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www.hannibal-verlag.de

Impressum

Die Autoren: Tony Iommi mit TJ Lammers

Deutsche Erstausgabe 2012

Titel der Originalausgabe:

„IRON MAN - My Journey Through Heaven and Hell with Black Sabbath“

© 2011 by Tony Iommi

ISBN: 978-0-306-81955-1 by Da Capo Press – A Member of the Perseus Books Group

Coverdesign: © Jonathan Sainsbury

Coverabbildung: © Terry O‘Neil

Fotos im Innenteil © Tony Iommi, außer: © Kees Baars: 16, © Jas Sansi: 27

Layout und Satz: Thomas Auer, www.buchsatz.com

Übersetzung: Alan Tepper

Lektorat und Korrektorat: Hollow Skai

© 2012 by Hannibal

Hannibal Verlag, ein Imprint der KOCH International GmbH, A-6604 Höfen

www.hannibal-verlag.de

ISBN 978-3-85445-384-0

Auch als Hardcover erhältlich mit der ISBN 978-3-85445-383-3

Hinweis für den Leser:

Kein Teil dieses Buchs darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, digitale Kopie oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet werden. Der Autor hat sich mit größter Sorgfalt darum bemüht, nur zutreffende Informationen in dieses Buch aufzunehmen. Es kann jedoch keinerlei Gewähr dafür übernommen werden, dass die Informationen in diesem Buch vollständig, wirksam und zutreffend sind. Der Verlag und der Autor übernehmen weder die Garantie noch die juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für Schäden jeglicher Art, die durch den Gebrauch von in diesem Buch enthaltenen Informationen verursacht werden können. Alle durch dieses Buch berührten Urheberrechte, sonstigen Schutzrechte und in diesem Buch erwähnten oder in Bezug genommenen Rechte hinsichtlich Eigennamen oder der Bezeichnung von Produkten und handelnden Personen stehen deren jeweiligen Inhabern zu.

Inhalt

Einleitung: Der Sound des Heavy Metal

1: Ein Pfadfinder wird geboren

2: Typisch italienisch!

3: Das Geschäft in der Park Lane

4: Die Schule der harten Hiebe

5: Aus der Dunkelheit ins trügerische Licht

6: Autsch!

7: Eine Karriere, die an einer dünnen Saite hängt

8: Bill Ward und The Rest

9: Mein letzter Job

10: Wie drei Engel einmal den Heavy Metal retteten

11: Spuk und Drogen

12: The Polka Tulk Blues Band

13: Lockruf der magischen Flöte

14: Der frühe Vogel fängt den Song

15: Von Earth zu Black Sabbath

16: Die Wiege des Heavy Metal

17: Ein neues Management

18: Paranoid!

19: Sabbath, Zeppelin und Purple

20: Das soll Amerika sein?

21: Happy Birthday, ihr Hexen und Hexer!

22: Ozzy, der Schocker

23: Ich – ein Mörder?

24: Fliegende Fische

25: Nummer 3 – Master Of Reality

26: Edle Karossen

27: Weißes Pulver und weiße Anzüge

28: Im Jet von Elvis

29: Schneegestöber

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30: Bitte anschnallen, Ozzy übernimmt!

31: Ganz in Weiß

32: Gespenstische Gemäuer

33: Kampf gegen die Natur

34: Die Quelle versiegt

35: Sabbath Bloody Sabbath

36: California Jam

37: Wo ist eigentlich die ganze Kohle geblieben?

38: Sabotage

39: Au Backe!

40: Auf Ecstasy

41: Auf einen Drink bei Frank Zappa

42: Never Say Die!

43: Ozzys Ausstieg

44: In den Fängen einer Sekte

45: Dio will, Don aber nicht

46: Dämon Alkohol

47: Himmel und Hölle

48: Bill fängt Feuer

49: Mörserbeschuss auf Hawaii

50: Brennende Kreuze

51: Melinda

52: Können wir reden?

53: Mob Rules

54: Gigantische Knallfrösche

55: Das Mix-Monster

56: Wiedergeburt

57: Es kommt eben doch auf die Größe an

58: Der letzte Krieger

59: Schon wieder Gespenster

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60: Lovely Lita

61: Wieder­vereinigung für einen Tag

62: Jesus im Doppelpack

63: Koks – ein Stimmbandkiller

64: The Eternal Idol

65: Der reinste Horror

66: Kopflos, aber zufrieden

67: Oh nein, nicht schon wieder Kaviar!

68: TYR

69: Dehumanizer

70: Ab in den Knast

71: Lemmy, Eddie und ich

72: Verboten!

73: Die DEP-Sessions

74: Getrennt zusammenleben

75: Die Liebe meines Lebens

76: Wieder­vereinigung

77: Der Tod von Cozy Powell

78: Auf Tour mit zwei Schlagzeugern

79: Hobby-Musiker

80: Iommi – das Album

81: Audienz bei der Queen

82: Ohne Rob geht gar nichts

83: Die Droge Kaffee

84: Hall of Fame

85: Zu Besuch bei Putin

86: Neubeginn

87: The Devil You Know

88: Abschied von Dio

89: Problemzonen

90: Einsichten & Aussichten

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Einleitung: Der Sound des Heavy Metal

Ich war 17, als ich 1965 meinen letzten Arbeitstag hatte. Seit dem Schulabschluss hielt ich mich mit allen möglichen Gelegenheitsjobs über Wasser. Ich arbeitete vier Tage als Klempner, was mir aber nicht lag. Dann versuchte ich mich als Hilfsarbeiter in einer Fabrik. Dort fertigte ich Schellen an, die zur Befestigung von Gummischläuchen dienten. Zeitweise jobbte ich sogar in einem Musikladen, da ich als Gitarrist dazu genügend qualifiziert war. Doch die Besitzer beschuldigten mich ungerechterweise des Diebstahls. Zum Teufel mit den Typen – in dem Laden durfte ich sowieso nur putzen. Während ich als Schweißer in einer Stahl- und Blechfabrik arbeitete, öffnete sich mir das Tor zu einer Traumkarriere: Meine neue Band, The Birds & The Bees, war für eine Europa-Tournee gebucht worden. Ich war mit ihnen noch nie aufgetreten, sondern hatte bei der Band nur vorgespielt, nachdem meine Vorgängertruppe The Rockin’ Chevrolets ihren Rhythmusgitarristen gefeuert hatte und dann auseinander gebrochen war. Mit den Chevrolets war mir der erste kleinere Durchbruch gelungen. Wir hatten aufeinander abgestimmte, rote Laméanzüge getragen und alte Rock’n’Roll-Nummern von Chuck Berry und Buddy Holly gespielt. Die Band war regelmäßig in Birmingham und der näheren Umgebung aufgetreten. Bei den Chevrolets hatte ich auch meine erste feste Freundin kennen gelernt, Margareth Meredith, die Schwester des Gitarristen.

Ich hatte eine Menge Spaß mit ihnen gehabt, doch eine Europa-Tournee mit The Birds & The Bees konnte den Einstieg ins Profilager bedeuten. Da die Karriere als Musiker nicht mit dem Job vereinbar war, kündigte ich.

