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HEINZ NAWRATIL

Die deutschen Nachkriegsverluste

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Heinz Nawratil

Die deutschen

Nachkriegsverluste

Vertreibung, Zwangsarbeit,
Kriegsgefangenschaft, Hunger,
Stalins deutsche KZs

ARES VERLAG

Bildnachweis:
Ullstein-Bilderdienst (22, 27, 46, 47, 51, 72, 73, 93, 94), A. Mölzer (111); alle anderen
Bilder/Abb. und Karten: Archiv des Verlages/Archiv des Verfassers

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Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.ddb.de abrufbar.

ISBN 978-3-902475-49-7

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art, auszugsweisen Nachdruck oder Einspeicherung und Rückgewinnung in Datenverarbeitungsanlagen aller Art, sind vorbehalten.

© Copyright by Ares Verlag, Graz 2008 (völlig überarbeitete und erweiterte Neuauflage)

Inhaltsverzeichnis

Zum Geleit

1. Vorbemerkung: Die europäischen Nachkriegsverluste

Zeittafel • Jugoslawien • Frankreich und Italien • Sowjetischer Machtbereich

2. Vertreibung

Zeittafel • Verluste an Menschenleben • Vertreibungsopfer und Verbrechensopfer

3. Kriegsgefangenschaft

Ausgangslage • Jugoslawien • USA und Frankreich • UdSSR, ČSSR und Polen

4. Verschleppung zur Zwangsarbeit

Historischer Überblick • Statistische Fragen

5. Der Einmarsch der Roten Armee in Mitteldeutschland und Österreich

Mitteldeutschland • Österreich

6. Konzentrationslager in der sowjetischen Besatzungszone

Zeittafel • Historischer Überblick • Exkurs: Lager im Westen

7. Hungerpolitik

8. Bilanz und Ausblick

Dokumentenanhang

Zu den europäischen Nachkriegsverlusten • Zur Vertreibung • Zur Kriegsgefangenschaft • Zur Verschleppung • Zum Einmarsch der Roten Armee • Zu den Konzentrationslagern in der SBZ • Zum Hunger in Westdeutschland

Amtliche Dokumentationswerke zum Thema

Anmerkungen

Orts- und Namenverzeichnis

Zum Geleit

„Du kannst nicht spielen mit dem Tier in dir, ohne ganz Tier zu werden, nicht mit der Lüge, ohne das Recht zur Wahrheit einzubüßen, nicht mit der Grausamkeit, ohne die Zartheit des Geistes zu verlieren. Wer seinen Garten rein halten will, darf keinen Fleck dem Unkraut überlassen.“ Diese Sätze stammen von Dag Hammarskjöld, dem UN-Generalsekretär und Träger des Friedensnobelpreises 1961; sie waren für die vorliegende Arbeit Anstoß und Leitlinie zugleich. Wie Meinungsumfragen oder auch nur der Blick ins Fernsehprogramm zeigen, haben Kriegsereignisse und Kriegsopfer im Bewusstsein der Öffentlichkeit einen festen Platz; auch die Verbrechen dieser Epoche sind allgemein geläufig. Kaum bekannt und daher vom Unkraut der Spekulationen und Verharmlosungsversuche überwuchert dagegen ist jenes weite Feld der Kriegsendzeit, die im buchstäblichen Sinn für Millionen Menschen zur Endzeit wurde. Diesem vernachlässigten Teil im Garten der Mitmenschlichkeit und den Gräbern der Nachkriegsopfer wieder die angemessene Pflege zuteil werden zu lassen, erschien dem Verfasser als Vermächtnis des großen Humanisten Hammarskjöld.

