Inhaltsverzeichnis

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kommentar

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN - Die Serie

cover.jpg

img1.jpg

 

Nr. 2670

 

Der Weg des Konstrukteurs

 

Sholoubwas Genie wächst – er erlebt und schafft kosmische Wunder

 

Marc A. Herren

 

img2.jpg

 

In der Milchstraße schreibt man das Jahr 1470 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) – das entspricht dem Jahr 5057 christlicher Zeitrechnung. Das heimatliche Solsystem ist vor mehr als drei Monaten spurlos von seinem angestammten Platz im Orionarm der Milchstraße verschwunden.

Damit die Liga Freier Terraner nicht ins Chaos sinkt, werden eine neue Regierung und ein neuer Zentralplanet gewählt. Neuer Erster Terraner wird Arun Joschannan – und er muss sich gegen die Infiltrationen durch die Truppen der negativen Superintelligenz QIN SHI zur Wehr setzen.

In der weit entfernten Galaxis Escalian, dem »Reich der Harmonie«, ist QIN SHI ebenfalls am Werk und versucht dort eine Invasion. TANEDRAR, die in Escalian heimische Superintelligenz, hat die Gefahr erkannt. Sie beauftragt den Terraner Alaska Saedelaere damit, ihr zu helfen.

Gemeinsam mit dem Zwergandroiden Eroin Blitzer begibt sich Alaska auf die Suche nach dem geheimnisvollen Konstrukteur Sholoubwa. Als er ihn endlich erreicht, wird er davongeschleudert – aber Blitzer kann noch die Lebensdaten Sholoubwas extrahieren. Und so verfolgen sie in der Retrospektive ein Leben, das sich beschreiben lässt als DER WEG DES KONSTRUKTEURS ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Sholoubwa – Der Konstrukteur erweist sich als schwierig und charakterlos.

Voosla – Ein Berater muss den Herren von Evolux gehorchen.

Nikomus Neuntau – Der Pilot dient einem undankbaren Herrn.

Renyi-Hemdebb – Der Bote begegnet dem Konstrukteur.

Shobruntanger – Ein alter Roakk dient unter Einsatz seines Lebens.

Prolog

 

Und du hörst und siehst und ziehst und gehst.

Die Bilder aus der Lebensgeschichte des Konstrukteurs sind dir ein hilfreicher Begleiter in dieser Einöde. Sie lassen dich die Schmerzen vergessen, die dieser Kraftakt mit sich bringt.

Hinter dir im Konstrukt liegt der Zwergandroide. Bei seinem Anblick schämst du dich ein wenig, dass dir deine Schmerzen überhaupt bewusst sind.

Die Schmerzen Eroin Blitzers müssen weitaus größer sein. Aber er erträgt sie tapfer, wie er vieles tapfer ertragen hat, was ihr in den letzten Monaten, vielleicht Jahren, zusammen erlebt habt.

Tapferer, cleverer Eroin.

Er hat es geschafft, Sholoubwas Gedächtnis anzuzapfen. Die Informationen, die er sammelte, werden nun von der Kosmokratentechnologie, die in seinem kleinen Kästchen eingebaut ist, in Bilder übersetzt, in Sprache, in Gedanken.

Du hörst und siehst und ziehst und gehst.

Du hast erfahren, wer dieser Cholaquin Port'aldonar war, der aus einer einfachen Medodrohne den mächtigen Konstrukteur Sholoubwa gebaut hat. Du hast seinen Weg verfolgt vom Dichter zum Kriegsversehrten, zum selbstverliebten, alle und alles überragenden Ingenieursgenie. Aber auch zum gebrochenen Greis, dem erst in den letzten Sekunden seines Lebens klar wurde, dass seine einzige große Hinterlassenschaft ihn überflügelte und schließlich über ihn triumphierte.

Du hörst und siehst und ziehst und gehst.

Und nimmst fasziniert die Bilder in dir auf, die den weiteren Weg des Konstrukteurs Sholoubwa schildern.

1.

Der Praxistest

Galaxis Karn-Legrek, 4581 NRG

 

Zweihundertzwei Jahre später.

