und Thomas Rhodan kontaktiert. Welche Funktion das Subprogramm, das in der Gestalt einer holografischen Katze auftauchte, darüber hinaus hatte, war nicht klar. Jemand hatte Bastet den »guten Geist der CREST« genannt. Bisher war das eine zutreffende Beschreibung. Die Posbis hatten die Software, wie vieles andere auch, aus den Speichern des Ultraschlachtschiffs entfernt. Sie hatten es »Datenmüll der Schöpfer« genannt. Gucky und viele andere hegten seit Langem die Vermutung, dass die Menschen Bastets Potenz zu niedrig angesetzt hatten. Die Posbis hatten sich schützen wollen – und Bastet war wohl eine ernst zu nehmende Bedrohung gewesen.

In Gedanken hörte Gucky den Schrei, den die virtuelle Katze ausgestoßen hatte, bevor sie erloschen war. Er fröstelte. »Wie viele Leben hat doch gleich eine Katze?«, fragte er, ohne den Blick zu heben.

»Neun«, antwortete Moncadas. »Eine Katze hat neun Leben ... sagt man!«

»Ich vermute mal, unsere Posbifreunde haben die Liduuri und ihre Schöpfung ein wenig unterschätzt! Die Katze ist noch da. Und sie will uns etwas zeigen ...«

»Gehen wir runter!«, sagte Moncadas entschieden.

Der Ilt sah, wie der Interruptor sich konzentrierte. »Was treibst du da?«, fragte er.

»Ich baue in die Gangschotten eine kleine, aber lästige Fehlfunktion ein!«, gab Moncadas Auskunft. »Nur eine winzige Energiespitze und zwei oder drei aktivierte Überspannungssicherungen. Du willst sicher nicht von neugierigen Posbis überrascht werden, oder? So, und nun erledigen wir das, bevor die Kontrollteams den Saustall untersuchen, den du angerichtet hast!«

»Pöh!« Gucky griff nach Moncadas' Hand. Er konzentrierte sich und teleportierte. Die beiden erschienen vor der Sicherheitsschleuse. Pfotenabdrücke erschienen am Schott, als habe sich die unsichtbare Katze daran aufgerichtet.

»Sollen wir?«, fragte Moncadas. Er strich sich über den nassen Schädel. Die Luftfeuchtigkeit war maximal. Der Mutant schwitzte. Die Atmosphäre glich der in einer Sauna. Das durch den Waffentreffer erhitzte Metall war noch immer warm. An jeder kühleren Stelle bildete sich Kondenswasser, das die Wände hinablief und sogar von der Decke tropfte.

Gucky schob telekinetisch den linken Kampfroboter zur Seite. »Ja. Probieren wir's. Bisher hat die Blechbüchsenarmee unsere Berechtigungskodes nicht gesperrt. Ich weiß zwar nicht, warum, aber jetzt habe ich eine Idee!«

»Ah. Eine Sternstunde!«, lobte Moncadas. »Und was für eine?«

»Ich nehme an, dass die Zentralpositronik der CREST unsere spezifischen Daten – gerade die der Mutanten! – rechtzeitig irgendwie gesichert oder versteckt hat. Die Roboter haben uns nicht als Besonderheit wahrgenommen, sonst hätten sie uns bestimmt längst isoliert oder sonst wie ausgeschaltet. Sie sind nicht blöd! Die einzige Erklärung ist, dass sie keine Daten haben.«

»Du glaubst ...«, setzte Moncadas an.

Gucky unterbrach. »Ja. Ich denke, dass wir das Bastet verdanken. Sie ist ganz ohne Frage ein extrem kompetentes Schutzprogramm. Ich glaube nicht, dass die Liduuri eine derart hoch entwickelte KI, die zudem für ausgesprochene Notfälle konzipiert ist, so leicht aushebeln lassen. Die Posbis entstammen zwar ebenfalls der liduurischen Technik – aber sie wurden aus dem Verkehr gezogen und wissen nicht alles. Vielleicht war Bastets vermeintliche Löschung ja nur ein Bluff von ihr. Aber auch wenn nicht: Sie ist da, und sie tut, was sie kann. Jetzt will sie, dass wir uns um diesen verdammten Deuteriumtank kümmern.«

Moncadas hatte seinen Prioritätskode eingegeben. Die Sicherheitsschleuse öffnete sich, und die beiden Mutanten betraten die kleine Kontrollklause, in der die wesentlichen Parameter, vom Deuteriumfluss bis zur Reaktionsmassenabstimmung, unabhängig vom Zugriff der Zentrale gesteuert werden konnten. Eine dezentrale Reservestruktur für den Fall einer Katastrophe oder anderer Probleme. Das Schott schloss sich hinter ihnen. Gucky glaubte ein leises Schnurren zu hören.

»Und nun?«, fragte Moncadas.