Entsprechend der globalen Dimension des Zweiten Weltkriegs verstummen die Waffen an den verschiedenen Orten zu ganz verschiedenen Zeiten. Für Nordafrika endete der Krieg mit der Kapitulation des Deutschen Afrikakorps im Mai 1943. Paris feierte seine Befreiung im August 1944. Berlin kapitulierte im Mai 1945, Tokio im September 1945. Diese Divergenzen, aber auch die neuen Größenordnungen der Verfolgung Andersdenkender und Andersrassischer in Hitlers und Stalins Imperien zwangen die Historiker, bei der Abgrenzung von Kriegsopfern und anderen Opfern neue Wege zu gehen. In seiner Dokumentation über die deutschen Vertreibungsverluste definiert das Statistische Bundesamt daher diejenigen Menschenopfer als „Nachkriegsverluste“, die nach dem ende der Kampfhandlungen in den betreffenden Gebieten eingetreten sind. Dieser anschauliche Begriff wird auch im Folgenden verwendet.

Unter den Nachkriegsopfern waren aber nicht nur Deutsche, sondern auch Angehörige zahlreicher anderer Nationen. Um die Position der deutschen Verluste im Koordinatensystem der internationalen Nachkriegsverluste zu markieren, sind auch diese Menschen und ihr wenig bekanntes Schicksal in Form einer ausführlichen Vorbemerkung in die Untersuchung mit einbezogen worden.

Der Umfang der behandelten Materie hat es nötig gemacht, die statistischen Fragen auf Kosten der historischen und allgemein menschlichen in den Vordergrund zu rücken. Natürlich wäre es für Verfasser und Leser bequemer gewesen, eine Handvoll Reportagen über dramatische Einzelschicksale zusammenzustellen und das Zahlenmaterial in die Fußnoten zu verbannen. Dabei aber wären gewisse geschichtliche Größenordnungen verloren gegangen, die sich nur statistisch umschreiben lassen. Goethe hat gesagt, was dazu zu sagen ist: „Man hat behauptet, … die Welt werde durch Zahlen regiert; das aber weiß ich, dass die Zahlen uns belehren, ob sie gut oder schlecht regiert werde.“

Dieses Buch ist keine wissenschaftliche Studie; es kann und will nicht mit spektakulären Archivfunden aufwarten. Das Ziel war lediglich, die verstreuten Angaben aus amtlichen Dokumentationen und internationalen Forschungsarbeiten in übersichtlicher Form zusammenzustellen und so – gerade dem jungen Menschen – einen kompakten Überblick über ein halb vergessenes Kapitel der europäischen Geschichte zu bieten.

Noch etwas: Bevölkerungsstatistiken sind eine hochkomplizierte Materie und obendrein nicht selten politisch manipuliert. Auch die folgenden Zahlenangaben sind naturgemäß kein Dogma, sondern stets mit dem Zusatz „nach heutigem Erkenntnisstand“ zu lesen. Für Hinweise aus dem Leserkreis ist der Verfasser dankbar.*

*Aus Gründen der Lesefreundlichkeit wurden die im Folgenden angeführten Zitate und Dokumente behutsam der neuen Rechtschreibung angepasst.

1. Vorbemerkung: Die europäischen Nachkriegsverluste

Zeittafel

Die jugoslawischen Ereignisse

27. 9. 1940 Unterzeichnung des Dreimächtepakts durch Deutschland, Italien und Japan.
25. 3. 1941 Beitritt Jugoslawiens zum Dreimächtepakt.
27. 3. 1941 Staatsstreich in Belgrad.
6. 4. 1941 Beistandspakt der neuen jugoslawischen Regierung mit der Sowjetunion.
6. 4. 1941 Beginn des Einmarsches in Jugoslawien (Deutschland, Italien, Ungarn und Bulgarien).
10. 4. 1941 Proklamation des „unabhängigen Staats Kroatien“.
17. 4. 1941 Kapitulation der jugoslawischen Armee. Nach Gebietsabtretungen an Italien, Deutschland, Ungarn und Bulgarien Bildung der weiteren Staaten Serbien und Montenegro unter deutschem bzw. italienischem Protektorat.
15. 6. 1941 Beitritt Kroatiens zum Dreimächtepakt.
22. 6. 1941 Angriff der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion.
4. 7. 1941 Jugoslawische KP unter Tito beschließt den Partisanenkampf gegen die Besatzungsmächte. Etwa gleichzeitig Vorbereitung der Partisanenaktionen der konservativen Tschetniks (Četnici) im Einvernehmen mit der königlich jugoslawischen Exilregierung in London.
2. 11. 1941 Erste Kämpfe der konservativen und kommunistischen Partisanen untereinander.
1. 12. 1943 Auf der Konferenz von Teheran beschließen die Großen Drei, nicht mehr die Tschetniks, sondern nur noch die Tito-Partisanen zu unterstützen.
20. 10. 1944 Tito-Partisanen erobern Belgrad.
11. 4. 1945 Freundschafts- und Beistandspakt zwischen der UdSSR und der Regierung Tito.