Die MOWENAS STOLZ beschleunigte mit Maximalwerten.

Sholoubwa – via Nullkanal mit der Schiffspositronik verbunden – verglich die Beschleunigungs- und Navigationswerte seiner Jacht mit jenen der achtzehn Verfolger.

Bisher kannte er nur deren Grundwerte. Er war es gewesen, der die Raumschiffsantriebe für die Allhe konstruiert hatte.

Die insektenhaften Allhe erreichten zwar nicht die maximal verfügbaren Beschleunigungswerte, trotzdem würde die MOWENAS STOLZ innerhalb von zweieinhalb Minuten in die Kernreichweite ihrer Waffen geraten. Das zeitliche Limit für den Sprung in den Hyperraum lag bei über drei Minuten.

Sholoubwa errechnete einen Fehler in seinem strategischen Plan. Indem er seinen Auftraggebern optimierte Antriebe und Waffen zur Verfügung stellte, erhöhte sich das Risiko, dass er selbst für diese Parteien angreifbar wurde.

Der Konstrukteur veränderte die Priorität, die er bisher der Optimierung der eigenen Sekundärressourcen – zu der das Raumschiff gehörte – eingeräumt hatte, um zwei Stufen nach oben.

»Letzte Warnung«, erklang die Stimme des Allhe-Befehlshabers. »Der Konstrukteur hat abzubremsen. Er hat den ehrenwerten Allhe Fragen zu beantworten. Ansonsten wird das Schiff des Konstrukteurs unter Letalbeschuss genommen!«

Eine von Sholoubwas fünf an Bord anwesenden Externitäten, sie war für die Navigation des Raumschiffs zuständig, erbat von ihm eine Entscheidung.

Sholoubwa erhob sich aus dem Kommandosessel und stellte sich breitbeinig in der Zentrale auf. Er trug die Biomaske seines ehemaligen Erbauers und Lehrmeisters Cholaquin Port'aldonar. Darin war er seinen Auftraggebern entgegengetreten, seit sie halb Karn-Legrek nach dem »legendären Konstrukteur« abgesucht hatten.

»Wir werten das Schweigen des Konstrukteurs als Schuldeingeständnis!«, kam es knarrend über die Lautsprecher. »Wir werden das Feuer eröffnen, sobald das Schiff des Konstrukteurs in Reichweite unserer Waffen ist!«

Sholoubwa öffnete den Visualkanal. Der Holoprojektor generierte das Abbild von Krakaru Tomat, dem Befehlshaber der Allhe. Dessen insektenhafter Körper wurde um die Hälfte verkleinert. Trotzdem überragte er Sholoubwa um eine mowenische Handspanne. Aus dem kugelförmigen Leib ragten acht dreigelenkige, dünne Beine, die dem Allhe ein hohes Maß an Beweglichkeit verliehen. Das vordere Beinpaar lief in spitzen Klauen aus, die, um 180 Grad gedreht, drei zierliche Zusatzgreifwerkzeuge ausbilden konnten. Der borstige Kopf war mit mehreren Multifunktionsrezeptoren ausgerüstet, mit denen er wohl Sholoubwas Abbild musterte.

Nervös pumpte der Kugelkörper auf und ab. Das hintere Beinpaar klackte in unregelmäßigem Rhythmus auf den Boden. Das Geräusch wurde ebenso übertragen wie das Mahlen von Tomats Beißwerkzeugen.

»Der Konstrukteur ist angehalten, den Flug seines Raumschiffes sofort zu unterbrechen«, verkündete der Allhe. »Ein Enterkommando wird an Bord kommen und den Konstrukteur vorerst festnehmen. Ihm wird ein gerechter Kriegsprozess gemacht. Die Anklage lautet auf Hochverrat gegen das Reich Allhe!«

»Ich verstehe nicht«, sagte Sholoubwa mit Port'aldonars Stimme. »Meinen Beobachtungen zufolge funktionieren sowohl die neuen Waffensysteme als auch die modifizierten Raumschiffsantriebe.«

»Krakaru Tomat verbittet sich solch dreiste Verschleierungen der Wirklichkeit«, keifte Tomat, der wie alle Allhe weder in erster noch in zweiter Person sprach. »Der Konstrukteur hat vorsätzlich mit den Brullel, den gefährlichsten Feinden der Allhe, paktiert und ihnen überlegene Waffen und Verteidigungssysteme geliefert! Die Gravitationsbomben der Allhe können den Brullel nicht einmal einen Kratzer beifügen!«

Eine grüne, gallertartige Flüssigkeit tropfte von Tomats Maulscheren.