Am letzten Arbeitstag als Schweißer ging ich zum Mittagessen nach Hause und meinte zu meiner Mutter: „Ich will da nicht mehr hin. Ich habe die Arbeit satt.“

Doch sie blieb hart: „Iommis verhalten sich immer anständig! Wenn du einen Job aufgibst, dann mach es richtig und arbeite bis zur letzten Minute!“

Was ich auch tat – fast.

Neben meinem Arbeitsplatz stand eine Frau, die Bleche mit einer Maschine verformte und sie mir zum Schweißen weiterreichte. Doch sie erschien an dem Tag nicht, und so sollte ich ihre Arbeit übernehmen. Die Presse glich einer Guillotine und wurde mit einem wackeligen Fußpedal bedient. Man musste ein Blech in sie reinschieben, auf den Fußschalter treten, und schon sauste ein gigantisches Werkzeug herunter und verformte das Metall.

Ich hatte noch nie an der Maschine gearbeitet, und es lief alles ganz gut, bis ich für einen Moment die Konzentration verlor. Mit einem lauten Knall quetschte mir das Stahlmonstrum die Fingerkuppen der mittleren Finger ein. Reflexartig riss ich die Hand zurück und verlor dabei zwei Fingerenden. Entsetzt sah ich die hervorstehenden Knochen. Überall floss Blut.

Kollegen brachten mich in ein Krankenhaus, wo sie mich in eine Ecke setzten, mir die Hand in eine Plastiktüte steckten – und mich vergaßen. Ich dachte, ich würde verbluten. Als endlich ein aufmerksamer Kollege die abgetrennten Finger in einer Streichholzschachtel brachte, hatten sie sich schon schwarz verfärbt. Die Ärzte sahen keine Chance mehr, sie anzunähen. Sie transplantierten Armgewebe und nähten es über die Fingerkuppen. Um genügend Halt zu gewährleisten, wurde der Übergang noch durch Haut verstärkt. Fertig: Wieder war ein Grundstein für die Musikgeschichte gelegt worden.

Zumindest behaupten das einige. Der Verlust meiner Finger führte zum massiven, tiefer gestimmten Sound von Black Sabbath, der sich zur Blaupause für einen großen Teil des Heavy Metal entwickelte. Für mich war es unmöglich, „normal“ Gitarre zu spielen, da durch die Knochen der verstümmelten Finger das Gewebe beim Saitendruck schnell aufplatzte. Ich musste meinen Stil neu erfinden und einen Weg suchen, der mir die Schmerzen erspart. Auf diese Weise kreierte ich mit Black Sabbath ein neues und monumentales Klangbild, das sich von allen Bands unterscheidet – damals wie heute. Aber die Theorie, ich hätte wegen meiner Finger den Heavy Metal erfunden, geht mir eindeutig zu weit. Meine Güte, in der Geschichte des Stils tauchen viele andere Einflüsse auf, die zu Facetten einer faszinierenden Musik geworden sind.

1: Ein Pfadfinder wird geboren

Natürlich wurde ich nicht in das Sound-Gewitter des Heavy Metal hinein geboren. Ich wuchs ganz normal auf. In den ersten Lebensjahren mochte ich lieber Eiscreme als Musik. Wir lebten damals über der Eisfabrik meines Großvaters – Iommi’s Ices. Er und seine Frau – ich nannte sie Papa und Nan – waren auf der Suche nach einem besseren Leben von Italien nach Großbritannien emigriert und hatten hier ihr Geschäft eröffnet. Ich empfand die kleine Fabrik mit all den glänzenden Stahltöpfen, in denen die Rohmasse aufgequirlt wurde, als riesig groß. Es war toll, denn ich konnte immer reingehen und mich bedienen. Seit damals habe ich nichts Köstlicheres mehr gegessen.

Ich kam am 19. Februar 1948 im Heathfield Road Hospital, nahe dem Stadtzentrum von Birmingham, als einziges Kind von Anthony Frank und Sylvie Maria Iommi, geborene Valenti, auf die Welt. Meine Mutter lag schon seit zwei Monaten wegen einer Blutvergiftung im Krankenhaus. Konnte sie vielleicht ahnen, was noch alles auf sie zukommen würde? Mum war als eins von drei Kindern in Palermo geboren worden. Ihre Familie besaß dort ein Weingut. Ich lernte meine Oma mütterlicherseits nie kennen. Ihr Vater besuchte uns ein Mal in der Woche, aber als Kind ist man nicht gerne mit alten Leuten zusammen, und so lernte ich ihn nie richtig kennen.

Mit Papa, also Opa, hatte ich ein gutes Verhältnis, denn er zeigte sich immer gut gelaunt und großzügig. Er unterstützte eine lokale Kinderhilfsorganisation und schenkte mir ständig 25 Pence – und Eis. Und Salami. Und Pasta. Natürlich besuchte ich ihn liebend gern. Papa war ein zutiefst religiöser Mensch, denn er ging regelmäßig in die Kirche, spendete wöchentlich Blumen und lieferte die Vorräte, die gerade gebraucht wurden.

Meine andere Oma stammte aus Brasilien – zumindest glaube ich das, denn mein Vater wurde dort geboren. Er hatte fünf Brüder und zwei Schwestern. Obwohl meine Eltern Katholiken waren, habe ich es nur ein oder zwei Mal erlebt, dass sie in die Kirche gegangen sind. Es ist schon merkwürdig, dass mein Vater nicht so religiös war wie Opa. Er glich eher mir, denn auch ich gehe sehr selten in die Kirche und weiß eigentlich nicht, was ich dort machen soll. Ich glaube zwar an Gott, muss aber nicht in die Kirche gehen, um das zu zeigen und zu beweisen.

Meine Eltern arbeiteten in einem Geschäft, das sie von Papa als Hochzeitsgeschenk erhalten hatten. Es lag in der Cardigan Street, im italienischen Viertel von Birmingham. Neben der Eisfabrik gehörten Papa noch andere Geschäfte und eine große Anzahl von Imbiss-Ständen, in denen je nach Saison geröstete Kartoffeln oder Kastanien verkauft wurden. Mein Vater war von Beruf Tischler, und zwar ein verdammt guter. Er schreinerte uns das gesamte Wohnungsmobiliar.

Als ich etwa sieben Jahre alt war, zogen wir vom Eiscreme-Himmel in die Bennetts Road in Washwood Heath, einem Teil von Saltley, der wiederum ein Teil von Birmingham ist. Wir lebten in einem winzigen Wohnzimmer, von dem aus eine Treppe nach oben ins Schlafzimmer führte. Ich muss noch oft daran denken, es ist eine meiner frühesten Erinnerungen, wie Mum mich die steile Treppe hinunter trug und ausrutschte. Ich flog durch die Luft und landete natürlich auf dem Kopf. Vielleicht bin ich deshalb so geworden …?