Die französisch-italienischen Ereignisse

31. 3. 1939 Britisch-französische Garantieerklärung für die nationale Integrität Polens.
7. 4. 1939 Italienischer Einmarsch in Albanien.
1. 9. 1939 Deutscher Einmarsch in Polen.
3. 9. 1939 Großbritannien und Frankreich erklären dem Deutschen Reich den Krieg.
10. 5. 1940 Deutscher Einmarsch in Frankreich und den Benelux-Staaten.
10. 6. 1940 Kriegseintritt Italiens.
18. 6. 1940 General de Gaulle erklärt sich in London zum „Führer der freien Franzosen“.
22. 6. 1940 Deutsch-französischer Waffenstillstand.
24. 6. 1940 Italienisch-französischer Waffenstillstand.
3. 7. 1940 Britischer Überfall auf die französische Flotte in Mers-el-Kebir, darauf Abbruch der diplomatischen Beziehungen Frankreichs zu Großbritannien.
11. 7. 1940 Marschall Pétain Staatschef des französischen Staates (Regierungssitz in Vichy).
27. 9. 1940 Unterzeichnung des Dreimächtepakts durch Deutschland, Italien, Japan.
28. 10. 1940 Italienischer Angriff auf Griechenland.
22. 6. 1941 Deutscher Angriff auf die Sowjetunion.
30. 6. 1941 Die französische Regierung in Vichy bricht die diplomatischen Beziehungen zur UdSSR ab.
7. 12. 1941 Japanischer Angriff auf die US-Flotte in Pearl Harbour.
11. 12. 1941 Kriegserklärung Deutschlands und Italiens an die USA.
11. 11. 1942 Deutschland und Italien besetzen den noch nicht okkupierten Teil Frankreichs.
10. 7. 1943 Alliierte Landung auf Sizilien.
25. 7. 1943 Umsturz in Italien, Verhaftung Mussolinis.
8. 9. 1943 Verkündung des Waffenstillstands zwischen der neuen italienischen Regierung und den Alliierten. Daraufhin Besetzung Nord- und Mittelitaliens durch die deutsche Wehrmacht.
9. 9. 1943 Bildung einer faschistischen Gegenregierung.
12. 9. 1943 Befreiung Mussolinis.
15. 9. 1943 Übernahme der Gegenregierung durch Mussolini Republik von Salò).
13. 10. 1943 Kriegserklärung der antifaschistischen Regierung Italiens an Deutschland.
6. 6. 1944 Alliierte Invasion in Nordfrankreich.
25. 8. 1944 Einzug de Gaulles in Paris.
9. 9. 1944 Bildung einer provisorischen französischen Regierung unter de Gaulle.
11. 9. 1944 US-Truppen erreichen die reichsgrenze.
28. 4. 1945 Erschießung Mussolinis durch italienische Partisanen.