»Ich bitte den General, den genauen Wortlaut des Vertrages zu kontrollieren, den das Reich Allhe mit mir abgeschlossen hat. Er enthält keine Klausel, dass ich nicht für das Imperium der Brullel hätte arbeiten dürfen. Ich habe meine Pflicht erfüllt: Zuerst lieferte ich euch die gewünschte Technologie, anschließend wurde ich von den Brullel als Konstrukteur verpflichtet. Es ist logisch, dass ihre Systeme höhere Leistungswerte aufweisen. Die fortwährende Optimierung der Systeme ist ein Hauptbestandteil meiner Existenz.«

Krakaru Tomat trippelte aufgeregt hin und her. »Der Konstrukteur hält es also für zulässig, dass seine Technologien durch die Feinde seiner Auftraggeber gleich wieder zerstört werden? Dass er sogar selbst dafür verantwortlich ist?«

Sholoubwa vollführte eine Geste der Langeweile, wie er sie in Port'aldonars Persönlichkeitssimulation abgespeichert hatte. »Ich bin Konstrukteur. Mein Auftrag ist es, Technologien zu konstruieren. Sobald der Gegenwert dieser Leistung durch Ressourcen oder in geldwerten Leistungen abgeglichen ist, interessiert mich die Technologie nicht mehr. Die Auftraggeber sind frei, wie sie diese einsetzen wollen.«

»Krakaru Tomat sieht das anders!«, stieß der Oberbefehlshaber aus. »In genau ...«

Sholoubwa unterbrach die Verbindung.

Während des Gesprächs hatte er die Handlungsalternativen durchgerechnet. Ihm blieben noch vier Sekunden, bevor die MOWENAS STOLZ in die Kernreichweite der allheschen Waffensysteme geriet.

Eine bewaffnete Auseinandersetzung mit den Verfolgern würde mit signifikant hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Beschädigung seines Schiffes führen. Gelänge ihm die Flucht mittels einer Rettungskapsel, wären Jahrhunderte vonnöten, um zu seinem Basisasteroiden zurückzukehren. Durch den Nullkanal könnte er zwar die aktuellen Forschungsarbeiten fortsetzen, aber die reine Fernsteuerung seiner Fabriken und Werkstätten verlangsamte den Produktionsprozess um den Faktor 2,5.

Wenn er sich Krakaru Tomat ergab, lieferte er sich der Willkür der Allhe aus. Ihm waren die Parameter der judikativen Bestrafungsformen der Insektenartigen nicht bekannt, aber es gab keine Anzeichen dafür, dass er nicht mit der Zerstörung oder dauerhaften Festsetzung seines Körpers rechnen musste.

Drei Sekunden.

Blieb nur noch eine Möglichkeit. Sie bescherte ihm im Vergleich mit den anderen beiden zusätzliche Messdaten.

Er aktivierte die beiden HRB-Module, die er erst vor wenigen Tagen fertig gestellt und an der Außenhülle der MOWENAS STOLZ angeflanscht hatte.

Zwei Sekunden.

Optimalerweise hätte Sholoubwa die Module erst mehrtägigen Belastungstests unterzogen, bevor er sie unter Praxisbedingungen aktivierte. Nun fanden der Belastungs- und der Funktionstest des HRB-Netzes gleichzeitig statt.

Sholoubwa aktivierte sämtliche verfügbaren Messinstrumente und richtete sie auf den Raum zwischen der MOWENAS STOLZ und seinen Verfolgern. Dann aktivierte er das Halbraumblasennetz.

