Eugen Eckert & Sigurd Rink

Sommerfrische für die Seele

Ein spiritueller Urlaubsführer

 

Impressum

© KREUZ VERLAG
in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2012
Alle Rechte vorbehalten
www.kreuz-verlag.de

Umschlaggestaltung: agentur Idee
Umschlagmotiv: © Corbis
Fotos Innenteil: Maren Boderke-Eckert

ISBN (E-Book): 978 - 3 - 451 - 33931 - 8
ISBN (Buch): 978 - 3 - 451 - 61058 - 5

Inhaltsübersicht

Es ist Sommer

Vorwort

I. Vorfreude

Was in diesem Jahr dran ist

Himmelsrichtungen

Wohin soll die Reise gehen?

Warum es mich auf Inseln zieht

Eine Insel

Ich will auch mal weg

Elisabeth kannte keinen Urlaub

Wie immer

Sei behütet Tag und Nacht, Reisesegen

Die Entdeckung der Langsamkeit

Homo ludens – der spielende Mensch

Durchatmen

Parkbank, Buch und Sonnenschein

Das kleine Urlaubsritual

II. Ankommen

Der Weg ist das Ziel

Alltag, Urlaub, Fest

Ich verstehe dich trotzdem

Die ganz normale De-Pression

Heilige Räume oder: Suche den Ort, an dem Einheimische sich verirren

In dieser Welt baust du dein Haus

The Dancing Saints

Das kleine Urlaubsritual

Weißt du, wie viel Sternlein stehen?

Psalmen essen

Das kleine Urlaubsritual

Wie ein Baum, gepflanzt an Wasserbächen

Der aufrechte Gang

III. Den Morgen begrüßen

Morgenstund hat Gold im Mund

Bewusst den Tag beginnen

Das kleine Urlaubsritual

Kaffeehauskultur

Die Theologie des Käsebrotes

Kein Urlaub ohne Fotoapparat

Das kleine Urlaubsritual

Wolkenloses Himmelblau

Wer schreibt, der bleibt

Das kleine Urlaubsritual

Auch wenn du fern bist

Lust auf Museum

Vertiefen

Weinen – vor Glück

Wenn Admirale tanzen

Das kleine Urlaubsritual

Meine Seele lobt dich, Gott

Über allen Gipfeln ist Ruh

Muss das sein?

Unser tägliches Brot

IV. Den Mittag genießen

Es lacht mir der Himmel

Kochen und essen

Mitten am Tag

Sich frei schwimmen

In den Sand setzen

Eyja

Labyrinth

Ich werde am Du

In deine Augen

Ich liebe Edi

Tanz am Strand

Singen, Genuss pur

Wir loben dich, Gott

Teezeit um Fünf

V. Den Abend feiern

Noch ein Platz frei?

Auf den Schoß nehmen

In den Spiegel blicken

Das kleine Urlaubsritual

Besser als ich noch

Wo die alte Moorhexe hext

Fische

Sternen gucken

Das kleine Urlaubsritual

Schlaf

Auf dem Weg durch diese Nacht

VI. Abschied nehmen und zurückkehren

Jäger und Sammler

Notwendige Abschiede

Das kleine Urlaubsritual

Scheiden tut weh

Sand sitzt in allen Ecken und Ritzen

Bonjour Tristesse

Das kleine Urlaubsritual

Wenn sie nur reden könnten

Man braucht nur eine Insel

Anmerkungen

Es ist Sommer

Es ist Sommer, und ich atme,

atme durch und atme auf,

will genießen, will mich freuen –

geb der Sehnsucht freien Lauf.

Es ist Sommer, das beflügelt.

Und ich fliege, fliege aus.

Such mir Orte, auszuspannen –

mal weit weg und mal zu Haus.

Es ist Sommer. Gott sei Dank!

 

Es ist Sommer, und ich liebe,

lieb das Leben, bin verliebt.

Staune, dass es so viel Schönes

um mich her und in mir gibt.