Ich spielte fast immer mit Bleisoldaten und besaß ein ganzes Set sowie dazugehörige Panzer. Als Tischler war mein Vater oft auf Montage. Er half dabei die Pferderennbahn in Cheltenham zu bauen. Jedes Mal, wenn er wieder nach Hause kam, brachte er mir etwas für meine Sammlung mit, zum Beispiel ein Spielzeugauto.

Als Kind hatte ich ständig Angst und kroch – wie auch viele andere Altersgenossen – mit einer kleinen Taschenlampe unter die Bettdecke. Bei meiner Tochter war das nicht anders, denn sie konnte nie ohne Licht einschlafen, und wir mussten die Tür immer einen Spalt weit offen lassen. Wie der Vater, so die Tochter!

Ein paar Jahre später ließ ich mir einen Schnurrbart wachsen. Der Anlass dafür war ein Vorfall, der sich eines Tages auf der Bennetts Road ereignete. Einige Häuser weiter wohnte ein Typ, der riesige Spinnen sammelte. Mittlerweile sind mir diese Viecher egal, aber damals, im Alter von etwa neun Jahren, hatte ich richtig Angst vor ihnen. Der Typ hieß Bobby Nuisance [dt. Belästigung, Plage], ein Name, der wirklich zu ihm passte. Einmal jagte er mich mit einer der Spinnen. Ich schiss mir fast in die Hose, rannte in einen Schotterweg hinein, stolperte und fiel kopfüber hin. Die scharfen Steine bohrten sich in mein Gesicht, besonders in die Oberlippe. Die Narbe ist immer noch zu sehen. Die anderen Kids nannten mich daraufhin Scarface – Narbengesicht. Ich entwickelte schnell einen schrecklichen Minderwertigkeitskomplex.

Kurze Zeit nach der Spinnenattacke kam eine zweite Narbe dazu, als mir ein Typ einen sprühenden Feuerwerkskörper direkt ins Gesicht warf. Dieses Mal verschwand im Laufe der Jahre, aber das an der Lippe blieb. Deshalb ließ ich mir so schnell wie möglich einen Schnauzer wachsen.

Noch während ich in der Bennetts Road lebte, trat ich den Cubs bei, einem Pfadfinderclub. Sie veranstalteten oft kurze Ausflüge, die mir meine Eltern aber verboten, da sie mich wie ein Nesthäkchen behandelten. Außerdem waren die Kurztrips nicht kostenlos. Das konnten sich Mum und Dad nicht leisten, da sie damals mit sehr wenig Geld auskommen mussten. Trotzdem trug ich eine Cubs-Uniform: Kurze Hosen, Socken mit dem aufgenähten Symbol der Pfadfinder, eine Kappe und eine Krawatte. Ich sah aus wie eine jüngere Version von Angus Young, nur mit Narben.

2: Typisch italienisch!

Ich zog mir nicht nur körperliche Narben zu, sondern auch emotionale. Ich wusste, dass Dad mich nicht gewollt hatte. Es war ein Unfall gewesen. Als er mal wieder ausrastete, schrie er mich hasserfüllt an: „Ich wollte dich sowieso nie!“

Bei uns wurde viel geschrien, denn meine Eltern stritten sich ständig. Dad rastete aus, und dann verlor Mum die Beherrschung. Ihr italienisches Temperament brach aus ihr hervor, sie flippte aus und verhielt sich wie eine Wahnsinnige. Sie rissen sich an den Haaren und prügelten sich regelrecht. Als wir noch in der Bennetts Road lebten, versuchte Mum, meinem Vater eins mit einer Flasche überzuziehen, aber er packte blitzschnell ihr Handgelenk, sodass sie ihr Ziel verfehlte. Ich fand das schrecklich, aber am nächsten Tag unterhielten sie sich wieder, als wäre nichts geschehen. Alles recht merkwürdig!

Mit den Nachbarn gab es häufig Streit. Eines Tages stand Mum hinten im Garten, der durch einen Holzzaun von den umliegenden Grundstücken abgetrennt war. Offensichtlich lästerte jemand über unsere Familie, denn sie tickte wieder aus. Aus meinem Zimmer beobachtete ich, wie sie halb über dem Zaun hing und mit dem Besenstiel auf den Kopf der Nachbarsfrau eindrosch. Und dann kam auch noch Daddy, der sich mit ihrem Mann anlegte, so lange, bis durch den ganzen Streit der Zaun umkippte. Ich hörte das Geschrei und Gezeter und sah aus dem Fenster im ersten Stock, wie sie sich prügelten, und heulte nur noch.

Wenn ich irgendeinen Unsinn anstellte, musste ich mich auf was gefasst machen. Ich hatte dauernd Angst, einen Fehler zu machen, Angst vor den Schlägen. Aber so war das früher nun mal. Das passierte in vielen Familien, all diese Streiterei und die Gewalt. Vielleicht ist das ja heute noch so.

In jungen Jahren verstand ich mich nicht mit Dad. Ich konnte ihm nie etwas recht machen und musste mir ständig dumme Sprüche anhören: „Oh, du hast schon wieder keinen Job wie XYZ. Er wird ein Buchhalter, und was soll aus dir mal werden?“

Dauernd wurde ich von ihm klein gemacht, und auch Mum meckerte mich regelmäßig an: „Du musst dir endlich eine verdammte Arbeit besorgen oder ausziehen!“

In dem Konflikt lag wohl einer der Gründe für meinen Wunsch, berühmt zu werden. Ich wollte ihnen beweisen, dass ich zu etwas tauge.

Als ich älter geworden war, gelangte ich an einen Punkt, an dem ich es satt hatte, dass sie mir dauernd ein Ohr abquatschten und mich verprügelten. Einmal lag ich auf der Couch und Dad versuchte mir eine zu kleben. Ich wehrte mich und umfasste seine Hände. Er wurde wütend und fing fast an zu weinen: „Das wirst du nie mehr machen!“

Es war eine brenzlige Situation, aber er schlug mich nie wieder.

Als Großvater starb, muss ich ungefähr neun Jahre alt gewesen sein. Er lag zu Hause, wurde sehr krank und fiel dann ins Koma. Ich musste an seinem Bett Wache halten und aufpassen, ob er wieder das Bewusstsein erlangt. Ich saß dort, befeuchtete sein Gesicht, und manchmal regte er sich ein wenig. Als der Todeskampf begann, war ich ganz allein mit ihm. Sein Atem rasselte und ich befürchtete, dass er jeden Moment erstickt. Ich spürte eine tiefe Trauer und hatte gleichzeitig auch Angst. Die Familienmitglieder schauten alle paar Minuten rein und fühlten sich genau wie ich.

Seit damals habe ich mehrere Menschen sterben sehen. Vor ungefähr 25 Jahren wohnte eine sehr alte, gut gekleidete und höfliche Lady direkt gegenüber von meinem Haus. Sie trug den Spitznamen Bud, sogar ihre Tochter nannte sie so. Ich besuchte sie ein Mal in der Woche und sie sagte immer mit einem Augenzwinkern: „Na los, lass uns einen Brandy trinken.“

Eines Tages kam ihre Tochter ganz aufgebracht zu mir und flehte: „Schnell, komm rüber, komm schnell rüber.“

Ich fand die alte Dame bewusstlos auf dem Boden, nahm sie leicht hoch und schrie panisch: „Ruf einen Rettungswagen.“ Als ihre Tochter zum Telefon rannte, starb Bud in meinen Armen. Dieses erstickende, rasselnde Atemgeräusch erinnerte mich an meinen Großvater. Es hörte sich genauso an wie bei seinem Tod: Aus – Exitus!