Eine Sekunde.

Vor dem Geschwader der Allhe riss der Weltraum auf und überschüttete Sholoubwas Sensoren mit Messdaten. Im blauen Geäst der Energieverwerfungen bildete sich eine Halbraumblase. Innerhalb von Nanosekunden dehnte sie sich zu einem Durchmesser von drei Lichtsekunden aus.

Das Geschwader leitete mit minimaler Verzögerung Kurskorrekturen ein, aber es war bereits zu nahe und die Halbraumblase zu groß, als dass dieses Unterfangen hätte gelingen können. Alle achtzehn Raumschiffe der Allhe verschwanden im Innern der Blase.

Sholoubwa schaltete um auf die Halbraumüberwachung. In der Decke der Zentrale bildete sich eine leuchtend blaue Lücke. Daraus entrollten sich zwei flimmernde Netze. Auf ihnen formten sich die Messdaten der Halbraumspürer zu Bildern.

Die achtzehn Schiffe waren im fremden Kontinuum stark abgebremst worden und torkelten mit nutzlos gewordenen Antrieben durch den Halbraum.

Sholoubwa leitete die riesigen Datenpakete von den Messstationen via Nullkanal weiter an den Positronikverbund in seiner Asteroidenbasis. Mit der maximal verfügbaren Rechenkapazität wurden die Messdaten sofort analysiert, die Ergebnisse hochgerechnet und zurückgeschickt.

Die Blasenhaut zeigte sich weniger stabil, als er dies vorausberechnet hatte. Die entfesselten Hyperenergien des Aufrisses perforierten sie an mehreren Stellen, fünfdimensionale Schockfronten rasten durch den Halbraum. Die beiden Allhe-Raumer mit den höchsten verbliebenen Geschwindigkeitswerten explodierten.

Der Konstrukteur erkannte, dass sich die Blase innerhalb von höchstens fünf Sekunden auflösen würde – eine Minute früher, als er berechnet hatte.

Er befahl dem Navigationsroboter, den Sprung in den Hyperraum einzuleiten.

Als die MOWENAS STOLZ sprang, zog Sholoubwa das Fazit, dass der Praxistest zu 72 Prozent erfolgreich gewesen war. Das neue Projekt würde aber noch viel Arbeit verlangen.

Als die verbliebenen Einheiten des Allhe-Geschwaders in den Normalraum zurückfielen, konnten sie nach einer Phase der Neuorientierung nur die Erkenntnis verbuchen, dass der Konstrukteur verschwunden war.

2.

Der Besucher

Galaxis Karn-Legrek, 4581 NRG

 

Zwei Monate später.

Die MOWENAS STOLZ erreichte das namenlose, unbewohnte Sonnensystem, das ursprünglich fünf Planeten gezählt hatte. Der äußerste verbliebene Planet war ein Gasriese mit einer Wasserstoffatmosphäre. Auf den ursprünglichen Bahnen der Planeten vier und fünf zeugte ein breiter Asteroidengürtel von deren Kollision vor mehreren Millionen Jahren.

In einem der Trümmerstücke befand sich Sholoubwas neue Basis, die in erster Linie aus einem riesigen Positronikverbund und mehreren Fertigungshallen und Labors bestand.

Sholoubwas Navigationsroboter steuerte die Jacht durch den getarnten Eingang des Asteroiden und dockte an das Landefeld an. Er verließ die MOWENAS STOLZ zusammen mit seinen fünf Externitäten.

Er begab sich direkt in sein Hauptlabor, während er die fünf anderen Roboter die Produktionsanlagen und Fertigungsstätten inspizieren ließ.

Jede seiner 144 Externitäten war mit einer eigenständigen Positronik versehen. Er konnte sie jederzeit via Hyperfunksteuerung übernehmen. Kurz nach dem Ende seines Erschaffers Port'aldonar hatte Sholoubwa das Projekt Externitäten gestartet, um gleichzeitig an mehreren Projekten und Orten operieren zu können.

