Inhaltsverzeichnis

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel Eins Das Märchen von der friedlichen Revolution 1989

Kapitel Zwei Das Auto verbindet Welten und Religionen und überfährt sie

Kapitel Drei Der Gang in die Innenstadt

Kapitel Vier Fetisch Mobilität

Kapitel Fünf Das Tempovirus

Die Ursache der Beschleunigung

Die Beschleunigung der Beschleunigung

Der Mensch liebt die Bewegung

Die Tötung von Raum und Zeit und ihre Wiedergeburt

Kapitel Sechs Vom Tempovirus zum Autovirus

Das Auto als Rüstung

Das Auto als Wohnzimmer

Das Auto als Fetisch

Born to be wild

Kapitel Sieben Die Drogenkartelle

Die Drogenbarone

Die Dealer

Regierungen

Landespolitiker, Dezernenten und andere Provinzler

Die »Autokritischen«

Verbände und Verbandelungen

Architekten, Verkehrsplaner und Ökoinstitute

Die Drogenkuriere

Die Junkies – Mama, Papa, Kind

Kapitel Acht Die Unrechtsordnung

»Die Verkehrsregeln« – Sachzwang der Motorisierung

Der »Führer« befahl, und sie folgen noch immer

Die Würde des Autos ist unantastbar

Kapitel Neun Revolution oder Umgehungsstraße?

Kapitel Zehn Die Verbreitung der Sucht

Reiche und Rennen – Städter und Landeier

Die erste Autowelt : Die USA und ihr fordistischer Motor

Die zweite Autowelt : Europa – das Auto und sein faschistischer Motor

Das Auto – ein frühes Mittel der Gegenrevolution

Die Durchsetzung der hohen Geschwindigkeit als Voraussetzung der Durchsetzung des Autos

Der Mythos von Individualität und Freiheit als Verbrechen

Die dritte Autowelt : Ostblock, Lateinamerika, Asien

Kapitel Elf Die Opfer der Massenvernichtungswaffe Auto

Die hochmotorisierten Länder (HML)

Mikrokosmos Deutschland

Die niedrigmotorisierten Länder (NML)

Fazit

Kapitel Zwölf Totale Automobilmachung 2030

Die Leichenberge, die vor uns liegen

Umweltzerstörung

Klimakatastrophe

Kapitel Dreizehn Die Utopie einer autobefreiten Gesellschaft

Entschleunigung gegen den Autowahn

Die autobefreite Stadt

Stadt, Land, Verkehrsfluss

Flankierende Maßnahmen und Kosten

Der Garten Eden

Hitliste

Die größten Opferzahlen pro Jahr

Die schlimmsten Todesraten

Die meisten Toten seit Beginn der Motorisierung

Die dümmsten Autofilme

Die besten Autofilme

Prominente Verkehrstote

Dank

Literatur

Fortlaufende statistische Erhebungen und Datenreihen im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung :

Anmerkungen

cover

Westend Verlag

Ebook Edition

Klaus Gietinger

TOTALSCHADEN

DAS AUTOHASSERBUCH

unter Mitarbeit von Markus Schmidt

Westend Verlag

Dieses eBook folgt der Originalausgabe des Buchs, die erstmals 1998 im Druck erschien. Die Orthographie wurde an die neue Rechtschreibung angepasst.

Nicht in allen Fällen konnten die Inhaber der Bildrechte ermittelt werden, wir bitten gegebenenfalls um Hinweis an den Verlag.

Für die Hintergrundkarte auf dem Cover bedanken wir uns ganz herzlich bei Michael Böttinger vom Deutschen Klimarechenzentrum. Es zeigt eine Momentaufnahme der Wirbelhaftigkeit (Vorticity) der Luftmassen für eine Simulation mit einem hochauflösenden globalen Klimamodell (ECHAM6). Die gelblich-rötlichen Strukturen zeigen auf der Nordhalbkugel durch Tiefdruckgebiete ausgelöste lokale Luftbewegungen entgegen dem Uhrzeigersinn.

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www.westendverlag.de

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-86489-613-2

© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2015

Satz und Datenkonvertierung: Publikations Atelier, Dreieich

»Der Mensch ist kein Vernünftig …!«

Unvollendeter Satz meines Deutschlehrers Eduard Sommer, 1969

Vorwort

1972, als Schüler, war ich in Südfrankreich. Wir fuhren mit einem roten Bahnbus dieselbe Strecke wie damals Yves Montand bei den Dreharbeiten zu Lohn der Angst. In den engen Kurven musste der Bus mehrmals zurückstoßen, so dass wir, die wir auf der letzten Bank saßen, über dem Abgrund schwebten. Es war das erste Mal, dass ich das Meer sah. Wir kamen auch durch eines der kleinsten Länder der Erde. Dort stand ich, nach dem Besuch des Ozeanografischen Instituts, vor dessen Eingang. Und plötzlich sah ich sie im Fond eines Rolls-Royce Silver Shadow an mir vorbeigleiten. Sie war eine der schönsten Frauen Hollywoods – die weiße Jungfrau in 12 Uhr mittags. Legendär ihr Kuss, mit dem sie in Das Fenster zum Hof, erst als Schatten auftauchend und dann in doppelt kopierter Zeitlupe, James Stewards Lippen mit den ihren berührt. Legendär auch ihre rasende Cabrio-Fahrt in dem Film Über den Dächern von Nizza – natürlich heute als schlechte Rückprojektion erkennbar. Auf genau dieser Straße, so das vermutlich falsche Gerücht, sei sie dann wirklich verunglückt, 27 Jahre später, als Gracia Patricia, als Fürstin von Monaco.

Am 13. September 1982 jedenfalls kam sie mit ihrem Rover 3500 auf der Route de la Turbie in einer so genannten Haarnadelkurve von der Straße ab und stürzte, ihre Tochter Stéphanie an der Seite, 40 Meter tief ab. Im Krankenhaus fiel sie ins Koma. Am nächsten Tag starb sie mit 52 Jahren. Das Ende einer Märchenprinzessin.

Mein erstes Wort soll nach Auskunft meiner Mutter »Auto« gewesen sein. Das verpflichtet. Mit dem Ding muss abgerechnet werden.

Autos stehen meistens rum, überall. Wenn sie fahren, machen sie Krach und Dreck. Sie beanspruchen jede Menge Platz. Sie machen Städte und Landschaften platt. Sie fressen Öl. Sie scheißen Klimagase.

Reicht das nicht? Dann kann ich nachlegen : Autofahren, vor allem schnelles, verursacht bei mir extreme Angst. Und die brauche ich nicht.

Noch nicht genug? Autofahren ist tödlich. Das Auto hat mir etliche Freunde, Verwandte und Bekannte genommen. Ich habe genau ausgerechnet, wie viele Menschen das Auto umgebracht hat. Es sind unglaublich viele – vergessene Tote, verdrängt von der Kfz-Gesellschaft.