Gucky hob die Schultern. »Hier ist es sehr viel stärker. Das, was ich vorhin gespürt habe! Überall ist dieses Grundbrummen, das von der Plasmamasse stammt – aber jetzt ist es ganz deutlich: Da ist jemand! Wenn ich nur nicht so müde wäre. Roboterspiele sind anstrengend.«

»Konzentrier dich!«, forderte Moncadas.

Gucky reagierte mit einem sarkastischen Schniefen. »Was denn sonst?« Der Ilt lauschte. Er hatte Mühe, das mentale Grundrauschen Anichs beiseitezuschieben. Irgendwann hob er erstaunt den Kopf. Moncadas wartete gespannt.

»Das ist Perry!«, ächzte Gucky. »Und die anderen! Sie sind zusammen mit Anich an Bord gekommen. Sie stecken in diesem verdammten Plasmatank, inmitten dieses riesigen Neuropuddings! Das ist ...«

»Und sie leben?«, fragte Moncadas fassungslos.

Gucky sah ihn mitleidig an. »Wie könnten sie sonst denken, Schlaumeier?«

2.

CREST: Residenz

 

Perry Rhodan betrachtete die bizarre Umgebung. Die kleine Gruppe war zusammen mit dem Persönlichkeitskern der Posbizentralentität Anich im Schutz von deren Plasmamasse unbemerkt an Bord der CREST befördert worden. Die vier Menschen und zwei Posbis befanden sich nun in einer absurden Sackgasse: im Innern eines der zahlreichen Deuteriumtanks, die üblicherweise die Fusionsmeiler des Ultraschlachtschiffs mit Reaktionsmasse beschickten. Die Posbis hatten etliche davon geleert und für einen Plasmatransport umgerüstet. 30 Millionen Kubikmeter von Anichs organischer Substanz waren nun an Bord.

Die Tanks waren an das Lebenserhaltungssystem der CREST angeschlossen worden und boten, was Atmosphäre, Temperatur oder Luftfeuchtigkeit anging, alles, was zum Überleben nötig war. Trotzdem waren die Installationen provisorisch, sie ermöglichten der Gruppe um Rhodan kaum Zugriffsmöglichkeiten. Von den Robotern installierte Heizstrahler badeten die Plasmamassen in warmes Rotlicht. Die grauweiße Substanz erweckte dadurch den Eindruck von lebendigem Fleisch.

Tim Schablonski machte aus seinem Ekel keinen Hehl. Er deutete auf das runzlige Gebilde, das den Ausgang eines der zahlreichen Gänge bildete, die das Plasma durchzogen. »Wissen Sie, woran mich das verdammte Ding erinnert?«, fragte er düster. »Wir sind im Arsch, wenn Sie mich fragen!«

Anich glich momentan eher einem gewaltigen Schwamm als einer kompakten Masse. Das lag an der beengten Umgebung und der Notwendigkeit, Feuchtigkeit, Sauerstoff und Wärme gleichmäßig zu verteilen. Den ebenfalls mit an Bord gesaugten Mumarrad ermöglichten diese Gänge und Verbindungen zudem, ihre Aufgabe zu erfüllen: Anichs Betreuung.

»... und dazu dieser Geruch!«, fuhr Schablonski fort.

Im Stillen gab Rhodan ihm recht. Die Luft war nicht nur warm und feucht, sie trug ein unangenehm säuerliches Aroma mit sich. Es erinnerte ein wenig an die Atmosphäre in einem seit Langem nicht gelüfteten Fitnessstudio oder einer Umkleidekabine. Ohne Frage handelte es sich um Stoffwechselprodukte des gewaltigen Plasmawesens. Ob und wie diese beseitigt oder weiterverwertet wurden, wussten die Menschen nicht. Schablonski sah einem einzelnen Mumarrad nach, der im Tunnel verschwand.

»Sie machen sich's künstlich schwer, Tim!«, sagte Rhodan lächelnd. »Ich bezweifle sehr, dass Ihnen das weiterhilft!«

Schablonski musterte verstohlen die beiden Posbis Atju und Kaveri, die reglos in der Nähe der Tankwandung schwebten. Anich hatte an dieser Stelle eine Art Plateau geschaffen, auf dem sich die Menschen aufhielten. Ihre Bioimpulse schirmte die Plasmaintelligenz wirksam ab. Die Mumarrad tauchten bisher recht selten auf; in größerer Zahl war das nur der Fall, wenn eine ihrer Prozessionen sie in die Nähe des Durchgangs führte. Die seesternartigen Wesen waren harmlos und stellten keine Gefahr dar.

»Wenn Sie meinen, Sir!«, erwiderte Schablonski ungehalten.