Es ist Sommer, und ich denke.

Denke nach, auch über mich.

Werd mir klar, dass dieses Leben

halb nur schön wär’ ohne dich.

Es ist Sommer. Gott sei Dank!

 

Es ist Sommer, und ich sammle,

sammle Farben, Töne, Kraft.

Nur ein Vorrat gibt die Aussicht,

dass man’s durch den Winter schafft.

Es ist Sommer, und ich lebe –

aus dem Koffer, in den Tag.

Lass die Seele einfach baumeln.

Heute mach ich, was ich mag.

Es ist Sommer. Gott sei Dank![1]

 

Eugen Eckert

Vorwort

Urlaub beginnt im Kopf. Lange bevor die Taschen gepackt, die Wohnung versorgt, die Verkehrsmittel gebucht sind, stehen spannende Fragen im Raum: Wie möchte ich eigentlich meinen Urlaub verbringen? Wer soll mich begleiten? Welches ist das Sehnsuchtsziel, das ich diesmal bereisen möchte?

Mitten an einem trüben Sonntagnachmittag im nass-kalten November kann ich so auf andere Gedanken kommen. Während draußen der Wind die Blätter über die Straßen fegt, fläze ich mich auf das Sofa und greife mir ganz altmodisch meinen Atlas. Landschaften, Bilder ziehen an mir vorüber. Kinofilme: »Jenseits von Afrika«, »Zimt und Koriander« oder »Wie im Himmel«. Romane und Erzählungen: »So zärtlich war Suleyken«, »Der Stechlin« oder »Muscheln in meiner Hand«. Ach, was mag das für eine Landschaft sein: Persien, Iran? Die Märchen aus Tausendundeiner Nacht gehen mir durch den Sinn. Sultane und Harems, Zitadellen und blaue Moscheen, die Gerüche der Gewürze auf dem Basar von Damaskus. Safranblüten, Muskatnüsse, Vanilleschoten, Pfefferkörner.

Schon die Vorfreude auf Urlaub ist Urlaub, Fest – etwas ganz anderes als Alltag jedenfalls. Oft mögen die Bilder, die Sehnsüchte, die Imaginationen der Fantasie sogar die Wirklichkeit übertreffen. Damaskus mag ersticken im Gestank der Laster und Istanbul eine lärmende Mega-City sein: Meine Bilder, mein Fernweh wird dadurch kaum geschmälert werden.

So beginnt der Urlaub ganz unspektakulär – zu Hause auf dem Sofa. Und wenn dann aus Sehnsuchtsfantasien erste Pläne werden, dann mag das Sofa dem Esstisch weichen: Er bietet einfach mehr Platz für eine echte Landkarte. Eine Vermessung der Welt, die ich erkunden werde, wie einst Alexander von Humboldt Ecuador.

Dabei ist es ganz nebensächlich, ob die Karte, die vor mir liegt, Patagonien am Ende der bewohnten Erde beschreibt oder den Rheinsteig des oberen Mittelrheintals. Jede Landschaft hat ihren Reiz, ihre Bilder, ihre starken, spirituellen Orte. (Ein Bekannter gewann einmal in einem Gewinnspiel ein Wochenende im Hotel seines Wohnortes. Die Erfahrung dieses Kurzurlaubs war für ihn so beeindruckend, dass er nun regelmäßig dort absteigt. Nah – und doch so fern.)

Kein Rechner dieser Welt kann für mich die Faszination von Atlas und Landkarte einholen. Es ist ein haptisches Vergnügen. Ich brauche den Finger auf der Landkarte, um mich zu orientieren und erste Gedanken über die Reise zu entwickeln. Und doch kommt auch die Zeit, in der der heimische Computer bei der Vorbereitung der Reise ganz praktisch wird. Wenn es darum geht, sich ein besseres Bild der Terra incognita, des unbekannten Landes der Sehnsucht zu machen, dann können sie schon wichtig werden, die kleinen Helfer des World Wide Web, von Amazon bis Wikipedia.

