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Archiv der Jugendkulturen e. V. (Hrsg.)

Jugendkulturelle Projekte
in Jugendarbeit und Schule

 

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Schon mit einem Jahresbeitrag von 48 Euro können Sie die gemeinnützige Arbeit des Archiv der Jugendkulturen unterstützen, Teil eines kreativen Netzwerkes werden und sich zugleich eine umfassende Bibliothek zum Thema Jugendkulturen aufbauen. Denn als Vereinsmitglied erhalten Sie zwei Bücher Ihrer Wahl aus unserer Jahresproduktion kostenlos zugesandt.

Weitere Infos unter www.jugendkulturen.de

Inhalt

Stefan Brandstetter
Jugendsubkulturen: Zwischen Kollektiv und Individuum

Edyta Kopitzki
Musik in der Offenen Jugendarbeit

Marcus Fink
J-Rock in Germany: Visual Kei, eine Jugendkultur in Deutschland

Michael Koch
Bridges: Ein internationales Jugendbegegnungs-, Musik- und CD- Projekt als interkultureller Brückenschlag

Jürgen Zips-Zimmermann
DEMOKRATIE! Auf die Ohren: Ein CD-Projekt gegen die „Schulhof-CD“ der NPD

Daniel Mark Eberhard
Rap for Peace: Die Entgrenzung von Streetstyle und Hochkultur als kulturpädagogische Herausforderung

Olad Aden
Berlin Bronx Connection: Eine Reise zwischen den Parallelen

Theo Koch
culture united: Vereint für Respekt und Toleranz

Torsten Link
„Wo Sprache aufhört, kommt die Gewalt”: Zur Bedeutung von HipHop in der sozialpädagogischen Praxis anhand exemplarisch dargestellter Fälle

Beatrice Bösiger
Mädchenarbeit im Wandel

Siegrid Ming Steinhauer
Ruby Tuesday Rock Camp for Girls: „Don’t fall in love with a rockstar – be a rockstar!“

Susanne Schilz, Karin Heinelt
Girls Go Movie: „Nach Perlen tauchen ….“

Margret Fehren
Frauenbilder: Ein interkultureller Malerei-Workshop für Mädchen

Annett Böhr, Manuela Heim, Katja Röckel
FutureBoxx: Zeitmaschine in eine selbstbestimmte Zukunft

Sira Ullrich
Kiezklamotten: 1000xZukunft

Vera Szibalski, Martin Werner
Jungenart

Pia Dahlinger
Mannsbilder & Frauenzimmer: Uschi und Gildo im Jugendtreff

Matthias Jung
Graffiti in der Jugendsozialarbeit – die Zähmung des Widerspenstigen?!

Christian Uthe
Alte Schule Saalfeld: Graffiti macht Schule

Tilmann Pritzens
Resist To Exist: Ein Zelt-Festival von Punks für Punks

Anja Witzel
Jugendliche begleiten Jugendliche: Peer Education in der historisch-politischen Bildung

Anja Bartl-Lassati, Alexander Beck, Andreas Schettler
Druckbude Chemnitz: Skaten in Chemnitz

Gunnar Erxleben
Lebenswelten: 70 Bremer Jugendliche dokumentieren in Text und Bild ihre Welt.

Gunnar Erxleben
Du & die Kamera: Culture Clips für Vielfalt und jugendkulturelle Toleranz

Torsten Böhm
Swing high, swing low:Auf den Spuren der Lotterheinis

Klaus Farin
Jugendkulturen und Schule

Kristina Pabst
Deine, meine, uns’re Kultur!? – Vielfalt erleben, entdecken, fördern: Ein schulübergreifender Projekttag in Weimar

Silke Brandes
LeBe!: Lebenskunst und Berufsorientierung

Herbert Scherer
Jugendkulturarbeit 2.0

Jugendsubkulturen: Zwischen Kollektiv und Individuum

von Stefan Brandstetter

„Vielleicht ist das alles Illusion
Und wenn: Was macht das schon?
Ganz egal, welchen Weg wir wählen
Nur die Momente sind’s, die zählen …“
But Alive: „Weiß nur, was du nicht willst“
[von der LP „Nicht zynisch werden“, 1995]

In den 70er Jahren entstand in New York und London Punk, die ersten Skinheads wurden in den 60er Jahren in Nordengland gesichtet. Mods, Teds, Gothics und wie sie alle heißen, fanden in England ihren Ursprung. Bands wie The Clash, Cockney Rejects, Bauhaus, Joy Division, Sex Pistols und viele mehr stammen ebenso aus England. Eine Vielzahl jugendsubkultureller Stile wurde in England oder den USA entworfen, entstanden in kreativer Eigenproduktion im Kontext gesellschaftlicher Veränderungen und Widersprüche, verbreiteten sich als Mode über den ganzen Kontinent und letztendlich über die ganze Welt. Eine derjenigen Menschen zum Beispiel, die die Geburtsstunde des Punk aktiv miterlebten und den Punkstil und die Mode nachhaltig prägten, Vivienne Westwood, ist jetzt eine weltweit anerkannte Designerin. Und was geschah in Sachen Jugendsubkulturen in Deutschland? Sollte Mensch deshalb vielleicht auf England und die USA eifersüchtig oder neidisch sein? Wirklich? Nein, nicht wirklich. Denn auch in Deutschland, wie übrigens in vielen anderen Ländern Europas auch, gibt es eine riesige Vielfalt an jugendsubkulturellen Stilen. Und diese differenzieren sich von Tag zu Tag immer mehr aus. Aber was macht eigentlich diese jugendsubkulturelle Vielfalt, Kreativität und Ästhetik aus? Was bedeutet Kultur bezogen auf Jugend(sub)kulturen? Produzieren diese tatsächlich Kultur? Was bedeutet in diesem Kontext die Kultur des Alltags? Gibt es wirklich eine? Schauen wir im Folgenden einmal genauer hin.