Gern würde ich Carsten Otte beipflichten : »Nichts schadet dem Image des Autos so sehr wie der Massentod auf den Straßen.«1 Leider ist das nicht so. Als 1970 beinahe 90 000 Menschen in der kleinen EU (15 Länder) auf deren Straßen krepierten, trug das Auto ebenso wenig Kratzer davon wie heute, wo es weltweit Millionen sind, die durch diese Killermaschine verrecken. Wer sich immer wieder da reinsetzt, will von irgendwelchen Imageschäden nichts wissen und nimmt stattdessen den Tod anderer – und auch seinen eigenen – billigend in Kauf.

Meine Recherchen haben mir eines klargemacht : Das Auto ist die größte Massenvernichtungswaffe aller Zeiten. Diese Waff e muss bekämpft, sie muss unschädlich gemacht werden. Da sich der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika nicht bereit erklären wird, General Motors, Ford und Chrysler oder Mercedes, Toyota, BMW etc. zu bombardieren, wie das sein Vorgänger mit einem anderen angeblichen Massenvernichtungswaff enproduzenten gemacht hat, da auch die NATO keine Truppen schicken wird und ich ein friedliebender Mensch bin, gänzlich ungeeignet zum Schusswaffenträger, Amokläufer oder Terroristen, müssen andere Abwehrwaffen her. Und ich kann mit keinen anderen umgehen als mit denen der Kritik. Ich will Pfade aufzeigen, die man begehen und die man befahren kann – mit Fahrrädern oder mit Bussen und Bahnen. Da der Mensch kein Vernünftig ist, gilt Goyas Satz, dass der Schlaf dieses Vernünftig Ungeheuer gebiert. Doch der Spruch kann auch anders verstanden und übersetzt werden : Der Traum des Vernünftig gebiert genauso Ungeheuer. Ein solcher Traum, ein solches Ungeheuer ist das Auto und ist vor allem der Mensch, der es fährt.

Einer der besten Disney-Cartoons heißt Motor Mania (USA 1950)2, er zeigt Goofy als braven Bürger (Mr. Walker), der zum Monster (Mr. Wheeler) wird, sobald er sein Auto besteigt, und der sich wieder in einen braven Bürger zurückverwandelt, sobald er sein Kfz verlässt.

Versetzen Sie sich für einen Augenblick in den Körper eines Außerirdischen, von dem wir annehmen, er sei ein vernünftiges Wesen. Ihm – und also Ihnen – würde alles sehr, sehr seltsam erscheinen auf dieser Erde. Sie sähen eine Welt, die vom Auto dominiert wird, eine absonderliche Welt : Die einen, ein paar wenige, bestimmen über dessen Herstellung und Verbreitung. Die anderen kaufen es massenhaft. Und die – es werden immer mehr – irren, ähnlich dem Fliegenden Holländer, wie wahninnig herum. Wir irren motorisiert herum, weil wir das als Freiheit verstehen, aber es ist das Gegenteil davon – eine Sucht.

Sie können natürlich einwenden : Solange ein Süchtiger andere nicht gefährdet, ist das seine Sache; und auch diese ganzen medial aufgeblasenen Pseudoseuchen wie Vogel- oder Schweinegrippe, Rinderwahn, Zecken, Kampfhunde und S-Bahn-Schläger lassen mich ziemlich kalt. Doch bei der Autosucht ist es anders, sie gefährdet Millionen. Und sie ist eine wirkliche Seuche, so wie HIV oder die Pest. Das Auto selbst ist ein Virus, das sich unaufhaltsam verbreitet und die Menschen befällt. Noch ist kein Serum dagegen gefunden und kein Gegenmittel.

Ich rufe Ihnen allerdings zu : Wir arbeiten dran. Aber wir brauchen dringend Verstärkung. Schließen Sie sich uns an! In Deutschland kenne ich nur vier wirkliche Autokritiker : Heiner Monheim, Markus Schmidt, Dieter Teufel und Winfried Wolf. In Österreich gibt es noch einen, den kenne ich nicht persönlich, er ist aber einer der großen : Hermann Knoflacher. Dann wird’s schon mau. Denn Leute, die sich als Autokritiker ausgeben, gibt es ganz viele. Aber das sind meist falsche Fuffziger. Man erkennt sie daran, dass sie in jeder Diskussion, in der ein bißchen am Autolack gekratzt wird, den Satz einbauen : »Ich will das Auto ja nicht verteufeln, aber …«

Ich aber sage : »Es wird endlich Zeit, das Auto zu verteufeln!« Und austreiben kann man diesen Teufel nur mit dem Beelzebub. Ein Exorzismus ist nötig!

Schlüpfen Sie jedoch vorher wieder in die Haut unseres Außerirdischen : Das Auto, das den Menschen Freiheit zu verschaff en schien, produziert extreme Unfreiheit – es ist, um ein Reizwort zu gebrauchen, totalitär.

Das betrifft den Fußgänger, der nur bis zur nächsten Ecke kommt und dann Spalier stehen muss für die Autos, der an Ampeln, die nur für die Autos da sind, warten muss, dessen Geschwindigkeit sich umgekehrt proportional zu dem des Pkw verändert hat. Der riesige Umwege gehen muss, überall durch herumstehende Blechhaufen behindert wird, der fast völlig rechtlos 200 karzinogene Schadstoffe einatmet, die allein das Auto hinauspustet. Das betriff t weiter den Anwohner, der schon bei geringer Pkw-Konzentration Lärmwerte ertragen muss, die keiner Fabrik zugestanden würden. Der Feinstaub einatmet und seine Kinder zur Käfighaltung verdammt und aufs Vorrecht des Autos hin konditioniert, weil er um ihr Leben fürchtet. Oder die Mutter, die ihre Kinder mit dem Auto zur Schule fährt, um sie vor anderen Autos zu schützen. Oder den Radfahrer, der auf Radwege verbannt wird und dort gefährdeter ist als auf der Straße. Den Kleinunternehmer, den Ladenbesitzer, dem die Kunden wegbleiben, weil die Umgehungsstraße oder die Autobahn an seinem Geschäft vorbei- und nicht zu ihm hinführt. Es sind Milliarden Menschen, die dieses Sonderrecht auf Lebenszerstörung durch das Auto ertragen müssen – und es oft auch ertragen, weil sie selbst fahren, weil sie sich die Umgehungsstraßen und Autobahnen selbst gewünscht haben.

Aber es gibt auch Hoffnung. Denn eine Menge Leute haben keinen Führerschein, in Deutschland fast 40 Prozent. Außerhalb Europas noch viel mehr. Da sind einige Babys und Kinder dabei und ein paar Greisinnen und Greise. Aber es gibt doch eine ganze Menge Menschen im berufstätigen Alter, wie das heißt, die die absurde Bedienung von Lenkrad, Brems-, Kupplungspedal und Gangschaltungsknüppel nicht beherrschen und über keinen Persilschein, keine Fahrlizenz zum Verpesten, Verletzen und Töten verfügen.

Auch wenn wir noch vereinzelt sind : Unsere Zeit wird kommen! Wir sind die Avantgarde der Verkehrsrevolution, auch wenn wir sie nicht mehr erleben werden. Vielleicht auch deshalb, weil wir vorher – im Wortsinn – unter die Räder kommen.

