Walter Scott
Ivanhoe
Roman
Deutscher Taschenbuch Verlag
Vollständige Ausgabe
Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München
© 2009 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München
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eBook ISBN 978-3-423-40139-5 (epub)
ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-13765-2
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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Anmerkungen
Karte
Zeittafel
So sprachen sie, indes die satten Schweine
Heimzogen abends aus dem Buchenhaine –
Mit Quieken, Grunzen, widerwill’gem Schrei’n
Ging jedes lärmend in den Stall hinein.
Alexander Popes Übersetzung von Homers ›Odyssee‹, 14, 453 – 456
Über jene schöne Gegend des guten alten Englands, die von dem Fluss Don durchströmt wird, dehnte sich in alten Zeiten ein weiter Wald aus, der den größeren Teil der anmutigen Hügel und Täler zwischen Sheffield und dem freundlichen Städtchen Doncaster bedeckte. Reste dieses Waldes sind noch heute in der Umgebung der Landsitze Wentworth, Warncliffe Park und rund um Rotherham zu sehen. Hier hauste in grauer Vorzeit der sagenhafte Drache von Wantley, hier wurden während der Bürgerkriege der Rosen einige der blutigsten Schlachten gefochten und hier blühten in alten Zeiten auch jene Scharen tapferer Geächteter, deren Taten durch englische Volkslieder so berühmt geworden sind.
Dies ist der Hauptschauplatz unserer Erzählung, die in die Zeit gegen Ende der Herrschaft Richards I. fällt, als seine verzweifelnden Untertanen, die in der Zwischenzeit allen möglichen Unterdrückungen ausgesetzt waren, seine Rückkehr aus langer Gefangenschaft sehr herbeisehnten, jedoch kaum mehr erhofften. Die Adligen, die unter der Herrschaft Stephens zu unbegrenzter Macht aufgestiegen und durch Henrys II. Besonnenheit wieder einigermaßen der Krone unterworfen worden waren, hatten jetzt ihre alte Freiheit in vollem Umfang wiedergewonnen, behandelten den schwachen Einspruch des englischen Staatsrats mit Verachtung, befestigten ihre Schlösser, erhöhten die Zahl ihrer Hörigen, zwangen ihre ganze Umgebung in Lehnsabhängigkeit und wandten alle ihnen zu Gebote stehenden Mittel an, sich an die Spitze von Streitkräften zu stellen, die sie in die Lage versetzten, bei den drohenden Unruhen im Staat eine Rolle zu spielen.
Die Lage des niederen Adels, der sogenannten Franklins, denen nach Wortlaut und Geist der englischen Verfassung das Recht zustand, von der Feudaltyrannei unabhängig zu bleiben, wurde jetzt höchst bedenklich. Wenn sie sich, wie das gewöhnlich der Fall war, in den Schutz eines der kleinen Könige in der Nachbarschaft begaben, Lehnsdienste an seinem Hof übernahmen oder sich durch gegenseitige Schutz- und Trutzbündnisse verpflichteten, ihn bei seinen Unternehmungen zu unterstützen, dann mochten sie sich damit zwar für einige Zeit Ruhe erkaufen, doch mussten sie dafür ihre Unabhängigkeit opfern, die jedem englischen Herzen so teuer ist, und mussten künftig darauf gefasst sein, in jedes unbesonnene Abenteuer verwickelt zu werden, zu dem der Ehrgeiz ihres Beschützers ihn verleiten mochte. Andererseits verfügten die mächtigen Barone über vielfältige Mittel zu Quälerei und Unterdrückung, und selten fehlte ihnen weder ein Vorwand noch der Wille, jeden ihrer schwächeren Nachbarn, der es wagte, sich ihrem Einfluss zu entziehen und in diesen gefahrvollen Zeiten auf den Schutz der Landesgesetze zu hoffen, in Schrecken zu versetzen und bis an den Rand des Verderbens zu verfolgen.