Ich wartete mit ihr, bis der Rettungswagen eintraf. Hinterher roch ich am ganzen Körper nach ihrem Parfum. Seitdem vermeide ich diesen Duft, weil er für mich den Geruch des Todes symbolisiert.

3: Das Geschäft in der Park Lane

Als ich zehn Jahre alt war, zogen wir in die Park Lane in Aston. Es war ein ziemlich übler und harter Stadtteil von Birmingham, in dem sich viele Gangs rumtrieben. Meine Eltern legten sich dort einen Süßwarenladen zu, doch schon bald verkauften sie auch Obst und Gemüse, Feuerholz, Konserven, eigentlich alles Mögliche, was man zum Leben braucht. Manchmal klopften die Leute mitten in der Nacht an unsere Tür und fragten: „Können wir noch Zigaretten kaufen?“

Für den Besitzer eines solchen Geschäfts gab es praktisch keinen Feierabend.

Der Laden verwandelte sich schnell in einen lokalen Treffpunkt. Die Nachbarn versammelten sich vor den Eingangsstufen und tratschten, was das Zeug hielt: „Hast du die auf der Straße gesehen? Sie trägt ein neues …“

Und so weiter und so fort. Oft kauften sie gar nichts, standen dort nur stundenlang rum und unterhielten sich. Und Mum saß hinter der Theke und hörte zu.

Da Dad in der Midlands-Molkerei arbeitete und dort die Lkw mit den Kannen belud, musste Mum das Geschäft selbstständig führen. Vater war auf diesen Job angewiesen, denn die Einkünfte aus dem Laden reichten nicht zum Leben. Aber ich vermute mal, dass er gern dorthin ging, weil er da Gleichgesinnte traf, Leute, die er mochte. Später legte er sich einen zweiten Laden zu, in dem er Obst und Gemüse verkaufte. Das Geschäft lag in der Victoria Road, ebenfalls in Aston.

Im Gegensatz zu mir mochten meine Eltern diesen Stadtteil. Ich hasste das Leben in dem Geschäft, denn darin war es feucht und kalt. In dem Haus gab es nur zwei Schlafzimmer, ein Wohnzimmer und eine Küche. Wie damals üblich stand das Klo draußen auf dem Hinterhof. Ich konnte nie Freunde einladen, denn wir nutzten das Wohnzimmer gleichzeitig als Vorratslager. Die Kisten mit Bohnen und Erbsen standen aufeinander gestapelt neben all den Konserven. So lebten wir! Man wurde von den verdammten Kisten und dem anderen Scheiß beinahe erdrückt.

In unserer Nachbarschaft waren wir die ersten, die ein Telefon besaßen, damals ein großer Luxus. Wo das Ding stand, hing aber davon ab, ob wir eine neue Lieferung erhielten oder nicht. Entweder fand man es unten auf einer Kiste oder weit oben auf dem Stapel.

„Wo ist das Telefon?“

„Oh, Moment mal, ich glaube da oben!“

Neben all den Bohnen und Früchtedosen standen in dem winzigen Raum noch eine Couch und ein Fernseher.

Ich hatte ein eigenes Zimmer, bis ich gezwungen wurde, mir den Raum mit Frankie zu teilen, einem Untermieter, den meine Eltern wie ihren eigenen Sohn behandelten. Als er einzog, fand ich das ziemlich merkwürdig, denn sie sagten: „Tja, das wird nun dein neuer … Bruder sein. Er wird dich wie einen Bruder behandeln.“

Ich fand das wirklich seltsam. Da kam so ein Typ und schlüpfte quasi in meine Rolle. Meine Eltern beachteten ihn viel mehr, was mich verletzte und ärgerte. Ich muss ungefähr elf gewesen sein und Frankie war etwa vier Jahre älter. Ich mochte ihn, da er mir immer was kaufte, hasste ihn aber gleichzeitig, da ich mir das Zimmer mit ihm teilen musste. Er lebte einige Jahre bei uns, doch dann gelang es mir, ihn loszuwerden.

Ich war 17 und hatte schon mehr Erfahrungen mit Mädchen gemacht als er, weil er ständig zu Hause hockte. Eines Tages kam Frankie mit zu einem meiner Gigs, und ich stellte ihm ein Mädchen vor. Ich hatte nicht erwartet, dass sie ihn so umhaut, aber von einer Sekunde auf die andere wirkte er wie verwandelt. Jemanden zu treffen – das war für ihn ein großes Aha-Erlebnis.

Dad passte das überhaupt nicht und er wütete: „Sie ist die falsche Frau für ihn!“

Doch Frankie übernachtete immer öfter bei ihr, bis Dad schließlich richtig sauer wurde. Da ich praktisch die ganze Geschichte ins Rollen gebracht hatte, schob er mir die Schuld daran in die Schuhe. Einerseits war ich froh, dass wir ihn los wurden, andererseits hatte ich auch Mitleid mit ihm. Vielleicht ging Dad zu weit, weil die beiden sich ziemlich verkrachten und Frankie unser Haus im Streit verließ. Er brach den Kontakt zu meiner Familie völlig ab.

Wir sahen ihn nie wieder.

4: Die Schule der harten Hiebe

Ich besuchte die Birchfield Road School, eine damals moderne Hauptschule, in der man im Alter von zehn bis fünfzehn Jahren unterrichtet wurde. Sie lag ungefähr vier Meilen von unserem Haus entfernt. Man konnte mit einem Schulbus dorthin fahren, doch der war oft überfüllt. Außerdem kostete die Fahrt einen Penny, den ich mir lieber sparte, indem ich zu Fuß ging.

In der Schule begegnete ich Albert, meinem ältesten Freund, und Ozzy, der einen Jahrgang unter uns war. Albert lebte in der Nähe der Birchfield Road. Ich besuchte ihn regelmäßig zum Mittagessen. Natürlich kam er auch gelegentlich zu uns. Damals pflegte ich keine großartigen Freundschaften, denn ich durfte nur selten raus. Meine Eltern verboten es mir. Mum und Dad ließen sich von ihrem Kurs nicht abbringen und behandelten mich wie ein rohes Ei. Sie waren fest davon überzeugt, dass ich irgendeinen Scheiß anstellen würde, wenn ich rausginge, und meckerten: „Bring bloß keinen Ärger nach Hause.“

Ich musste mich also damit abfinden, die meiste Zeit in meinem Zimmer zu verbringen. Auch heute stört es mich nicht, allein zu sein. Ich mag die Gesellschaft anderer Menschen, doch sie ist für mich keine zwingende Notwendigkeit.