Die sowjetischen Ereignisse

23. 8. 1939 Deutsch-sowjetischer Nichtangriffspakt mit geheimem Zusatzprotokoll über die Aufteilung Polens.
1. 9. 1939 Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Polen.
17. 9. 1939 Einmarsch der Roten Armee in Polen.
28. 9. bis
10. 10. 1939
Beistandspakt der Sowjetunion mit Estland, Lettland und Litauen (jeweils mit Überlassung von Stützpunkten an die UdSSR).
11. 10. 1939 Beginn (ergebnisloser) sowjetisch-finnischer Verhandlungen über sowjetische Stützpunkte in Finnland.
30. 11. 1939 Angriff der Roten Armee auf Finnland.
12. 3. 1940 Sowjetisch-finnischer Friedensvertrag mit sowjetischen Annexionen in Ostfinnland.
15. 6. 1940 Sowjetischer Einmarsch in Litauen.
17. 6. 1940 Sowjetischer Einmarsch in Estland und Lettland.
21. 7. 1940 Formelle Annexion der drei baltischen Staaten durch die UdSSR und Umwandlung in „Sozialistische Sowjetrepubliken“.
28. 6. 1940 Beginn des sowjetischen Einmarsches in Nord- und Ostrumänien (Bukowina und Bessarabien) nach Annahme des sowjetischen Ultimatums vom 26. 6. 1940 durch die rumänische Regierung.
27. 9. 1940 Unterzeichnung des Dreimächtepakts durch Deutschland, Italien und Japan.
20. bis
24. 11. 1940
Ungarn, Rumänien und die Slowakei treten dem Dreimächtepakt bei.
22. 6. 1941 Angriff der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion.
26. 6. 1941 Finnland erklärt der Sowjetunion den Krieg.
7. 12. 1941 Japanischer Angriff auf die US-Flotte in Pearl Harbour.
11. 12. 1941 Deutsch-italienische Kriegserklärung an die USA.
13. 4. 1943 Entdeckung von über 4.000 Leichen polnischer Offiziere in Massengräbern bei Katyn, die im Frühjahr 1940 dort von den Sowjets ermordet wurden.
26. 4. 1943 Abbruch der diplomatischen Beziehungen der polnischen Exilregierung in London zur Sowjetunion.
Dezember 1943 Liquidation des Kalmückenvolkes durch Verschleppung in den asiatischen Teil der UdSSR.
Juni 1944 Verschleppung der Krimtataren.
21. 7. 1944 Bildung des sowjetisch orientierten „Polnischen Komitees der Nationalen Befreiung“ in Cholm, ab 25. 7. in Lublin („Lubliner Komitee“).
1. 1. 1945 Das Lubiner Komitee erklärt sich zur provisorischen Regierung Polens (sowjetische Anerkennung am 3. 1.).

Jugoslawien

In Europa kann vermutlich Jugoslawien auf die blutigste Vergangenheit zurückblicken. Aber erst das Jahr 1945 sollte dem leidgeprüften Land den blutigsten Frühling seiner Geschichte bringen. Gemessen an der bescheidenen Bevölkerungszahl des Staates waren die Massaker der siegreichen Tito-Partisanen unter Antikommunisten und „unzuverlässigen“ Völkern ungeheuer. Jahrhundertealte nationale, religiöse und soziale Gegensätze hatten schon vor 1945 dazu geführt, dass neben dem einen großen Krieg mehrere kleine der verfeindeten Gruppen untereinander stattfanden und dass alte Rechnungen mit archaischer Grausamkeit beglichen wurden. Und doch stand den Menschen die letzte Steigerung des Schreckens noch bevor.

In dem mehrheitlich albanisch besiedelten Gebiet von Kosovo (amselfeld) wurden in den ersten Monaten des Jahres 1945 rund 40.000 Skipetaren (Albaner) ermordet1. Weitere Tausende albanische Männer, Frauen und Kinder fielen dem Wüten jugoslawischer Spezialeinheiten des Chefs des Staatssicherheitsdienstes Aleksandar Ranković zum Opfer, als 1948 die geplante Fusion Jugoslawiens mit Albanien scheiterte.

