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Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Oktober 2012

Copyright © 2012 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

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Lektorat Julia Kaufhold

Umschlaggestaltung ZERO Werbeagentur, München

(Abbildung: mauritius images; FinePic, München)

Schrift DejaVu Copyright © 2003 by Bitstream, Inc. All Rights Reserved. Bitstream Vera is a trademark of Bitstream, Inc.

ISBN Printausgabe 978-3-499-62839-9 (1. Auflage 2012)

ISBN E-Book 978-3-644-47541-0

www.rowohlt.de

ISBN 978-3-644-47541-0

Fußnoten

Quelle: Helfried Spitra (Hrsg.): Die großen Kriminalfälle. Der St. Pauli-Killer, der Ausbrecherkönig und neun weitere berühmte Verbrechen, Frankfurt am Main 2004.

Friedrichskoog, eine 2500-Einwohner-Gemeinde im Südwesten des Landkreises Dithmarschen in Schleswig-Holstein – das war der Ort, an dem ich meine Kindheit und Jugend verlebte. Die fünfziger und sechziger Jahre prägten mich: Es war die Zeit des Wirtschaftswunders. Geboren 1947 in Kiel, war ich ein Opfer der Nachkriegswirren: Meine Mutter, eine Kriegswitwe, gab mich zur Adoption frei, sodass ich bei meinen Adoptiveltern in der Marschlandschaft Süddithmarschens aufwuchs.

In Friedrichskoog gab es kleinere Handwerksbetriebe, prägend waren die Landwirtschaft und vor allem der Fischfang. Im Hafen lagen seinerzeit etwa achtzig Kutter, die hauptsächlich Plattfische und Garnelen fingen. Wir waren das, was man heute typische Landeier nennen würde: Wir spielten Cowboy und Indianer am Nordseedeich, waren viel an der frischen Luft und träumten von dem, was wir uns unter Stadtleben vorstellten.

Heute würde man unsere damalige Welt als heil und idyllisch bezeichnen. Wir wuchsen wohlbehütet auf, weil es keine Verführer gab wie in den Großstädten: keinen Rock ’n’ Roll, kaum Kneipen, Tanzbars, Kinos. Und deshalb empfanden wir Kinder diese Idylle hinterm Deich auch als langweilig.

Die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung im Dorf waren stark eingeschränkt. Viele meiner Freunde waren gute Sportler, spielten Fußball, vor allem nachdem Deutschland 1954 Weltmeister geworden war und der Rasensport unter den Jungen sehr populär wurde. Doch ich hatte dazu wenig Lust, früh merkte ich, dass ich zum Leistungssportler nicht geboren war.

Wir hatten zu Hause keinen eigenen Fernseher. Bei einem Schulfreund, er heißt Wolfgang Preiß und betreibt heute noch

Wenn ich in dieser Zeit ins Bett geschickt wurde, hieß es von meiner Mutter zumeist streng: «In zehn Minuten machst du das Licht aus! Keine Widerrede!», denn ich sollte ja am nächsten Morgen ausgeschlafen zur Schule gehen. Doch das beherzigte ich so gut wie nie, zog mir vielmehr die Bettdecke über den Kopf und las mit der Taschenlampe meine Karl-May-Bücher, bis mir vor Müdigkeit die Augen zufielen.

Neugierig machte mich auch die Tagespresse, ich verschlang sie wissbegierig. Sehr gut erinnere ich mich, als ich 1957 in der Zeitung vom Untergang des Segelschulschiffes Pamir las, damals war ich zehn. Das war bundesweit eine große Geschichte, die natürlich in den küstennahen Regionen für noch größere Aufregung sorgte, schließlich fuhren viele Familienangehörige von Dorfbewohnern zur See. Die Zeilen und Fotos sehe ich immer noch vor mir.

 

In den frühen sechziger Jahren, der Beatles-Rausch hatte auch unser Dorf erreicht, zog ich mit meinem Kofferradio in der Hand zusammen mit Freunden durchs Dorf in Richtung Hafen. Es gab eine alte Kneipe, in der eine uralte Gastwirtin mit Kittelschürze hinter dem Tresen saß, wir nannten sie Tante Anna. Sie war seit Jahren verwitwet, ihr Mann war lange zur See gefahren. Tante

Einmal sah ich, wie der sturzbetrunkene Fischerssohn Hermann den Kronkorken einer Astra-Knolle mit den Schneidezähnen vom Flaschenhals reißen wollte. Es gelang ihm tatsächlich. Er spuckte den Korken aus, und dieser fiel vor ihm auf den Fußboden, dahinter noch ein kleines gelbliches Teil. Es war einer der vorderen, oberen Schneidezähne, der glatt abgebrochen war. Hermann lachte und riss den Mund dabei weit auf. Die Zahnlücke war so groß, dass er durch sie einen Pfeifenstiel hätte schieben können.