Ich möchte nicht in diesem Zusammenhang ausführlich auf die verschiedenen Kultur- und Subkulturtheorien eingehen. Wollen Sie sich weiter in diese vertiefen, so möchte ich auf die reichhaltige Literatur zu diesem Thema verweisen. Dennoch ist ein kleiner begrifflicher Exkurs an dieser Stelle wohl angebracht. Zudem dieser auch ein Stück weit die immer wieder auftauchende Diskussion zum Thema Kultur, Jugendkulturen, Subkulturen, Szenen oder Jugendsubkulturen widerspiegelt. Da dieses Buch außerdem genau über das handelt: Jugend und Kultur.

Also: Warum spricht nun Mensch im Zusammenhang mit der Jugend von Kultur? Sind Jugendkulturen Subkulturen oder Subkulturen Jugendkulturen? Ist der Begriff Subkulturen nicht überholt? Ist in diesem Zusammenhang der Begriff Jugendkulturen oder vielleicht Szenen nicht eher angebracht? Grenzt der Begriff Jugend(sub)kulturen nicht zu stark ein? Verkennt der Begriff Jugendkulturen nicht existentielle, gar subversive, provokative und kreative Elemente einer sich selbst geschaffenen Alltagskultur oder alltagsästhetischen Praxis, die nicht nur eigene Ausdrucks- und Stilformen, also individualistische Lebensweisen bzw. -formen repräsentiert, und somit sich auch als eine Art Gegenkultur zur staatlich repräsentierten Hochkultur und Popkultur manifestiert? Eine Reihe von Fragen, die zu beantworten nicht sehr einfach ist.

Von der Hochkultur über die Populärkultur zur Kultur des Alltags.

Was assoziieren wir denn mit dem Begriff Kultur? Vielleicht: Literatur, Oper, Theater – oder auch Graffiti, Punk, Rock oder vielleicht Esskultur? Um einen Zugang zum Begriff Kultur im Zusammenhang mit dem Phänomen Jugend und deren Ausdrucks- und Stilformen zu finden, bedarf es zunächst einer „ästhetischen“ Erweiterung des allgemein gültigen Begriffs von Kultur.

Etwa im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts begann, ausgehend von den USA mit der Entstehung und Etablierung der Kulturindustrie und den Massenmedien, die Entwicklung der Populärkultur. Einhergehend mit dieser Entwicklung begann in Europa, vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg, eine Popularisierung, Entnormisierung und Enthierarchisierung der bestehenden (Hoch-)Kultur und somit des bis dahin gängigen und bestehenden normativen, elitären Kulturkonzeptes. Beeinflusst durch die Gedanken von Horkheimer, Adorno und schließlich des französischen Soziologen Pierre Bourdieu in den 70er Jahren entstanden ein Kulturbegriff bzw. ein Kulturverständnis, der bzw. welches vor allem auch die Jugendforschung seit den 70er Jahren beeinflusste. Vor dem Hintergrund von rasanten gesellschaftlichen Entwicklungen in vielen Bereichen des alltäglichen Lebens ist eine traditionelle, strenge Unterscheidung der Kultur in Hoch- und Massenkultur nicht mehr so eindeutig durchzuführen bzw. Grenzen haben sich aufgelöst. Verstärkt wird diese Aufhebung der „kulturellen Grenzen“ durch die Etablierung der Popkultur mit Hilfe der Massenmedien, einhergehend mit einer fortschreitenden Pluralisierung, Enttraditionalisierung, Individualisierung und Ästhetisierung des gesellschaftlichen Lebens.

So haben sich die Grenzen zwischen Kultur und Gesellschaft, Kultur und Ökonomie und somit die Grenzen des traditionellen, normativen Kulturbegriffs fast vollständig aufgeweicht. Kultur ist schon lange nicht mehr im Besitz einer bestimmten sozialen Gruppe oder gesellschaftlichen Elite. Kultur umfasst außerdem nicht mehr nur den Bereich der Hochkultur, sondern und vor allem auch den Bereich des Alltags, in dessen Kontext der Mensch sich bewegt. Kultur ist nicht mehr eine bestimmte Lebensweise, die sich nur in Kunst und Bildung artikuliert, sondern die sich vor allem auch in Institutionen und alltäglichen Lebensmustern der „Kultur-Produzierenden“ und deren gesellschaftlichen Zusammenhängen, also deren Alltag, ausdrückt.

„Kultur des Alltags ist nicht die Weihe des Banalen, sondern lebt von der Spannung zwischen utopischen Entwürfen und kritisierten Zuständen, von der Verfremdung, Neustrukturierung alltäglicher Symbolbedeutungen und Routinemuster.“1

Die Herausbildung neuer Jugend(sub)kulturen ist immer eine Reaktion auf gesamtgesellschaftliche Entwicklungen.

Heißt also auch: Der subjektive Alltag mit seinen Beziehungs- und Deutungsmustern ist selbst Teil in der konkreten jugendsubkulturellen Stilbildung und Stilformung. Jeder für sich verändert durch seine ästhetisch-kreative Alltagspraxis, die durch verschiedene Faktoren, wie Alltagserfahrungen, soziales Gefüge, Arbeit, soziokulturelle Hintergründe usw. beeinflusst wird, die gesamte heterogene Kultur der Gesellschaft. Neben einer hierarchisch verwalteten Hochkultur ist zusätzlich eine Fülle von nebeneinander existierenden und miteinander konkurrierenden Lebensformen sowie Kultur produzierenden Lebenswelten – in diesem Zusammenhang stehen auch Jugend(sub) kulturen – entstanden.

