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Nr. 1567

 

Die Auserwählten

 

Friedensstifter unterwegs – ihre Politik ist der Neubeginn

 

Robert Feldhoff

 

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Den ehemaligen Zellaktivatorträgern läuft die Zeit davon. Während sie Mitte 1171 NGZ davon ausgehen konnten, aufgrund der ihnen durch ES gewährten Zelldusche noch eine Lebensspanne von rund sechs Jahrzehnten zur Verfügung zu haben, wissen sie jetzt, zu Beginn des Jahres 1173, dass die Uhren der Superintelligenz anders gehen. Jedenfalls hat sich die ihnen zugestandene Gnadenfrist drastisch verringert.

Sollen ihre aufopfernden Bemühungen, den Aufenthaltsort von ES und seiner Kunstwelt zu bestimmen, umsonst gewesen sein? Die ehemaligen Unsterblichen und ihre Helfer wollen es nicht glauben. Sie setzen auch weiterhin alles daran, Wege zu finden, der gestörten Superintelligenz zu helfen, um auf diese Weise letztlich sich selbst zu helfen.

In gewissem Zusammenhang damit stehen auch die Recherchen Reginald Bulls und anderer, die ihre von ES zurückgeforderten Zellaktivatoren nun im Besitz von 14 linguidischen Friedensstiftern wissen. Sie, die neuen Favoriten der Superintelligenz, genießen förmlich ihre neue Rolle. Sie widmen sich mit großem Eifer der galaktischen Politik und beginnen eine neue Ordnung zu propagieren.

Sie sehen sich als DIE AUSERWÄHLTEN ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Hagea Scoffy – Eine Friedensstifterin bleibt sich treu.

Bransor Manella – Ein neuer Aktivatorträger.

Bury Comansor – Ein Friedensstifter verliert seine Fähigkeiten.

Reginald Bull – Der Terraner auf »Linguidenjagd«.

Tallaron – Thort der Ferronen.

1.

 

»Du bist erst sechs Jahre alt«, sagte Bluda bewundernd. »Aber ich habe nie Kinder oder Erwachsene erlebt, die einen so starken Willen haben wie du. Wärst du nur nicht so faul und widerspenstig!«

Hagea sah nur zu deutlich das aufkeimende Misstrauen in den Augen ihrer Mutter. Oder vielleicht war Misstrauen das falsche Wort, denn ihre Eltern misstrauten ihr nicht. Vielmehr musste es Hoffnung heißen. Hoffnung vermischt mit etwas anderem, das sie nicht genau zu deuten wusste.

Und es geschah selten, dass Hagea sich in dieser Hinsicht, hilflos fühlte. Die Welt der Bedeutungen war so vertraut wie nichts anderes für sie. Manchmal konnte sie minutenlang in eine einzige Geste ein einziges Wort eintauchen, bis sie jede Nuance, jede Schattierung auf den Gehalt reduziert hatte.

In diesem Fall jedoch brachte das alles nichts. Vielleicht war sie zu nervös. Hagea fürchtete sich, ohne überhaupt den Grund zu kennen, rein instinktiv und mit der vollkommenen Sicherheit eines Kindes.

»Also muss ich nicht in die Schule?«, fragte sie.

»Leider doch.«

Hagea ballte die kleinen Hände zu Fäusten. Ihr braunes Gesichtshaar sträubte sich, in den Augen sammelten sich Tränen der Wut. »Ich will nicht, Bluda! Ich will nicht!«

Sie riss sich zusammen, wurde mit einem Mal ganz ruhig. »Hör zu, Mutter ... Du willst doch nur das Beste für mich, oder? Doch ich bin es ja über die hier entschieden wird. Deswegen meine ich, du darfst mich nicht gegen meinen Willen zu etwas zwingen. Nicht, wenn du nicht genau weißt, dass es zu meinem Besten ist.«

Sie legte alle Macht der Überzeugung in ihre Worte. Hagea redete nicht nur mit der Stimme, sondern auch ihre Hände, der Rücken und die Augen beteiligten sich in einer kaum merklichen Weise. »Bitte, Bluda ...«

Einschmeichelnd klang das, wie die Stimme eines Opfers. Bluda würde zuerst Mitleid bekommen. Anschließend brauchte sie eine Legitimation, anders zu entscheiden als noch vor ein paar Minuten – und die lieferte Hagea ihr mit den Argumenten.