Tante Anna fand das gar nicht lustig, erhob sich von ihrem Stuhl hinter dem Tresen, stapfte, die Arme in die Hüfte gestemmt, auf ihn zu und beschimpfte ihn: «Du hast sie doch nicht mehr alle beisammen, du oller Suffkopp, so eine Sauerei! Du gehst mal schön nach Hause und lass dich hier nur nicht wieder blicken!»

Hermann verließ kommentarlos die Kneipe, gesenkten Hauptes und mit wankendem Schritt. Zu zahlen brauchte er nicht mehr, Tante Anna kassierte immer sofort die Flaschen, sie kosteten eine Mark. Einige Wochen ließ sich Hermann in der Kneipe nicht mehr sehen. Für mehrere Tage war das unser Dorfgespräch, mehr passierte hinterm Deich nicht.

Wollte man als Jugendlicher etwas wirklich Spannendes unternehmen, musste man sich jemanden suchen, der ein Auto hatte, und dann kilometerweit fahren. Die nächsten Städte waren Brunsbüttel, Itzehoe und Rendsburg. Doch in Wahrheit waren auch das Provinznester.

Wir hatten Sehnsucht nach der großen weiten Welt. Wir wollten Mädchen kennenlernen, die wie Marilyn Monroe oder Anita Ekberg aussahen, wollten Rock ’n’ Roll tanzen und Konzerte besuchen. Bei uns im Dorf gab es zwei unter den gleichaltrigen Mädchen, die ich gern zur Freundin gehabt hätte. Sie hie

Nein, das war nicht meine Welt. Ich nahm wahr, dass man im Dorf auf Schritt und Tritt beobachtet wurde. Über Jahrzehnte heirateten die Bewohner den Partner aus der Nachbarschaft, zwei oder drei Häuser entfernt. Ich befürchtete, in der Provinzialität zu versauern. Ich spürte einen ungestillten Hunger und eine Neugier auf die Welt da draußen. Was nicht bedeutete, dass ich die behütete Umgebung im Schutz der Deiche nicht liebte. Sehr wohl konnte ich mir vorstellen, eines Tages hierhin zurückzukehren, denn ich fühlte mich am Wasser wohl und hatte ein vertrautes Gefühl zu unserem Dorf.

 

1966 schloss ich 19-jährig eine kaufmännische Lehre zum Buchhalter in einer Mercedes-Benz-Niederlassung in Heide ab. Ich träumte von einer Karriere in einer neu gegründeten Mercedes-Niederlassung in Argentinien, wo mich der kaufmännische Bereich reizte, auch wenn ich kein Spanisch sprach. Doch es bahnte sich eine Karriere in der Provinz an, bis ich ein Schreiben von der Bundeswehr bekam – die Einladung zur Musterung. Zwar bot sich mir hier erstmals die Chance, andere Regionen Deutschlands kennenzulernen, doch ich hatte kein gutes Gefühl dabei. Einundzwanzig Jahre nach Kriegsende war mir die Institution noch immer zu autoritär, zu preußisch und noch nicht so demokratisch, wie sie heute ist. Es gab nur Befehl und Gehorsam.

So entschied ich mich, für zwei Jahre als Polizist zu arbeiten, weil diese Zeit als Wehrdienstersatz angerechnet werden würde

Der Einstellungstest bei der Hamburger Polizei verlief positiv. Hamburg hatte ich als Kind kennengelernt, im Stadtteil Barmbek wohnten die Eltern meines Adoptivvaters, meine Großeltern also, wo ich häufig zu Besuch war. Hamburg war zwar nicht Buenos Aires, doch mich reizte die größte Hafenstadt Deutschlands sehr.

Am 4. April 1966 begann ich meinen Dienst bei der Polizei. Wir Neulinge waren drei Lehreinheiten – Klassen – zugeordnet, jede Einheit war dreißig Mann stark. In meiner Klasse waren die einzigen sechs Frauen unseres Einstellungsjahrganges – ein Novum: Bis zu diesem Zeitpunkt gab es ausschließlich männliche Polizisten. Die Frauen wurden für den Dienstzweig «Weibliche Schutzpolizei» ausgebildet, ohne jedoch Waffenträgerinnen zu sein. Sie hatten sich ausschließlich um Kinder und Jugendliche zu kümmern. Ich war froh, nicht allein unter Kerlen zu sein, das lockerte die Stimmung auf. Natürlich begutachteten wir die Frauen ausgiebig, fanden aber schnell heraus, dass der Flirtfaktor nicht sonderlich hoch war. Sie waren weit über dreißig und für uns damit alte Schachteln.

Mein Opa, bei dem ich in Hamburg-Barmbek zunächst untergekommen war, fuhr mich am Einstellungstag mit seiner Vespa nach Hamburg-Alsterdorf in die Carl-Cohn-Straße 39, dort befand sich die Polizeischule. In der Tasche hatte ich meinen Kaufmannsgehilfenbrief von Mercedes-Benz. Mit meinem Koffer in der Hand meldete ich mich schüchtern beim Torposten.