So beginnt Urlaub leise, ganz unscheinbar, beinahe beiläufig. Und kann dennoch schon in diesem zarten Anfang eine große Wirkung entfalten: bereits im Planen ein gerüttelt Maß an Sommerfrische für die Seele. Eine Perspektive, auf die hin sich das Leben neu ausrichten kann.

Wir bedanken uns

Dieses Buch verdankt seine Entstehung unserer Lust am Reisen, immer wieder auch in spirituellen Kontexten. Wir sind oft und gerne unterwegs – mit unseren Familien, mit einem Pastoralkolleg, im Kurpastorendienst am Urlaubsort oder auch im Rahmen eines Sabbatical, also einer Auszeit für Seele und Leib. Ein geflügeltes Wort sagt: »Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen.« Weil wir viel reisen, haben wir viel zu erzählen. Und da wir eine Menge Erfahrungen miteinander teilen und darum auch die Themen untereinander aufgeteilt haben, verzichten wir bei unseren anekdotisch-erzählenden Texten bewusst auf die namentliche Zuordnung. Diese haben wir lediglich bei Fremdtexten oder jenen Gedichten vorgenommen, die zu Liedern vertont sind und deren Noten von der Website der Frankfurter Band HABAKUK abgerufen werden können (www.habakuk-musik.de).

Dieses Buch gäbe es allerdings nicht ohne die stets aufmunternde, richtungweisende und geistesgegenwärtige Begleitung durch Rolf Hartmann, Lektor im Kreuz Verlag. Ihm danken wir für intensive Gespräche und anspornende Kritik. Für das Festhalten schöner Augenblicke mit ihren Fotos danken wir Maren Boderke-Eckert.

 

Eugen Eckert & Sigurd Rink

Vorfreude

Tu deinem Leib Gutes,

damit deine Seele

gerne in ihm wohnt.

 

Teresa von Avila

Was in diesem Jahr dran ist

Janosch leitet sein »Wörterbuch der Lebenskunst« folgendermaßen ein: »Das Leben ist so. Du wirst hineingeworfen wie in ein kaltes Wasser, ungefragt, ob du willst oder nicht. Du kommst lebend nicht mehr heraus. Darüber kannst du:

a. unglücklich sein und ersaufen;

b. dich lustlos und frierend so lange über Wasser halten, bis es vorbei ist;

c. einen Sinn suchen und einfordern und dich grämen, weil er sich nicht zeigt;

 

Oder du kannst:

 

d. dich darin voller Freude tummeln wie ein Fisch und sagen: ›Ich wollte sowieso in kaltes Wasser, kaltes Wasser ist meine Leidenschaft. Was für ein verdammt schönes Vergnügen, Leute.‹

 

Und das wäre die Kunst, um die es hier geht.« [2]

 

Wer schon einmal einen Urlaub geplant hat, weiß, wie viele Anteile Lebenskunst bereits zur Wahl des Zieles gehören, denn jedes Jahr stellt sich die Frage neu, was wir aus der »schönsten Zeit im Jahr« machen wollen. Und jedes Jahr beginnen die Debatten neu.

Johannes möchte endlich wieder einmal in die Berge, Susanne aber kann sich nur am Meer erholen. Friederike träumt vom Sternenzelt beim Camping, doch Daniel reichen vier oder fünf Sterne – und der damit verbundene Luxus. Peter steht auf ganz viel Kultur. Hanna stimmt ein bisschen zu, vorausgesetzt, die Wellness kommt nicht zu kurz. Die Kinder aber rollen bei Worten wie Museum oder Kirche nicht nur die Augen. Sie finden eigentlich alles öde und legen für alle Fälle erst einmal ein Generalveto ein. Und schnell hat es sich wieder einmal gezeigt, wie viel Gesprächsbedarf und auch Streitpotenzial die Frage in sich birgt, was wir mit unserem Urlaub machen. Zu Hause bleiben oder reisen? Ein Ziel im Inland oder im Ausland suchen? Aktiv sein oder ausruhen? Mit Freunden fahren oder alleine? Stationär oder mobil? Mit welchem Verkehrsmittel? Mit wie viel Gepäck? Wohin? Und wer entscheidet?