An Montenegrinern wurden allein bei dem Massaker von Zidany Most etwa 6.000 erschossen, unter ihnen Dr. Joanikije Lipovac, der Metropolit von Montenegro, und 70 seiner Priester2. Im Norden des Landes wurden nach einer in der Emigration gefertigten Aufstellung 345 katholische Geistliche von Kommunisten ermordet, darunter zwei Bischöfe3. Außerdem hat man 12.000 Italiener getötet und in Karsthöhlen geworfen4. Ein Vielfaches an Opfern hatte die deutsche Minderheit zu beklagen; von ihr wird im nächsten Kapitel die Rede sein.

Tragödien dieser Art spielten sich im Frühjahr 1945 in fast allen Teilen Jugoslawiens ab. Die weitaus größte aber war die von Bleiburg, einem Kärntner Grenzort, bei dem damals die Demarkationslinie zwischen der britischen Armee und den Tito-Truppen verlief. Der britische General T. P. Scott, Kommandant der 38. Infanterie-Brigade, sah sich am 14. Mai 1945 plötzlich dem 200.000-Mann-Heer des bis dahin selbständigen Staates Kroatien gegenüber, das obendrein an die 500.000 kroatische Zivilisten eskortierte (nach anderen Quellen waren es nur 100.000 Zivilisten). Sie alle wollten sich ergeben und unter britischen Schutz stellen5. Die Ankömmlinge erklärten, es finde eine Auswanderung der gesamten kroatischen Nation statt. Der britische Kommandant verweigerte den Grenzübertritt und vereinbarte mit den nachdrängenden Tito-Partisanen einen „fairen Kompromiss“: Die Kroaten hatten sich den Kommunisten gegen Zusicherung korrekter Behandlung zu ergeben. Scott erklärte später: „Ich bekam zugesichert, dass alle in ihre Heimat zurückgeschickt würden und dass für sie gesorgt werde, aber ob das wirklich geschehen ist, weiß ich nicht. Ich habe keine Ahnung, ob sie ohne Ausnahme niedergemacht wurden. Wundern würde mich das nicht.“6 Das Ende der Episode lässt sich nur in Zahlen ausdrücken: 100.000 bis 240.000 tote Kroaten durch Massenerschießungen, Todesmärsche, Folter sowie einige rechtsstaatlich zweifelhafte Kriegsverbrecher-Prozesse7.

Selbst wenn man in Rechnung stellt, dass das kroatische Regime in weniger als vier Jahren bis zu 100.000 Serben8 ermorden ließ, so muss doch festgehalten werden, dass nur eine kleine Minderheit der Kroaten in diese Verbrechen verwickelt war.

Außer dem Heer der faschistisch orientierten Regierung von Kroatien wurden auch die Angehörigen anderer jugoslawischer Truppenteile verfolgt, die gegen Tito gekämpft hatten, so die christlich-konservative slowenische Heimwehr (Slovensko Domobranstvo), die großserbischmonarchistischen Tschetniks (Četnici), das montenegrinische Freiwilligenkorps und andere kleinere Einheiten9.

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Die Aufteilung Jugoslawiens 1941

Ein besonders düsteres Kapitel bildete später die durch Täuschung erreichte Überstellung von 20.000 bis 40.000 jugoslawischen Antikommunisten (meist jugendliche Soldaten, aber auch Frauen und Kinder) aus britischem Gewahrsam im Raum Klagenfurt an die Henker jenseits der Grenze10; so gut wie alle wurden umgebracht.

