Felicitas Boos

Systemtheoretische Ansätze in der Buchwissenschaft

Idee, Stand der Diskussion, exemplarische Anwendungsbereiche

© 2016 Mainzer Institut für Buchwissenschaft

Gesetzt aus Minion Pro und Myriad Pro in der Lehrdruckerei des Instituts für Buchwissenschaft von Tanja Klement und Sarah Moser

Lektorat Christina Schüssler und Vanessa Theobald

Marketing/PR Sheila Mbala-Makumaya

Print ISBN 978-­3-­945883-­30-­3
EPUB ISBN 978‐3‐945883-­31-­0
PDF ISBN978-­3-­945883-­29-­32-­7

1 Einleitung

»Wieso gibt es überhaupt Buchwissenschaft. Da könnte man doch für alles eine Wissenschaft erfinden. Zum Beispiel auch Bananenwissenschaft.«[1]

Diese Frage trifft den Ursprung der Entstehung um die systemtheoretische Debatte in der Buchwissenschaft auf den Punkt. Auch heute – in Zeiten von Bachelor- und Masterstudiengängen – wird immer wieder die Frage nach dem Inhalt und dem Forschungsgegenstand der Buchwissenschaft gestellt. Die gerade vollzogene Reakkreditierung des Bachelorstudiengangs Buchwissenschaft an der Johannes-Gutenberg Universität Mainz zum Wintersemester 2015/16, zeigt deutlich, dass die Frage nach den relevanten Inhalten des Faches hochaktuell ist. Die Buchwissenschaft, als aus verschiedenen Forschungsrichtungen entstandene und in sich vereinende universitäre Forschungsdisziplin, musste sich schon oft dem Vorwurf fehlender theoretischer Grundlagen ausgesetzt sehen.[2] Die systemtheoretische Debatte innerhalb der Buchwissenschaft entstand aus eben jenem Bestreben heraus, die Forschungsgebiete der Buchwissenschaft unter einer Theorie abzubilden. Die Systemtheorie als »Universaltheorie«[3], die in der Lage ist alle Phänomene in der Gesellschaft abzubilden oder in eine übergeordnete Gesamtstruktur zu integrieren, scheint dafür besonders geeignet, auch weil sie heutzutage in vielen Disziplinen Anwendung findet und sich somit durch ihren interdisziplinären Charakter auszeichnet. Deswegen stellt sich die Frage, ob und inwieweit auch in der modernen Buchwissenschaft eine Anwendung der Systemtheorie von Nutzen sein kann und welcher Mehrwert dadurch für die buchwissenschaftliche Forschung eventuell erlangt werden kann.

In dieser Arbeit soll ein Überblick darüber verschafft werden, inwiefern die Diskussion innerhalb der Buchwissenschaft entstanden ist, welche Ansätze in der neueren Buchwissenschaft diskutiert werden und welches Potential die Systemtheorie hat, um Fragestellungen der Buchwissenschaft in einen Gesamtzusammenhang einzuordnen. Zunächst soll im Kapitel »Idee« zum einen eine Einführung in die Grundstrukturen der sozialwissenschaftlichen Systemtheorie, zum anderen die historische Entstehung der systemtheoretischen Debatte in der Buchwissenschaft erläutert werden. Im ersten Teil wird dabei besonders auf die Ansätze von Talcott Parsons und Nikals Luhmann eingegangen, da sich die meisten systemtheoretischen Ansätze in der Buchwissenschaft auf sie beziehen. In diesem Kapitel werden nur die Grundstrukturen der jeweiligen Ansätze erläutert. Die im weiteren Verlauf der Arbeit verwendeten systemtheoretischen Begriffe werden zusätzlich in einem angehängten Glossar zusammengetragen und sind kursiv bei ihrer Erstnennung markiert. Neben den entscheidenden Werken von Parsons (»Zur Theorie der sozialen Interaktionsmedien«[4]) und Luhmann (»Soziale Systeme«[5]), wird zusätzlich auf Willkes Einführung in die Systemtheorie »Systemtheorie. 1 Grundlagen«[6] zurückgegriffen, da diese einen allgemeinen Überblick über das systemtheoretische Vokabular liefert.

Den zweiten Teil bildet die historische Erläuterung zur Entstehung der systemtheoretischen Debatte in der Buchwissenschaft. Dabei wird zunächst der Fokus auf die ersten Ansätze systemtheoretischer Betrachtungen gelegt, die von Krystof Migoń in der Monographie »Das Buch als Gegenstand wissenschaftlicher Forschung«[7] ausführlich zusammengefasst werden. Darüber hinaus wird auf Migońs eigenen Ansatz eines Systems Buchwissenschaft eingegangen. Die Herleitung der Diskussion innerhalb der deutschen Buchwissenschaft erfolgt vor allem durch einführende Werke in die Buchwissenschaft von Ursula Rautenberg (»Buchwissenschaft in Deutschland«[8]) und der von Stephan Füssel und Corinna Norrick-Rühl herausgegebenen »Einführung in die Buchwissenschaft«[9].