Die Folgen der Eroberung durch William, Herzog der Normandie, trugen sehr dazu bei, die Tyrannei des Adels und die Leiden der unteren Klassen zu vergrößern. Vier Menschenalter hatten nicht gereicht, das feindselige Blut der Normannen und der Angelsachsen zu vermischen oder durch gemeinsame Sprache und gemeinsame Interessen zwei feindliche Stämme zu vereinen, von denen der eine noch immer stolz seinen Triumph auskostete, während der andere unter den Folgen der Niederlage stöhnte. Die Macht lag nach der Schlacht bei Hastings vollständig in den Händen des normannischen Adels, und wie die Geschichtsschreiber versichern, wurde sie keineswegs mit milder Hand ausgeübt. Die angelsächsischen Fürsten und Adligen war bis auf wenige ausgerottet oder ihres Erbes beraubt, zudem gab es nicht mehr viele, die im Land ihrer Väter noch Besitzungen der zweiten oder einer noch niedrigeren Lehnsklasse hatten. Schon lange war die Politik des Königs darauf ausgerichtet gewesen, durch gesetzliche oder ungesetzliche Mittel die Kraft jener Bevölkerungsschicht zu schwächen, von der man mit Recht annehmen konnte, dass sie einen unversöhnlichen Hass gegen ihre Besieger hegte. Alle Monarchen vom normannischen Stamm hatten eine unverkennbare Bevorzugung für ihre normannischen Untertanen gezeigt. Auf den Nacken der unterjochten Bevölkerung drückten die Jagdgesetze und viele andere, die dem milderen und freieren Geist der angelsächsischen Verfassung alle unbekannt waren, und machten die Last der Lehnsfesseln noch drückender. An den Höfen und in den Schlössern des Hochadels, wo man mit dem Pomp und der Pracht des Hofes wetteiferte, bediente man sich ausschließlich des normannischen Französisch, an den Gerichtshöfen wurden die Plädoyers und Urteile in derselben Sprache abgefasst. Kurz, Französisch war die Sprache der Ehre, des Rittertums und selbst der Gerichtsbarkeit, während das bei Weitem männlichere und ausdrucksvollere Angelsächsisch dem Gebrauch der Bauern und Knechte überlassen blieb, die keine andere Sprache kannten. Der unvermeidliche Verkehr zwischen den Grundherren und den unterdrückten niederen Wesen, die diesen Boden bebauten, schuf jedoch allmählich eine aus dem Französischen und dem Angelsächsischen gemischte Mundart, in der sie sich miteinander verständigen konnten, und aus dieser Notwendigkeit entstand nach und nach die Struktur des heutigen Englisch, worin die Sprachen der Sieger und der Besiegten aufs Glücklichste verschmolzen, und die später durch den Wortschatz der klassischen Sprachen und den der südeuropäischen Völker noch so sehr bereichert worden ist.
Ich habe es für nötig gehalten, so viel über den Stand der Dinge zur Information des Lesers vorauszuschicken, da er leicht vergessen könnte, dass, obgleich es nach der Herrschaft Williams II. keine großen historischen Ereignisse wie Krieg oder Volksaufstand für die Angelsachsen als selbstständiges Volk mehr gab, doch die großen Nationalunterschiede zwischen ihnen und ihren Besiegern, das Bewusstsein dessen, was sie früher gewesen und wozu sie jetzt heruntergekommen waren, bis zur Herrschaft Edwards III. fortdauerte, um die Wunden offen zu halten, welche die normannische Eroberung geschlagen hatte, und eine Grenzlinie zwischen den Nachkommen der siegreichen Normannen und der besiegten Angelsachsen zu erhalten.