Am Anfang, vor guten hundert Jahren, waren es erst wenige Wahnsinnige, die die Menschen von ihren Straßen und Plätzen vertrieben, die Dreck und Staub verbreiteten und den Tod übers Land brachten. In der Frühzeit wurden einige dafür gelyncht. Das wollen wir natürlich nicht. Wir sind für einen fairen Prozess. Aber vor Gericht sollen sie kommen – die Drogenbarone, die Dealer, die sozialschädlich Süchtigen und alle die, die heute nicht dafür sorgen, dass diese Todesmaschine wenigstens zurückgedrängt wird.

Die Abermillionen Toten mahnen uns. Die Unfalltoten und die, die beim Krieg ums Öl gefallen sind. Und die Milliarden Verletzten, die unzähligen Schwer- und Schwerstverletzten, die dahinsiechen, die Krüppel, die Luftverpesteten und die Hörgeschädigten. Auch deren Angehörige, die psychisch und physisch verarmen und dabei im Glauben leben, dass sie ihre Kinder, ihre Männer, ihre Eltern auf dem Altar der Moderne geopfert haben.

Es mahnen auch die, die verhungert sind, und die, die entwurzelt und vertrieben wurden, weil das Auto alles frisst : Öl, Ölsand, Biodiesel, Gas, Wasserstoff, Strom, Raum, kurze Wege, Zeit, Ruhe, Bäume, Plätze, Flüsse, Täler, Berge, Häuser, Kommunikation, Gesellschaft und immer wieder Menschen. Weil diese Erfindung des Verderbens aus der Straße einen Todesstreifen gemacht hat, der die ganze Welt umspannt, einschnürt, fesselt und knebelt.

Doch in jedem Auto sitzt ein Mensch, einer, der es steuert, und somit einer, der verantwortlich ist.

Sind Autofahrer denn Mörder? Auch dieser Frage werde ich nachgehen.

Doch zuerst eine Definition : Wenn in diesem Buch vom »Auto« die Rede ist, meine ich der Einfachheit halber nicht nur den Personenkraftwagen (Pkw) mit vier Rädern, sondern alles, was sich mit Motor fortbewegt, ob Moped, Motorrad, Traktor und Lkw, solange es nicht durch Schienen geführt wird. Also das, was hierzulande so treffend »Kraftfahrzeug« (Kfz) heißt. Ein Fahrzeug, dessen Kraft Fantasien produziert, Wünsche weckt und die niedersten Instinkte motorisiert. Kraftwagen und Kraft-durch-Freude-Wagen gehören zusammen. Sie sind zwei Seiten einer Medaille, wie Henry Ford und Adolf Hitler, Helmut Schmidt und Erich Honecker, Franz Josef Strauß und Mao Tse-tung, Jürgen Trittin und Oskar La fontaine, Porsche und Piëch, Osama und Obama.

Alle wollen oder wollten sie die Kfz-Gesellschaft und verteidigen sie – mit ihrem Geist und, wenn sie noch leben, mit ihrer Macht – mit allen Mitteln. Auch darüber wird näher zu berichten sein. Ich nenne die Nutznießer dieses Drogenkartells, dieser Junkiegesellschaft. Ich bin der selbsternannte Anti-Drogenbeauftragte, der Tacheles redet.

Und noch eine Unterscheidung : Wenn wir übers Auto sprechen, dann ist die Welt mindestens in zwei Teile geteilt. Die Hochmotorisierten, das sind große Teile der EU, die ganzen USA, ganz Japan und Australien plus Neuseeland sowie einige wenige Schwellenstaaten, insgesamt zirka 33 Länder. Der Rest der Welt, das sind zirka 168 Länder, ist niedrigmotorisiert und versucht dies zu ändern, rapide.

Das Virus ist längst aus Europa, aus den USA und Japan heraus bewusst auf die Niedrigmotorisierten übertragen worden. Sie wurden infiziert und hängen jetzt auch an der Nadel der Temposucht. Wir haben sie angesteckt, wir haben sie süchtig gemacht. Ohne Erbarmen. Einzig Afrika hinkt hinterher. Aber auch hier sterben Unzählige auf der Straße – also nicht nur in den Slums, an Hunger oder an AIDS. Niedrig- und Hochmotorisierte, zwei Seiten einer Medaille und doch zwei Paar Stiefel. Während man in Europa glaubt, die Massenvernichtungswaffe im Griff zu haben, tötet sie im Rest der Erde immer mehr. Doch das Auto lässt sich nicht entschärfen. Auch nicht in Europa. Es muss verschrottet, die Massenvernichtungswaffe muss vernichtet werden.

Und auch wenn der Mensch kein Vernünftig ist, hoff e ich doch auf den Sieg von Visionen wie die des Stadtrats Wrzlrmpft, der die Verkehrsprobleme Münchens folgendermaßen lösen wollte :

»Der Montag ist nur für die Personenautos, der Dienstag nur für die Geschäftsautos, der Mittwoch Straßenbahn, der Donnerstag für die Omnibusse, der Freitag für die Feuerwehr, der Samstag für die Radfahrer, die Sonn- und Feiertage nur für die Fußgänger. Auf diese Weise würde nie mehr ein Mensch überfahren werden.

Oder eine weitere Lösung : Im Januar nur Personenautos, im Februar Geschäftsautos, im März die Straßenbahnen. (…)

Oder 1939 nur Personenautos, 1940 Geschäftsautos, 1941 Straßenbahnen, 1942 die Omnibusse, 1943 die Feuerwehr, 1944 die Radfahrer, 1945 Fußgänger usw.

Oder im 20. Jahrhundert nur Personenautos, im 21. Jahrhundert nur Geschäftsautos, im 22. Jahrhundert … (Tumult, ›Ruhe‹-Rufe, Glocke des Vorsitzenden, ›Aufhören‹-Rufe)«.3

Ich fordere in leichter Abwandlung : im 21. Jahrhundert nur Fußgänger, Fahrradfahrer, Omnibus, Straßenbahn, Bahn und Feuerwehr.

Bis der Mensch ein Vernünftig wird.

Kapitel Eins
Das Märchen von der friedlichen Revolution 1989

»Rahn müsste schießen, Rahn schießt und Tor, Tor, Tor!« – und : »Aus, aus, aus! Deutschland ist Fußballweltmeister!« Das sind mit die berühmtesten Worte, die in diesem unseren Lande je über Rundfunk ausgestrahlt wurden. Gesprochen hat sie ein ehemaliger Panzerkommandant im Zweiten Weltkrieg, Ritterkreuzträger und Onkel eines später berühmten grünen Anwalts und Fahrradfahrers. Es sind die Worte, die als Geburtsfanfare eines neuen Nationalgefühls gelten, der eigentliche Taufspruch der jungen Bundesrepublik Deutschland.

Doch der Geburt folgt auch bald der Tod, jedenfalls dessen, der diese Worte in den Äther rief. Am 11. Dezember 1966 heißt es überraschend »Aus, aus, aus, das Spiel ist aus!« für Herbert Zimmermann. Auf der Fahrt nach Osnabrück kurz hinter Bassum auf gerader Straße verunglückt er tödlich mit seinem Mercedes.

Ich war nie ein Freund der DDR.