«Guten Morgen, ich heiße Waldemar Paulsen und fange heute meine Ausbildung bei der Polizei an», spulte ich brav herunter und händigte ihm mein Einladungsschreiben zum Polizeianwärter aus. Ein paar Schritte nach links um die Ecke, und ich war in meiner Unterkunft, wo sich heute das Kriminalmuseum befindet.

Das Gebäude ist dreistöckig wie die anderen beiden auf dem Gelände. Im Parterre und in den beiden Obergeschossen befanden sich die Unterkünfte der Lehreinheiten. Meine Lehreinheit war in der zweiten Etage einquartiert. Die Stuben hatten

Wir teilten uns zu dritt ein Zimmer. Bereits nach kurzer Zeit sagte einer: «Paulsen? Für uns bist du Pauli.»

Ich hatte einen neuen Spitznamen, bis heute bin ich ihn nicht losgeworden. Ehrlich gesagt, gefällt er mir auch ganz gut – besser als Waldi, Paulus oder andere Abwandlungen meines Namens. Und ich mochte Pauli auch lieber als Rotfuchs, wie ich später auf dem Kiez genannt wurde, in Anspielung auf meine rotblonden Haare. Vermutlich war mit Pauli mein Schicksal vorgezeichnet: Ich konnte nur in einem einzigen Hamburger Stadtteil landen – alles andere hätte keinen Sinn ergeben.

 

Zu einer ersten Herausforderung wurde für mich ein Besuch in der Pathologie des Instituts für Rechtsmedizin. Der Sektionssaal hatte Ähnlichkeit mit einem Operationssaal in Krankenhäusern. Der Fußboden und die Wände waren weiß gefliest, von der Decke leuchteten helle Neonröhren den Raum aus. Die Sektionstische waren aus Edelstahl und höher als normale Tische, sodass der Pathologe und seine Mitarbeiter bequem im Stehen daran arbeiten konnten. Man hatte uns geraten, ein mit Aftershave oder Parfüm getränktes Taschentuch unter die Nase zu halten, um zu verhindern, dass uns übel wurde. Trotzdem war der Leichengeruch überall, er setzte sich in Haaren, Mund und Nase fest.

«Meine Damen und Herren», mahnte der Pathologe, «aus Pietätsgründen bitte ich Sie, während der Sektion keine Witze oder anzügliche Bemerkungen zu machen.»

Wir waren jung, die Atmosphäre war irgendwie gespenstisch.

Die Leiche auf dem Obduktionstisch war männlich und im Alter von siebenundsechzig Jahren verstorben. Als man ihn fand, ließ sich kein zuständiger Hausarzt ermitteln. Kein Mediziner war bereit, einen Totenschein auszustellen und damit zu bescheinigen, dass der Mann eines natürlichen Todes gestorben war.

Der Pathologe machte mit seinem Skalpell zuerst den Y-Schnitt. Zwei Schnitte führten von den Schlüsselbeinen bis zum Brustbein und von dort senkrecht hinab zum Schambein. Dann wurde der Brustkorb aufgeklappt, mit einer Zange wurden die Rippen durchtrennt und anschließend die Organe aus der Brust- und Bauchhöhle entnommen. Herz, Lunge und Magen wurden dann zur Feststellung der Todesursache von dem Rechtsmediziner begutachtet.

«Ich lege jetzt die Schädeldecke frei …», kündigte der Pathologe an und durchtrennte mit einem kleinen elektrischen Winkelschleifer, einer sogenannten Flex, die Kopfhaut im Halbkreis von einer Stirnseite über den Hinterkopf zur anderen Stirnseite. Nun zog er die Haare des Hinterkopfes in Richtung Gesicht und trennte somit Haar und Haut vom Schädel. In etwa so müssen die Indianer ihre Opfer skalpiert haben. Das Haar samt Haut überdeckte nun das Gesicht der Leiche.

Der Rechtsmediziner griff erneut zum Winkelschleifer und trennte die Schädeldecke vom Rest des Kopfes. Das Gehirn lag jetzt frei und wurde von dem Pathologen untersucht. Es war eine Grenzerfahrung, die mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Mit kalter Mechanik wurde hier ein Mensch, der vermutlich noch vor wenigen Tagen mitten im Leben gestanden hatte, in seine Einzelteile zerlegt. Ich hatte ein beklemmendes Gefühl.

Niemand sprach, lediglich die routinierte Arbeit des Pathologen sowie das Krachen, Sägen und Fiepen seiner Arbeitsgeräte erfüllten den Raum. Für die meisten von uns angehenden Polizisten war das die erste Begegnung mit dem Tod. Und darin lag auch der Sinn der Veranstaltung: Ziel war es, uns mit dem Tod zu konfrontieren, damit sich bei uns einmal so etwas wie Routine im Umgang mit Leichen einstellen konnte.

