Impressum


Mit 15 handgezeichneten und sorgfältig recherchierten Statistiken des Autors

Umschlaggestaltung von populärgrafik, Stuttgart, unter Verwendung einer Illustration von Friederike Groß.

Distanzierungserklärung

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© 2013, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

ISBN: 978-3-440-14313-1

Projektleitung E-Book: Carsten Vetter

Redaktion: Teresa Baethmann

Produktion: Markus Schärtlein

E-Book Konvertierung: Text & Bild, Kernen


Hans Zippert


Warum Regenwürmer nicht zuhören
und Eichhörnchen schlecht einparken

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Porträt des Autors als junger Storchenvater

Storch {Ciconia Ciconia}

Am 4. Juni 1981 entschieden ein Oberregierungsrat, ein Stadtoberinspektor, ein Diplom-Ingenieur und eine Technische Angestellte über meine Zukunft als Tierbeobachter. Sie erklärten, ich sei berechtigt, den Kriegsdienst mit der Waffe aus Gewissensgründen zu verweigern. Im Protokoll hieß es: „Zwar ergaben sich in der Verhandlung wesentliche Zweifel, weil der Wehrpflichtige wenig konkrete Angaben machen konnte über die eigene Beschäftigung mit der Problematik oder die Umsetzung seiner Haltung im Lebensalltag. Die Kammer glaubte es demgegenüber für ausreichend erachten zu sollen, dass der Widerspruchsführer ein Gegner des Krieges allgemein ist und sich in seinem Leben auch eine Zeitlang karitativ im Verein für freie Altenarbeit betätigt hat.“ Man kann aus dieser Begründung deutlich herauslesen, dass der vorsitzende Oberregierungsrat überhaupt nicht einverstanden war mit der Entscheidung der Prüfungskammer, weil mein kläglicher Auftritt eigentlich ein Grund für eine Strafversetzung zur Militärakademie nach Westpoint gewesen wäre. Ich hatte viel und schlecht gelogen in dieser Verhandlung. Meine karitative Tätigkeit in der Altenarbeit beschränkte sich beispielsweise darauf, dass ich dreimal die Möbel betagter Damen, die ins Heim mussten, entweder zum Sperrmüll oder in meine Wohnung verlagert hatte.

Doch ich spürte schon während der Verhandlung, dass der Stadtoberinspektor, der Diplom-Ingenieur und die Technische Angestellte den Oberregierungsrat nicht ausstehen konnten und ihm eins auswischen wollten, indem sie einen vollkommen unglaubwürdigen Kandidaten durchboxten. Dafür möchte ich ihnen heute noch danken, denn sie haben mir einige der wichtigsten, schönsten und intensivsten Erfahrungen meines Lebens ermöglicht.

Ich konnte meine Glück lange kaum fassen, vergaß das Ganze aber beinahe, bis mir Ende 1983 das Kreiswehrersatzamt Bielefeld mitteilte, es habe mich keineswegs vergessen, man wisse auf dem Amt auch genau, dass mein 27. Geburtstag bevorstünde, und ich solle mir innerhalb von vier Wochen eine Zivildienststelle suchen oder man würde mir eine zuweisen. Diese Kommissköppe waren unerbittlich. Hätte ich meinen 27. Geburtstag unbemerkt feiern können, wäre ich frei gewesen, danach hatte das Kreiswehrersatzamt keine Macht mehr über mich. So aber stand ich vor einem echten Problem. Ich wusste nur, was ich nicht wollte: Alten, kranken oder verwirrten Menschen helfen, im Krankenhaus menschliche Ausscheidungen aufwischen oder als Krankenwagenfahrer einzelne Körperteile von verunfallten Motorradfahrern zusammensuchen.

1983 gab es etwa 20 Zivildienststellen im Naturschutz, die meisten davon auf einsamen Nordseeinseln und Halligen als Vogelbeobachter, und dort wollten sie ausschließlich Diplom-Biologen. Ich war aber nur ein gewissenloser Lügner, der nicht im Krankenhaus arbeiten wollte. Ich schrieb zwanzig Briefe, und eines Tages meldete sich die Vogelpflegestation Leiferde und ein Zivildienstleistender ermunterte mich, doch ein paar Probearbeitstage abzuleisten, danach würde man schon sehen. Qualifikationen schienen nicht erwünscht zu sein, doch ich sollte mich getäuscht haben. Leiferde ist ein kleines Dorf mit eigenem Bahnhof, das etwa zehn Kilometer von Gifhorn entfernt liegt. Die Vogelpflegestation war in einer alten Meierei untergebracht mit einem weithin sichtbaren Schornstein, auf dem sich passenderweise ein Storchennest befand. Eine Woche lang lief ich orientierungslos im Großen Moor bei Gifhorn herum, schaute den echten Zivis bewundernd beim Baumfällen zu und schichtete Äste zu Haufen. Irgendwann musste ich dabei einen Graben überspringen, und da mir bewusst war, in einem Moor zu sein, in dem ich auf keinen Fall versinken wollte, nahm ich alle Kraft zusammen und sprang mit einem gewaltigen Satz, bei dem ich praktisch alle Muskeln, Sehnen und Körperteile gleichzeitig bewegte und anspannte, über den ca. 80 cm breiten Graben. Dabei fiel mir die Brille vom Kopf und genau an der Stelle auf den Boden, den meine Füße für die Landung ausgewählt hatten. Das heißt, ich sprang auf meine eigene Brille und ein Bügel brach dabei unwiderruflich ab.