Zugegeben : Ein gewichtiges Argument für diesen untergegangenen Staat ist immer gewesen, dass er die Kapitalisten und die Regierungen in der BRD auf Trab gehalten hat und dass es zum Beispiel Hartz IV angesichts einer real existierenden DDR nicht gegeben hätte. Der »Unrechtsstaat« hat dem »Rechtsstaat« ganz schön auf die Beine geholfen, vor allem seinen Bürgern und ihren Arbeitskämpfen.

Doch warum mochte ich die DDR nicht, wie einige meiner Freunde oder Bekannten, die sich zum Teil in K-Gruppen tummelten? Vielleicht einfach schon deswegen nicht, weil ich mich nicht gern von Uniformierten anbrüllen lasse. So geschehen 1979 in einem Transitzug aus Westberlin, nachdem die Abteiltür aufgerissen und ich, weil ich nur meinen Personalausweis vorweisen konnte, von einem Uniformierten barsch angeschrien wurde : »Pass, habe ich gesagt!« Einem jüngeren Menschen heute wird der Unterschied zwischen Pass und Personalausweis gar nicht bewusst sein, weil er ja in Europa mit seinem Personalausweis fast überall hinkommt. Ich jedenfalls musste extra zehn Mark zahlen, um mir von dem cholerischen Grenzsicherheitsorgan ein Visum ausstellen zu lassen, das es mir erlaubte, das Hoheitsgebiet der DDR per Eisenbahn zu durchqueren.

Nun, die DDR-Grenzer waren so, wie eben Grenzer auf der ganzen Welt sind, nur etwas grenziger. Der westdeutsche Zoll war da aber auch nicht besser. Als so ein BRD-Uniformierter das Abteil jenes Zuges kurz nach Erreichen heimischen Bodens durchsuchte, blaffte er eine Mitreisende an, sie habe Ware nach Deutschland geschmuggelt. Da fragte ich ihn, wieso das denn strafbar sei, Ware von Deutschland nach Deutschland zu schmuggeln – vor allen Dingen, wo doch an der Autobahn-Grenze immer das schwarzrot-goldene Plakat zu lesen sei : »Vergesst nicht : Auch drüben ist Deutschland!« Wenn hier Deutschland sei und drüben auch, wie könne er als Zöllner dann behaupten, die Frau habe geschmuggelt. Der westdeutsche Uniformträger zögerte einen Moment, er schien kurzzeitig verblüfft, und es sah so aus, als würde er nachdenken. Doch dann drohte er : »Mischen Sie sich nicht in eine Amtshandlung ein, oder ich sperre Sie in ein Abteil.« Ich schwieg. Die Vorstellung, eben durch ein eingesperrtes Land gefahren zu sein, um dann im »freiesten Land, das je auf deutschem Boden existierte«, in ein rollendes temporäres Gefängnis eingesperrt zu werden, verschlug mir doch die Sprache. Und das, weil ich einer Frau zur Hilfe kommen wollte, die ich nicht kannte und die angeblich Ware von Deutschland nach Deutschland geschmuggelt hatte. Waren es Bücher gewesen oder Eierbecher oder Schnaps oder Plaste und Elaste aus Schkopau oder nur das Neue Deutschland, die Schnarchzeitung des kleinbürgerlichen DDR-Sozialismus? Ich weiß es nicht mehr.

Etwa zehn Jahre später fiel die Mauer, und solche aufregenden neun Stunden langen Zugfahrten mit brüllenden Ost- und Westuniformierten blieben mir seitdem erspart. Die DDRler hatten ihre Fesseln abgelegt und praktizierten sofort die freie Fahrt, die freien Bürgern offensichtlich zusteht. Wieso diese Revolution dann aber friedlich gewesen sein soll, habe ich nie verstanden. Spätestens seit dem 9. November 1989 strömten unzählige Trabis in den Westen und wieder zurück. Bananen wurden gekauft und neue Autos. 40 Prozent der DDR-Bürger legten sich neue Schüsseln zu.1 Gebrauchtwagenhandlungen schossen wie Pilze aus dem Boden. Ähnliches geschah mit den Holzkreuzen an Alleebäumen, auf Landstraßen, inner- und außerhalb von Dörfern und Städten. Die DDR-Bürger entdeckten ihre lang unterdrückte »Mobilität«, und die brachte viele bald abrupt auf Geschwindigkeit 0, was den Tod der Mobilisten zur Folge hatte. Ströme von Blut flossen. Die Zahl der tödlichen Unfälle stieg auf das Dreifache. Betrachtet man die Zahlen bis 2002 – dem Jahr, in dem die Plansollübererfüllung wieder auf 0 zurückfiel, also die Todesrate den gleichen Wert wie vorher aufwies –, dann haben etwa 14 410 Menschen diese Maueröffnungsmobilität nicht überlebt. Ein Leichenberg, der allein der »friedlichen Revolution« geschuldet ist bzw. der dadurch ungebremsten raschen zusätzlichen Motorisierung des ehemaligen Arbeiter- und Bauernstaates.

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Im Verhältnis zu den etwa 1000 an der deutsch-deutschen Grenze erschossenen Menschen ist das eine ganze Menge. Nur dass ihrer nicht gedacht und niemand dafür strafrechtlich verfolgt wird. Oder wie es Heinrich Praxenthaler, der Ex-Präsident der West-Bundesanstalt für Straßenwesen (BAST), ausdrückte : »Ohne es auszusprechen sind manche der Meinung, dass bei einem historischen Aufbruch solcher Wucht auch im Verkehrsgeschehen ein hoher Preis zu zahlen ist.«2

Wo gehobelt wird, fallen eben Späne. Man kann somit die »friedliche« Revolution als die wohl blutigste Revolution auf deutschem Boden bezeichnen. Nicht einmal die Bauernkriege von 1525 oder die Revolutionen von 1848 und 1918, allesamt gescheitert, haben so vielen Menschen das Leben gekostet. Nur der Dreißigjährige Krieg führte zu einem vergleichbaren innerdeutschen Blutvergießen. Aber das war ein Krieg und eben keine Revolution.

Es wundert daher, dass bei den ganzen Huldigungssendungen und Huldigungsartikeln an die 20 Jahre alte »friedliche« Revolution diese Toten mit keinem Wort erwähnt wurden. Absicht? Verdrängung? Oder sind die Toten auf den Straßen tabu? Eine Frage, die es zu klären gilt. Doch verfolgen wir den Weg der Ostdeutschen in die freie Fahrt etwas genauer :

Ab Sommer 1989 die Massentrabiflucht in die Tschechoslowakei und am 9. November 1989 die erste Maueröffnung zur freien Fahrt nach dem Begrüßungsgeld. Im Jubeljahr 1990 wurde es dann ganz katastrophal. Die Anzahl der Straßenverkehrstoten in der Noch-DDR stieg von 1531 (1987) auf 3140 (1990) und im ersten Vereinigungsjahr sogar auf 3759 (1991), obwohl immer noch die vergleichsweise »harten« DDR-Verkehrsregeln galten : Tempo 100 auf der Autobahn, 80 auf der Landstraße und 0,0 Promille Alkohol am Steuer. Was war geschehen? Nun, allein die Aussicht darauf, dass die Regeln fallen würden, genügte schon, sie nicht mehr einzuhalten. Denn BRD-Verkehrsminister Zimmermann (CSU), ein knallharter Bleifußanhänger, versprach, diese Mauern gegen die Freiheit des Gaspedals sobald als möglich einzureißen.