Die Sektion ergab, dass der Mann an einem Herzinfarkt gestorben war. Doch als das verkündet wurde, hatte bereits ein Drittel unseres Lehrganges den Raum verlassen. In späteren Jahren bemerkte ich, dass viele Kollegen der Leichen- und Vermissten-Dienststelle Trinker waren.

 

Wir Lehrgangsteilnehmer waren ein buntgemischter Haufen, mit ganz unterschiedlichen Ambitionen. Meine zwei Zimmergenossen gaben schnell auf, kündigten.

Horst, ein Polizeianwärter von überdurchschnittlicher Intelligenz, fiel mir auf, weil er ständig meckerte: «Ist doch alles scheiße, was machen wir hier eigentlich? Wir sind doch nur die Erfüllungsgehilfen für die machthungrigen Politiker! Uns fragt eh keiner, ob wir mit den Maßnahmen einverstanden sind, wir haben nur wie Marionetten zu reagieren!»

Später absolvierte er einen Kriminalbeamtenanwärter-Lehrgang, brach ab und ging zurück zur Schutzpolizei. Eines Morgens hörte ich, dass er am Tag zuvor festgenommen worden war,

 

1967 wurde ich zum Wachtmeister ernannt und wechselte auf die gegenüberliegende Straßenseite des Komplexes in Hamburg-Alsterdorf. Dort, auf dem Gelände der Hindenburgstraße, waren die Bereitschaftspolizei, mein neuer Arbeitgeber, und später das Mobile Einsatzkommando untergebracht. Die Bereitschaftspolizei ist der Landespolizei unterstellt, fungiert aber als Großverband beinahe schon militärisch und ist stets bei sogenannten Großlagen gefragt – Krawallen, Protesten, Massenaufläufen. Und solche Ereignisse gab es damals viele, denn es war die Geburtsstunde der APO, der Außerparlamentarischen Opposition. Der alte Obrigkeitsstaat, geprägt durch die Erfahrungen der Kriegsniederlage und des Kalten Krieges, begann sich zu verändern. In der Bevölkerung gab es nicht wenige, die den Staatsapparat als autoritär empfanden. Vor allem Intellektuelle. Als im Juni 1967 bei einer Großdemonstration in Berlin der Student Benno Ohnesorg mit einem Schuss in den Hinterkopf vom Kriminalbeamten Karl-Heinz Kurras getötet wurde, war das wie eine Initialzündung für die kommenden Unruhen. Die Radikalisierung und zunehmende Gewaltbereitschaft waren spürbar, vor allem für uns, die wir an vorderster Front standen.

Zugegebenermaßen hatte ich anfangs Probleme, die politische Entwicklung zu verstehen und die Geschehnisse einzuordnen. Ich war naiv, politisch «unschuldig», kam ich doch aus der heilen Welt eines Dorfes, wo dem Bürgermeister, dem Pastor und dem Polizisten stets Respekt entgegengebracht worden war. Sitte und Anstand waren die Koordinaten meines Handelns, ich hielt

Anfangs hegte ich begrenzte Sympathien für diese frechen, rebellischen Studenten, weil sie den autoritären Staat auf die Schippe nahmen – mit friedlichen, manchmal spaßigen Mitteln. Überall waren noch Alt-Nazis in Amt und Würden, das empfand ich als empörend. Darüber hinaus hatte ich Probleme mit der autoritären Struktur bei der Bereitschaftspolizei, der militärische Drill war nicht meine Welt.

Polizeilichen Drill und Schikane bekam vor allem mein damals bester Freund Ferdie zu spüren. Er stammte ursprünglich aus Husum, war ein abgebrochener Gymnasiast und hatte den direkten Weg von der Schule in die Lehreinheit gesucht. Wir fuhren gemeinsam nach Sylt in den Urlaub, wohnten in derselben Straße in einem Ort in Schleswig-Holstein, waren beide verheiratet und hatten gleichaltrige Töchter.

Später ließ sich Ferdie scheiden, zog in eine Wohngemeinschaft, die damals Kommune genannt wurde, in der Rappstraße im Hamburger Grindelviertel, anschließend in eine andere Kommune in Hamburg-Eppendorf. Er war nun mit einer Studentin liiert.

Eines Nachmittags fuhren wir im Spätdienst mit einem Funkstreifenwagen durch die Bundesstraße, wo sich das Polizeirevier 31 befand. Ich lenkte den Peterwagen, Ferdie saß auf dem Beifahrersitz. Wir fuhren Streife im Bereich Rotherbaum im Stadtteil Harvestehude, wo sich damals noch das HSV-Stadion befand. Allmählich entwickelten wir ein Gespür dafür, wer im strafrechtlichen Sinne sich verdächtig benahm. Die Autos solcher Personen, zumeist uralte Klapperkisten oder aufgemotzte Nobelkarossen, hielten wir an und überprüften sie. Nebenbei achteten wir natürlich auch auf hübsche Damen, die allein unterwegs waren. Die mussten auch schon mal angehalten und überprüft werden.