Ich konnte die Reaktion der anderen nicht überprüfen, weil ich ja ohne Brille kaum noch etwas sah, aber mir war klar, dass ich mich unsterblich blamiert hatte. Abends lötete Mathias mit etwa 200 g Lötzinn den Bügel wieder an die Brille. Heute betreibt er eine Tierarztpraxis, wo er sich auf Blindschleichen und Brillenschlangen spezialisiert hat.

Eine Woche später teilte mir der Stationsleiter Peter Mannes mit, meiner Einstellung stünde nichts im Wege. Als ich meinen Dienst antrat, wurde mir von allen versichert, es sei hauptsächlich dieser Sprung über den Graben gewesen, der mir zu meinem Posten verholfen habe. Ein Zivildienstleistender sagte wörtlich: „Als ich das gesehen habe, wusste ich, der ist hier richtig.“ Ein fast fünfzehnmonatiges Selbsterfahrungsprojekt nahm seinen Anfang.

An einem Samstagabend, ich hatte es mir schon vor dem Fernseher bequem gemacht, klingelte es Sturm. Vor mir stand ein kleiner, streng dreinblickender Mann und drückte mir einen Karton mit zehn sonderbaren Küken in die Hand, die, kaum, dass sie mich sahen, sofort anfingen, die schwarzen Schnäbel aufzusperren. Die Küken im Karton waren junge Störche und der Mann vor der Tür der „Storchenbeauftragte des Landkreises“. Dieses Amt hatte er sich selbst gegeben, es existierte überhaupt nicht, er war eine Art Operettennaturschützer. Irgendwie hatte er es jedoch geschafft, alle freiwilligen Feuerwehren des Landkreises von seiner Wichtigkeit zu überzeugen und so verbrachte er jede freie Minute auf Drehleitern und kontrollierte sämtliche bewohnten Storchennester. Wenn ein kleiner Storch das Pech hatte, irgendwie schlapp auszusehen, wurde er sofort einkassiert und zur Vogelpflegestation gebracht. So wie die zehn im Pappkarton.

Ich wisse ja, was ich zu tun hätte, sagte der Storchenbeauftragte mit drohendem Unterton in der Stimme und verlies das Stationsgelände. Ich wusste überhaupt nichts, niemand hatte mich darauf vorbereitet, für zehn Storchenküken verantwortlich zu sein. Ich klingelte meinen Chef aus dem Bett und der erklärte gelangweilt: Kein Problem, Eintagsküken, schön klein geschnitten, und vor allem Wärme. Diese Nacht war eine der unruhigsten meines Lebens. Wohl jede Stunde wachte ich auf, wankte von meinem Zimmer im zweiten Stock des neben der Station gelegenen Wohnhauses herunter zum Heizungsraum und riss ängstlich die Tür auf. Zehn Storchenschnäbel reckten sich mir krakeelend entgegen, und ich warf die Tür erleichtert wieder zu. Nur um nach einer Stunde wieder aufzuwachen, im festen Glauben, sie seien jetzt alle tot. Die kleinen Störche waren aber im Gegenteil extrem lebendig. Sie hatten eigentlich nur eins im Kopf, und das war fressen. Man konnte ungeheure Mengen an Eintagsküken in sie einfüllen und ihnen beim Wachsen zusehen.

Das Ganze war eine wichtige Vorübung für die Zeit, in der ich eigene Küken zu betreuen hatte. Während meine Frau selig durchschlief, erwachte ich beim kleinsten Geräusch, das mein Sohn und später meine Tochter machten. Ich schnitt ihnen Eintagsküken klein, und dann waren sie wieder ruhig. Meine Frau wunderte sich, warum ich jeden Morgen völlig kaputt war. Die Kinder hatten doch durchgeschlafen, oder? Sie wusste einfach nichts von meiner Vergangenheit als Storchenvater.