Meine Eltern sorgten sich nicht umsonst. Von unserem Laden aus konnten wir über die Straße hinweg auf ein paar Reihenhäuser blicken. Daneben lag ein riesiger Schutthaufen. Ich weiß nicht, ob er noch aus dem Zweiten Weltkrieg stammte oder von abgerissenen Häusern, doch wir nannten ihn den „zerbombten Trümmerhaufen“. Dort trafen sich die Gangs aus der ganzen Gegend. Es konnte schnell passieren, dass man die Straße runter ging und von den Halbstarken vermöbelt oder sogar abgestochen wurde. Ich ging gerne und oft spazieren und wurde schnell zu ihrem Lieblingsziel. Deshalb begann ich mit Kraftübungen und stemmte Gewichte. Ich wollte in der Lage sein, mich selbst zu verteidigen. Schließlich nahm ich Judo- und Karateunterricht und zusätzlich Boxstunden. Zuerst wollte ich mich nur besser wehren können, aber schon bald begann mir der Sport Spaß zu machen.

In der Schule hatten Albert und ich eine Gang, die aber nur aus uns beiden bestand. Wir trugen Lederjacken, auf deren Rückseite „The Commanchies“ stand. „The Commanchies“ – das waren wir beide. Die Schulleitung versuchte, uns das Tragen der Jacken zu verbieten, doch ich besaß keine anderen Klamotten, da Mum und Dad sich die verdammte Schuluniform nicht leisten konnten. Ich hätte sie sowieso nicht gerne angezogen! In meinem Kleiderschrank hingen nur die Lederjacke und eine Jeans.

Ich trainierte hart, und Albert war von Natur aus ein stämmiger Typ. Auf dem Schulweg stolzierten wir wie die Hähne, da sich niemand an uns ran traute. Die wussten alle, dass sie eine ganz schöne Naht verpasst bekommen würden. Sogar die älteren Kids ließen uns in Ruhe. In der Schule herrschte das Gesetz der totalen Gewalt. In der Vergangenheit waren dort bereits Schüler abgestochen worden, und so trug ich manchmal ein Messer bei mir. Ich verabscheue Gewalt, aber so lebte man damals als Teenager. Wenn man sich nicht sofort wehrte, stand schon der Nächste da und wollte einem an den Kragen. Ich musste mich dauernd mit jemandem prügeln.

In unserem Viertel herrschte die Aston-Gang, und sie drängte mich, bei ihnen mitzumachen. Ich muss damals etwa 13 gewesen sein, ging einige Male zu dem Trümmerfeld, aber letztendlich wollte ich nichts mit ihnen zu tun haben. Einige von den Typen klauten in unserem Laden, und so verbot sich das von selbst. Ich erwischte sogar einen von der Gang beim Stehlen. Er wohnte nur einige Häuser entfernt. Ich rannte dorthin und versuchte mit aller Macht die Tür einzutreten. Die Gewalt wurde zur einzigen Ausdrucksmöglichkeit, denn man konnte sich mit diesen Kerlen einfach nicht vernünftig unterhalten.

Vielleicht hätte sich die Gang an mir gerächt, doch da ich in der Gegend lebte, ließ sie mich in Ruhe. Sie hatte sowieso genug damit zu tun, die Truppe aus einem benachbarten Viertel zu bekämpfen. Ihre Feinde hatten schon ein Auge auf mich geworfen. Ich war zwar kein Mitglied der Aston-Gang, lebte aber dort und gehörte irgendwie zu ihnen.

Einige Jahre später schlich ich auf dem Weg zur Arbeit durch das feindliche Territorium. Ich ging immer an ihrem Anführer vorbei. Am Morgen war er ganz normal, aber in der Nacht – wenn sich seine ganzen Kumpel um ihn geschart hatten – verwandelte er sich. Der Trick bestand darin, blitzschnell durch die Straße zu rennen, damit ja niemand rauskam und einen entdeckte. Eines Nachts schaffte ich es nicht. Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie so viel Prügel einstecken müssen. Entweder du verteidigst dich, oder du steigst bei den Typen ein, was ich aber nicht wollte.

Früher hatte ich auf eine Karriere als Boxer gehofft. Vielleicht konnte ich ja Profi in einem Club werden. Ich träumte oft davon, auf einem Podest zu stehen und auf ein Riesenpublikum hinabzuschauen. In meiner Phantasie war ich ein umjubelter Profi-Boxer. Schließlich wurde das alles Realität, doch statt der Boxhandschuhe hielt ich eine Gitarre in den Händen.

Da mich die Schule nicht sonderlich interessierte, fielen meine Noten dementsprechend aus. Nach dem Elternsprechtag kam Mum immer wutentbrannt nach Hause und schimpfte mich aus: „Das ist fürchterlich, eine Schande! Was hast du in deinem Leben bisher erreicht?“

Mich juckte es nicht besonders, was die Lehrer und der Direktor über mich dachten, aber ich fürchtete mich vor der Reaktion meiner Eltern. Sie hassten es, wenn man Ärger machte, und sorgten sich ständig, was die Nachbarn wohl denken würden. Die Leute reden halt. Im Geschäft lief es dann so ab: „Oh, hast du gehört, was ihm oder ihr passiert ist? Die Polizei ist erst vor Kurzem bei ihnen aufgetaucht …!“

Alles drehte sich um den Tratsch. Sie wussten nicht, was außerhalb ihrer kleinen Straße vor sich ging, hatten aber jedes noch so winzige Detail über die Nachbarn parat. Wenn man schlechte Noten mit nach Hause brachte, verbreitete sich das wie ein Lauffeuer.

In der Schule setzten sie Albert und mich auseinander, weil wir ständig den Unterricht störten. Entweder beschossen wir andere Schüler mit Papierkügelchen, quasselten oder stellten sonst was an. Wir wurden oft vom Unterricht ausgeschlossen und mussten vor der Tür warten, bis die Stunde vorbei war. Wenn sie uns beide rausschmissen, stellten sie uns in die gegenüberliegenden Ecken des Flurs. Falls mal der Direktor vorbeikam und uns sah, drohte der Rohrstock. Oder es blühte einem das Nachsitzen, wobei sich die eine Stunde scheinbar in die Unendlichkeit zog.

Der Direktor drosch mit seinem Stock auf die Hände der Schüler ein, oder man musste sich umdrehen, sodass er einem den Hintern mit einem Schuh versohlen konnte. Einer der Lehrer benutzte für diese Folter sogar einen riesigen Zirkel. Natürlich polsterten sich die Schüler ihre Hosen mit Heften aus, aber dort sahen die Pauker vorher immer nach. Die Tortur nannten sie „Sechs Glücksgefühle“, was sechs schmerzhafte Hiebe bedeutete. Sie waren keine Unmenschen, nein, man konnte auswählen: „Wo willst du die Schläge hin haben – auf den Hintern oder die Hand?“

Die bestrafenden Lehrer trugen das dann im so genannten Schwarzen Buch ein. Jedes Mal, wenn sie einen erwischten, schauten sie dort nach. „Was, der letzte Eintrag war erst vor zwei Tagen?“

Ich erinnere mich nur noch an wenige Lehrer. Mister Low unterrichtete Musik. Von ihm lernte ich kaum was, denn in der Schule bedeutete Musik Blockflötenspielen. Es gab damals keine anderen Instrumente, und so mussten wir in die verdammten Dinger blasen. Manchmal denke ich noch an Mister Williams, den Mathelehrer. Das verwundert mich selbst, denn ich ging fast nie zum Unterricht. Ich hasste Mathe, langweilte mich zu Tode und wurde oft vor die Tür gesetzt. Manchmal hatte ich gar nichts angestellt, stand nur auf der Türschwelle, wo mir ein schallendes „Raus!“ entgegen tönte.