Mit 9/11 war unser Peterwagen gemeint. Unsere Hundertschaft bestand aus drei Zügen. Jeder Zug hatte monatlich wechselnd neun Funkstreifenwagen, die die Rufnamen Peter 9/11 bis 13, 9/14 bis 16 und 9/17 bis 19 hatten. Ferdie griff zum Hörer des Funkgerätes und meldete sich: «Hier Peter 9/11, sprechen Sie!»

«Peter 9/11, laufen Sie bitte sofort den Stützpunkt an und melden Sie sich bei Ihrem Wachhabenden!»

«Peter 9/11, verstanden!»

Ich wendete das Auto am Dammtorbahnhof und fuhr zurück in die Bundesstraße, Ecke Sedanstraße, wo in einer alten Holzbaracke das Polizeirevier 31 untergebracht war, unser damaliger Stützpunkt.

«Der Polizeidirektor hat telefonischen Gesprächsbedarf», blaffte der Wachhabende Ferdie an.

Am anderen Ende der Leitung meldete sich Polizeidirektor L., der Ferdie in rüdem Ton fragte: «Wer hat vorhin bei Ihnen auf dem Beifahrersitz gesessen? Eine Frau?»

«Nein», gab Ferdie zurück, das sei er selbst gewesen. «Waldemar Paulsen hat den Wagen gefahren.»

Ferdie wurde anschließend zum Rapport bestellt. Ihm wurde befohlen, sich seine langen Haare kürzen zu lassen.

Ferdie trug die Haare im gepflegten Zustand knapp schulterlang. Er ignorierte den Befehl, die Haare blieben dran. Das reichte aus, um ihn in den Innendienst zu versetzen. Während der Schichten durfte Ferdie lediglich die Torpostenwache an der Kaserne übernehmen, er hatte wohl einiges an Schikane zu ertragen. Toleranz war zu dieser Zeit im Polizeidienst ein Fremdwort.

Eines Morgens, kurz vor Weihnachten 1971 – wir waren im selben Zug der Polizei-Übergangsabteilung –, wurde ich zu meinem Zugführer gerufen. Mit einer Pfeife im Mund teilte er mir

«Ich sage es Ihnen, weil mir bekannt ist, dass Sie beide befreundet waren», fügte er hinzu und paffte.

Ferdie soll einen Schluck Wasser getrunken und im Mund behalten, dann den Pistolenlauf seiner Dienstpistole in den Mund gesteckt und mit einem Schuss seinem Leben ein Ende bereitet haben. Er war sofort tot. Ich war am Boden zerstört, mein bester Freund war tot, gerade mal fünfundzwanzig Jahre jung. Ich war traurig und wütend, dass er auf diese Weise aus dem Leben gedrängt worden war.

 

Das Eintreten der APO für eine Liberalisierung des Alltags und für größtmögliche individuelle Freiheiten bewunderte ich, auch wenn ich das abgehobene, elitäre Auftreten der APO-Führer und ihre verquaste Sprache nicht mochte. Doch meine Einstellung wandelte sich grundlegend, als Gewalt ins Spiel kam.

Die Hamburger Universität im Stadtteil Rotherbaum war zu einem Zentrum der Studentenunruhen geworden. Wir wurden uniformiert in geschlossenen Einheiten eingesetzt, manchmal auch in Zivil. An einen Einsatz in Zivil erinnere ich mich noch besonders gut. Ich bekam nämlich die Macht des Staates schmerzvoll zu spüren.

Unsere Aufgabe war es, Demonstranten daran zu hindern, den Philosophen-Turm auf dem Campus an der Moorweide in der Nähe des Bahnhofes Dammtor zu stürmen. Dabei erhielt ich zwei kräftige Schläge auf den rechten Arm, irrtümlich, von einem uniformierten Kollegen. «Was soll das!», schrie ich, doch das ging im allgemeinen Tumult unter. Anschließend dachte ich, mein Arm würde für immer bewegungsunfähig bleiben.

Ich war schockiert, denn ich hatte überhaupt nichts gemacht.

Bereits während meiner Ausbildungszeit Anfang 1968 konnte ich einen flüchtigen Blick hinter die Kulissen St. Paulis werfen – jenes legendären Hamburger Stadtteils, der später ein Jahrzehnt lang zum Mittelpunkt meines beruflichen Lebens werden sollte. Nach der ersten Ausbildungsphase bei der Bereitschaftspolizei absolvierte ich den sogenannten Feststellungslehrgang, wodurch man Beamter auf Lebenszeit werden sollte. Dieser Lehrgang fand nicht an der Polizeiakademie in Alsterdorf statt, wie es heute der Fall ist, sondern im Herzen St. Paulis, in einem alten Schulgebäude in der Seilerstraße, einer Parallelstraße der Reeperbahn. Dort paukten wir Strafrecht, Strafprozessrecht, Verwaltungsrecht, Polizeidienstkunde, Verkehrsrecht und vieles mehr – während wenige Meter außerhalb des Gebäudes Zuhälter ihre Reviere verteidigten. In den langen Mittagspausen schlenderten wir im St.-Pauli-Milieu herum.