Der Sergeant hatte sich verändert. Als Tani Hanafe durchdreht war, hatte er ihr in den Rücken geschossen. Dass ihm keine Wahl geblieben war, änderte nichts. Er und die junge Mutantin waren einander sehr nahegekommen; wie ihr Verhältnis sich nun entwickeln würde, wusste niemand. Die Paralyse hatte sich gelöst, und die Kohäsionsschwimmerin verhielt sich seither normal.

Rhodan beobachtete, wie sich Cel Rainbow eindringlich mit Hanafe unterhielt. Mehrfach war der Captain in die Rolle des Psychologen geschlüpft. Die hypersensible Mutantin war mit den Nerven am Ende, gleichwohl es Rainbow bisher gelungen war, sie einigermaßen zu stabilisieren. Der Einsatz indes, der das Team um Rhodan in die liduurische Vergangenheit geführt hatte, hatte sich als eine Belastung erwiesen, wie sie nicht nur für Tani Hanafe neu gewesen war: Eine Zeitreise über 50.000 Jahre war an sich bereits ein Schock – und die damit einhergegangene temporale Nekrose war eine Erfahrung, die sogar hartgesottenen Gemütern zu schaffen machte.

»Cel, der Psychodoc!«, kommentierte Schablonski skeptisch. »Wenn das mal klappt.«

»Er macht das sehr gut«, sagte Rhodan leise. »Sie scheint auf ihn zu hören.«

»Kann sein.« Schablonski wandte sich Rhodan zu. »Aber wie sie reagiert, wenn's wieder zur Sache geht, weiß keiner von uns. Sie ist zäher, als man glauben sollte – zäher, als sie selbst weiß. Aber einen Zusammenbruch wird das nicht verhindern. Sie ist zu unerfahren und zu jung. Wir haben's alle miterlebt. Es hat nicht viel gefehlt, und sie hätte uns verraten. Wissen Sie was? Es wäre das Klügste, sie ruhigzustellen. Ich sag das nicht gerne ...«

»Vielleicht haben Sie recht«, entgegnete Rhodan nachdenklich. »Vielleicht aber auch nicht! Wir können uns die Menschen mit Paragaben nicht selbst schnitzen. Die Belastungen durch ihre Fähigkeiten sind enorm, und keiner von uns kann sich vorstellen, wie das für sie ist. Ganz bestimmt ist es kein Vergnügen. Wir müssen sie nehmen, wie sie sind, und ihnen helfen, so gut wir können. Immerhin nehmen sie diese Strapazen für uns in Kauf! Und sie sind keine Soldaten!«

Schablonskis Miene verdüsterte sich. »Was soll denn das heißen?«

»Nun, Sie und Captain Rainbow gehen Ihrem Beruf nach.« Rhodan setzte sich. Das gummiartige Plasma gab ein wenig nach. »Dafür haben Sie sich entschieden, mit allen Vor- und Nachteilen. Sie erfüllen Aufträge, ordnen sich in eine Hierarchie ein und andere Dinge mehr. Dafür wurden Sie gut ausgebildet. Für die Mutanten gilt das nicht. Die haben sich ihre Fähigkeiten nicht ausgesucht, und mit Sicherheit würden viele von ihnen, wenn sie die Wahl hätten, lieber ein anderes Leben führen. Glauben Sie, Tani Hanafe wäre freiwillig Soldatin geworden? Dafür ist sie nicht der Typ – und von den anderen sind das ebenfalls die wenigsten. Die meisten sind Individualisten; wie könnte es anders sein? Es gibt jeden von ihnen nur einmal – und niemanden, der ihnen Orientierung bietet. Für Sie ist Ihre Pflicht klar. Für Hanafe hingegen bedeutet Pflicht etwas ganz anderes: nämlich ein lebenslanges Opfer. Wir erwarten, dass sie das alles für uns tun. Es mag ihre Entscheidung sein: Ihr Wunsch ist es bestimmt nicht!«

Schablonski starrte nachdenklich zu Boden. Der stämmige Mann, der häufig genug Probleme mit seinem überschäumenden Temperament hatte, wirkte überrascht. »So habe ich das bisher gar nicht gesehen. Aber es ist richtig. Die Mutanten sind Zivilisten in einem militärischen Umfeld. Im Krieg, könnte man sagen. Ich denke, mir war nicht klar, was das für einen normalen Menschen bedeutet. Aber ...«

»Mutanten und normale Menschen!« Rhodan lachte. »Wie auch immer: Sie sind keine Soldaten – in keiner Hinsicht –, aber wir alle behandeln sie so! Das kann nur schiefgehen. Und in Bezug auf Tani sind Sie zu unduldsam.«

»Kann sein.« Schablonski verzog den Mund. »Ich bin froh, dass Cel ihre Betreuung übernimmt. Ich könnte das momentan nicht. Ich weiß, dass ich ihr wahrscheinlich unrecht tue, aber ich kann ebenso wenig aus meiner Haut wie sie.«