Die Kleine verstummte. Sie hatte alle Möglichkeiten ausgeschöpft.

Wieder sah sie in die Augen ihrer Mutter, und wieder erkannte sie jenen sonderbaren Schimmer. Diesmal sah sie, dass es Verzweiflung war.

Mit nervösen Fingern fuhr sich Bluda durch das gelb gefärbte und kunstvoll geflochtene Gesichtshaar. »Schluss, Hagea. Ich erkenne sehr wohl die Macht der Zeichen in deinen Worten. Aber vergiss nicht, dass ich selbst begabt bin. Mich stimmst du nicht um. Du wirst in die Schule gehen. Und wenn es nur für einen Tag ist.«

Die Entscheidung war endgültig. Hagea erkannte es so deutlich, dass es keiner weiteren Erklärung mehr bedurfte. »Wann?«, fragte sie leise.

»In acht Tagen. Dann kommt von weit her ein besonderer Lehrer in die Schule. Sein Name ist Bury Comansor. Willst du wissen, wer das ist?«

»Nein!«

»Nun gut. Er wird mit dir reden. Und wenn du dann noch immer stur bleibst, dann hast du gewonnen. Vielleicht hilft es dir zu wissen, dass es vielen Kindern so geht wie dir. Die, die am begabtesten sind, fürchten am meisten den Verlust ihrer Freiheit.«

Nun weinte Hagea aus Kummer. Sie wusste, dass ihre Mutter fast eine Schlichterin geworden wäre. Vor vielen Jahren, mit so vielen Hoffnungen und mit so viel Enttäuschung, als sie an ihrem großen Ziel gescheitert war. Nein, Bluda konnte man wirklich nicht mehr umstimmen. Wenn sie es doch nur mit Vater zu tun gehabt hätte, aber Aerton war keiner, der in ihrer Lebensgemeinschaft die Entscheidungen allein traf.

»Ach Hagea!«

Bluda setzte sich zu ihr auf die Bank. Einen Arm legte die Linguidin um ihre Schultern, mit einem Zipfel ihres Ärmels trocknete sie sanft Hageas Tränen.

»Du musst nicht denken, Kleine, dass ich dich nicht liebe. Ich liebe dich mehr als fast alles im Universum.«

»Das glaube ich nicht«, erwiderte sie mit gesenktem Kopf. »Du hast mir gesagt, alles im Universum sei gleich viel wert.«

»So sprechen die Meister. Aber wir Linguiden sind der reinen Lehre nicht immer gewachsen. Wir sind nicht perfekt, wir begehen Fehler über Fehler. Deshalb brauchen wir ja die Schlichter und Friedensstifter. Sie sind die Klammern, die unser Volk zusammenhalten. Du könntest einmal eine solche Klammer werden, Hagea. Ich spüre das mit jeder Faser. Dein Talent ist so groß, so stark ...«

So mächtig.

Hagea erwartete fast, aus dem Mund ihrer Mutter diese Worte zu hören, doch Bluda hielt rechtzeitig inne. Sie war zu klug, sich zu einer Dummheit hinreißen zu lassen. Macht war nichts was für Linguiden zählte.

»Du bist eine Persönlichkeit«, sagte Bluda stattdessen. »Niemand kann dich zwingen, deinem Volk zu dienen. Aber wenn du das Talent hast, haben wir ein Anrecht auf dich. So ist es immer unsere Philosophie gewesen.«

»Und wenn ich mich trotzdem verweigere?«

»Dann wird dir niemand böse sein.«

»Auch du nicht?« Hagea schaute ins Gesicht ihrer Mutter und sah die Qual, die das Gespräch aufgewühlt hatte.

»Nein. Wie auch immer deine Entscheidung ausfällt, meine ganze Liebe gehört dir. Aber entscheide nicht, ohne zu wissen, worüber du entscheidest. Das nämlich ist noch lange nicht der Fall, glaube mir!«

»Du hast so viel geredet.«

»Ich habe nie den Kern getroffen.«

Hagea war nicht überzeugt. Doch sie wusste jetzt, dass sie schon Bluda zuliebe in diese Sprachschule gehen musste. Sie sah jetzt, wie wichtig dieser eine Tag ihrer Mutter war: wichtiger als das eigene Leben. Hagea hatte ihr immer vertraut. Und Bluda ihrerseits wusste, dass das von diesem Tag an nie wieder so der Fall sein würde. Trotzdem hatte sie ihre Tochter gezwungen.