Nach vorsichtigen Schätzungen sind in Jugoslawien nach dem Krieg 300.000 Menschen als „Verräter“ bzw. „Kollaborateure“ getötet worden11. Nach anderen – allerdings weniger glaubwürdigen – Quellen sollen gar 1.000.000 Jugoslawen nach dem Krieg eines unnatürlichen Todes gestorben sein12. Mag die erste Zahl der Wahrheit auch näher kommen als die zweite, allein Titos slowenische Massaker an seinen eigenen Landsleuten sprechen eine erschreckende Sprache: 30.000 Ermordete in Gottschee (Kočievje), 25.000 in St. Veit (Šent-Vid), 40.000 in Marburg (Maribor)13. Zum Vergleich die Opferzahlen anderer Massaker des Zweiten Weltkrieges: Lidice 186 tschechische Männer, Katyn 4.143 polnische Offiziere usw. In seinem Memoirenwerk „Der Krieg der Partisanen“ beschreibt Titos früherer Mitstreiter Milovan Djilas auf Seite 570 die gespenstische Nachgeburt des blutigsten jugoslawischen Frühlings: „Im slowenischen Zentralkomitee beklagte man sich ein, zwei Jahre später, man habe mit den Bauern aus dieser Gegend Unannehmlichkeiten gehabt. Die unterirdischen Karstflüsse hätten Leichen an die Erdoberfläche geschwemmt. Erzählt wurde auch folgendes: In seichten Massengräbern verwesend, seien die Leichenhaufen derart aufgequollen, dass es aussah, als ob die Erde atmen würde.“

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Jugoslawien nach dem Krieg

Frankreich und Italien

Auch in Westeuropa kehrten nach dem Rückzug der Besatzungstruppen nicht überall Gerechtigkeit und Frieden ein. Ein amerikanischer Augenzeuge, der Offizier Donald Robinson, hat zum Beispiel aus Frankreich berichtet:

„Im Laufe des Sommers 1944 überschwemmte die Revolution, deren stärkste Triebfeder die Kommunisten waren, den ganzen Süden. Die Ursache ihres teilweisen Scheiterns ist sicher auf die Anwesenheit amerikanischer Truppen zurückzuführen. Von Toulouse bis Nizza herrschte der Terror. Überall waren die Straßen von Zivilisten mit harten Gesichtern bevölkert, auf das unterschiedlichste bewaffnet – mit Dolchen und Gewehren bis zu Handgranaten und amerikanischen Waffen. Sie rollten in Wagen ohne Türen über die Boulevards, um im Ernstfall schneller und leichter schießen zu können. Jedes Viertel, jede Straße wurde gesäubert, durchsucht, nicht nur nach Angehörigen der Miliz, sondern auch nach Leuten, die sich ihre politische Feindschaft zugezogen hatten. Sogar Amerikaner befanden sich unter den Opfern. Soldaten wurden getötet, verwundet, und auf mich selbst schoss man bestimmt ein dutzendmal.“14

Die Gewaltakte waren aber keineswegs ein Privileg kommunistischer Gruppen. Bereits in dem Rundschreiben der „Vereinigten Untergrundbewegungen“ in Algier vom 15. 10. 1943 waren sehr eindeutige Verhaltensregeln für den Tag X enthalten: „Selbst wenn die Bedingungen der Machtübernahme durch das Nationale Französische Befreiungskomitee den sofortigen, gewaltlosen Zusammenbruch der Vichy-Regierung bewirkten, wäre es doch töricht und beleidigend für das französische Volk, auf einen bewaffneten Massenaufstand und damit auf seinen Anspruch auf gerechte Vergeltung zu verzichten.“15

Von Säuberungsmaßnahmen verschiedenster Art betroffen wurden schätzungsweise 1,5 bis 3 Millionen Franzosen; die Zahl der Verhafteten wird bei einer Million zu suchen sein16. Paul Serant bezeichnet diese Vorgänge als die größte Säuberung der französischen Geschichte17.

Nicht von den zahlreichen Folterungen und Grausamkeiten18, sondern nur noch von den Getöteten soll abschließend hier die Rede sein. Ihre Zahl dürfte mindestens bei 40.00019, wahrscheinlich aber um die 100.000 liegen20. Die meisten verfahrenslosen Hinrichtungen ereigneten sich in Südfrankreich, wo die Untergrundbewegung am stärksten gewesen war21. Daneben gab es auch eine Reihe von formellen Gerichtsverfahren mit Todesurteilen22; allerdings wurden nur 767 dieser Urteile vollstreckt23.