Wirklich verrückt. Aber so war das früher nun mal.

5: Aus der Dunkelheit ins trügerische Licht

Dad und seine Brüder spielten Akkordeon. Sie waren eine recht musikalische Familie. Ich wünschte mir nichts sehnlicher als ein Drumset, hatte aber keinen Platz, um es aufzubauen. Wegen des Lärms hätte ich es auch nicht in unserem winzigen Haus spielen können. Da blieb mir nur die Wahl zischen dem Akkordeon oder gar keinem Instrument. Ich begann damit im Alter von zehn Jahren, und habe immer noch ein Bild von mir und dem verdammten Ding, das bei uns im Hinterhof geschossen wurde.

Wir besaßen damals ein Grammophon, besser gesagt eine Musiktruhe. Es war eine Einheit mit einem Plattenspieler und zwei Lautsprechern. Mir gehörte ein winziges Radio, und da ich fast immer im Zimmer hockte, blieb mir nichts anderes übrig, als Radio zu hören. Ich konnte mich nicht so einfach ins Wohnzimmer setzen, da sich dort die Ware bis unter die Decke stapelte. So lauschte ich meistens der Top 20 oder Radio Luxemburg. In diesem kleinen Zimmer liegen meine musikalischen Wurzeln. Ich hockte vor dem Radio und hörte mir großartige Gitarrenbands wie The Shadows an. Von nun an wollte ich unbedingt Gitarre lernen. Ich liebte den Sound, die ganzen Instrumentals und wusste: So will ich auch spielen können. Schließlich kaufte Mum mir eine Gitarre. In dieser Beziehung war sie sehr großzügig. Sie arbeitete hart und sparte sich so das Geld mühsam zusammen. Für Linkshänder gab es damals aber noch keine große Auswahl: „Eine Linkshändergitarre – was soll denn das sein?“

In einem Katalog entdeckte ich eine elektrische Watkins Rapier. Sie kostete ungefähr 20 Pfund und Mum stotterte sie in wöchentlichen Raten ab. Die Gitarre hatte zwei Pickups und einige kleine Chrom-Potis, die man hochziehen musste, um den Klang zu ändern oder die Tonabnehmer anzusteuern. Mit der Klampfe wurde ein winziger Watkins Westminster-Amp geliefert. Ich schnappte mir einen Lautsprecher aus der Musiktruhe und baute den im Verstärker ein, was aber nicht viel brachte. Glücklicherweise merkten das meine Eltern nicht, denn sie hörten nur selten Musik.

Da saß ich nun mit meiner ersten Anlage im Zimmer und begann zu üben. Ich hörte mir die Top 20 an und wartete auf die Shadows, die ich mit einem Mikro und einer uralten Bandmaschine mitschnitt, damit ich zu den Stücken üben konnte. Später verfügte ich über genügend Geld, um mir ein komplettes Album zuzulegen. Ich spielte immer und immer wieder mit den Songs mit. Zwar interessierten mich unterschiedlichste Musikstile, aber die Shadows standen an erster Stelle, weil ich Melodien und strukturierte Kompositionen mochte. Ich versuchte das Gitarrenspiel melodisch auszurichten, da Melodien zu den Grundbausteinen der Musik gehören. Dieser Ansatz stammt aus meinen Anfangstagen, hat sich nicht geändert und ist ein wichtiger Teil meines Songwritings.

Ich mochte zwar die Beatles, doch der Sound von The Shadows und Cliff Richard basierte auf dem Rock’n’Roll, und deshalb gefielen sie mir besser. Natürlich stand auch Elvis auf den vorderen Plätzen, doch er konnte meine Helden nicht übertrumpfen. In Großbritannien war Cliff viel bekannter als Elvis. Möglicherweise beeinflusste das meinen Geschmack. Ich traf Cliff einige Male, traute mich aber nicht, ihm zu verraten, was für ein großer Fan ich war.

Nach der Schule ging ich immer schnell in mein Zimmer und übte einige Stunden lang Gitarre. Ich versuchte mein Bestes, wartete aber vergebens auf Bands, die bei mir anklopften, damit ich bei ihnen einsteige. Bei dem ersten Projekt musste Albert ran. Er sollte singen und ich wollte ihn begleiten. Er war zwar kein Sänger, glaubte aber, dass er es schaffen kann. Alberts Elterhaus war für meine Verhältnisse recht nobel, denn sie hatten zwei Wohnzimmer. Wir stellten uns in den ersten Raum und probten. Aus dem anderen Wohnzimmer hörten wir dann die laute Stimme seines Vaters: „Hört mit dieser Katzenmusik auf! Könnt ihr das nicht irgendwo anders machen?“

Wir konnten nur einen Song, den wir dauernd wiederholten – „Jezebel“ von Frankie Lane. Wir müssen damals ungefähr 13 Jahre alt gewesen sein, und Albert quäkte stimmbrüchig: „If ever the devil was born, without a pair of horns, it was you, Jezebel, it was you“.

So begann also meine Karriere im Musikgeschäft.

Dann tat ich mich mit einem Pianisten und seinem Drummer zusammen. Sie waren viel älter und fragten mich, ob ich mit ihnen in einem Pub auftrete. Ich konnte noch nicht besonders gut spielen, aber es gefiel den beiden. Das Üben mit den Typen machte mich unheimlich nervös, doch ich wollte es unbedingt durchziehen.

Endlich ein Gig! Und sogar in einem Pub!

Vom Gesetz her durfte ich noch nicht Gaststätten besuchen. Trotzdem spielte ich dort die ersten Gigs.

Ron und Joan Woodward wohnten in unserer Straße einige Häuser weiter. Ron besuchte uns oft. Er und Dad quatschten fast jeden Abend und qualmten mit ihren Zigaretten das ganze Zimmer voll. Ron verbrachte mehr Zeit bei uns, als bei sich zu Hause und wurde schnell zu einer Art Adoptivsohn. Er war ungefähr zehn Jahre älter, doch wir schlossen schnell Freundschaft. Ich überredete ihn, sich einen Bass zuzulegen. Nach einigen Übungsstunden machten wir sogar ein paar Gigs, wo wir uns einige Kommentare anhören mussten: „Tja, er ist doch schon ganz schön alt, oder?“

Ich antwortete: „Er ist mein Kumpel und will in der Band spielen!“

So lief das früher – dein Kumpel spielte auch in deiner Band.