Jugend(sub)kulturen sind Kulturen, die in das kulturelle Gesamtsystem der Gesellschaft eingebunden sind, mit ihm in Verbindung bzw. im Austausch stehen und letztendlich nur in dessen Kontext bestehen können. Die Herausbildung neuer Jugend(sub)kulturen ist immer eine Reaktion auf gesamtgesellschaftliche Entwicklungen, sozialstrukturelle Gegebenheiten, vorgefundene Widersprüche und Veränderungen: Eine sich stetig ausdifferenzierende und in Bewegung befindende industrialisierte Gesellschaft,

„… deren makrosoziale Modernisierungstendenzen selbstverständlich auch die Mitglieder [von Jugend(sub) kulturen betreffen] und wiederum (kulturelle) Reaktionen Letzterer nach sich ziehen, zeigen, dass die Kultur sich ständig bewegt. Kultur kann entsprechend nur als ein prozesshaftes, in Interdependenz zu den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und der auf diese kulturell (und anderwärtig) reagierenden Gesell-schaftsmitglieder verstanden werden.“2

Diese jugend(sub)kulturellen Artikulationen gelangen in stetiger Regelmäßigkeit in die kulturelle Öffentlichkeit und erfordern schon aus diesem Grund eine Verabschiedung von eindimensionalen Auffassungen von Kultur. Da Jugend(sub)kulturen sich über die eigenen Ausdrucks- und Stilformen in einem Austausch mit der Gesellschaft befinden, wird diese somit auch mit beeinflusst.

Jugendkulturen, Subkulturen, Jugendsubkulturen.

In den 70er Jahren fand vor dem Hintergrund einer gesellschaftsanalytischen und sozialhistorischen Perspektive eine intensive Subkulturforschung, primär bezogen auf proletarische Subkulturen, statt. In diesem Zusammenhang möchte ich das britische Forschungsinstitut des Centre for Contemporary Cultural Studies (CCCS), Mike Brake (1982) und den deutschen Soziologen Rolf Schwendter (1993) erwähnen. In der neueren Literatur zum Thema Jugend wird der Begriff Subkultur nicht mehr verwendet und oftmals durch den Begriff Jugendkulturen ersetzt. Der Begriff Jugendkulturen beschreibt weitgehend Jugendströmungen, die sich durch äußere Ausdrucks- und Stilformen sichtbar von der Erwachsenenwelt abgrenzen. Sie unterliegen meist einer massenmedialen Vermarktung und begrenzen sich auf eine bestimmte Lebensphase.3

Sie stellen eine Übergangsphase zur Erwachsenenwelt dar und verlieren früher oder später an Bedeutung. Der Begriff Subkultur beschreibt zudem nach Meinung vieler JugendforscherInnen eher diejenigen Gruppen, von denen keine emanzipatorische, gesellschaftliche oder kulturelle Impulse ausgehen, da der Begriff „sub“ eher auf Gruppen hinweise, die sich im Verborgenen, teilweise im Verbotenen bzw. im Untergrund aufhalten. Der Begriff Subkultur provoziert somit oftmals negative Assoziationen. Ist dies aber wirklich so eindeutig? Was ist mit den Menschen, die über ihre Jugendphase hinaus, wie auch immer diese definiert ist, sich in jugendsubkulturellen Zusammenhängen aufhalten bzw. leben oder aufgrund ihres Alters nicht mehr der Altersgruppe der Jugendlichen zuzuordnen sind?

Zudem, die Feststellung, dass Subkulturen negative Assoziationen suggerieren, ist wohl eher weniger auf den Begriff an sich zurückzuführen als auf die Tatsache, dass Subkulturen von großen Teilen der Gesamtgesellschaft als Bedrohung derselben aufgefasst werden, da sie Widersprüche, gesellschaftlich Verdrängtes und Tabus ästhetisieren und nach außen darstellen. Als Beispiel möchte ich an dieser Stelle nur die Punks kurz erwähnen, die durch ihr Äußeres sich mit der puritanisch-konservativen englischen Gesellschaft der 70er und 80er Jahre auf einer ästhetisch-symbolischen Ebene kritisch auseinandersetzten und ihr somit den Spiegel vorhielten. Darüber hinaus hatten die Punks, aber auch andere subkulturelle Stile, wie zum Beispiel die Hippies, die Ökobewegung der 80er Jahre oder Techno, um nur einige zu nennen, wohl einen großen, indirekten und direkten Einfluss auf künstlerische, alltägliche und kommerzielle Bereiche der Gesellschaft. Den Begriff der Subkulturen nun endgültig durch den der Jugendkulturen zu ersetzen, würde einer Nichtbeachtung dieser Einflüsse gleichkommen und verfügt meiner Ansicht nach über zu geringe analytische Möglichkeiten. Selbstverständlich ist es nicht von der Hand zu weisen, dass eine eindeutige Festlegung auf den Begriff Subkulturen nur im Idealfall möglich ist.

Dennoch, der Begriff Jugendkulturen der „neueren“ Jugendkulturforschung hat durchaus seine Berechtigung. Gerade für den überwiegenden Teil der in diesem Buch vorgestellten Projekte macht dieser Sinn.

Jugendkulturen entstehen hauptsächlich durch Jugendliche und in arbeitsfreien bzw. arbeitsfremden Räumen. Dies bedeutet wiederum nicht, dass Jugendkulturen zwangsläufig nach der Jugendphase – wie immer auch diese definiert wird – an Bedeutung verlieren bzw. sich auflösen. So nimmt der Begriff Jugendkulturen, wenn nach der Jugendphase weiterhin mit ihm gearbeitet wird, immer Bezug auf Ausdrucksund Stilformen, die ursprünglich in Gruppierungen und Szenen von Jugendlichen entstanden sind, aber nicht ausschließlich von jugendlichen AkteurInnen getragen werden. So gibt es nach Beobachtungen des Archiv der Jugendkulturen eine zunehmende Anzahl von Menschen, die aufgrund ihres Alters definitiv nicht mehr der Alterskohorte der Jugendlichen zuzuordnen sind und sich noch immer in „jugendkulturellen“ Zusammenhängen aufhalten bzw. leben. Hier erfährt der Begriff Jugendkultur seine Grenzen.