Hier sollten wir kurz innehalten, uns von der DDR ab- und der CSU zuwenden, weil diese Partei wie keine andere eine Sauf- und Bleifußmentalität hat, die schon einige ihrer prominenten Mitglieder in den weißblauen Autohimmel beförderte.3

Hanns Seidel, CSU-Ministerpräsident und Namensgeber der CSU-nahen Stiftung zog sich 1958 bei einem Autounfall so schwere gesundheitliche Schäden zu, dass er erst das Ministerpräsidentenamt und dann zwei Jahre später den Löff el abgeben musste. Verteidigungsminister Franz Josef Strauß wies 1958 seinen Fahrer an, das Haltesignal eines Verkehrspolizisten namens Siegfried Hahlbohm zu missachten, wobei Straußens Dienstwagen beinahe eine voll besetzte Straßenbahn rammte. Strauß versuchte später, aus Dank, dass er überlebt hatte, der Karriere dieses Polizisten durch wochenlanges intensives Bemühen einen Knick zu verschaffen, wodurch allerdings herauskam, dass der Fahrer des Verteidigungsministers wegen verschiedenster Verkehrsdelikte bereits fünffach vorbestraft war. Die Gattin des Namensgebers des Münchner Flughafens, Marianne Strauß, beendete dagegen im Juni 1984 unter Tabletteneinfluss in einem Mercedes 230 E ihr Leben dadurch, dass sie mit ihm in einer leichten Linkskurve ausscherte, über einen Hohlweg flog und sich in die Böschung bohrte, wobei sie sich das Genick brach. Ihr wurde daraufhin posthum der bayerische Verdienstorden verliehen. Marianne Strauß hatte ein halbes Jahr zuvor ihrem Parteifreund, dem Leutnant der Reserve Otto Wiesheu, Trost zugesprochen, nachdem dieser nachts, in seinem Mercedes 380 SE, mit mindestens 1,75 Promille und nach eigenen Angaben einer Geschwindigkeit zwischen 100 und 200 km/h, auf einen polnischen Rentner und Auschwitz-Überlebenden namens Josef Rubinfeld und dessen Fiat 500 aufgefahren war, den Kleinwagen zermalmt und den Rentner vom Leben zum Tod befördert hatte (der Beifahrer des Polen überlebte schwer verletzt). Auf Wiesheus Wagen stand schon 1975, da war er noch Vorsitzender der Jungen Union Bayern, der Aufkleber : »Mir san Hund, die andern san Hund, aber mir san die größeren Hund!« Dies bewies die Partei dann dadurch, dass sie den in erster Instanz zu 13 Monaten Gefängnis Verurteilten – es wurden dann später 12 Monate Bewährung daraus, das übliche Strafmaß für das Umbringen eines Menschen mittels Alkohol und Auto – erst zum Vorsitzenden eben jener Hanns-Seidel-Stiftung und einige Jahre danach zum bayerischen Verkehrsminister machte. Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn, Hartmut Mehdorn, berief ihn dann Ende 2005 zum hoch dotierten Vorstandsmitglied, in der Hoffnung, ihn bei der Zertrümmerung der DB, auch Börsengang genannt, gebrauchen zu können. Doch die Bahn-Verschleuderung zerschlug sich erst mal, und Mehdorns Nachfolger Rüdiger Grube gab dem CSU-Mann den Laufpass. Dass Wiesheus Strafe 1985 so stark herabgesetzt wurde, verdankte der bei der Allianz Versicherte übrigens einem epochemachenden Entlastungsgutachten des Unfallforschers und in der Allianz-Generaldirektion tätigen Prof. Max Danner, der einige Jahre später im Selbstversuch mit 2,23 Promille einen Auff ahrunfall verursachte.

Weiter mit der CSU. Hermann Höcherl, 1981 vom damaligen SPD-Verkehrsminister Volker Hauff als Vorsitzender einer gleichnamigen Kommission eingesetzt, die untersuchen sollte, warum so viele Menschen auf deutschen Straßen sterben (damals 13 000 in der BRD), und die übrigens tatsächlich ein Tempolimit vorschlug, wurde wenig vorbildhaft drei Jahre später betrunken am Steuer seines Fahrzeugs von der Polizei erwischt. Letzteres hatte sich das CSU-Gründungsmitglied (später Landtagspräsident) Franz Heubl schon 1976 nicht gefallen lassen wollen, nachdem er mit 2,3 Promille einen gegnerischen Pkw karamboliert und auch noch eine Gartenmauer mitgenommen hatte. Als er nach begangener Fahrerflucht von der Polizei aus der redlich verdienten Nachtruhe gerissen wurde, führte er sich so uncharmant auf, dass ihn die Staatsanwaltschaft wegen »Unfallflucht, Beamtenbeleidigung, Nötigung und Widerstand gegen die Staatsgewalt« anklagen wollte. Merkwürdigerweise wurde nichts draus. Der Alkoholkonsum Heubls und Wiesheus wurde nur noch getoppt durch den Wolf Fellers, seines Zeichens damals Programmdirektor des Bayerischen Rundfunks und ebenfalls strammes CSU-Mitglied, der mit 2,36 Promille seinen Porsche 911 schlangenlinienfahrend mit einem entgegenkommenden BMW zusammenführte und für doppelten Totalschaden sorgte.

Das sind nur die prominentesten Fälle. Ich selbst habe einen Medienexperten dieser Partei erlebt, wie er schon am frühen Nachmittag mit der Bierflasche zum Drehort kam und sich mit Kavalierstart wieder verabschiedete. Es ist also nichts passender, als CSU-Männer zu Verkehrsministern zu machen. Der Gerechtigkeit halber sei allerdings erwähnt, dass es in der CSU auch eine Minderheit gab, bestehend aus dem Forstwirt Josef Göppel, der sich vor 20 Jahren für ein Tempolimit einsetzte und selbstredend ausgebremst wurde.4 Aber nicht nur die CSU verbindet die Freiheit des Gaspedals mit der des ungehinderten Alkoholkonsums. Heinrich Lummer, der sich als Law-and-Order-Mann in Berlin und der CDU einen Namen machte, wurde eines Tages von der Frontstadt-Polizei (vormals seiner eigenen) mit 1,96 Promille angehalten. Ottmar Schreiner wiederum, angeblich der letzte Linke in der SPD, war 2005 alkoholisiert auf Wahlkampf im Saarland unterwegs, als er sich linksabbiegend Richtung Autobahn einfädelte und nur durch das aufgeregte Hupen eines entgegenkommenden Fahrers an der Geisterfahrt gehindert werden konnte.

Zurück zu unseren Brüdern und Schwestern im Osten. Die Aussicht darauf, dass kurz nach der Mauer auch Tempo 100 auf der Autobahn (Ende 1991), Tempo 80 auf der Landstraße (Ende 1992) und gleichzeitig das Saufverbot fallen sollten, verlieh den Ostdeutschen Flügel, eine ganze Menge davon wurden sogar richtige Engel mit Schneejeans – so nannten die DDR-Bürger die damals bei ihnen beliebten Stone-Washed-Jeans. Das Blut, das über diese Hosenform floss, könnte ganze Tanks füllen.