„Kann er denn überhaupt spielen?“

„Nein, eher nicht, aber er ist mein Freund.“

Zu unserer Band gehörten außerdem noch ein Rhythmusgitarrist und ein Schlagzeuger. Ungefähr drei Mal in der Woche probten wir in einem Jugendheim. Ich fand das herrlich. Der Entwicklungsschritt von einem einsamen Musiker in seinem stillen Kämmerlein zum Spielen mit anderen Leuten war für mich eine phantastische Erfahrung.

Nigel, der Rhythmusgitarrist, verhielt sich immer ein bisschen großspurig. Bei einer Probe übernahm er den Gesang. Plötzlich klebte das Mikro an seinen Lippen, weil es nicht geerdet war. Er wand sich gekrümmt auf dem Boden, nachdem er einen heftigen elektrischen Schlag abbekommen hatte. Da ihn keiner sonderlich mochte, dachten wir alle, dass er die Schmerzen verdient habe. Schließlich zogen wird doch den Stecker aus der Anlage und er überlebte. Tatsächlich kamen wir nach dem Vorfall mit ihm viel besser klar. Scheinbar bewirkte der Stromstoß auch was Gutes. Doch er blieb nicht lange in der Band, die sich kurz nach seinem Ausstieg auch auflöste.

Ich konnte das Ende der Schulzeit kaum erwarten. Ich hasste die Penne, und die Lehrer hassten mich. Fast jeder verließ die Schule mit 15, bis auf die Leute, die aufs College gingen. 15 Jahre, und das war’s dann mit der Bildung. Ich fühlte mich total erleichtert, begann mich nach einem Job umzusehen und übte noch intensiver. Da ich mich ständig mit der Gitarre beschäftigte, wurde ich schnell besser und setzte mich in kürzester Zeit von Leuten wie Ron Woodward ab. So stieg ich bei den Rockin’ Chevrolets ein, die ich sehr mochte. Das muss 1964 gewesen sein. Für mich waren das schon Vollprofis. Sie konnten Songs der Shadows perfekt nachspielen und hatten auch Rock’n’Roll im Programm, da einige der Musiker diese Ära noch erlebt hatten. Bis dahin hatte ich die Songs von Chuck Berry, Gene Vincent oder Buddy Holly ignoriert, aber jetzt kam ich auf den Geschmack.

Der Sänger Neil Morris war das älteste Mitglied. Neben ihm spielten Dave Whaddley Bass, Pat Pegg Schlagzeug und Alan Meredith Rhythmusgitarre. Damals traf ich Margareth, Alans Schwester. Wir verlobten uns sogar und wollten heiraten. Unsere Beziehung sollte eine längere Zeit überstehen als The Chevrolets.

Ich kann mich nicht erinnern, wie genau ich zu der Band stieß. Wahrscheinlich sah ich eine Anzeige am schwarzen Brett eines Musikgeschäfts. So gestaltete sich mein Leben zu der Zeit – ich hing entweder in einem Musikladen ab oder besuchte die Proben anderer Bands. Dadurch lernte ich immer mehr Leute kennen.

Mum und Dad schmeckte es nicht, dass ich mit diesen Gruppen in den Pubs spielte. Ich musste sogar zu einer bestimmten Uhrzeit wieder zu Hause sein. Doch nach einer kurzen Zeit respektierten sie es, nicht zuletzt weil ich Geld verdiente. Die Rockin’ Chevrolets machten den klugen Schachzug, sich bei meiner Mutter vorzustellen. Die ganze Band kam zu Besuch, und Mum schmierte ihnen Schinkenbrötchen. Jahre später, bei Black Sabbath, lief das nicht anders ab. Sie fragte immer, ob jemand Hunger hatte. Immer. Ja, so eine Mutter war sie.

Langsam, aber sicher bekamen die Rockin’ Chevrolets eine Menge Auftrittsangebote. Wir trugen bei den Gigs alle identische, rote Laméanzüge. Eigentlich besaß ich nicht das Geld, um mir so einen teuren Anzug zu leisten, aber man musste das Spielchen mitmachen. Am Wochenende traten wir in Pubs auf. Einer dieser Pubs lag in einem üblen Stadtteil von Birmingham. Bei jedem verfluchten Auftritt gab es dort eine Schlägerei, für die wir praktisch den Soundtrack lieferten. Manchmal traten wir auch bei einer Hochzeit auf, oder in einem Bürgerhaus vor doppelt so alten Leuten, die meckerten: „Hey, ihr seid viel zu laut!“

Da mittlerweile alles professioneller und ernsthafter geworden war, brauchte ich eine bessere Gitarre. Burns gehörte zu den wenigen Firmen, die Linkshändermodelle fertigten, und so fiel meine Wahl auf eine Burns Trisonic. Sie zeichnete sich durch die „Trisonic Sound“-Schaltung aus, was auch immer das sein sollte. Ich spielte sie nur so lange, bis ich endlich eine Fender Stratocaster für Linkshänder fand. Als Verstärker benutzte ich einen Selmer mit eingebautem Echo.

Die Rockin’ Chevrolets mussten sich auflösen, denn sie hatten Alan Meredith rausgeworfen, ohne den aber nichts lief. The Birds & The Bees waren die nächste größere Band. Ich spielte vor und bekam den Job. Sie hatten sich schon in der Profi-Liga etabliert. Das Auftragsbuch war prall gefüllt. Sogar eine Europa-Tournee stand bevor. Die Entscheidung fiel leicht – ich wollte Profi werden und hing dafür den Tagesjob an den Nagel. Zu der Zeit malochte ich als Schweißer in einer Fabrik. Am letzten Arbeitstag, einem Freitag, erzählte ich meiner Mutter in der Mittagspause, dass ich auf die letzten Stunden pfeife. Sie bedrängte mich aber, den Job anständig abzuschließen. Was ich auch tat. Ich ging zurück zur Arbeit. Und dann zerfiel meine ganze Welt zu einem Scherbenhaufen.

6: Autsch!

Wie ich schon sagte, passierte es am letzten Arbeitstag. Eine Frau musste an einer Stanze Metallbleche verformen und ich schweißte sie dann aneinander. An jenem Freitag kam sie nicht zur Arbeit. Da ich nichts anderes zu tun hatte, stellten sie mich an die Stanze. Ich hatte bislang noch nie an der Maschine gearbeitet und wusste nicht, wie man sie bediente. Das Monster glich einer überdimensionalen Guillotine, die durch ein Fußpedal angesteuert wurde. Man schob also das Blech da rein, trat auf das Pedal, und schon kam das Stanzwerkzeug mit einem ohrenbetäubenden Knall runter und bog das Metall.

Am Morgen lief alles prima. Als ich aus der Mittagspause zurückkam, betätigte ich den Fußschalter und die Presse quetschte meine mittleren Finger ein. Reflexartig zog ich schnell die Hand zurück und riss mir dabei die zwei Finger ab. Streck mal deine Hand aus und stell dir eine Linie zwischen den Fingerkuppen des kleinen und des Zeigefingers vor. Der überstehende Teil vom Mittel- und Ringfinger wurden abgetrennt. Aus der blutigen Masse stachen die Knochen hervor. Ich dachte, ich träume. Überall war Blut. Ich stand so sehr unter Schock, dass ich zuerst gar keine Schmerzen spürte.