Jugend(sub)kulturen sind nicht nur ein Jugendphänomen, sondern ein gesamtgesellschaftliches, welches vor keinen Altersgrenzen halt macht. Jugend(sub)kulturen entstehen aus gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen und als Reaktion auf gesellschaftliche Widersprüche und Veränderungen. Sie symbolisieren und spiegeln diese wider durch eine Ästhetisierung ihrer eigenen kreativen, subversiven Stil- und Ausdrucksformen. So findet gleichzeitig eine Auseinandersetzung mit der Gesellschaft statt. Jugend(sub)kulturen sind weiterhin „Teilkulturen“ der Gesamtgesellschaft, die sich von derselben durch „alternative“ Lebensformen, eigene Verhaltensweisen, Normen und Werte zwar abgrenzen, aber dennoch mit dieser verbunden sind und sich im Austausch mit derselben befinden. Voraussetzung hierfür ist eine pluralisierte, heterogene Gesamtgesellschaft.

Schlussfolgerungen: Zur Veränderung der Lebenslage von Jugendlichen.

 

Vielfältige gesellschaftliche Veränderungen, ein gesellschaftlicher Strukturwandel in den letzten Jahrzehnten, eine fortschreitende Individualisierung der sozialen Verhältnisse, Pluralisierung von Lebenslagen und -stilen sowie der Lebensentwürfe, einhergehend mit einem zunehmenden Brüchigwerden der familiären Beziehungen und einer Auflösung traditioneller Lebens- und Normkonzepte zwischen Klassen/Milieus, Religionen sowie Ethnien, haben dazu geführt, dass ein traditionelles Konzept von Jugend als Übergang von der Kindheit in das Erwachsenenalter heute seine Gültigkeit verloren hat. Die Jugendforschung ist sich heute weitgehend einig darin, dass ein tiefgreifender Strukturwandel auch der Jugend und eine Entstrukturierung der Jugendphase stattgefunden haben.

Vor diesem gesellschaftlichen Hintergrund kann man heute nicht mehr von „der Jugend“ im Singular sprechen, sondern eher von „Jugenden“. Traditionelle Familien- und Sozialstrukturen haben ihre Vormachtstellung zugunsten von Single- und Alleinerziehenden-Haushalten, informellen Gleichaltrigen-Gruppen sowie einer weiteren Vielfalt an Angeboten im Konsum- und Freizeitbereich usw. verloren. Dagegen steht ein im Allgemeinen gestiegenes Wohlstandsniveau, von dem große Bevölkerungsteile profitiert haben. Dennoch wird für einen wachsenden Bevölkerungsanteil die Erhaltung von existentiellen Lebensnotwendigkeiten zunehmend in Frage gestellt.4

Hierbei sind es nicht mehr die Klasse, der Stand oder die Schicht, welche es faktisch in der „postmodernen“ Gesellschaft nur noch rudimentär gibt, sondern Prozesse der Individualisierung, der Pluralisierung und der Enttraditionalisierung, die besondere Risiken für den Einzelnen darstellen. Wie erwähnt sind traditionelle Lebensmuster und Lebensläufe einer Vielzahl von unterschiedlichen Lebensmöglichkeiten und - entwürfen gewichen und haben so zu großen Unsicherheiten geführt. Gerade Kinder und Jugendliche sind hiervon in einem großen Maße betroffen. Vor allem Jugendliche erkennen die immer mehr spürbar werdenden Widersprüche der „postmodernen“ Gesellschaft. Nämlich einerseits wachsende Chancen, durch eine hohe Anzahl von Wahl- und Entfaltungsmöglichkeiten, Bildungs- und Qualifikationschancen eine „gute“ Jugend zu erhalten, und andererseits immer fragwürdiger werdende Aussichten, dass sich Bildung und eine gute Berufsqualifikation im späteren Leben auch auszahlen. Tragfähige Lebensentwürfe und Orientierungen werden so zunehmend in Frage gestellt. So ist der/die Einzelne bei der Suche nach geglückten Lebensformen grundsätzlich auf sich selbst gestellt und muss sich selbst zum Zentrum der eigenen Lebensplanung und Lebensführung machen. Angesichts einer Fülle von möglichen Lebensformen erhöht sich somit auch die Möglichkeit zu scheitern. Und Jugend(sub)kulturen?

Gesellschaftliche Veränderungen und Widersprüche geben den Rahmen für die Entstehung und die Bedeutung von Jugend(sub)kulturen. Jugend(sub)kulturen helfen mit, Ordnung und Orientierung in das Chaos einer sich ständig verändernden Welt zu bringen, das die Auflösung, der Zerfall und die Veränderung traditioneller Lebens- und Orientierungsmuster hinterlassen hat, und die entstandenen Freiräume zu füllen.

Die Jugendphase der „Postmoderne“ ist zunächst gekennzeichnet von einer großen Verfügbarkeit des Faktors Zeit, anders formuliert, von dem Faktor Nichtarbeitszeit oder dem Fehlen der Lohnarbeit, der einen relativ großen Freiraum für die Selbstsuche und Selbstfindung sowie eine große Anzahl von Wahlmöglichkeiten zulässt. Ein weiterer Faktor ist die individuelle Wahrnehmung der gesellschaftlichen Realitäten und Widersprüche sowie deren persönliche Verarbeitung. Daraus entstehen verschiedene ästhetische Verarbeitungsformen, um die alltägliche Wirklichkeit für das Individuum erträglicher zu gestalten. Jugend(sub)kulturen bieten hierfür die Möglichkeit, dem Individuum aus seiner Anonymität der eigenen Identitätsproblematik herauszuhelfen, indem sie ein Kollektiv von „Gleichgesinnten“ bilden. Und letztendlich: Erkennen wir Jugend(sub)kulturen als Gegenpol zu anderen Subkulturen, wie zum Beispiel die Knastsubkultur oder die Obdachlosensubkultur usw., als das an, was sie auch sein können: subversiv, kreativ, vielfältig, spannend, Kultur schaffend!