Die Sonne ging über einer der grasbedeckten Lichtungen jenes Waldes unter, den wir zu Beginn des Kapitels beschrieben haben. Hunderte von Eichen mit breitem Wipfel, kurzem Stamm und weit ausgebreiteten Ästen, die vielleicht schon den Marsch stattlicher römischer Legionen gesehen hatten, streckten ihre knorrigen Arme über einen dichten Teppich frischen Rasens aus. An einigen Stellen waren sie mit Buchen, Stechpalmen und so dichtem Unterholz vermischt, dass die schrägen Strahlen der untergehenden Sonne nicht hindurchdrangen; an anderen Stellen standen sie weit auseinander und bildeten jene langen Fernsichten, in deren Irrgängen das Auge sich mit Entzücken verliert, während die Fantasie sie als die Pfade zu noch wilderen Szenen der Waldeinsamkeit betrachtet. Hier verbreiteten die roten Strahlen der Sonne ein gebrochenes Licht, das zum Teil auf den belaubten Ästen und moosbewachsenen Stämmen der Bäume lag, zum Teil einzelne Stellen des Rasens beleuchtete. Ein freier Platz in der Mitte der Lichtung schien den Ritualen druidischen Aberglaubens geweiht gewesen zu sein, denn auf dem Gipfel eines kleinen, regelmäßigen und darum fast künstlich zu nennenden Hügels zeigte sich noch der Rest eines Kreises aus rauen, unbehauenen Steinen, deren ungeheure Größe auffiel. Sieben standen aufrecht, die übrigen waren wahrscheinlich durch den Eifer eines zum Christentum Bekehrten umgestürzt und lagen teils in der Nähe ihrer früheren Stelle, teils am Abhang des Hügels. Nur ein einziger großer Stein war bis ganz unten herabgestürzt und hemmte den Lauf eines kleinen Baches, der sich sanft um die Erhöhung schlängelte, und verlieh durch seinen Widerstand dem ruhigen und sonst stillen Bächlein eine murmelnde Stimme.
Diese Landschaft vollendeten zwei menschliche Gestalten, die hinsichtlich ihrer Kleidung und ihres Aussehens den rohen, ländlichen Charakter teilten, der dem Waldgebiet von West Riding in Yorkshire zu jener Zeit eigen war. Der ältere von diesen Männern hatte ein wildes und finsteres Aussehen. Seine Kleidung war von der einfachsten Art, die man sich vorstellen kann. Sie bestand aus einer eng anliegenden Jacke mit Ärmeln, die aus einem gegerbten Tierfell verfertigt war, an dem man ursprünglich das Haar gelassen hatte. Doch da es an vielen Stellen abgescheuert war, konnte man an den wenigen noch übrigen Haarbüscheln nur mit Schwierigkeit erkennen, welchem Tier es gehört hatte. Dieses urzeitliche Kleidungsstück reichte dem Mann vom Hals bis zu den Knien und war das einzige, was er trug. Am Hals befand sich eine Öffnung, die gerade groß genug war, um den Kopf hindurchzustecken, woraus man schließen konnte, dass er es nach Art eines heutigen Hemdes oder einer altertümlichen Halsberge anzog, indem er es über Kopf und Schultern streifte. Sandalen, mit schweinsledernen Riemen festgebunden, schützten seine Füße, und Bänder aus dünnem Leder waren kunstfertig um seine Beine gewickelt und reichten bis über die Wade hinauf, ließen aber die Knie wie bei einem schottischen Hochländer bloß. Um die Jacke fester um den Leib zusammenzuziehen, wurde sie in der Mitte von einem breiten Ledergürtel gehalten, der mit einer metallenen Schnalle versehen war. Daran war auf der einen Seite eine Tasche befestigt, und an der anderen hing ein Bockshorn mit einem Mundstück, um darauf zu blasen. In dem Gürtel steckte auch eines von jenen langen, breiten, scharf zugespitzten, zweischneidigen Messern, mit einem Griff aus Bockshorn, wie sie in der Gegend hergestellt wurden und schon zu jener Zeit unter dem Namen Sheffieldmesser bekannt waren. Der Mann trug keine Kopfbedeckung. Sein Haupt wurde nur durch sein eigenes dichtes Haar beschützt, das ineinander verworren und verfilzt war. Es hatte durch die Sonne eine dunkle, rostrote Farbe angenommen und hob sich deutlich von dem mächtigen Backenbart ab, der von gelblicher Farbe war. Nur ein Teil seiner Kleidung blieb bis jetzt unerwähnt, der zu merkwürdig ist, um übergangen zu werden. Es handelte sich dabei um einen Metallring, einem Hundehalsband nicht unähnlich, doch ohne Öffnung und um seinen Hals so lose festgelötet, dass er ihn nicht am Atmen hinderte, aber doch so eng anliegend, dass er ohne Anwendung einer Feile nicht abgenommen werden konnte. Auf diesem seltsamen Halsschmuck war mit angelsächsischen Runen eine Inschrift folgenden Inhalts eingraviert: »Gurth, der Sohn Beowolfs, ist von Geburt an Leibeigener Cedrics von Rotherwood.«