Eines Tages bog ich mit zwei Kollegen von der Seilerstraße über die Detlev-Bremer-Straße nach rechts in die Reeperbahn ein. Vor dem Animierlokal «Folies Bergère» stand ein breitschultriger, mächtiger Kerl. Er trug einen mausgrauen Anzug, wie man ihn damals häufig bei Leichenbestattern sah, und war etwa Mitte vierzig.

«Na, Jungs, kommt rein! Hier wird live auf der Bühne gebumst und keine Falle geschoben. Bier kostet drei Mark», sagte er und pflanzte sich dabei mitten auf dem Bürgersteig vor uns auf – was eigentlich untersagt war.

Natürlich hatte er keine Ahnung, dass wir Polizeibeamte waren, der Lehrgang fand ausschließlich in Zivil statt. Wir grins

Später, als ich längst Polizist in der Davidwache war, sah ich den Mann häufig. Er hieß Siegfried Formella, Jahrgang 1924, ein ehemaliger Halbschwergewichtsboxer, der seinen einzigen Profikampf im Juli 1949 gegen Willi Hoepner in der zweiten Runde nach einem K.-o.-Schlag verloren hatte. Er war der Portier, auch Koberer genannt. Seine Aufgabe war es, Passanten durch lockere Sprüche zum Einkehren in die üblen Strip-Kaschemmen zu locken. Ich erinnere mich noch, wie beim Handschlag stets meine Hand in Formellas Pranke verschwand. Doch trotz seiner Statur und seiner Kraft trat er auf St. Pauli nie als Schläger auf, war einer der angenehmeren Typen. Einer der vielen Verlierer, die im Milieu von besseren Zeiten träumten.

Ich war schon damals neugierig auf das bunte Leben in St. Pauli geworden.

Nachdem ich den Feststellungslehrgang erfolgreich abgeschlossen hatte, wurde ich in die Polizeiübergangsabteilung in der Bundesstraße versetzt. Das war eine Art Bereitschaftspolizei, nur dass wir dort zusätzlich auf den Reviereinzeldienst vorbereitet wurden. Die Abteilung hatte neun Funkstreifenwagen, die je nach Bedarf zur Verstärkung in Brennpunktrevieren eingesetzt wurden. Oft meldete ich mich für die Gruppe, die aus St. Pauli zur Verstärkung angefordert wurde, weil ich es spannend fand. So lernte ich das wahre St. Pauli kennen, auch bei Nacht, da war natürlich mehr los als am Tag. Mit meinem damaligen Partner war ich im Funkstreifenwagen unterwegs, das war schon ein kleiner Vorgeschmack auf das, was mich später erwartete. Ich hatte Gefallen gefunden an diesem Milieu, seinen Gestalten und dem Ruf des Abenteuers.

 

Doch diesen Gefallen tat uns die Baader-Meinhof-Bande, wie sie damals noch hieß, nicht. Im Juli 1971 war ich als Teil einer Hundertschaft der Polizei-Übergangsabteilung im Stadtteil Altona zur Terroristenfahndung in der Stresemannstraße eingesetzt. Wir richteten den Kontrollposten ein, ein Kollege und ich nahmen die Kontrollen vor. Zwei Kollegen standen schussbereit mit den neu ausgelieferten Maschinenpistolen der Firma Heckler & Koch bereit. Ein Kollege, den alle nur Lunge nannten, und ein weiterer besetzten den Verfolgerwagen.

Sobald wir ein Fahrzeug abgefertigt hatten, kontrollierten wir den nächsten Wagen. Wir pickten also nicht gezielt Autos heraus. Der Posten am Straßenrand winkte mal wieder mit der Polizeikelle einen Pkw nach rechts in die Haltebucht, als die Fahrerin das Zeichen ignorierte und aufs Gas trat. Lunge und der Kollege verfolgten das Auto. Im Affenzahn ging es in Richtung Bahrenfeld. Der Beifahrer des Fluchtwagens kurbelte das Fenster herunter und schoss mehrere Male auf das Polizeiauto, die Kollegen erwiderten das Feuer. Nach einer wilden Verfolgungsjagd konnten sie den Wagen im Bahrenfelder Kirchenweg stoppen. Die Flüchtigen sprangen aus dem Fahrzeug, feuerten mehrmals auf die Polizisten und rannten über die Von-Sauer-Straße in die Reineckestraße. Dann trennten sich der Mann und die Frau. Noch auf der Reineckestraße wurde die Frau entdeckt, augen