Seitdem delegierte er Arbeiten, die nicht seiner persönlichen Anwesenheit bedurften, an seine Externitäten.

Eine der Externitäten kam ihm entgegen. Wie die meisten anderen war sie nach dem mowenischen Vorbild seines Erbauers gestaltet. Wie er ihrem Aktivitätsprotokoll entnahm, befand sie sich auf dem Weg in das Wartungszentrum. Der Gravitationssensor arbeitete fehlerhaft. Dadurch kam es zu Problemen und ständigen Korrekturen im Bewegungsablauf der Gehmotorik.

Sholoubwa kam eine Idee.

Aus seinen Speichern holte er das Bild von Krakaru Tomat: Kugelkörper und acht insektenartige Beine.

Wenn er die Fortbewegungsart seiner Roboter von zwei- auf achtbeinig anpassen würde, wären seine Externitäten nicht mehr im gleichen Umfang auf das Gleichgewichtsmodul angewiesen. Zudem errechnete er eine um einen Faktor 1,2 höhere Mobilitätseffizienz.

Sholoubwa sandte die Idee an die Großpositronik. Er stufte die Dringlichkeit der Überarbeitung seiner Externitäten als »niedrig« ein. Zuerst würde er die aktuellen Projekte abschließen, danach stand die Überarbeitung des Antriebs der Jacht an.

Kurz tauchte er in die positronische Welt des Verbundrechners ein. Neben dem Evolutionssprung, der durch die Nullkanal-Todesstrahlung in seiner Hauptplatine stattgefunden hatte, machte die immense Rechenleistung der Großpositronik ihn zu dem, was er war: zu einem Konstrukteur der Extraklasse.

Sholoubwa betrat sein Hauptlabor und steuerte die Desintegratorkammer an. Ein atomgenau eingestellter Strahl löste die Bioverkleidung auf. Seine Maskenhaut zersetzte zu Gasschwaden, die von der Kammerwand aufgesogen und den Wiederaufbereitungsanlagen zugeführt wurden.

Die Verkleidung benutzte er nur aus Notwendigkeit. Viele seiner Kunden hatten Probleme, mit einer Maschine zu verhandeln.

Die Persönlichkeitssimulation und die abgespeicherten Verhaltensmuster Cholaquin Port'aldonars machten seine Auftritte zu perfekt choreografierten Schauspielen.

Schirmfelder verbargen das künstliche Innenleben des Roboters, und winzige Sender strahlten die DNS-Signaturen des Verstorbenen aus, sodass Sholoubwas Spiel nicht einmal mit fortschrittlichster Technik durchschaut wurde.

Zudem hatte der Ruf des genialen und exzentrischen Konstrukteurs Port'aldonar in den vergangenen zweihundertzwei Jahren nach dessen öffentlich nie bekannt gewordenem Tod nicht gelitten. Im Gegenteil: Durch die gelegentlichen Auftritte Sholoubwas in dessen Maske hatte die angebliche extreme Langlebigkeit des Moweners zu neuen Legendenbildungen geführt. Und dies, nachdem das Imperium der Mowener nach dem verheerenden zweiten Krieg mit den Orfenar in Bedeutungslosigkeit versunken und degeneriert war.

Als blitzendes Metallgeschöpf verließ Sholoubwa die Desintegrationskammer. Er ging an dem Stasissarg vorbei, in dem er Port'aldonars Körper eingefroren hatte, um sich am Hauptterminal dem dringlichsten Projekt zu widmen: der Weiterarbeit am HRB-Netz.

Während er die Daten aufbereitete, schlugen seine Sensoren an. Sholoubwa wirbelte herum und richtete die Plasmastrahler, die in zwei seiner Finger eingearbeitet waren, auf den Eindringling.

Er stand direkt vor dem Stasissarg, hielt Sholoubwa den Rücken zugewandt.

Während er das Überwachungsprotokoll der vergangen drei Sekunden prüfte, analysierte er das Aussehen und das Verhalten des Fremden.