Neben dem Schweinehirten, denn das war Gurth, saß auf einem der umgestürzten Druidensteine ein Mann, dem Aussehen nach etwa zehn Jahre jünger, dessen Kleidung, obgleich der seines Gefährten ähnlich, aus etwas besserem Stoff war, jedoch sehr viel skurriler wirkte. Seine Jacke war war einst glänzend purpurfarben gewesen, und man hatte versucht, groteske Ornamente in verschiedenen Farben daraufzumalen. Außer dieser Jacke trug er noch einen kurzen Mantel, der kaum bis zur Hälfte über seine Schenkel reichte. Er war aus karmesinrotem Tuch, ziemlich schmutzig, und mit einem grellgelben Besatz versehen; da er wesentlich breiter als lang war und er ihn von einer Schulter auf die andere legen oder auf Wunsch auch ganz um sich zuziehen konnte, war der Mantel ein fabelhaftes Kleidungsstück. Der Mann trug dünne silberne Armbänder und um den Hals ein Band aus demselben Metall mit der Inschrift: »Wamba, der Sohn des Witless, ist der Leibeigene Cedrics von Rotherwood.« Dieser Mann trug die gleichen Sandalen wie sein Gefährte, aber seine Beine steckten nicht in Lederbändern, sondern in einer Art Gamaschen, von denen die eine rot, die andere gelb war. Dazu trug er eine Kappe, an der mehrere Schellen von der Größe, wie man sie Falken anhängt, ringsherum angebracht waren; sie klingelten, wenn er den Kopf bewegte, und da er selten eine Minute in der gleichen Stellung verharrte, begleitete ihn ein unaufhörliches Geklingel. Den Rand seiner Kappe bildete ein steifes Lederband, das aber mehrfach eingeschnitten war und so einer Grafenkrone glich; aus derem Innern erhob sich ein langer Beutel und fiel auf die eine Schulter nieder, ähnlich einer altmodischen Zipfelmütze, einem Tuchbeutel oder der Kopfbedeckung eines modernen Husaren. An diesem Teil der Kappe waren die Schellen befestigt, was ihn, zusammen mit der Form seiner Kappe und dem halb verrückten, halb pfiffigen Ausdruck seines Gesichts, hinlänglich als einen jener Narren oder Spaßmacher kennzeichnete, die in den Häusern der Reichen gehalten wurden, um über die Langeweile der öden Stunden hinwegzuhelfen, die diese im Haus zubringen mussten. Auch er trug, wie sein Gefährte, eine Tasche am Gürtel, hatte aber weder Horn noch Messer. Man zählte ihn wahrscheinlich zu der Sorte von Menschen, denen man scharfe Werkzeuge nicht gern anvertraut. An deren Stelle führte er ein hölzernes Schwert, ähnlich demjenigen, mit dem Harlekin auf der modernen Volksbühne heute noch seine Wunderdinge vollbringt.
Das Äußere dieser beiden Männer bildete kaum einen stärkeren Kontrast als ihr Ausdruck und ihr Benehmen. Der Knecht oder Leibeigene war düster und traurig. Sein Blick war mit einem Ausdruck tiefer Niedergeschlagenheit auf den Boden geheftet, die man für Gefühllosigkeit hätte halten können, wenn nicht das Feuer, das hin und wieder in seinem geröteten Auge funkelte, bezeugt hätte, dass dort unter dem Anschein düsterer Verzweiflung ein Bewusstsein von Unterdrückung und die Neigung zum Widerstand dagegen schlummerte. Wambas Miene hingegen zeigte, wie das bei seinem Menschenschlag oft vorkommt, eine Art unbefriedigte Neugier, quecksilbrige Ungeduld gegenüber jeglichem Anflug von Ruhe und äußerste Selbstzufriedenheit hinsichtlich seiner Lage und seines Auftretens. Ihr Gespräch wurde in der angelsächsischen Sprache geführt, die, wie bereits erwähnt, von den niederen Klassen damals allgemein gebraucht wurde, außer von den normannischen Soldaten und den Bediensteten der Feudalherren. Wollten wir ihre Unterhaltung im Original wiedergeben, würde der heutige Leser wohl nur wenig davon verstehen, und darum liefern wir ihm die folgende Übersetzung.