Man kann also sagen, dass allein die Ankündigung, die Dämme Tempolimit und Nullpromillegrenze zufluten, einem neuen Schießbefehl gleichkam. Über 14 000 Menschen wurden Opfer diese neuen »Befehls«.

Die einzige Verkehrsregel aus der DDR, die übrigens übernommen wurde, ist der blödsinnige grüne Pfeil, der es Autofahrern auch bei Rot ermöglicht, rechts abzubiegen und Fußgänger oder Fahrradfahrer über den Haufen zu fahren.

Der baldige Bundesneubürger drückte also das Gaspedal seines Trabis durch und lechzte danach, so schnell wie möglich einen Westwagen zu kaufen. Und er verletzte jede Regel, wo es ging. Dies lag auch daran, dass die Volkspolizei ihren Schneid verloren hatte. Leute vom Schlage derer, die mich noch zehn Jahre vorher angebrüllt hatten, weil ich den Personalausweis mit dem Pass verwechselt hatte, die sich gern unter Tarnnetzen an der Transitautobahn postiert hatten, um die Westsünder – berechtigterweise, muss ich sagen – zu erwischen, die ließen nun der Marktwirtschaft ihren Lauf (den hält weder Ochs’ noch Esel auf) und beobachteten das freie Spiel der Flieh- und Aufprallkräfte, ohne auch nur einen Finger fürs Tempolimit krumm zu machen. Dabei waren die Ostmenschen, ja sogar die Ostautofahrer, gar nicht uneinsichtig.

Sie wussten, was sie anrichteten, wenn sie losgelassen. Eine BAST-Untersuchung von 1990 besagte, dass die DDR-Bürger gar nicht, wie von Zimmermann behauptet, für freie Fahrt plädierten, sondern 89 Prozent ein Tempolimit bejahten (gegenüber 56 Prozent der Westbürger).5 Was aber nicht heißt, dass sie nicht Gas gaben, wenn sie durften. Oder zu dürfen glaubten.

So stellte dieselbe Untersuchung fest, dass die seit Jahrzehnten bestehende Innerortsbeschränkung von 50 km/h nach 1989 praktisch nicht mehr beachtet wurde, sondern der vom Sozialismus befreite Mensch sein vermeintliches Recht wahrnahm, »zügig durchzufahren«. Fußgänger, die kreuzen wollten, wurden einfach nicht mehr beachtet. Damit waren nicht nur Tempo 80 auf der Landstraße und Tempo 100 auf der Autobahn schon weit vor ihrem offiziellen Ende gefallen, sondern Tempo 50 in geschlossenen Ortschaften aufgehoben, auch wenn es gar nicht hatte aufgehoben werden sollen. Ein Zustand der freien Fahrt durch die Wohnorte, wie er nur im Nazideutschland von 19341939 und in der BRD von 19541957 geherrscht hatte.

Seit 1989 wurde gerast ohne Ende. Dieser Freiheitsbegriff , wenn man ihn überhaupt so nennen will, hat viel mit dem aus »dunkelster Zeit« zu tun, wozu wir aber noch kommen werden. Die Anarchie auf den Straßen regierte plötzlich die DDR. Die Deregulierung feierte fröhliche Urständ. Mit tödlichen Konsequenzen. Die ostdeutschen Alleen füllten sich mit unzähligen Kreuzen am Wegesrand. 50 Prozent aller tödlichen Unfälle waren auf Baumkollisionen zurückzuführen. Die Gruppe der 18- bis 24-jährigen Männer wurde geradezu dezimiert. Kein Diskotheken-Wochenende ohne massenhaft Tote, kein Tag ohne die furchtbarsten Crashs. Schuld

Mein Leben als Gaffer

Es war 1991. Ich hatte keine Kohle mehr, musste mich prostituieren und machte für ein führendes Unternehmen der deutschen Kreditwirtschaft einen Industriefilm, der zeigen sollte, wie bald es mit den neuen Bundesländern aufwärts gehen würde : Die Zukunft im Herzen Europas, ein Tiefpunkt meiner »Karriere«. Sehr zu meinem Leidwesen waren wir per Pkw unterwegs, hielten uns an alle Regeln, als wir kurz vor einem Dorf in Sachsen von einem pfeilschnellen weißen Golf GTI überholt wurden. An der Dorfausfahrt lag der weiße Golf dann im Graben. Wir hielten an und wollten mit unserem Mobiltelefon, damals ein riesiger Siemenskasten, Hilfe holen, als der Fahrer blutüberströmt aus dem Wagen kroch und meinte : »Dös iss ka guuts Auddo!«

waren natürlich die Alleebäume, die der ADAC im Westen schon vor Jahrzehnten hatte abhacken lassen. Dass die Westautos einfach zu hochmotorisiert und damit zu schnell waren für die löchrigen realsozialistischen Kopfsteingassen, kümmerte vorderhand niemanden. Irgendwann würde man die Bäume abholzen oder mit Parallelstraßen umfahren und die lahmen DDR-Wege auf Zack und Tempo bringen, damit sie den PS-Karren aus dem Westen gerecht werden könnten. Bis dahin durfte gestorben und verwundet werden.

Das »Abkommen von der Straße« war ein beliebtes Spiel der Ostmenschen, die doch im Sozialismus so arg geknechtet worden waren. Friedrich Zimmermann, der Ex-Leutnant der Wehrmacht, der Mann, den man wegen eines früheren Meineids ungestraft als »Old Schwurhand« bezeichnen und der bis Anfang 1991 Verkehrsminister auch des vereinigten Deutschlands sein durfte, packte das in der Bild-Zeitung in unvergleichliche Worte : »Der Sozialismus hatte schon von jeher ein gestörtes Verhältnis zum Auto … Wiedervereinigung bedeutet auch Schluss mit sozialistischen Straßenverkehrsideologien. Millionen Autofahrer danken es.«6

Das größte Verbrechen der DDR war also, dass man zehn Jahre und mehr auf ein Auto warten musste. Das hat den »Millionen Autofahrern« im Osten, die immer schon nach Westen strebten, schwer zu schaffen gemacht. Es hat sie aber auch vor viel Leid, schweren Verletzungen und Tod bewahrt. Fast 80 Prozent des Güterverkehrs und 50 Prozent des Personenverkehrs wurden in der DDR auf der Schiene transportiert. Das sind gigantische Werte verglichen mit heute. Denn da sind es – im üblichen westeuropäischen Standard – nur noch knappe 15 Prozent im Güter- und sechs Prozent im Personenverkehr. Gleichwohl hatte sich auch in den letzten Jahren der DDR das Verhältnis zugunsten des Autos zu verschieben begonnen.