Die Störche wuchsen übrigens prächtig heran, bald kamen sie ins Außengehege und wir warfen ihnen ganze Küken zu, die sie geschickt auffingen. Als es Zeit war, nach Süden zu fliegen, machten sich auch unsere zehn bereit, versammelten sich noch einige Tage auf einem Hochspannungsmast, weil sie anscheinend einen Sinn für Dramatik hatten, und eines Morgens waren sie weg. Zwei Wochen später kam ein Anruf aus Lüneburg. Es meldete sich der Bademeister des örtlichen Freibads. Er habe hier zehn Störche in seiner Garage, ob wir uns wohl mal drum kümmern könnten. Die verhaltensgestörten Vögel waren nach Norden statt nach Süden geflogen und hatten dann ein Gelände, das von ferne an ihr Storchengehege erinnerte, zur Landung gewählt. Die Liegewiese des glücklicherweise geschlossenen Lüneburger Freibades. Seitdem durften keine Störche mehr aus Nestern entnommen werden und den wenigen Pflegefällen sollte man sich nur noch maskiert nähern und sie mit verstellter Stimme ansprechen.

Wenn ich es recht bedenke, hat der Storch in meinem Leben schon immer eine wichtige Rolle gespielt. Meine Mutter glaubte in jungen Jahren noch daran, dass der Storch die Kinder bringt. Hat er das Kind der Frau überreicht, beißt er sie ins Bein, und deshalb liegt sie nach der Geburt im Wochenbett. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Theorie überhaupt wissenschaftlich widerlegt wurde, vielleicht stimmt sie ja.

Der Storch gilt als Kulturfolger, wenn es bei uns immer weniger Störche gibt, lässt dies Rückschlüsse zu, wohin es mit der deutschen Kultur geht. Da gibt es anscheinend nur noch wenig, dem ein Storch folgen könnte.

Ich wurde jedenfalls schon als Kind auf den Storch geprägt. Vor der offiziellen Einschulung las man allen potentiellen Erstklässlern die Geschichte „Heiner im Storchennest“ vor. Da geht es um einen kleinen Jungen, der es gar nicht abwarten kann, zur Schule zu gehen, und viel zu früh dort ankommt. Die Tür ist verschlossen, aber eine Leiter ans Schuldach gelehnt. Die klettert der kleine Heiner hoch und gelangt so ins Storchennest, wo er einschläft. Dazu mussten wir ein Bild malen, und aus dem Bild konnten die Lehrer ersehen, auf welchem Entwicklungsstand sich die Kinder befanden. 1963 entschied noch der Storch, ob man die nötige Schulreife hatte. Heute, wo viele Kinder aus Ländern stammen, wo man möglicherweise Störche isst, liest man bestimmt andere Geschichten vor.

Die Vogelpflegestation bot mir reichlich Gelegenheit zu besonders intensiver Tierbeobachtung. Ständig wurden verletzte oder beschlagnahmte Turmfalken, Habichte, Rotmilane, Uhus, Waldohreulen und einmal sogar vier Schneeeulen eingeliefert oder bei den Findern abgeholt und auf verschiedene Volieren verteilt. Die Station war hauptsächlich auf Eulen und Greifvögel spezialisiert, dazu kamen im Winter Schwäne, die auf dem Schlossteich festgefroren waren.

Nicht alle Tiere überlebten, Vögel sind sehr zerbrechlich gebaut und einem Mittelklassewagen in voller Fahrt selten gewachsen. Die toten Vögel wurden erst mal in der Kühltruhe zwischengelagert. Man kann einen Habicht sehr gut in der Tiefkühltruhe beobachten, genauso wie einen Steinkauz oder einen Uhu. Die Tiere lassen einen wirklich sehr nahe herankommen, wirken aber etwas steif. In der freien Natur sind Vögel unruhig und scheu und versuchen sich zu verstecken. Es müsste eine Methode geben, sie zum Beobachten kurzfristig einzufrieren.

Ich habe während meiner Arbeit in der Vogelpflegestation tatsächlich mehr Leichen gesehen als ein Berufssoldat in seinem ganzen Leben. Mit alten, kranken und orientierungslosen Lebewesen hatte ich ständig zu tun, und die Beseitigung ihrer Ausscheidungen gehörte selbstverständlich auch zu meinen Aufgaben. Das war bestimmt die Strafe für meinen gewissenlosen Auftritt vor der Gewissensprüfungskommission.