Vielleicht kann die biblische Weisheit helfen, wenn es um solche Entscheidungen geht: Im Buch Kohelet, dem Buch des Predigers, heißt es im dritten Kapitel: »Für alles gibt es eine Zeit – Zeit für jedes Vorhaben unter dem Himmel.«[3] Sich auf diesen Gedanken einzulassen würde bedeuten: Auf dem Weg zur Wahl eines Urlaubszieles ist grundsätzlich erst einmal alles denkbar, für alle Ideen, Vorstellungen und Wünsche können Argumente gesammelt werden. Bis dann schließlich gemeinsam geprüft wird, was in diesem Jahr wirklich dran ist.

In einer Reihe von Gegensatzpaaren erinnert der Prediger daran, wie wichtig es ist, immer neu zu prüfen, wo wir in unserem Leben gerade stehen und was wir wirklich brauchen. Denn es gibt:

 

»Zeit zu gebären und Zeit zu sterben,

Zeit zu pflanzen und Zeit auszureißen.

Zeit zu töten und Zeit zu heilen,

Zeit einzureißen und Zeit zu bauen.

Zeit zu weinen und Zeit zu lachen,

Zeit zu trauern und Zeit zu tanzen.

Zeit, Steine zu werfen, und Zeit, Steine zu sammeln,

Zeit zu umarmen und Zeit, das Umarmen zu meiden.

Zeit zu suchen und Zeit, verloren zu geben,

Zeit zu bewahren und Zeit wegzuwerfen.

Zeit auseinanderzureißen und Zeit zusammenzunähen,

Zeit zu schweigen und Zeit, Worte zu machen.

Zeit zu lieben und Zeit zu hassen,

Zeit für den Krieg und Zeit für den Frieden.«

Kohelet 3,2  8

 

Wo stehen wir? Und was brauchen wir? War die zurückliegende Zeit leichtfüßig und heiter? Suchen wir darum Orte zum Singen, Tanzen und Lachen? Waren unsere Wege anstrengend und gehetzt? Brauchen wir also Ruhe, Schlaf und Erholung? Gab es Schmerzliches und noch lange nicht Verarbeitetes? Wollen wir nun neue Wege ausprobieren, auf denen wir Schritt für Schritt vorankommen können? Ist die Liebe zu kurz gekommen? Ist darum gerade jetzt Zweisamkeit angesagt, in aller Gemeinsamkeit? Sind wir einfach nur neugierig? Welches von den vielen schönen Zielen auf dieser Erde haben wir bislang noch nicht entdeckt? Stehen wir vor Veränderungen und Umbrüchen? Suchen wir also ein Ambiente, um in Ruhe nachdenken und reden zu können? Oder wollen wir vielleicht sogar endlich einmal unser Zuhause genießen, wenn schon alle Welt wegfährt?

Bei der Entscheidung für ein Urlaubsziel in sich hineinzuhören und in Ruhe zu überlegen, was ich in diesen Tagen, auf die ich mich freuen möchte, wirklich brauche, das hilft zumindest, sehr bewusst ein Ziel zu wählen.

Am besten im Gespräch mit denen um mich her. Die Devise heißt weder, sich unterbuttern zu lassen, noch, unter Aufbietung aller Kräfte zu dominieren. Dann werde entweder ich unglücklich oder mein Gegenüber. Einer von uns ersäuft, sagt Janosch. Auch faule Kompromisse sind nicht wirklich tragfähig. Wem hilft es, wenn einer von uns ganz lustlos mitkommt und nur hofft, dass die Zeit so schnell wie möglich vergeht?