Und nun zu diesem Buch:

Aus einer Vielzahl von eingereichten Beiträgen wurden von einer Jury 21 Projekte aus verschiedenen Bereichen der Jugendarbeit und der Schule für dieses Buch ausgewählt. Diese und Texte zum Thema Jugend und Jugendkulturen sind im Folgenden dargestellt. In diesem Buch wird versucht, aus einer Vielfalt von jugendkulturellen Projekten einige sehr interessante und spannende darzustellen, um die Erfahrungen und Beispiele an andere InteressentInnen in der Jugendarbeit oder in Schulen weiterzugeben, die es u. a. in ihrem beruflichen Alltag mit Jugendlichen zu tun haben. Dieses Buch ist ein Praxisbuch. Vielleicht finden unsere Leserinnen und Leser Anregungen sowie Denkanstöße für ihre alltägliche berufliche Praxis und darüber hinaus. Die Projekte werden in all ihrer Buntheit, ihren Prozessen und Schwierigkeiten dargestellt. Das ist bewusst so und kann durchaus auch als eine praktische Anregung gesehen werden.

Beim Lesen dieses Buches wird schnell klar, dass das Thema Jugend sich nicht in einfache Worte fassen lässt. Die dargestellten Projekte spiegeln auch die kreative Vielfalt von Jugend(sub)kulturen in Deutschland wider. Dazu wollen wir mit diesem Buch auch beitragen und ermutigen gerade auch bei dem Thema Jugend und Jugendkulturen noch genauer hinzuschauen, sich nicht nur auf Artikel in den Tageszeitungen oder sonstwo über Jugendliche zu verlassen, sondern vielleicht auch mal selbst auf Entdeckungsreise zu gehen in der Welt der Jugend(sub)kulturen. So geht die „Entdeckungsreise“ in diesem Buch über Musik, HipHop, bis hin zu Visual Kei über Streetstyle und zurück. Eine Reihe von Bildern und Photos vervollständigen den Gesamteindruck und machen Lust auf mehr.

Wir danken allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern an unserer Projektausschreibung sowie den Autorinnen und Autoren, die zudem eine Reihe von Texten für dieses Buch verfasst haben. Viel Spaß beim Lesen!

Literatur:

Brake, Mike: Soziologie der jugendlichen Subkulturen. Eine Einführung. Campus, Frankfurt a. M./New York 1982.

Fuchs-Heinritz, Werner/Lautmann, Rüdiger/Rammstedt, Ottheim/Wienold, Hanns(Hrsg.): Lexikon zur Soziologie. 3., völlig neu überarbeitete und erweiterte Auflage.
Westdeutscher, Opladen 1994.

Müller-Bachmann, Eckart: Jugendkulturen Revisited. Musik- und stillbezogene Vergemeinschaftsformen (Post-)Adoleszenter im Modernisierungskontext. Lit, Münster – Hamburg – London 2002.

Schwendter, Rolf: Theorie der Subkultur. 4. Auflage. Europäische Verlagsanstalt. Hamburg 1993.

Treptow, Rainer: Kultur und soziale Arbeit. Aufsätze Votum, Münster 2001.

UNICEF-Bericht: Jedes sechste deutsche Kind in Deutschland ist arm. März 2009

Stefan Brandstetter, Jahrgang 1973; Studium an der Katholischen Hochschule Freiburg, Abschluss 1999 als Dipl. Sozialpädagoge, Lehrbeauftragter seit 2001 im Fachbereich Soziale Arbeit zum Thema Jugend(sub) kulturen; Mediator. Langjähriges (Vorstands-)Mitglied und seit 2011 Vorsitzender des Archiv der Jugendkulturen e.V.

Kontakt: stefbrandstetter@gmx.de.

1. Treptow, 2001, 217

2. Müller-Bachmann 2002, 23 ff

3. Vgl. hierzu Baacke/Ferchhoff 1988

4. Laut Armutsbericht der Bundesregierung 2008 ist jedes 8. Kind arm, laut dem Bericht zur Lage der Kinder in Deutschland von UNICEF (2008) ist es sogar jedes 6. Kind. In: UNICEF-Bericht: Jedes sechste deutsche Kind in Deutschland ist arm. März 2009.

Musik in der Offenen Jugendarbeit

von Edyta Kopitzki

Musik ist ein ständiger Begleiter von Jugendlichen. Als Leitmedium von Jugendlichen bildet sie nicht nur eine künstlerisch-kreative Ausdrucksform, sondern trägt zur Identitätsbildung von Jugendlichen bei. Als Gegenpol zur industriell organisierten Gebrauchsmusik, die passiven Konsum erzeugt und selbständiges jugendliches Engagement nicht benötigt, stellt der Einsatz von Musik in der Offenen Jugendarbeit die Möglichkeit der Persönlichkeitsentfaltung durch alternative Erfahrung dar. Musik kann Autonomie vermitteln und zur Emanzipation beitragen, wenn man lernt, etwas mit ihr zu machen, und sie nicht einfach „geschehen“ lässt. Darüber hinaus bietet Musik Anlass zur Begegnung und zum Austausch und schafft Gemeinsamkeiten zwischen Menschen mit verschiedenen sozialen, kulturellen und Bildungshintergründen. Unabhängig davon, ob es die Banderfahrung, das DJing oder das gemeinsame Aufnehmen einer Rap-CD ist, beim gemeinsamen Musikschaffen wird eine Sprache gesprochen. Das Internationale Jugendbegegnungs-, Musik- und CD-Projekt1 Bridges ist ein gutes Beispiel dafür, wie fruchtbar ein interkultureller Austausch sein kann. Das Projekt realisierte ein internationales Jugendcamp in Offenbach, an dem junge Rapper aus Frankreich, Nordamerika und Deutschland teilnahmen. Bei den TeilnehmerInnen handelte es sich um Jugendliche, die nicht nur aus unterschiedlichen Kulturkreisen stammten, sondern auch ganz unterschiedliche HipHop-Stile vertraten. Junge muslimische Franzosen, Rapper aus dem Lakota-Reservat sowie eine Multikulti-Crew aus Offenbach machten zwei Wochen lang Musik, veranstalteten Live-Auftritte und produzierten abschließend eine CD. Obwohl die Einreise der amerikanischen Rapper aufgrund der Einreiseprozedur verzögert wurde und sie erst nach der Abreise der Franzosen im Camp ankamen, konnte ungeachtet dessen eine beeindruckende CD entstehen, die Beiträge aller drei Gruppen beinhaltet. Beeindruckt hat das Projekt zudem durch das starke Engagement der ProjektteamerInnen. Mit Hilfe eines Supportkonzerts der Band Canned Heat konnten die Reisekosten der amerikanischen Rapper finanziert werden. Die Kosten für die Ausweisausstellung übernahmen der deutschen Projektträger und das Dakota Youth Project. Bereits im Vorfeld des Camps wurden im Rahmen von deutsch-amerikanischen Jugendbegegnungen – die das Projekt seit 2004 regelmäßig durchführt – ein Rockband- sowie ein HipHop-Produktions-Set in einer bundesweiten Sammelaktion für ein Jugendzentrum in der Pine Ridge Reservation gesammelt. Bridges beweist, wie internationale Jugendbegegnungen die TeilnehmerInnen nachhaltig prägen können:

„Einzelne Projektteilnehmer der deutsch-indianischen Projekte haben nach ihrer Rückkehr nach Deutschland sich an Sammelaktionen für indianische Kinder- und Jugendprojekte oder an entsprechenden NGOs beteiligt oder haben als Musiker mit Benefizkonzerten soziale Aktionen unterstützt. […] Einzelne Teilnehmer planen nun selbstorganisiert in die USA und in indianische Reservationen zu reisen. Einzelne Teilnehmer der deutsch-französischen Projekte besuchten sich anschließend gegenseitig. Ein französischer Projektteilnehmer lernte in Offenbach ein Mädchen kennen und ist “ein Jahr später nach Offenbach gezogen. Auch l‘amour kann ein nicht zu unterschätzender Effekt solcher Begegnungen sein – wie schön in einer Welmit zunehmender Tendenz zu Hass und Abgrenzung.“

(Projektbeschreibung)

Der Einsatz von Musik hilft über das gemeinsame Interesse, sich einander zu nähern und kulturelle Schranken zu überwinden. Darüber hinaus hat Musik in der Offenen Jugendarbeit emanzipatorischen Charakter. In den meisten Jugendkulturen sind Mädchen und junge Frauen immer noch stark unterrepräsentiert. Oft erweist es sich als schwierig, in die immer noch stark maskulin dominierten Jugendszenen einzusteigen und dort als gleichwertiges Mitglied angenommen zu werden. Um jungen Mädchen die aktive Teilhabe zu ermöglichen, gilt es, Mädchen zu ermutigen und ihre Fähigkeiten zu stärken. Die Idee des female Empowerment hat das Projekt Rock Camp für Mädchen des Ruby Tuesday e. V. besonders fördernd umgesetzt. In einem einwöchigen Sommercamp wurden die kreativmusikalischen Fähigkeiten von Mädchen zwischen 12 und 16 Jahren in Instrumenten-, Bandcoaching-, Songwriting und Technik-Workshops trainiert. Einen innovativen Vorbildcharakter stellt die Umsetzung eines Schrei-Workshops dar, der innerhalb der Jugendarbeit immer noch ein Unikum ist. Dabei hilft das Erlernen des „Shoutens“ nicht nur, von dem lieben bis frech angehauchten Gesang weiblicher Acts der Popwelt wegzukommen, sondern auch, „sich abzureagieren“ und Wut nach außen zu tragen. Alle Workshops wurden von weiblichen Coachs angeleitet, was zur Schaffung neuer weiblicher Vorbilder beiträgt.2

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Premierenfotos des Fürther Musicals Now & 4ever.

Ein weiterer positiver Faktor, der musikpädagogischen Projekten zugrunde liegt, ist der identitätsbildende Charakter. Besonders für Jugendliche mit Migrationshintergrund, die sich zwischen zwei oder mehr zgleichen Nenner bringen können, kann sich die aktive Beschäftigung mit Musik als sehr nützlich erweisen. Nicht grundlos spielt der Einsatz von HipHop in der Jugendarbeit eine wichtige Rolle. Als eine Jugendkultur, die ihren Ursprung im ärmsten New Yorker Viertel hat und Jugendlichen, die auf dem Abstellgleis standen, die Hoffnung gab, etwas sein zu können und Respekt zu erfahren, trägt HipHop auch heute noch diese Message nach außen. Als Folge von mangelnder Präsenz junger MigrantInnen in saarländischen Jugendzentren, die das Projekt culture-united3 als einen „zunehmende[n] Desintegrationsprozess […] bei Teilen der Migrantenjugendlichen“ erklärt, wurde das Projekt des Verbandes saarländischer Jugendzentren in Selbstverwaltung ins Leben gerufen, um dieser Tendenz entgegenzutreten und Jugendliche mit Migrationshintergrund verstärkt in die Selbstverwaltungsstrukturen einzubeziehen. Oft fehle den überwiegend selbstorganisierten Jugendzentren die Praxis zur gezielten Integration von Jugendlichen mit Migrationshintergrund, deren Lebenssituation häufig von „Ausgrenzungserfahrungen und sozialer Benachteiligung“ geprägt sei, so die Veranstalter. Die Aufgabe, die sich das Projekt gestellt und realisiert hat, ist die Vernetzung der 130 selbstverwalteten saarländischen Jugendzentren und der Einsatz von mobilen Beratungsteams, die die Arbeit unterstützen und bei eventuellen Konflikten vermitteln sollen. Ein niedrigschwelliges Beratungsangebot (Einzelfallberatung, Bewerbungstraining, Unterstützung bei Berufsfindung und Behördengängen) soll bei der Lösung von Alltagsproblemen behilflich sein. Durch kontinuierliche HipHop-Angebote erfahren Jugendliche, dass auch sie Teil einer selbstverwalteten Jugendeinrichtung sein können und „die Räumlichkeiten auch ‚ihre Räume‘ sind“. Die Einbringung von Musik in die Offene Jugendarbeit kann über verschiedene Projektkonzepte erfolgen. Die 111 an dem Wettbewerb des Archiv der Jugendkulturen teilnehmenden Projekte haben gezeigt, wie vielseitig musikpädagogische Projekte sein können: Bandwettbewerbe, Musik-CD-Produktionen, Jugend-Kultur-Tage und Musicals, die entweder als Großevents oder kleinere Vorhaben realisiert wurden, u. v. m.