Außerdem funktionierte der Staatssozialismus nicht richtig und zog den Kürzeren im Kampf mit dem weitaus flexibleren (deswegen nicht unbedingt humaneren) Kapitalismus. Die Reichsbahn fuhr auf Verschleiß – und nicht nur die. In einer Studie der Hochschule Friedrich List aus dem letzten Jahr der DDR wurde für die kleineren Städte wie Dessau, Nordhausen oder Halberstadt der Totalausfall des Straßenbahnverkehrs im Jahr 2000 vorhergesagt.7 20 Jahre nach dieser Prognose sind inmitten blühender Landschaften schon größere Städte wie Cottbus von der Vernichtung ihres Straßenbahnnetzes bedroht. Dies allerdings nicht wegen fehlender neuer Fahrzeuge, sondern weil Straßenbahnen angeblich zu teuer seien. Was der Autoverkehr Cottbus kostet, wird nicht nachgerechnet.

Doch auch das nach Zimmermann angeblich »gestörte Verhältnis zum Auto« schützte den preußischen Sozialismus nicht vor verkehrsbedingter Umweltverschmutzung. 1988 emittierte der Pkw-Bestand der DDR 1,2 Millionen Tonnen Schadstoff e (200 Gramm pro Einwohner), der Immissionsgrenzwert wurde dabei zeitweise um das Zwölffache überschritten, weite Stadtgebiete waren erfasst, der Lärm überstieg die Normen um das Zwei- bis Dreifache. Die Parkraumbeanspruchung in den Zentren machte 20 bis 35 Prozent der verfügbaren Flächen aus.8 Konnte man hier von einem gestörten Verhältnis sprechen? Vielleicht zu Mensch und Natur, aber nicht zum Auto. Denn die Herren der SED gaben sich redlich Mühe, die sozialdemokratische Paradiesvorstellung, »jeder Deutsche soll den Anspruch haben, sich einen eigenen Wagen zu kaufen« (Helmut Schmidt 1965), zügig umzusetzen.

Zwar war der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) fast kostenlos, der Benzinpreis und der für die Autoanschaff ung relativ hoch. Zwar war man im Grunde kein Freund individueller Motorisierung. Trotzdem wurde auch hier dem Drang, 70 bis 80 Kilo Mensch in einem tonnenschweren Privatgefährt fortzubewegen, nicht wirklich etwas entgegengestellt. Im Gegenteil, die Realsozialisten zögerten nicht, auch durch mittlere und kleine Städte breiteste Schneisen – Stalinalleen – zu schlagen. Es wurde eben doch »jeder Dreck, der aus dem Westen« kam (Walter Ulbricht), mehr oder minder modifiziert übernommen.

Übrigens kommen diese Stalinalleen auch im Westen wieder in Mode, nicht als kombinierte Aufmarsch- und Verkehrsachsen, sondern als pure Kfz-Breitbänder. So zum Beispiel in Frankfurt/Main, wo vor gut zehn Jahren ein kompletter Güterbahnhof am Rande der Innenstadt plattgemacht und durch eine Straße ersetzt wurde, die dann jahrelang durch eine frisch planierte Stadtbrache führte. Inzwischen ist die Straße zur fünfspurigen Europa-Allee (!) aufgerüstet worden, doch an Bebauung mangelt es immer noch. Eine selbst von Albert Speer junior vorgeschlagene Straßenbahn ist planungstechnisch längst durch eine superteure U-Bahn ersetzt worden, die allerdings aus Geldmangel unter der schwarz-grünen Stadtregierung nicht recht vorankommt. Inzwischen fahren jedes Jahr mehr Kfz auf der ohne Not bereitgestellten Prachtstraße. Und für die U-Bahn wird dann später alles wieder aufgerissen.

Zurück zur DDR. 1989, noch zum 40. Parteitag, schlugen die Planer aus Dresden als eine der Lösungen der Verkehrsprobleme, die der Individualverkehr auch in der DDR schon verursacht hatte, einerseits eine Einschränkung des motorisierten Individualverkehrs (MIV) vor, andererseits einen integrierten Eisenbahn-Taktverkehr9. Eine konkrete Utopie, deren Umsetzung jedoch nicht in Angriff genommen wurde. Führende Funktionäre wussten auch, warum. Das Auto war in der DDR, wie überall auf der Welt, ein Ventil : Wer frustriert ist (aber nicht nur der), will einen fahrbaren Untersatz. Mehr noch, das Auto, auch in seiner für westliche Verhältnisse verkrüppelten Form (Zweitakter, Rennpappe), wurde als tragendes Glied, ja als Retter der kriselnden DDR verstanden. Es brachte dem Bürger die Illusion der Freiheit, der innersozialistischen Mobilität. Der Trabi war das bewegliche Zentrum der Schattenwelt, die sich neben der offi ziellen sozialistischen Welt gebildet hatte. Würde man etwa durch einen integrierten Eisenbahn-Taktverkehr die Motorisierung noch mehr bremsen, so dachten die Herrschenden, dann würde das Ventil Trabi nicht mehr funktionieren. Wohl wahr : Die Unzufriedenheit wäre noch weiter gestiegen, die DDR noch viel früher implodiert. Denn so miserabel war die DDR gar nicht motorisiert, mit 230 Pkw pro 1000 Einwohner lag sie 1989 schon im oberen Weltendrittel.

Gerade um diesen Motorisierungsgrad zu erreichen, hatte man auch jahrelang die Modernisierung des Trabis – der zu Zeiten seiner Entstehung durchaus ein modernes Fahrzeug war – selbst gescheut. Denn Fahrzeuge mit westlichem Standard in Massenproduktion hätten eine Revolutionierung der noch relativ primitiven Produktionsmethoden in der DDR erfordert und wären sehr teuer gekommen. Der Trabi jedoch garantierte eine »automobile Grundversorgung der Bevölkerung«10 mit einfachen Mitteln.

Die Motorisierungsrate der DDR hinkte außerdem der der BRD nur 15 Jahre hinterher. 1989 hatte die DDR eine Pkw-Dichte wie Japan 1985.11 Und wie im Westen, nur etwas verschoben, sanken die Zahlen der Unfalltoten in der DDR tendenziell bis 1987.

Die DDR war von der Autodichte her also schon nahe am Weststandard. Aber das war eben noch nicht genug. Auch im Arbeiter- und Bauernland wollten alle Arbeiter und Bauern, statt, wie im Kommunistischen Manifest vorgegeben, ihre Vereinigung qua »Eisenbahnen in wenigen Jahren zu Stande«12 zu bringen, ein Auto haben. Der Fetisch der Mobilität und das Tempovirus hatten längst auch die DDR und ihre Bürger befallen. Aber »richtige« Autos, mit vier und mehr Zylindern, und »eine Maschine, die auch wirklich zieht« (Sin City), bekamen sie erst mit der Wende – dafür schlagartig und absolut tödlich.

Hatte bis dahin ein kritisches, labiles Gleichgewicht geherrscht aus geringen »Fahrbahn- und Fahrraumbreiten in Verbindung mit einem ungenügenden Fahrbahnzustand … und einem veralteten Fahrzeugpark« – ein Zustand, der geringe Geschwindigkeiten bedingte und bei dem Mängel nicht »risikofördernd wirkten«13 – und hatte bis dahin die Volkspolizei, sofern sie dazu technisch in der Lage war, Geschwindigkeitsüberschreitungen und andere Verkehrsvergehen rigoros verfolgt, so geriet diese Synthese aus veralteter Technik und heilsamer Repression nun völlig aus dem Gleichgewicht. Über 14 000 zusätzliche Tote waren die Folge. Bei den Verletzten sieht es noch viel schlimmer aus. Fast 700 000 Menschen mehr wurden verletzt. Wie viele davon bleibende Schäden haben, verkrüppelt und verstümmelt wurden, ist nicht zu sagen. Die Zahlen zusammen lassen aber ein ungeheures Maß an menschlichem Leid, an Trauenden oder verzweifelten Hinterbliebenen, ja auch an wirtschaftlicher Not erahnen.