»Sankt Witholds Fluch über dieses verdammte Schweinevieh !«, sagte der Hirt, nachdem er heftig in sein Horn geblasen hatte, um die zerstreute Schweineherde zusammenzutreiben. Die beantwortete seinen Ruf zwar mit ebenso melodischen Tönen, zeigte aber keine Eile, von dem üppigen Mahl aus Bucheckern und Eicheln abzulassen oder die sumpfigen Ufer des Bachs zu verlassen, wo einige Borstentiere, halb im Schlamm versunken, behaglich ausgestreckt lagen und den Ruf des Hüters nicht beachteten. »Sankt Witholds Fluch über sie und mich!«, sagte Gurth. »Wenn der zweibeinige Wolf vor Anbruch der Nacht nicht einige von ihnen reißt, will ich kein Mann sein! Hierher, Packan, Packan!«, rief er mit lauter Stimme einem zottigen, wolfsähnlichen Hund zu, halb Windhund, halb Kettenhund, der hinkend umherlief, als ob er seinem Herrn beim Zusammentreiben der widerspenstigen Grunzer helfen wolle, sie aber aus Unkenntnis seiner Pflicht oder aus boshafter Absicht nur hin und her trieb, und das Übel, dem er abhelfen zu wollen schien, nur vergrößerte. »Der Teufel soll ihm alle Zähne ausreißen«, sagte Gurth, »und des Teufels Großmutter komme über den Wildhüter, der unseren Hunden die Vorderzehen abschneidet und sie für ihr Geschäft untauglich macht! Wamba, wenn du ein redlicher Mann bist, steh auf und hilf mir lauf um den Hügel und schneid ihnen den Weg ab; hast du sie erst vor dir, dann kannst du sie treiben wie unschuldige Lämmer.«
»Wahrlich«, sagte Wamba, ohne sich von der Stelle zu rühren, »ich habe meine Beine in dieser Angelegenheit befragt, und sie sind entschieden der Meinung, dass meine bunten Kleider durch diese Pfützen zu schleppen ein unfreundlicher Akt gegen meine hohe Person und meine königliche Garderobe wäre; deshalb rat’ ich dir, Gurth, Packan zurückzurufen und die Herde ihrem Schicksal zu überlassen. Ob sie nun auf Banden umherziehender Soldaten treffen, auf Geächtete oder auf wallfahrende Pilger, sie werden doch vor morgen Früh zu deiner Freude und Erleichterung in Normannen verwandelt sein.«
»Die Schweine sollen zu meiner Freude in Normannen verwandelt werden?«, fragte Gurth. »Erklär mir das, Wamba, denn mein Hirn ist zu schwerfällig und mein Gemüt zu erregt, um Rätsel zu lösen.«
»Nun, wie nennst du die grunzenden Biester, die hier auf vier Beinen umherlaufen?«, fragte Wamba.
»Schweine, du Narr, Schweine«, sagte der Hirt, »das weiß doch jeder Dummkopf.«
»Und ›Schwein‹ ist gut angelsächsisch«, sagte der Narr, »aber wie nennst du die Sau, wenn sie abgehäutet, ausgenommen, gevierteilt und wie ein Verräter an den Fersen aufgehängt ist?«
»›Porc‹«, antwortete der Schweinehirt.