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Premierenfotos des Fürther Musicals Now & 4ever.

Die Wahl der Projektform bringt bei der Arbeit mit Jugendlichen verschiedene Vor- und Nachteile mit sich, die es vor der Realisierung zu bedenken gilt. So ist die Ausrichtung eines Großevents mit einem langwierigen und kostenintensiven Organisationsaufwand verbunden, der möglicherweise nicht in einem angemessenen Verhältnis zu den eigentlichen Aktionstagen steht. Zu hinterfragen ist, welcher nachhaltige Input für die Teilnehmenden zu erwarten ist. Wie stark werden Jugendlichem durch das angestrebte Projektkonzept gefördert und nicht lediglich eine gewisse Zeit lang „bespaßt“.

Großevents haben kleineren Veranstaltungen gegenüber den Vorteil, dass sie kurzfristig zahlreiche junge Menschen in Aktion treten lassen, die nicht nur eine Plattform erhalten, um sich vor einem großen Publikum zu präsentieren, sondern mit anderen Gleichgesinnten zusammentreffen und sich austauschen können. Für die TeilnehmerInnen stellen Jugendkulturtage den Höhepunkt ihrer kreativen Vorbereitungen dar und die zielorientierte Vorbereitung einer Präsentation hat einen motivationsschaffenden Charakter. Die Aufführung der hart erarbeiteten künstlerisch-musikalischen Produktion erfordert viel Mut und hat positive Folgen für die Stärkung des Selbstbewusstseins. Der im Vorfeld abgewickelte Organisationsprozess bietet die Möglichkeit der Netzwerkknüpfung. Dem Forum Osnabrück für Kultur und Soziales e. V., das in einem 18 Monate langem Gesamtprojektzeitraum ein 16-tägiges Jugend-Kultur-Event ausrichtete, gelang mit seinem Projekt Jugend-Kultur-Tage4 eine stadtübergreifende Vernetzung von ca. 75 Projektpartnern und dadurch eine Mobilisierung von 4.000 BesucherInnen, von denen etwa 500 an den etwa 80 jugendkulturellen Angeboten teilnahmen. Besonders attraktiv gestaltete sich dieses Großevent durch die Einrichtung eines Jugendbeirats von etwa 20 Jugendlichen, der in die Planung involviert wurde. Andere Projekte, wie das KUS Soundproject des Kultur- und Sportvereins der Wiener Berufsschulen5 oder das Projekt offRock des Jugendamt Offenbach6 heben sich dadurch hervor, dass sie ihr jugendkulturelles Angebot nicht nur kurzzeitig, sondern das ganze Jahr über offerieren. Dies schafft Kontinuität und bildet somit einen zeitstrukturierenden Faktor für Jugendliche.

Das Projekt Resist to Exist – Zeltfestival ist unter die Leuchtturmprojekte vor allem deshalb gewählt worden, weil es jungen Menschen die volle Autonomie bei der Organisierung des dreitägigen Festivals gibt. Das alljährlich stattfindende Festival, das zunächst als ein kleines Projekt begann und sich mittlerweile zu einem unkommerziell ausgerichteten und dem DIY!7-Prinzip treu gebliebenen Großevent etabliert hat, beweist, welches Potential in jungen Menschen steckt, wenn ihnen verantwortungsbewusstes Handeln zugetraut wird.8

Eine traditionelle Methode der musikpädagogischen Jugendarbeit stellt die Durchführung von Bandwettbewerben dar. In einer Wettbewerbssituation wird ein starker Motivationsanreiz für Jugendliche geschaffen, sich als Band und MusikerIn zu profilieren. Dies kann positive, aber auch negative Aspekte mit sich bringen. Ein Bandwettbewerb schafft die Möglichkeit zu zeigen, was man kann. In einem gruppenorientierten working-out-Prozess gilt es, die Show vorzubereiten. Die eigenen Fähigkeiten am Instrument oder Mikrophon werden ausgebaut. Durch verschiedene Vorstellungen bezüglich der anstehenden Show, die gemeinsam ausdiskutiert werden müssen, wird der Meinungsbildungsprozess gefördert. Unterschiedliche Bildungshintergründe verlieren an Bedeutung, da nicht das schulische Wissen, sondern die musikalisch-künstlerische Fachkompetenz gefragt ist. Das Problematische an Konkurrenzsituationen ist allerdings, dass sie stark leistungsorientiert sind und manch ein/e TeilnehmerIn im Falle eines „Misserfolges“ enttäuscht zurückbleibt und unter Umständen sogar Versagerängste entwickeln könnte.

Auch die Produktion einer Musik-CD ist in der Offenen Jugendarbeit ein beliebtes Mittel, um Jugendlichen eine musikalische Ausdrucksform oder – meistens unter einer konkreten Themenvorgabe – die Möglichkeit zur Auseinandersetzung mit bestimmten gesellschaftlichen Problemfeldern zu geben. Der Vorteil von Musikaufnahmen ist der, dass sie „für die Nachwelt“ festgehalten werden können. Das erzeugte Endprodukt ist „greifbar“ und kann immer wieder herausgeholt und FreundInnen und Verwandten vorgespielt werden. Eine ausschließliche Ausrichtung eines Projektes auf die CD-Produktion schöpft allerdings nicht ausreichend die Möglichkeiten aus, die Musik in der Offenen Jugendarbeit bieten kann. Da bei vielen Projekten das (öffentlichkeitswirksame) Produkt, nicht der kreative Schaffensprozess im Mittelpunkt steht, kommt es in den seltensten Fällen zu einer Begegnung zwischen den teilnehmenden Musikgruppen und zu einem gemeinsamen Austausch. Eine Themenvorgabe bewirkt zwar die Entstehung von pädagogisch wertvollen musikalischen Endprodukten, doch was sich in der Innenwelt junger Menschen tatsächlich abspielt, bleibt verborgen, weil eine Diskussionsplattform fehlt. Die Vermutung, hier würden „Auftragsarbeiten“ geliefert, die nicht unbedingt mit den eigenen Ansichten der Jugendlichen zum Thema übereinstimmen, um eben veröffentlicht zu werden, liegt nahe und war bei mehreren der eingereichten CD-Projekte überdeutlich zu sehen bzw. zu hören.