Später erfuhren wir, dass es sich bei den beiden um die Top-Terroristen Petra Schelm und Werner Hoppe gehandelt hatte. Der Schock saß tief. Zur Verhandlung im Landgericht Hamburg nahe der Ernst-Merck-Halle musste der Todesschütze Lunge maskiert auflaufen, dazu trug er eine Perücke, um nur ja nicht erkannt zu werden. Neu war bei diesen Prozessen, dass die Verteidiger äußerst aggressiv auftraten. In den linksautonomen Kreisen wurde Lunge des Mordes bezichtigt. Weder für ihn noch für die anderen Zeugen gab es eine psychologische Betreuung. Ich empfand das als bedrückend, waren wir mit der Situation doch ziemlich überfordert. Wir verstanden die Gnadenlosigkeit nicht, mit der die Terroristen uns Ordnungshüter attackierten.

«Kurzen Prozess müsste man mit diesen ideologischen Verbrechern machen», hörte ich mal einen Mitschüler sagen. Wir fühlten uns nicht selten vom Staat allein gelassen und konnten nicht verstehen, warum es den Staatsschutzabteilungen der Länder und den V-Leuten des Bundeskriminalamtes und der Landeskriminalämter nicht endlich gelang, dieser Gewaltspirale Einhalt zu gebieten.

 

Wie direkt wir Polizisten bedroht waren, wurde mir deutlich, als am 22. Oktober 1971 der Zivilfahnder Norbert Schmid beim Versuch, die Terroristin Margrit Schiller festzunehmen, im Hamburger Stadtteil Poppenbüttel erschossen wurde. Bei der sogenannten erkennungsdienstlichen Behandlung im Polizeipräsidium musste Margrit Schiller durch mehrere Beamte gebändigt werden, so heftig wehrte sie sich gegen die Aufnahme ihrer Daten. Sie klammerte sich an ein Handwaschbecken, das sie dabei von der Wand riss.

Mein Kollege und ich befanden uns nachmittags mit einem Peterwagen in Höhe der Hamburger Elbbrücken, als wir einen Anruf erhielten: «Sofort Axel-Springer-Verlag aufsuchen, Bombenexplosion!»

Wir waren der dritte Funkstreifenwagen am Tatort. Der Motor unseres Ford 20 M lief noch etwa eine Minute nach, obwohl ich bereits den Zündschlüssel gezogen hatte – die Fahrt war rasant gewesen. Im dritten Stock des Axel-Springer-Hochhauses war eine Rohrbombe explodiert. Wenige Minuten später gingen zwei weitere Sprengsätze hoch, die in den Damentoiletten im sechsten Stock versteckt waren. Vor dem Gebäude wurde heftig demonstriert. Das Attentat mit siebzehn Verletzten ging auf das Konto der Baader-Meinhof-Bande.

Gleichzeitig wurden am Amerika-Haus in der Tesdorpfstraße ganz in Nähe des Dammtorbahnhofes erhebliche Flächen der Fensterfronten zertrümmert. Das Amerika-Haus diente seit 1950 als Kommunikationszentrum zwischen den USA und Deutschland. Wir kamen kaum mehr aus der Uniform heraus. Ein bisschen war das wie im Bürgerkrieg – und wir mittendrin.

Ein andermal sollten wir zusammen mit einer Hundertschaft aus Schleswig-Holstein das Polizeipräsidium am Berliner Tor schützen. Die Demonstranten zogen entlang der Straße Beim Strohhause und erreichten nach kurzer Zeit das Hauptportal des Präsidiums. Es müssen um die fünfzehnhundert Protestler gewesen sein, sie erschienen mir wie ein Meer aus Menschen,

Vor dem Haupteingang des Präsidiums führten Straßenbahngleise auf einem Schotterbett entlang. Die Demonstranten griffen nach größeren Schottersteinen und bewarfen uns damit. Wir hatten nichts, um uns zu schützen. Schützend legten wir die Arme vor das Gesicht und tänzelten zwischen den aufschlagenden Geschossen von einem Bein auf das andere, um ja nicht verletzt zu werden.

Es gab weder Schilde noch Helme, auf solche Attacken war die Polizei damals nicht vorbereitet. In der Not fuhr ein Polizei-Lkw in den Freihafen zur Werft Blohm + Voss und holte eine Wagenladung orangefarbener Werftarbeiterhelme, mit denen wir uns während des weiteren Einsatzes notdürftig schützen konnten. Mitten im größten Tumult traf der Mannschaftswagen in rasender Fahrt mit Blaulicht und Martinshorn ein. In Windeseile griffen wir uns jeder einen Helm, sie waren zu groß oder zu klein, doch wir hatten keine Zeit, darüber nachzudenken, und stülpten uns auf den Kopf, was wir kriegen konnten. Wir gaben mit Sicherheit ein komisches Bild ab: die Staatsgewalt in ihren dunkelblauen Uniformen und mit orangefarbenen Bauarbeiterhelmen auf dem Kopf. Vermutlich trafen uns einige der Randalierer nicht, weil sie sich schlapp lachten. Uns jedoch war nicht nach Lachen zumute.