Wenn wir zusammenleben und auch zusammen Urlaub machen wollen, sind immer Kompromisse nötig. Bei Gabriele und Hinrich ist es so, dass im einen Jahr sie und im nächsten Jahr er entscheidet, wohin die Reise gehen soll. »Ich wollte sowieso in kaltes Wasser«, lautet die Kompromissformel dessen, der sich auf die Entscheidung des anderen einlässt. Bei Familie Greiling gilt seit Jahren, dass sie das größte Organisationstalent hat und weiß, was ihr Mann und die Kinder brauchen. Die anderen verlassen sich auf ihren guten Geschmack, und, wohin es auch geht, sie tummeln sich voller Freude wie Fische an ihrem Urlaubsort.

Eine kreative Idee zu entwickeln, ein Verfahren und eine Spielregel, wie die Entscheidung fällt, wohin die Reise geht, ist eine interessante Herausforderung. Zu ihr gehört auch das Wissen oder zumindest die Ahnung, dass nicht jedes Jahr dem anderen gleicht. Denn »für alles gibt es eine Zeit – Zeit für jedes Vorhaben unter dem Himmel«.

Himmelsrichtungen

Am Anfang der Urlaubsplanung steht die spannende Frage: Wohin soll es denn überhaupt gehen? Viele Ziele gehen einem durch den Kopf, bekannte und unbekannte. Vielleicht ist es an diesem Punkt gar nicht schlecht, sich einmal einen Kompass vor Augen zu halten. Er richtet sich ganz automatisch aus, zeigt die Richtungen und Wege, lässt einen über die Ziele meditieren.

Wege nach Norden

Seltsamerweise steht der Norden bei der Urlaubswahl der meisten Zeitgenossen nicht gerade hoch im Kurs. Neun von zehn Reisenden zieht es eher in den Süden, der Sonne entgegen. Dabei hat die Nordlandfahrt so ganz ihre eigenen Reize. Nach Norden fahren heißt zwar nicht unbedingt der Sonne entgegenfahren, dafür aber umso mehr dem Licht. Wohl nirgendwo gibt es so faszinierende Lichtspiele wie im Norden. Spektakuläre wie die Mitternachtssonne, aber auch weniger bekannte, wie etwa das Nordlicht.

Ein bisschen Glück mit dem Wetter vorausgesetzt, entdeckt man Szenerien, die kaum mit der Kamera festzuhalten sind. Der Norden steht für Klarheit in den Farben, wie sie etwa in den Hütten Norwegens gespiegelt werden. Nicht nur im Sommer entwickeln sich immer wieder frappierende Lichtspiele. Das Licht der Hebriden etwa (»Hebridian light«), einer Inselgruppe im Westen Schottlands, ist Legende. Schon der Komponist Felix Mendelssohn Bartholdy hat versucht, diese Stimmung in Klangbildern einzufangen.

Faszinierend ist der Norden aber nicht nur im Sommer. Die langen Tage zwischen Schnee und Eis in der Osterzeit etwa entwickeln ihren ganz eigenen Reiz. Wer jemals die Hardangervidda, eine einzigartige Hochebene in Mittelnorwegen, auf Langlaufskiern von Hütte zu Hütte gekreuzt hat, wird diese Eindrücke wohl nie mehr vergessen.

Wege nach Osten

Wohl kaum eine Himmelsrichtung harrt noch so der Entdeckung wie der Osten. Kein Wunder, haben doch der Kalte Krieg und der »Eiserne Vorhang« diesen Weg über Jahrzehnte versperrt. Und doch sind schon die ersten Pioniere unterwegs und entdecken die neuen alten Wege gen Osten. Kirchen etwa sind »geostet«. Und das hat seinen guten Grund: Liegen doch im Osten die uralten Kulturlandschaften. Allen voran natürlich der »Nahe Osten« mit dem Pilgerziel Jerusalem. Aber auch die anderen vielen Wege in die Steppen Eurasiens. Alte Klöster erzählen von der bewegten Geschichte dieser Wege. Das orthodoxe Christentum entfaltet seinen mystischen Reiz. Und man darf sich mit großer Wahrscheinlichkeit gewiss sein, dass jenseits einzelner Kulturreisender kaum jemand diese Himmelsrichtung einschlägt.