Noch verlustreicher und nicht weniger grausam klang der Krieg in Italien aus. Der Schwerpunkt der summarischen Hinrichtungen und der Lynchjustiz lag in Oberitalien24. Hans Woller berichtet: „Im Norden tobten 1944/45 drei Kriege gleichzeitig: der Zweite Weltkrieg, ein erbitterter Bürgerkrieg zwischen Faschisten und Antifaschisten und ein Klassenkrieg der proletarischen Schichten gegen ihre ‚bourgeoisen Ausbeuter‘. In den außer Rand und Band geratenen Verhältnissen dieses dreifachen Krieges kam es zu einer Renaissance des blutigen squadrismo der zwanziger Jahre, zu unvorstellbaren Grausamkeiten …“25 Obwohl der Literatur sehr unterschiedliche Schätzungen zu entnehmen sind26, dürfte die Zahl der italienischen Nachkriegsopfer jedenfalls in der Größenordnung um die 100.000 zu suchen sein27. Neben Patrioten und Kommunisten agierten in Italien auch kriminelle und anarchistische Elemente („Partisanen der letzten Stunde“). Dass die Ausschreitungen nicht immer antifaschistischen Leidenschaften entsprangen, zeigen unter anderem die zahlreichen Fälle von Plünderung, Raubmord etc. Ermordet wurde u. a. der Philosoph Giovanni Gentile.28

Weit weniger blutig, wenn auch nicht immer rechtsstaatlich, verliefen die Säuberungen in den anderen westlichen Ländern29. „Wilde Säuberungen“ ereigneten sich in Norwegen, Dänemark, Holland und Belgien, wobei die belgischen Vorgänge am wenigsten rechtsstaatlich (Sippenhaft, Folter etc.) und tendenziell gegen die flämische Mehrheitsbevölkerung gerichtet waren30. Einige tausend summarische Hinrichtungen bzw. Morde gab es allerdings in Griechenland31, wo sich der Konflikt zwischen Kommunisten und Royalisten und der kommende Bürgerkrieg schon abzeichneten.

Sowjetischer Machtbereich

Die in London erscheinende exilpolnische Tageszeitung „Dziennik Polski“ konstatierte 1985, die „sogenannte Befreiung Polens“ im letzten Kriegsjahr habe das Land mehr Opfer gekostet als der September-Feldzug 193932. Diese Stelle lässt ahnen, dass Stalins Sieg für viele Völker Osteuropas keineswegs ein besseres Leben bedeutete. Die baltischen Nationen zum Beispiel „befreite“ Stalin von ihrer Intelligenz- und Führungsschicht, indem er Hunderttausende in den asiatischen Teil der Sowjetunion deportierte, und eine Reihe kleinerer Völker liquidierte er teilweise oder ganz; Krimtataren, Kalmücken und Tschetschenen sind die bekanntesten von ihnen. Allein im sowjetischen Machtbereich starben bei solchen Gelegenheiten Millionen von Menschen nach Ende der Kampfhandlungen in den betreffenden Gebieten.

Chronologisch gesehen bietet sich das folgende Bild, wobei beachtet werden muss, dass die Zeit zwischen 1939 und 1945 aus Moskauer Sicht durch eine Anzahl selbständiger, voneinander unabhängiger Kriege und Militäraktionen bestimmt ist, denen jeweils eine spezifische Nachkriegsphase folgte. Die besonderen Verhältnisse der Sowjetunion lassen es nicht zu, die Kriegsereignisse und -opfer in der Darstellung ganz auszuklammern. Zum besseren Verständnis der Zusammenhänge musste daher an einigen Stellen weiter ausgeholt werden.

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