»Ich werde gehen«, murmelte Hagea.

Bluda atmete auf. »Du sollst ja nur begreifen, was du tust. Bury Comansor wird es dir erklären. Er ist ein kluger Mann.«

Hagea sah, dass ihre Mutter etwas verheimlichte, was ihr geradezu unter den Nägeln brannte.

Aber sie fragte nicht mehr nach.

 

*

 

Hagea war mit Abstand die Dickste der Familie.

Manchmal kämpfte sie tagelang mit unwiderstehlichem Fresstrieb – wobei sie noch jedes Mal verloren hatte. In solchen Stunden der Niederlage ging sie oft in den Fruchtwald an den Hügeln. Sie stopfte sich dann voll, bis der Magen zu schmerzen anfing, und wenn sie mit schmierigem, verklebtem Gesichtshaar wiederkam, wussten alle Bescheid. Solche Augenblicke hatte sie oft erlebt. Mutters Lachen, Vaters Hand, die zärtlich über ihren Kopf strich, dazu Neidos verständnislose Blicke.

Auch war sie in der Familie die Einzige, die wirklich Sinn für Humor hatte. Hagea konnte gespannte Situationen jederzeit mit einem Scherz entkrampfen. Trotz ihrer jungen Jahre hatte sie das Talent zu einer beliebig einsetzbaren Tugend entwickelt.

Acht Tage ...

Die Wartezeit verkürzte sie mit um so mehr Scherzen, als ihre innerliche Panik wuchs. Bluda und Vater Aerton hatten helle Freude an ihr, auch wenn Bluda sicher ahnte, was wirklich vorging.

Nur ihre Schwester Neido ging Hagea aus dem Weg. Sie ertrug die lärmende Fröhlichkeit nicht.

Neido war so spindeldürr, wie Hagea dick war. Mit zwölf Jahren gehörte sie schon zu den besten Erntearbeiterinnen, doch ihre wahren Fähigkeiten lagen auf technischem Gebiet. Wenige Kilometer von der Inselgruppe Dauho-Mano entfernt stand auf einem kleinen Atoll die Techno-Schule, die sie besuchte. Dort konnte man alles über Raumschiffe, Computer und Organisation lernen.

Hagea wusste, dass Neido eine gute Schülerin war. Doch sie hatte keinen Ehrgeiz, der erfolgreichen Schwester nachzufolgen. Sie war zufrieden, so, wie die Dinge lagen. Wenn sie Lust hatte, tollte sie an den Klippen oder am Blaustrand nördlich vom Haus, an anderen Tagen half sie Bluda und Aerton bei der Ernte. Sie musste ihre Zeit nicht mit Technik verplempern.

Bis auf eine Ausnahme – und die hasste sie manchmal geradezu.

In ihrem Zimmer stand der Lehrer. Es war Pflicht, sich zwei Stunden am Tag mit dieser Maschine zu beschäftigen. Über den Bildschirm hatte sie viel über die Welten der Linguiden gelernt. Hagea interessierte sich sehr für alles, was fremd war, aber niemals genug, um je von Dauho fortzugehen.

Das nämlich war es, was sie insgeheim sehr fürchtete.

Doch so schlimm, dachte sie, würde es schon nicht werden.

Wie war sie nur darauf gekommen, sich mit derart heftigem Einsatz zu verweigern? Vielleicht lag es an den vielen Geschichten, die man als Kind zu hören bekam. Wann immer es Streit und Schwierigkeiten gab, riefen die Linguiden die Schlichter an. Aller Ärger entlud sich an diesen Männern und Frauen. Sie aber wollte ein unbeschwertes Leben führen. Es reichte ihr völlig, eine Bäuerin zu sein. Sie wollte nicht das werden, woran Bluda fast zerbrochen wäre. Und sie wollte keine Vagabundin sein, die keine echte Heimat hatte – die immer dort leben musste, wo man sie am nötigsten brauchte.