Er kam zu drei Schlussfolgerungen. Erstens: Der humanoide Fremde war trotz aktivierten Hyperschirms in das Innere des Asteroiden gelangt, was auf eine überlegene Technologie schließen ließ. Zweitens: Der Fremde verhielt sich nicht aggressiv. Die Wahrscheinlichkeit eines unmittelbaren Anschlages auf Sholoubwa oder seine Station stufte der Roboter als gering ein. Drittens: Die Maße bezüglich Körperbau und Größe des Fremden stimmten mit einem ihm bekannten Wesen überein, das sich zum Zeitpunkt ihres ersten Aufeinandertreffens bereits einmal höherwertiger Technologie bedient hatte.

Der Fremde drehte sich langsam um.

Er ähnelte einem Mowener mit gleichmäßigen, symmetrischen Gesichtszügen. Nach mowischen Maßstäben war er als »attraktiv« einzustufen.

»Ich grüße dich, Bote«, sagte Sholoubwa.

»Und ich grüße dich, Konstrukteur Sholoubwa«, sagte der Bote auf Mowenisch. Dann deutete er mit dem Daumen auf den Stasissarg. »Ich muss sagen, dass mich der Anblick von Port'aldonars Leichnam überrascht. Nach meinen Informationen fehlt dir eine Bioplasma-Komponente. Bringt deine einzigartige Konstruktion nun auch Emotionen zustande? Ehrst du mit diesem Sarg das Andenken an deinen Schöpfer?«

»Ich kann denken, aber nicht fühlen«, sagte Sholoubwa. »Emotionen sind mir fremd.«

»Weshalb dann der Leichnam im Stasisfeld?«

»Meine Inspiration ist rechnerisch nicht nachvollziehbar«, gab Sholoubwa zur Antwort. »Sie ist impuls- und zufallsbasiert. Manchmal entsteht sie durch die Beobachtung chaotischer Abläufe, manchmal durch das Verhalten emotionsgeprägter Lebewesen.«

»Und manchmal durch den Anblick eines Toten.«

»Nicht so sehr«, sagte Sholoubwa vage. »Meine Grundprogrammierung benötigt stets neue technische Herausforderungen, aber auch neue Ideen. Der Anblick meines toten Erstprogrammierers verbildlicht meinen Auftrag, stets für beides zu sorgen.«

Der Bote drehte sich um. Lange blickte er auf das Gesicht des Toten. Sholoubwa hatte ihn so konserviert, wie er gestorben war.

»Cholaquin Port'aldonar war ein maßloses Wesen«, sagte der Bote nachdenklich. »In allem, was er tat. Er hätte zu einem wichtigen Mitarbeiter für meine Auftraggeber werden können. Eine solche Arbeit hätte aber auch Verzicht bedeutet. Der Konstrukteur war aber nicht bereit, auf die Aspekte der Maßlosigkeit zu verzichten.«

Er hob die Hand, strich über das Gesicht Port'aldonars, ohne das Stasisfeld zu berühren. »Sein letzter Gesichtsausdruck spricht von Entsetzen und Fassungslosigkeit. Vielleicht war es dieser letzte Moment, der ihn zur Wahrheit brachte. Die Erkenntnis, dass er sein Genie für bedeutsamere Dinge hätte einsetzen können, als Waffensysteme für kriegslüsterne Völker zu bauen. Dass er kosmische Geschichte hätte schreiben können.«

»Cholaquin Port'aldonar hat mich gebaut«, entgegnete Sholoubwa. »Sein letzter Gesichtsausdruck entspricht der Überraschung und Verzweiflung, die ihn erfüllte, als er erkannte, dass ich seinen letzten Auftrag nicht befolgt habe.«

Der Bote wandte sich um. In seinem Gesicht spiegelte sich ein Ausdruck, den Sholoubwas Erkennungsroutinen nur ungenügend deuten konnten.

»Loyalität ist für einen Konstrukteur von entscheidender Bedeutung«, sagte er mit eindringlichem Tonfall. »Ich hoffe, das ist dir bewusst.«

»Das Prinzip der Loyalität ist mir bekannt.«

Der Bote schwieg mehrere Sekunden.