Die Diskussion selbst wird in einem eigenständigen Kapitel »Stand der Diskussion« durch ausgewählte, systemtheoretisch-buchwissenschaftliche Werke dargestellt. Dabei werden die entscheidenden Diskussionsbeiträge in Bezug auf ihren Inhalt vorgestellt und geben dadurch den Diskussionsverlauf der letzten zwanzig Jahre wieder. Die Beiträge sind auf Grund ihrer Stellung innerhalb der Diskussion ausgewählt worden und ihre Auswahl wird zu Beginn jeweils begründet.

Abschließend zeigt im Kapitel »Exemplarische Anwendungsbereiche« ein Vergleich der systemtheoretischen Übertragung des Phänomens des Bestsellers mit der empirischen Sozialforschung, welchen Mehrwert die Anwendung der Systemtheorie für die Buchwissenschaft darstellen kann. Hier wird sich im Bereich der empirischen Sozialforschung vor allem auf Keuschniggs Monographie von 2012 »Das Phänomen Bestseller«[10] bezogen.

Als richtungsweisend in Bezug auf den Forschungsstand zur Frage nach der Systemtheorie in der Buchwissenschaft kann Thomas Keiderlings Aufsatz »Wie viel Systemtheorie braucht die Buchwissenschaft«[11] von 2007 betrachtet werden. Dabei geht er ähnlich zu dieser Arbeit vor und stellt die wichtigsten Beiträge zur systemtheoretischen Debatte dar. Keiderlings Beitrag bildet zum einen also die Grundlage dieser Arbeit, zum anderen soll diese Arbeit seinen Aufsatz in Bezug auf die Aktualität auch ergänzen. Weitere Beiträge zur Systemtheorie in der Buchwissenschaft finden sich in der Einführungsliteratur der Buchwissenschaft u. a. mit den bereits erwähnten Werken herausgegeben von Rautenberg und Füssel/Norrick-Rühl.

Die Systemtheorie arbeitet mit einem eigenen Repertoire von Begriffen und Systemkonstruktionen. Um der Theorie und den Beiträgen, die mit ihr agieren, gerecht zu werden, bedarf es an manchen Stellen einiger Erklärungen sowie direkten Zitaten, weshalb der Umfang dieser Bachelor-Arbeit über den vorgegebenen Rahmen von 35 Seiten hinausgeht. Zwar wird mit Hilfe eines Glossars gearbeitet, allerdings müssen gerade im letzten Kapitel der Arbeit zum besseren Verständnis einige Begriffe innerhalb des Textes erklärt werden, um die Argumentationsstruktur für den nicht eng mit der Systemtheorie vertrauten Leser dennoch nachvollziehbar zu gestalten.

1Rautenberg, Ursula: Buchwissenschaft in Deutschland. Einführung und kritische Auseinandersetzung. In: Buchwissenschaft in Deutschland. Theorie und Forschung (Bd. 1). Hrsg. von Ursula Rautenberg. Berlin/New York: De Gruyter Saur 2010, S. 3-64, hier S.35.

2Vgl. Saxer, Ulrich: Das Buch in der Medienkonkurrenz. In: Lesen und Leben. Eine Publikation des Börsenvereins des deutschen Buchhandels in Frankfurt am Main zum 150. Jahrestag der Gründung des Börsenvereins der deutschen Buchhändler am 30. April 1825 in Leipzig. Hrsg. von Herbert G. Göpfert, Ruth Meyer, Ludwig Muth und Walter Rüegg. Frankfurt am Main: Buchhändler-Vereinigung 1975, S. 207.

3Gaiser, Anne Carolin: Das Potential und Design von Universaltheorien. Diss. phil. Ludwig-Maximilian Universität München 2002, S. 206-243, hier S. 7.

4Parsons, Talcott: Zur Theorie der sozialen Interaktionsmedien (Studienbücher zur Sozialwissenschaft Bd 39). Hrsg. und eingeleitet von Stefan Jensen. Opladen: Westdeutscher Verlag 1980.

5Luhmann, Niklas: Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie (Suhrkamp Taschenbuch 666). 15. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2012.

6Willke, Helmut: Systemtheorie. 1. Grundlagen. Eine Einführung in die Grundprobleme der Theorie sozialer Systeme (UTB 1161). 7. überarb. Aufl. Stuttgart: Lucius & Lucius 2006.

7Migoń, Krzysztof: Das Buch als Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. Buchwissenschaft und ihre Problematik (Buchwissenschaftliche Beiträge aus dem Deutschen Bucharchiv München 32). Wiesbaden: Harrassowitz Verlag 1990.

8Rautenberg: Buchwissenschaft in Deutschland.

9Füssel, Stephan/Norrick-Rühl, Corinna [Hrsg.]: Einführung in die Buchwssenschaft. Unter Mitarbeit von Dominique Pleimling und Anke Vogel. Darmstadt: Wissenshaftliche Buchgesellschaft 2014.

10Keuschnigg, Marc: Das Bestseller-Phänomen. Die Entstehung von Nachfragekonzentration auf dem Buchmarkt (Forschung und Entwicklung der Analytischen Soziologie VS Research). Wiesbaden: Springer VS 2012.

11Keiderling, Thomas: Wie viel Systemtheorie braucht die Buchwissenschaft? In: Buch – Markt – Theorie. Kommunikations- und medienwissenschaftliche Perspektiven. Festschrift für Erdmann Weyrauch. Hrsg. von Thomas Kreiderling. Erlangen: filos 2007, S. 252-292.