Inzwischen hatte Hagea eingesehen, dass sie einen großen Teil der Schuld selbst trug. Bluda hatte ja gesagt, sie müsste nicht bleiben, nicht länger als einen Tag. Dass die Entscheidung bei ihr liege. Ihr Trotz hatte immer mehr Zwang herausgefordert, und das Ganze hatte sich aufgeschaukelt. Hagea hatte diesen Mechanismus nie vorher erlebt, weil sie, Mutter, Vater und Neido alle Entscheidungen immer gemeinsam getroffen hatten. Es gab nichts, was wichtiger als ihre Einigkeit war.

Jedenfalls hatte es das bis heute nicht gegeben.

Und nun?

Zum ersten Mal begriff sie wirklich, wozu Schlichter oder Schlichterinnen gut waren. Hagea wünschte, Bluda wäre eine geworden. Dann nämlich wäre das Vertrauen noch immer da.

»Einsteigen, Hagea!«

Sie hatte auf dem bewachsenen Dach ihres Hauses gesessen und zum Meer hingestarrt. Der Blaustrand lag um diese Zeit noch verlassen da. Erst später würde der von der Flut geglättete Sand mit Fußspuren übersät sein.

Dies war eine kleine Insel. Gemeinsam mit etwa tausend anderen bildete sie Dauho-Mano, das Besiedlungszentrum des Planeten. Es gab erst seit sechzig Jahren Linguiden auf Dauho. Ein Großteil des Wasserplaneten war unerforscht. Zehntausende von Inseln hatte nie einer von ihnen betreten.

Das allerdings war es auch nicht, wonach die Siedler strebten. Für sie war es wichtig, im Einklang mit der Natur zu leben. So wurde in geringem Umfang Fischfang betrieben, und die Erträge deckten etwa zwanzig Prozent des täglichen Nahrungsbedarfs. Der Rest stammte aus der Landwirtschaft. Diese bestand hauptsächlich aus kleinen und kleinsten Gärten. Jedes Haus bewirtschaftete mindestens ein Dutzend davon, und zur Erntezeit bildeten sämtliche Linguiden der Nachbarschaft eine gut organisierte Mannschaft.

»Hagea!«

Sie strich mit den Fingern durch das hohe Gras, das auf dem Dach ihres Hauses die Erdkrumen festhielt. Widerwillig erhob sie sich.

Von oben brannte die rötlich gelbe Sonne. Es war Sommer über diesem Teil der Inselwelt, die heißeste Jahreszeit, in der die Siedler ihre Gärten fast nicht bewirtschaften mussten. In dieser Zeit wurde die erste Frühlingsernte konserviert; die Leute trafen sich und redeten miteinander, besuchten die Schulen, fingen Fische.

Und sie war auf dem Weg in die Sprachschule.

Hagea lief über die Dachschräge hinunter, anschließend um die Ecke zum Strand hin. Dort stand der Gleiter der Familie. Neido saß schon auf dem Pilotensitz, während Bluda und Aerton hinten Platz genommen hatten.

»Na also, Kleine!«, rief Vater. Er winkte sie heran, strich durch das offene Fenster mit einer Hand über ihren Kopf, dann ließ er Hagea auf den freien Vordersitz klettern.

In ihrem Magen saß plötzlich ein dicker Kloß.

Mit leisem Summen erhob sich der Gleiter.

»Es ist nicht weit entfernt«, erklärte Bluda von hinten. »Knapp hundert Kilometer, am Rand der Dauho-Mano-Inseln. Neido kennt den Kurs.«

Ihre Schwester ließ den Gleiter auf einen Kilometer Höhe steigen. Mit hoher Geschwindigkeit näherten sie sich dem Ziel. Unten blieb die kleine Insel zurück. Dafür tauchten am Rand des Blickfelds immer neue Riffe, Atollgrüppchen und dünn besiedelte Flecken auf. Das Meer schimmerte in hellgrüner Farbe, darüber spannte sich ein fahler, bräunlicher Himmel. Und die Sonne schickte wie ein brennender Fleck ihre Strahlen auf Dauho herunter.

Eine halbe Stunde später ließ Neido den Gleiter absacken.

»Dahinten ist es«, sagte sie.

Ihre ältere Schwester warf Hagea einen strengen Blick zu.

Sie achtete jetzt nicht darauf. Stattdessen hing ihr Blick wie gefesselt an den Erhebungen dort unten. Ein zwei Kilometer durchmessendes, kurz unter der Wasseroberfläche gelegenes Riff umgab die Inseln. Die eine war kaum bewachsen, völlig leer. Die andere sah dagegen aus wie ein blühendes Paradies, wo sich zehn Gebäude in ein Geflecht aus Bäumen, Grünflächen und Wegen fügten.