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Wie man Tiere beobachtet und sie vom Menschen und anderen Gegenständen unterscheidet

Wer Tiere beobachten will, der muss da hingehen, wo Tiere sind. Er muss das Tier abholen, wo es gerade sitzt, kriecht oder fliegt. Es bringt wenig, in den Kleiderschrank oder den Rasierspiegel zu gucken. Es gibt zwar Menschen, die glauben, ein Tier im Rasierspiegel zu beobachten, aber das ist wissenschaftlich umstritten und die animalische Wirkung lässt auch nach, sobald man den Rasierschaum aus dem Gesicht entfernt hat. Natürlich könnte man im Kleiderschrank hin und wieder den majestätischen Flug der Kleidermotte bewundern, aber damit hat es sich auch.

Unsere Welt ist voll von Tieren, man muss sich deshalb zunächst entscheiden, welche man beobachten will. Als ein hervorragendes Hilfsmittel zur Tierbeobachtung hat sich über die Jahre hinweg das menschliche Auge erwiesen. Wichtig ist, die Augen aufzumachen, aber wenn man diese Hürde erst mal überwunden hat, steht der Tierbeobachtung wenig im Weg. Auch die Ohren sollte man nicht vernachlässigen, wer ein oder gar zwei sein eigen nennt, kann sie bei der Tierbeobachtung gut gebrauchen, denn Tiere geben oft Laute von sich, für deren Wahrnehmung das menschliche Ohr hervorragend geeignet ist. Auch die Nase kann beim Aufspüren von Tieren hilfreich sein, führt jedoch meist zu Exemplaren, deren Bewegungsfähigkeit stark eingeschränkt ist.

Ganz wichtig ist: Man darf sich bei der Tierbeobachtung nicht anstrengen. Es muss zufällig, wie nebenbei geschehen. Dieses Buch beschäftigt sich deshalb in erster Linie mit Tieren, die uns von selbst über den Weg laufen, die wir auf den ersten Blick erkennen können. Hilfsmittel wie Fernglas, Lupe oder gar Mikroskop können benutzt werden, sind aber eigentlich nicht notwendig. Wenn Sie jedoch wissenschaftliche Ambitionen haben, können Sie sich durchaus der Wildschweinbeobachtung mittels Mikroskop widmen.

Obwohl es einige Tiere gibt, denen es nicht das Geringste ausmacht, uns durch Gebell, Gefauche und Gekreische zu belästigen, sollten wir trotzdem darauf achten, sie beim Beobachten nicht zu stören. Nicht immer ist es leicht, Tiere von Menschen zu unterscheiden. Als Faustregel mag gelten, dass Tiere niemals nabelfreie T-Shirts, dreiviertellange Leggings oder Sandalen und weiße Socken anziehen.

1 | Stadt und Dorf

Der Autor blickt in einen Kasten und sieht einen Delfin. Allerdings nur in schwarzweiß. Er behauptet: von Rabenvögeln lernen heißt siegen lernen. Er rettet sechs jungen Igeln das Leben und beweist, dass das Pferd eigentlich der Hund des Menschen ist. Aber ist dann der Elefant etwa der Igel des Eichhörnchens? Und sind Spatzen die wahren Architekten unserer Innenstädte? So lesen Sie doch selbst.


Auf der evolutionären Gewinnerstraße

Spatz {Passer domesticus}

In meiner Kindheit gab es überhaupt keine anderen Vögel, ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, dass ich irgend einen anderen gesehen hätte. Der Spatz war überall. Morgens weckten mich Schwärme von Spatzen mit lautem Getschilpe. Sie saßen im Hinterhof auf den Teppichstangen und den kleinen mageren Birken, veranstalteten einen ziemlichen Lärm und schienen offensichtlich Spaß daran zu haben. Es waren unglaublich viele, und möglicherweise tarnten sich die anderen Vögel als Spatzen, weil sie sonst keine Überlebenschance gehabt hätten. Spatzenschwärme durchzogen die Hinterhöfe meiner Kindheit. Sie galten als echte Plage, hatten ein schlechtes Image, denn man konnte keine Wäsche raushängen und keinen Kuchen zum Auskühlen auf die Fensterbank stellen. Zum Weltspartag bekam ich von der Sparkasse ein grünes Heftchen mit knapp dreißig angeblich in Deutschland beheimateten Vogelarten. Der Spatz sah einerseits unscheinbar, andererseits aber leicht verschlagen aus. Er machte natürlich nicht so viel her, wie der Fichtenkreuzschnabel oder der Pirol, die für mich so ungeheuer exotisch aussahen, dass ich mir nicht vorstellen konnte, sie im Deutschland des Jahres 1962 anzutreffen. Der Pirol sah ziemlich undeutsch aus. Der Spatz dagegen, der Tag für Tag in einem Gefieder unterwegs war, das aussah wie ein Übergangsmantel für Vögel, dieser Spatz war für mich der Vogel schlechthin. Doch je älter ich wurde, umso weniger Spatzen gab es um mich herum. Stattdessen tauchten Meisen auf und Buchfinken.