Sinnvoll ist die CD-Produktion als Begleitmedium. Als eine eigenständige Projektform ist die CD-Produktion leider zu einseitig. Ungeachtet dessen konnte das CD-Projekt DEMOKRATIE! auf die Ohren des Julius-Leber-Haus in Essen die Jury vor allem durch den hohen partizipativen Anspruch und die Einbeziehung der Jugendlichen in den gesamten Produktions- und Entscheidungsprozess überzeugen.9 Der Grundgedanke, eine Antwort auf die rechtsextremgerichtete Schulhof-CD zu geben und selbst eine eigene CD zu produzieren, stellt eine aktive Form dar, rechtsextremem Gedankengut entgegenzutreten.

Die Verbindung von Musik mit Tanz und Theater zu einem Musical schafft für die TeilnehmerInnen einen Anreiz, sich mit allen drei Bereichen intensiv zu beschäftigen, und kann dabei helfen, Schwellenängste bezüglich einer der drei Medienformen abzubauen. Die Verbindung aller drei Elemente in einem Projekt begünstigt die Entstehung einer heterogenen Zielgruppe, da verschiedene Interessen von Jugendlichen bedient werden. Die sehr arbeitsintensive Vorbereitung eines Musicals erfordert viel Engagement, wodurch ein starkes Verantwortungsgefühl gegenüber der Gruppe entwickelt wird. Ein Musical bietet die Möglichkeit, eigene Lebenswelten zu reproduzieren. Die Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Gruppe nicht mit einem bereits vorgefertigten Drehbuch konfrontiert wird, sondern über Improvisationstraining ein von der Gruppe ausgehendes Drehbuch entsteht. Im Anschluss an das Training können in einem Diskussionsforum konkrete Vorschläge und Ideen gesammelt werden, die es auf einen Nenner zu bringen gilt. Schwierig gestaltet sich diese Arbeit bei Gruppen mit vielen TeilnehmerInnen. In solchen Fällen ist die Themenvorgabe oft unverzichtbar, damit der Arbeitsprozess voranschreiten kann. Das Fürther HipHop-Musical Now & 4ever konnte mittels einer großen Werbeaktion etwa 50 TeilnehmerInnen für das Projekt gewinnen. Es entstand ein Multikulti-Ensemble aus GymnasiastInnen, Real- und HauptschülerInnen und Auszubildenden, die in regelmäßigen Proben und Coachings das Musical realisierten. Die TeilnehmerInnen erarbeiteten mit der Unterstützung von professionellen KünstlerInnen selbständig Choreographien und Musikstücke. Aufgrund der großen TeilnehmerInnenzahl war die Vorgabe eines Grundgerüsts für das Drehbuch notwendig. Das Projekt sah sich darüber hinaus mit den üblichen Problemen von Großevents wie der Finanzierung und dem hohen Arbeitsaufwand konfrontiert.10

Musik in der Offenen Jugendarbeit bietet viele Möglichkeiten, Jugendliche auf verschiedenen Ebenen zu fördern und zu stärken. Neben der Ausbildung praktischer Fähigkeiten werden durch eine gruppenorientierte musikalische Zusammenarbeit soziale Kompetenzen ausgebaut. Die Begegnung mit anderen Jugendlichen, mit denen über das Medium Musik eine gemeinsame Sprache gesprochen wird, hilft, sich für Unbekanntes zu öffnen, Respekt zu vermitteln und Respekt zu erfahren. Da Musik einen hohen Stellenwert für junge Menschen hat, zeichnen sich musikorientierte Projekte durch einen hohen Attraktivitätsfaktor aus. Die in diesem Buch vorgestellten Projekte zeigen, dass in Jugendlichen, aber auch SozialarbeiterInnen, unheimlich viel Potential steckt und dass eine aktive Beschäftigung mit Musik einen positiven Einfluss auf die Entwicklung von Jugendlichen hat.

Edyta Kopitzki, Jahrgang 1981, wurde in Warschau geboren und lebt seit 1989 in Berlin. Mit 16 begann sie ihre ersten Banderfahrungen zu sammeln und spielt seitdem – zunächst als Schlagzeugerin und dann als Sängerin/Shouterin – in mehreren Bands in Berlin und Italien. Bereits als Jugendliche begann sie, ehrenamtlich Kindergruppen in Kreuzberger Jugendeinrichtungen zu betreuen. Nach dem Abitur absolvierte sie in Italien einen Freiwilligendienst und arbeitete an der Realisierung von internationalen Austauschprojekten sowie lokalen Musikfestivals mit. Seit 2007 ist sie bei dem Projekt Culture on the Road als Referentin für den Bereich Mädchen in Jugendkulturen und als politische Bildnerin mit den Schwerpunkten Diskriminierungsprävention, emanzipatorische Jugendarbeit und female Empowerment tätig

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Edyta Kopitzki

1. Siehe den Beitrag in diesem Band ab S. 24

4. Die dritten Jugend-Kultur-Tage finden vom 5.-27. Oktober 2012 statt; siehe: www.Jugend-kultur-tage.de.

5. „Das KUS-soundproject versteht sich als Musikplattform für rund 20.000 Wiener BerufsschülerInnen und umfasst zahlreiche unterschiedliche Angebote zur Förderung und Unterstützung musischer Fähigkeiten und Interessen.” Siehe www.kusonline.at/de

6. Siehe den Beitrag in diesem Band zu „Bridges” ab S. 24

7. Do It Yourself!

8.