Die Hunderte Kilometer Todesstreifen der deutsch-deutschen Grenze wurden stillgelegt und befriedet – dafür verwandelten sich die Straßen in Zehntausende Kilometer lange Todesstreifen. Freiheit hat eben ihren Preis. Millionen Autofahrer dankten. Die Toten können nicht mehr protestieren, und niemand interessierte sich praktisch für sie. Auch dem relativ autokritischen Kurt Möser, der in seiner Geschichte des Autos die Wende behandelt, sind deren Opfer kein einziges Wort wert.14

Während die Mauertoten – deren historischer Notwendigkeit sich die DDR-Führung ja auch sicher war – Mahnmahle erhielten, in unzähligen Medienprodukten betrauert wurden, während Erfüllungsgehilfen und manchmal sogar Anstifter zu hohen Haftstrafen verurteilt wurden, schert sich die automobile Gesellschaft einen Dreck um die, die im Dreck der Straße enden. Die Frage nach der Verantwortung und den Verantwortlichen wird erst gar nicht gestellt. Kismet.

Aber nehmen wir jetzt mal an, geistlose regierungsamtliche Brandstifter hätten nicht die freie Fahrt gefordert. Das Tempolimit und die Nullpromillegrenze wären nicht gefallen und beides wäre überwacht worden. Tausende DDR-Bürger würden noch leben oder ihre Freiheit nicht im Rollstuhl genießen. Oder, viel besser noch, nehmen wir an, vor der Wende, dem U-Turn in der DDR, hätte es eine Verkehrswende in der BRD gegeben. Dann könnten noch viel mehr Verkehrsteilnehmer leben, weiterhin am Verkehr teilnehmen und sich ihrer Gesundheit erfreuen.

Das Beispiel »Wiedervereinigung« zeigt : Motorisierung ist auch in den hochmotorisierten Ländern immer noch ein höchstexplosiver Vorgang, der schlagartig, wenn Tempolimits und andere Grenzen fallen, zu unzähligen Opfern führen kann, die faktisch ignoriert und als Schicksal empfunden werden. Außerdem : Bei der Motorisierung spielt das menschliche Leben nur eine untergeordnete Rolle. Humanismus auf der Straße ist praktisch nicht vorhanden. Motorisierung bedeutet auch in den so genannten zivilisierten Ländern einen Dauerzustand des permanenten Totschlags, der – nach Jahrzehnten mühsam auf hohem Opferniveau begrenzt – jederzeit wieder ansteigen kann.

Übrigens war die Pro-Kopf-Schadstoff belastung der DDR trotz der stinkenden Trabis laut einer IFEU-Studie15 deutlich niedriger als in der BRD. Die CO2-Werte lagen um ein Drittel niedriger als in der BRD. Erst die Höchst-Motorisierung durch die Vereinigung brachte den Verschmutzungsgrad auf Westniveau. Da strömte zusammen, was zusammengehörte.

Kapitel Zwei
Das Auto verbindet Welten und Religionen und überfährt sie

Er war der Held eines genialen Films von David Lean. Er war Engländer. Er scheute keinen Kampf und keine Schlacht, fürchtete sich vor nichts und niemandem und zählt zu den Erfindern des Guerillakrieges. Er war Beduinenfreund, ging zu Fuß oder ritt durch die Wüste, half im Ersten Weltkrieg und im Auftrag des britischen Empire den Arabern gegen die Türken. Doch er fiel nicht im Kampf. Am 19. Mai 1935 – längst zurück in England – fuhr er in der Nähe von London mit seinem Motorrad zur Post. Auf dem Rückweg gab er zu viel Gas und flog aus der Kurve. Später wurde ihm nachgesagt, er habe zwei Radfahrern ausweichen müssen (immer sind die andern schuld). Thomas Edward Lawrence, Geheimagent seiner Majestät, Archäologe und Schriftsteller, genannt »Lawrence von Arabien«, erlitt schwere Kopfverletzungen, lag noch sechs Tage im Koma, bevor er starb. Im Film sieht man noch seine Motorradbrille im Geäst hängen. Die Szene – in einer früheren Fassung geschnitten – war in der rekonstruierten wieder drin und löste beim Kinopublikum Gelächter aus. Der motorisierte Tod hat eben auch was Lächerliches, Banales.

Das Auto eint alle : Juden, Christen, Moslems, Arme und Reiche, Militaristen und Pazifisten, Ökotanten und CSU-Onkel. Es ist eine der wenigen sinnlich-unsinnigen Dinge, die Grenzen, Religionen und Rassenschranken überwinden. Die Lust, aufs Gaspedal zu treten, macht alle gleich. Autofahren ist ein Spaß, den sich jeder gönnen möchte, für manchen ist er der Einzige. Und viele dürfen noch nicht. Trotz gigantischem Wirtschaftswachstum fuhren in China und Indien im Jahr 2005 »nur« 26 Millionen Pkw herum, das entspricht grade mal dem Pkw-Bestand der vier Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen oder – bei einem Anteil von 38 Prozent der Weltbevölkerung – vier Prozent der damals bestehenden Welt-Pkw-Flotte. Doch sie holen auf, gewaltig. Noch völlig abgehängt ist Afrika, da gibt es gerade so viel wie in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg, immerhin 17 Millionen.1 Dafür fallen auf diesem Kontinent die meisten Opfer an. Hauptsächlich Männer.

Frauen fahren weniger, haben aber nicht weniger Freude, meist sind sie langsamer und vorsichtiger. Aber verzichten, das will auch die Frau in der Burka, die in Jeans und die im Minirock nicht.

Da ist zum Beispiel die ehemalige Fernsehmoderatorin und Buchautorin Eva Herman, konservative Revolutionärin und Bewunderin von Hitlers Familienpolitik. »… aber es sind auch Autobahnen damals gebaut worden, und wir fahren heute drauf«, sagte sie in Kerners Talkshow am 9. Oktober 2007. Sie wurde dann zwar aus der Show hinauskomplementiert – wie Kerner später sagte : »Autobahn, das geht halt nicht« –, aber sie erhielt viel Zustimmung. Die Zuschauer schrieben massenhaft Briefe an Bild (pro) und an den bösen Historiker Wolfgang Wippermann (contra), der ihr im Studio Paroli geboten hatte. Zu den prominentesten Zeitgenossen, die der Künderin des Eva-Prinzips zur Seite sprangen, gehörte Henryk M. Broder, das selbsternannte Enfant terrible des deutschen Feuilletons. Er stellte in Spiegel Online fest, dass die Autobahn-Bemerkung der »einzige Satz« gewesen sei, der »richtig war«.2 Da sind sie sich also einig : Autobahn ist Kultur. Ganz im Sinne von Fritz Todt, dem Autobahn-Baumeister bzw. Kfz-Exter3