Binnen zwei Minuten war das Fahrzeug gelandet. Neido hatte bewusst einen etwas abgelegenen Platz am Ufer angesteuert.

Hagea stieg gemeinsam mit den anderen aus dem Gleiter. Mit einem Mal war das schreckliche Gefühl in ihr verschwunden. Erstmals seit Tagen atmete sie wirklich erleichtert durch.

»Auf Wiedersehen, Kleine.«

Bluda nahm sie kurz in die Arme und drückte sie zärtlich. Aerton strich ihr durchs Haar, und Neido ließ nur einen missbilligenden Laut hören.

»Sobald man uns ruft, holen wir dich zurück, in Ordnung?«

»Ja«, antwortete sie. »Aber wie finde ich diesen ...«

»Bury Comansor?«, fragte Bluda.

»Ja. Ich hatte den Namen vergessen.«

»Ich bin sicher, dass du ihn nicht verfehlen kannst. Alle Wege führen heute zu ihm.«

Hagea spürte, dass Bluda ihr diese Worte nicht erklären würde. Deshalb ließ sie die anderen ohne ein weiteres Wort einsteigen und verfolgte nur noch ungeduldig den Start des Gleiters. Bald war der silbrige Reflex am Horizont verschwunden.

Jetzt endlich wandte sie sich der Insel zu. Hier also stand die Sprachschule. Vom Strand aus war ihr jeder Blick auf die Gebäude verwehrt, aber hundert Meter weiter rechts endete ein gepflasterter Weg. Von dort aus verliefen sich Fußspuren irgendwo im Sand. Zu sehen jedoch war keine Seele.

Hagea überwand ihre Starre. Sie presste die Lippen zusammen, ging in Richtung Weg und folgte dem Pflaster inseleinwärts. In der Luft hingen schwere Blütendüfte. Und dahinten kam der erste Linguide.

»Ich bin fremd!«, rief sie. »Bitte, warte! Ich kenne den Weg nicht!«

Aber der andere lächelte nur freundlich und ging weiter. Hagea drehte sich verblüfft um und starrte ihm hinterher. So war sie noch nie behandelt worden. Notgedrungen folgte sie weiterhin dem Weg. An jeder der zahlreichen Abzweigungen wandte sich die junge Linguidin weiter in Richtung Inselmitte, und bald hatte sie die bevölkerten Zonen erreicht.

Im Schatten weit ausladender Bäume saßen zu Dutzenden Leute – doch sie war außerstande, Schüler und Meister auseinander zu halten. Hagea fragte erneut nach dem Weg zu Bury Comansor, und erneut ließ man sie ohne Antwort stehen.

Wie hatte Bluda gesagt?

Ich bin sicher, dass du ihn nicht verfehlen kannst. Alle Wege führen heute zu ihm.

Ihre Mutter hatte genau dies vorausgesehen.

Kurz entschlossen lief Hagea einfach weiter durch die Ansammlung von Gebäuden und Wegen. Nach einer Weile kam sie an eine Lichtung, die fast verlassen dalag. Hier herrschte besondere Stille. Kein einziger Linguide benutzte den Weg, der über die Lichtung führte. Und das, erkannte sie, obwohl viele Personen ringsum so einen Zeitverlust in Kauf nahmen.

Es schien fast, als mieden sie die Lichtung.

Nur für zwei Leute galt das nicht. Beide saßen auf einem umgestürzten Stamm im Schatten einer Buschgruppe. Da große Hitze herrschte, hatten sie die Oberteile ihrer Kleidung abgelegt. Einer der zwei war jung, ungefähr in Hageas Alter, der andere musste zwischen dreißig und vierzig Jahre alt sein.

Mit plötzlicher Sicherheit näherte sie sich den beiden. Und zum ersten Mal auf dieser Insel konnte sie Interesse sehen.

»Mein Name ist Hagea Scoffy«, sagte sie. »Und einer von euch muss Bury Comansor sein.«

»Das bin ich«, sagte der Ältere von beiden. »Mein junger Begleiter heißt Bransor Manella. Wir freuen uns, dass du hergekommen bist.«

Als Hagea seine Stimme hörte, die unglaubliche Kraft