Vielleicht kann man als urbaner Sechsjähriger nur Spatzen wahrnehmen und erst in der Pubertät entwickelt man überhaupt rein körperlich die Fähigkeit, eine Meise zu erkennen. Dagegen nimmt das Spatzenwahrnehmungsvermögen ab. Jedenfalls wurde ich älter und ich sah den Spatz nur noch selten, ja, ich bin mir gar nicht sicher, ob ich ihn wirklich sah oder nur dachte, er müsse doch irgendwo in der Nähe sein. Gerüchteweise hörte ich, der Spatz sei selten geworden, genau genommen sogar im Bestand bedroht. Im Jahre 2002 wurde er dann „Vogel des Jahres“, was immer ein schlechtes Zeichen ist. Wahrscheinlich übernimmt die Regierung die Initiative und legt Spatzenanschubprogramme mit Nistgeld und Brutpflegeversicherung auf.

Bei Besuchen in Frankfurt und Berlin stellte ich überraschenderweise fest, dass es dort Spatzen im Übermaß gab. Auf öffentlichen Plätzen wimmelten sie herum, spazierten über Caféhausund Restauranttische und nahmen sich, was die Gäste übrig gelassen hatten. Oft genug aber ließen sie sich direkt etwas zuwerfen, ja, sie schienen in den Gästen geradezu den Wunsch auszulösen, sie mit Nahrungsmitteln zu versorgen.

Ich richtete jetzt mein Augenmerk auf die Caféhausgäste und weniger auf den Spatz, der inzwischen nämlich längst auf der evolutionären Gewinnerstraße unterwegs ist. Sein Vorgehen gleicht dem des Honigmelders. Dieser schlaue Vogel macht durch lautes Geschrei Menschen oder Tiere auf einen Bienenstock aufmerksam. Die Menschen zerlegen dann den Bienenstock, was dem Honigmelder nicht möglich gewesen wäre, lassen dem Vogel aber immer noch genug übrig, womit der sein Ziel erreicht hat. Noch geschickter stellt es der Spatz an. Erst bringt er mittelständische Unternehmer dazu, einen gastronomischen Betrieb zu eröffnen und die Tische auf die Straße zu stellen. Dann siedeln sich die ersten Gäste an, die sofort die Versorgung des Spatzen mit Krümeln sicherstellen. Wie der Spatz das hinkriegt? Keine Ahnung, da ist die Wissenschaft gefragt.

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Der treue Lumpi auf Schnäppchenjagd

Hunde {Canidae}

Mir persönlich fällt die Hundebeobachtung wirklich leicht, denn Hunde fühlen sich von mir magisch angezogen. Sie freuen sich, mich zu sehen, springen begeistert hechelnd an mir hoch, vor allem, wenn ich eine helle Hose angezogen habe, was ich aber so gut wie nie tue, denn in meiner Nachbarschaft gibt es viele Hunde, um nicht zu sagen, einige meine besten Nachbarn sind Hunde. Warum lieben mich die Hunde? Weil sie schon aus hundert Meter Entfernung spüren, dass ich eine Hundehaarallergie habe.

Der Hund hat sein Schicksal eng mit dem des Menschen verbunden, er gehört zu den wenigen Lebewesen, die eine echte Zuneigung zum Menschen entwickelt haben. Aber das ist alles nur Heuchelei, denn man weiß ja: der will nur spielen und wenn er sich einen Vorteil davon verspricht, dann auch mit unseren Gefühlen.

Wenn sich Menschen im Freundesund Bekanntenkreis einen Hund anschaffen oder sagen wir auch in diesem Fall besser: wenn der Hund sie dazu bringt, sich um ihn zu kümmern, dann geht meistens eine starke Veränderung mit diesen Personen vor. Sie verblöden, wie das die Verhaltensforschung ausdrückt. Sie sprechen keinen Satz mehr zu Ende oder fügen zuverlässig ein „Ja, wo isser denn?“ oder ein

„Ja, da bist du ja“ an. Der Hund dankt es durch unbändiges Wedeln, Bellen und Hecheln. Hunde rufen in ihren Besitzern eine Art umgekehrtes ADS hervor, kein Aufmerksamkeitsdefizit, sondern eher eine übertriebene und deshalb krankhafte Aufmerksamkeit.