»Haben Sie mit ihr geredet? Seitdem?«, fragte Rhodan leise. »Vielleicht braucht sie das jetzt!«

Schablonski zog seinen Kopf zwischen die Schultern. »Sie will nicht mit mir reden. Nimmt mir die Geschichte übel. Das Schlimme dabei ist, dass ich sie verstehen kann.«

Rhodan überlegte. »Ich denke, dass sie einfach Zeit braucht! Lassen Sie sie ihr! Ich hoffe, dass sie sich beruhigt. Mein Gefühl sagt mir, dass wir sie noch brauchen werden.«

Der Boden bebte. Wellen liefen durch das Plasma. Träge schwappte es nach wie Gelee. Schablonski schwankte und hatte Mühe, das Gleichgewicht zu halten. »Wie ich das hasse! Ich habe einmal ein Erdbeben erlebt, in der Nähe von Delhi. War nicht allzu heftig, aber ich wollte das trotzdem nie wieder mitmachen müssen. Stattdessen sitze ich jetzt in einem gewaltigen Fass aus Metall, zusammen mit einem riesigen Pudding, und es ist schlimmer als damals! Wie auf einem Boot. Mir wird gleich schlecht.«

Rhodan ignorierte Schablonskis Klagen. Er drehte sich um. Kaveri näherte sich. Der kleine Posbi projizierte ein ratloses Gesicht auf seine schwarze Kopffläche. Das Chassis des Roboters war mitgenommen, obwohl die Selbstreparaturroutinen viele der Beschädigungen wieder beseitigt hatten.

»Perry Rhodan, ich nehme eine sonderbare Sequenz wahr ... falsch ... trotzdem wahr!« Kaveris Stimme war kieksig.

»Was für eine Sequenz, Kaveri?«, wollte Rhodan wissen.

Der Posbi deutete mit dem linken Arm auf eine der nahen Rotlichtlampen.

»Ja und?« Rhodan registrierte nichts Auffälliges.

»Die Beleuchtung pulst. Der Rhythmus entspricht keinem Kode, der mir bekannt wäre ... sollte ... würde ... mir guttun!«

Schablonski hatte sofort reagiert. Er aktivierte eines der kleinen Ortungs- und Messgeräte, die zur Standardausrüstung der Kampfanzüge gehörten. »Kaveri hat recht!«, sagte er verblüfft.

»Recht ... link ... geradeaus!«, kommentierte der Posbi mit Grabesstimme. »Nur nicht zurück ... in die Zukunft!«

»Das ist ein alter Flottenkode«, wunderte sich Schablonski und winkte Rainbow zu sich. Der Captain legte Hanafe eine Hand auf die Schulter und setzte sich in Bewegung.

»Ein 86-A!«, fuhr Schablonski fort. »Wird seit Jahren nicht mehr benutzt. Ein analoger Kode; basiert auf einem alten Alphabet. Man lernt das während der Ausbildung. Wundert mich, dass er in den Speichern der Anzüge steckt. Jemand will was von uns!«

»Wer könnte das sein?«, erkundigte sich Rainbow.

»Gucky!« Schablonskis Miene hellte sich auf. »Verdammt, das ist unser Mausbiber! Er steckt draußen vor dem Tank. Wie hat er uns nur gefunden? Ein Teufelskerl!«

»Lassen Sie ihn das nicht hören.« Rhodan grinste. »Der Kleine wird sonst größenwahnsinnig!«

Rainbow mischte sich ein. »Wie hat er das geschafft? Anichs mentale Präsenz müsste unsere Gegenwart eigentlich überdecken. Schon wir spüren den Druck; für Mutanten dürfte es erheblich schlimmer sein.«

»Hatte wohl Hilfe!«, brummte Schablonski begeistert. »Er erzählt was von Bastet!«

»Bastet wurde gelöscht!«, wandte Rhodan ungläubig ein. »Ich habe das selbst miterlebt. Ich zweifle nicht im Mindesten an der Fähigkeit der Posbis, das sehr effektiv zu tun!«

»Dann waren die Blecheimer vielleicht ein bisschen zu nachlässig!«, spekulierte Schablonski. »Der Tipp kam eindeutig von unserem schnurrenden Subprogramm. Ich liebe dieses Schiff – habe ich das schon mal gesagt?«

»Außerdem haben Sie recht, Sergeant!« Rhodan deutete auf den Boden, nahe der Wandung. »Sehen Sie das?«

Schablonski verstummte. Auf der weichen Oberfläche zeichnete sich eine Spur ab. »Katzenpfoten!«, ächzte er. »Die Schiffsmieze hat's tatsächlich überlebt. Zähes Luder, alle Achtung!«

»Sie hat wohl einiges einstecken müssen«, stellte Rainbow fest. »Das Programm funktioniert nur rudimentär.«