Der Druck auf den Haupteingang des Polizeipräsidiums war so stark, dass das sogenannte Überfallkommando der Polizei-Übergangsabteilung angefordert werden musste, ohne das wir das Polizeipräsidium wohl nicht hätten halten können. Als es schon fast zu spät war, trafen endlich die ersehnten großen

Plötzlich kam eine junge Frau mit erhobenen Händen auf mich zu und bat: «Darf ich im Gleisbett nach meinen Schuhen suchen?»

Tatsächlich lagen dort viele Treter herum, die die Demonstranten während der versuchten Erstürmung des Polizeipräsidiums verloren hatten. Meinetwegen sollte sie auf die Suche gehen.

 

Hamburg war zum Brennpunkt der RAF-Aktivitäten geworden. Dafür gab es mehrere Gründe: In der linksautonomen, studentischen Szene der Hansestadt gab es für die Terroristen ein dankbares Unterstützer-Umfeld. Außerdem waren sie in der Anonymität der Großstadt nur schwer zu entdecken.

Am 2. März 1972 wurde Manfred Grashof, RAF-Spezialist für gefälschte Ausweispapiere, in seiner Wohnung – und Fälscherwerkstatt – in Hamburg verhaftet. Am 7. Juni 1972 konnte die Top-Terroristin Gudrun Ensslin in einer Boutique am Hamburger Jungfernstieg durch den Hinweis einer aufmerksamen Verkäuferin festgenommen werden. Sie hatte ihre Handtasche auf einem Stuhl abgelegt und Kleidungsstücke anprobiert. Die Verkäuferin hatte beim Vorbeigehen in der geöffneten Handtasche eine großkalibrige Pistole entdeckt. Unauffällig ging sie in den hinteren Verkaufsraum und wählte den Polizeinotruf 110, während Gudrun Ensslin noch immer mit der Begutachtung der Konfektion beschäftigt war. Blitzartig stürmten die Polizisten die Boutique und konnten Gudrun Ensslin verhaften, bevor es ihr gelang, nach ihrer Handtasche zu greifen und zu schießen.

 

Für uns war das eine sehr hektische Zeit, geprägt von Nervosität und Unsicherheit. Überall lauerte Gefahr, denn für die Terroristen waren wir keine Menschen, sondern Bullen oder Schweine, wie es in den Bekennerschreiben der RAF zu lesen war. Unsere Familien waren stark beunruhigt, wenn wir das Haus verließen und zum Dienst gingen.

Mir fiel auf, dass viele der Vorgesetzten mit dem erhöhten Stresspegel nicht zurechtkamen und sich im Ton gegenüber Untergebenen vergriffen. Jedermann schien Angst zu haben, in die Kritik zu geraten, falls das Objekt, für dessen Schutz er zuständig war – beispielsweise ein Gebäude –, durch die Terroristen Schaden nahm.

Ich verstand nicht, dass viele Bürger sich echauffierten, weil sie bei Kontrollen zur Terroristenfahndung Polizisten mit Maschinenpistolen gegenüberstanden. Offensichtlich war damals vielen Bundesbürgern der Ernst der Lage nicht bewusst.

Hatte ich anfänglich noch eine gewisse Sympathie für die Ziele und Ideale der APO, so verabscheute ich das, was die RAF und deren Nachfolgeorganisationen in diesem Land veranstalteten. Das waren Hochkriminelle, die mit verwirrten pseudo-revolutionären Phrasen unserer freiheitlichen Grundordnung den Krieg erklärten und ihre Taten politisch rechtfertigten. Diese Mörder wurden auch meine Feinde.

Das war das Dilemma, in dem wir uns befanden, seit wir diesen Beruf gewählt hatten. Mit einer solchen Eskalation hatte 1966, als wir uns als Polizeianwärter bewarben, natürlich keiner von uns gerechnet. Damals hatte die Bundesrepublik noch unschuldig in einer Art Dornröschenschlaf geschlummert. Der linksradikale Terror wurde zum bösen Erwachen und damit zur ersten großen innenpolitischen Herausforderung für die noch junge Demokratie. Dass ich in diesem Kampf der Terroristen gegen die Bundesrepublik nun ausgerechnet an vorderster Front stand, passte mir nicht. Ich fühlte mich wie ein Soldat im Krieg. Doch ich war nicht zum Krieger geboren.

In der heißen Phase des Baader-Meinhof-Terrors überlegte ich häufiger, ob ich kündigen sollte. Die aufgeheizte Atmosphäre von Hass und Militanz lag mir nicht, ich fühlte mich überfordert. Dabei hatte ich doch immer den Traum gehabt, mit Menschen in Kontakt zu kommen, zu helfen, zu schlichten, vielleicht sogar zu beschützen.

Dass ich letztlich über sechs Jahre in einer geschlossenen