Wege nach Süden

Über die Sehnsucht des deutschsprachigen Raumes nach Süden zu schreiben, das ist fast schon müßig. Hat sich dieses Bild doch über Jahrhunderte hinweg in das kollektive Gedächtnis eingebrannt. Süden heißt Rom, die Ewige Stadt. Süden heißt das Land, »in dem die Zitronen blühen«, heißt Neapel und Golf von Sorrent. Süden heißt eine unüberschaubare Vielzahl von Städten und Kulturlandschaften, jedes zweite Denkmal der Unesco befindet sich in einem einzigen Land – Italien.

Die Deutschen lieben den Süden. Luther pilgerte nach Rom. Goethe hatte seine italienische Reise. Und lange bevor es Urlaub gab, fuhren die Bürger einmal in ihrem Leben gen Süden.

Süden heißt aber oft auch Armut. Dürre und Mangel. An Wasser. An Wolken. An Regen. Etwas, was der Reisende häufig übersieht – vielleicht auch gar nicht wahrhaben will.

Wege nach Westen

Vielleicht – ähnlich wie der Norden – eine unterschätzte Himmelsrichtung. Westen heißt Wind. Westen heißt Sturm. Westen heißt Regenschauer und Sonne an einem Tag. Der winzige Zipfel Eurasiens, der sich Europa nennt, ist Westland. Der Atlantik tost mit all seiner Macht gegen die Ufer des Westens, peitscht seine Wolken gegen die ersten Bergrücken. Darauf muss man Lust haben. Die Seele frei atmen lassen. Die Gischt auf der Haut spüren.

Und zugleich ist der Westen so mild, eine weltweit einzigartige Formation. Noch hoch im Norden oder vor Irland die Wärmflasche des Golfstroms. Palmen im Park. Zehn oder zwölf Grad temperiert, kein Schnee in Sicht.

Die zerklüfteten Küsten sind schon eine Reise wert. Das Irland Heinrich Bölls, der Giant’s Causeway im Norden der Grünen Insel. Die Mourne Mountains, die sanft zum Meer hinabfallen.

Oder die Fjorde Norwegens. 200 Kilometer ins Land gefräst. 1200 Meter aufsteigende Berge aus dem Nichts. Das ist Westland.

 

All das kann man meditieren, wenn es um die Wahl des Urlaubs geht. Kann nachsinnen: Was würde mir jetzt guttun? Worauf habe ich Lust? Wo finde ich Erfüllung in der ganz anderen Zeit, die vor mir liegt? Der Schöpfer hat schon gut daran getan, so vielfältige Landschaften zu erschaffen.

Wohin soll die Reise gehen?

Es hätte was,

mal hier zu bleiben

und, weit entfernt

vom Urlaubstreiben,

was nah liegt

einfach zu genießen.

Den Park, den Zoo,

die Gartenbank,

das Schwimmbad, Wald,

vertrauten Trank.

Es hätte was,

mal aufzuräumen –

und sich dabei

weit wegzuträumen.

Balkonien liegt

günstig nah:

Ich glaube fast

wir bleiben da.

 

Es hätte auch was,

weit zu reisen,

was andres sehn,

exotisch speisen.

Ganz andre Sitten,

viel Kultur,

und wilde Tiere

in Natur.

Es hätte was,

die Welt zu sehen,

auf unbekanntem

Pfad zu gehen.

Die Mongolei?

Doch Panama?

Warst du schon mal

in Afrika?

 

Es hätte selbst was,

loszufahren,

und sich zu weite

Trips zu sparen.

Die Berge, Seen,

das Meer, der Strand;

Historisches

im Hinterland.

Es braucht halt Zeit,

bis schließlich steht,

wohin die nächste

Reise geht.