Man brachte mich ins Krankenhaus, aber anstatt etwas gegen die Blutungen zu unternehmen, steckte man meine Hand einfach in eine Plastiktüte. Sie füllte sich schnell mit Blut. Ich bekam Panik. Wenn mir keiner zu Hilfe eilte, würde ich verbluten.

Ein wenig später brachte jemand die abgetrennten Fingerstummel ins Hospital – in einer Streichholzschachtel. Sie hatten sich schon schwarz verfärbt und konnten demzufolge nicht mehr angenäht werden. Schließlich entnahmen sie Gewebe vom Arm, legten es über die verletzten Kuppen und nähten es an. Da ich beide Fingernägel verloren hatte, entnahmen sie faseriges Hautmaterial von einer gesunden Nagelwurzel, in der Hoffnung, dass vielleicht ein kleiner Fingernagel wachsen würde. Dann modellierten sie die Kuppen mit Hautgewebe und vernähten die Wunde.

Ich hockte zu Hause und fiel in eine tiefe Depression. Das war’s also: Ende, Schluss, aus! Die Realisierung dieses Schicksalsschlags fiel mir verdammt schwer. Ich war gerade bei einer tollen Band mit einer viel versprechenden Zukunft eingestiegen und wurde am allerletzten Arbeitstag zum lebenslangen Krüppel. Der Manager der Fabrik, ein älterer, glatzköpfiger Mann mit einem dünnen Schnurrbart namens Brian, besuchte mich einige Male. Er merkte, wie tief ich in einem schwarzen Loch steckte. Eines Tages brachte er mir eine EP mit und sagte: „Leg die mal auf.“

Ich antwortete: „Nein, das will ich wirklich nicht.“

Jetzt Musik zu hören, war sicherlich kein geeigneter Weg, um meine Stimmung aufzuheitern.

Mit sanfter Stimme drängte er mich: „Du solltest es aber hören, denn ich will dir eine interessante Geschichte erzählen. Der Typ spielt mit nur zwei Fingern Gitarre.“

Es war der überragende, in Belgien geborene Jazz-Gitarrist Django Reinhardt, und verdammt noch mal – sein Spiel überwältigte mich. Wenn er das geschafft hat, werde ich es auf jeden Fall versuchen. Brian hatte sich Sorgen gemacht und mit seinem Geschenk viel Mitgefühl bewiesen. Ich weiß nicht, wo ich ohne ihn gelandet wäre. Nachdem ich die Musik gehört hatte, war ich fest entschlossen, etwas aus mir zu machen, statt Trübsal zu blasen.

Die zwei Finger steckten immer noch in dem Verband, und so versuchte ich mit dem kleinen und dem Zeigefinger zu üben, was sich als ziemlich frustrierend herausstellte. Wenn man erst mal auf einem bestimmten spielerischen Niveau angelangt ist, ist es verdammt hart, wieder von vorn zu beginnen.

Vielleicht sollte ich die Gitarre umdrehen und als Rechtshänder spielen? Im Nachhinein wäre das vielleicht eine praktikable Alternative gewesen. Doch damals befürchtete ich, bei einem Wechsel der Griffhand die gleiche Zeit zu benötigen, die ich schon ins Instrument investiert hatte. So entschloss ich mich, als Linkshänder weiterzumachen. Ich biss mich durch, obwohl mir die Ärzte abrieten: „Es ist besser für dich, aufzuhören. Such dir einen neuen Job, mach was anderes.“

Aber zum Teufel noch mal, es musste doch irgendwie klappen.

Ich dachte darüber nach und kam auf die Idee, über die Finger eine Art Kappe zu stülpen. Schnell schnappte ich mir eine Flasche Fairy Liquid, schmolz sie, rollte die zähflüssige Plastikmasse zu einem Ball zusammen und wartete, bis sie sich abgekühlt hatte. Mit einem glühenden Stahlstab brannte ich ein Loch von der Größe meines Fingers in ihn rein. Die scharfen Kanten entfernte ich mit einem Messer, anschließend bearbeitete ich das Stück stundenlang mit Schmirgelpapier, bis es glatt genug war und einem Fingerhut ähnelte. Ich steckte das Ding auf einen Finger und versuchte damit Gitarre zu spielen, doch es fühlte sich nicht gut an. Das Plastik rutschte immer von den Saiten ab. Da die Wunden noch nicht richtig verheilt waren, tat es auch höllisch weh. Ich musste mir ein anderes Material suchen und versuchte es mit hartem Stoff, der natürlich schnell zerriss. Als nächstes kamen verschiedene Lederstärken an die Reihe, was auch nicht funktionierte. Glücklicherweise fand ich eine uralte Lederjacke, aus der ich ein hartes Stück trennte. Ich formte es so, dass es auf den Plastik-Fingerhut passte, und klebte es fest. Nachdem es getrocknet war, probierte ich die neue Prothese und – verdammt noch mal – ich konnte die Saiten gut treffen. Ich schliff das Leder mit feinem Papier und rieb es an einer harten Oberfläche, damit sich die Poren schlossen und es sich nicht zu schnell am Griffbrett verfing. Es musste so beschaffen sein, dass ich mühelos die Saiten rauf und runter rutschen konnte.

Trotz der Fingerhüte tat es noch weh. Auf der Kuppe meines Mittelfingers sieht man eine kleine Wölbung, unter der sich direkt der Knochen befindet. Ich muss immer höllisch aufpassen, denn wenn die Prothese abfällt und ich mit voller Wucht in die Saiten greife, platzt die Haut auf. Meine ersten künstlichen Fingerkuppen fielen ständig runter. Das entwickelte sich zu einem leidigen Problem. Der Roadie musste oft auf der Bühne herumkriechen und fluchte: „Wo ist das Scheißding denn hin?“

Jedes Mal, wenn ich die Bühne betrete, wickele ich mir medizinisches Pflaster um die beiden Finger, streiche ein wenig Sekundenkleber darauf und stecke dann die Prothesen auf. Natürlich muss ich mir das jeden Abend wieder abreißen.

Ich verlor die „Fingerhütchen“ nur einige Male. Auf einer Tournee lebe ich mit diesen Dingern und trage sie immer bei mir. Natürlich besitze ich ein Ersatz-Set und auch mein Gitarrentechniker hält ein Paar bereit.

Mit den Teilen unbehelligt durch den Zoll zu kommen, ist ein anderes Thema. Ich bewahre sie in einer kleinen Schachtel auf. Bei einer Kontrolle höre ich oft den Spruch: „Na, was haben wir denn hier? Etwa Drogen?“

Und dann – was für ein Schock – sind es Finger! Ich musste es dem Zollpersonal schon mehrmals erklären, woraufhin die Antwort immer lautete: „Igitt!“

Mit angewiderter Miene legen sie den Fingerersatz wieder in das Schächtelchen.