»Es freut mich, dass auch das jeder Dummkopf weiß«, sagte Wamba. »Und ›Porc‹, meine ich, ist gut normannisch-französisch. Wenn das Tier also lebt und unter der Obhut angelsächsischer Knechte und Leibeigener steht, trägt es auch seinen angelsächsischen Namen, wird aber ein Normanne und ›Porc‹ genannt, sobald es ins Schloss gebracht wird, um von Adligen verspeist zu werden. Was hältst du davon, Freund Gurth, he?«
»Das ist leider nur zu wahr, Freund Wamba, wie immer diese Ansicht auch in deinen Narrenschädel geraten sein mag.«
»Ja, ich kann dir noch mehr sagen«, fuhr Wamba in demselben Ton fort. »Da ist der alte Ratsherr Ochs, der seine angelsächsische Bezeichnung behält, solange er unter der Obhut von Leibeigenen steht, wie du einer bist, aber Monsieur Bœuf und damit ein feuriger französischer Ritter wird, wenn er zwischen die verehrungswürdigen Kiefer gerät, die ihn verzehren sollen. Auch Mijnheer Kalb wird auf die gleiche Art zum Seigneur de Veau; der Hammel ist angelsächsisch, solange er der Pflege bedarf, und nimmt den normannischen Namen ›Mouton‹ an, sobald er Gegenstand des Genusses wird.«
»Beim heiligen Dunstan«, antwortete Gurt, »da sprichst du traurige Wahrheiten aus; uns ist wenig mehr übrig geblieben als die Luft, die wir atmen, und auch die scheint man uns erst nach langem Bedenken zugestanden zu haben und nur zu dem Zweck, uns in die Lage zu versetzen, die Arbeiten zu ertragen, die man unseren Schultern aufbürdet. Das Zarteste und Fetteste ist für ihre Tafel, das Lieblichste für ihr Bett, die Besten und Tapfersten dienen fremden Herren als Soldaten, in fernen Ländern bleichen ihre Gebeine, und nur wenige sind geblieben, die den Willen und die Macht haben, die unglückseligen Angelsachsen zu beschützen. Gott segne unseren Herrn Cedric, er hat sich wie ein Mann in die Bresche geworfen; aber Reginald Front-de-Bœuf will höchstpersönlich auf seine Besitzungen kommen, und wir werden bald sehen, wie schlecht Cedrics Mühe belohnt wird. – Hierher, hierher!«, rief er wieder mit erhobener Stimme. »So ho! So ho! Gut, Packan, gut! Du hast sie jetzt alle vor dir und treibst sie gut voran.«
»Gurth«, sagte der Possenreißer, »ich weiß, dass du mich für einen Narren hältst, sonst würdest du nicht so unbesonnen sein, deinen Kopf in meinen Rachen zu stecken. Ein Wort zu Reginald Front-de-Bœuf oder Philip de Malvoisin, dass du verräterisch über Normannen gesprochen hast, würde dazu führen, dass du an einem dieser Bäume baumeltest, zum Schrecken aller, die den Adligen Übles nachsagen – und du bist nur ein einfacher Schweinehirt.«
»Du Schuft, du wirst mich doch wohl nicht verraten«, sagte Gurth, »nachdem du mich selbst dazu verleitet hast, so viel Missgünstiges zu sagen?«
»Dich verraten?«, entgegnete der Possenreißer. »Nein, das wäre der Streich eines weisen Mannes; ein Narr kann sich nicht halb so gut helfen – aber still, wer kommt denn da?«, sagte er, indem er auf den Hufschlag mehrerer Pferde horchte, der eben hörbar wurde.
»Kümmre dich nicht darum«, antwortete Gurth, der jetzt seine Herde vor sich hatte und sie mit Packans Hilfe eine der langen schattigen Baumalleen hinuntertrieb, die wir eben zu beschreiben versucht haben.
»Nicht doch! Ich muss die Reiter sehen«, antwortete Wamba, »vielleicht bringen sie eine Botschaft von König Oberon aus dem Elfenland.«
»Die Pest soll dich holen!«, versetzte der Schweinehirt. »Willst du von solchen Dingen reden, während nur wenige Meilen entfernt ein furchtbares Unwetter mit Donner und Blitz wütet? Hör doch, wie der Donner rollt! Noch nie habe ich bei einem Sommerregen so große Tropfen schnurgerade aus den Wolken fallen sehen, und obwohl sich hier noch kein Lüftchen regt, ächzen und knarren die Eichen mit ihren weiten Ästen, als wollten sie ein Unwetter ankündigen. Ich weiß, du kannst vernünftig sein, wenn du willst, also hör dies eine Mal auf mich und lass uns nach Hause gehen, ehe das Gewitter losbricht, denn es wird eine furchtbare Nacht werden.«
Wamba schien die Dringlichkeit der Bitte einzuleuchten, und er begleitete seinen Gefährten, der den langen Knotenstock aufnahm, der neben ihm im Gras lag, und sich auf den Weg machte. Hastig eilte dieser zweite Eumaios die Lichtung des Waldes hinunter und trieb mit Packans Hilfe die ganze Herde seiner unharmonisch grunzenden Pflegebefohlenen vor sich her.