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EXTRA

 

 

Geteilte Unsterblichkeit

 

Aufruhr in Terrania – ein Fremder gibt sich als Perry Rhodan aus

 

Michelle Stern

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Perry Rhodan bekam einst von der Superintelligenz ES das Geschenk der Unsterblichkeit: Zuerst wurde sie ihm regelmäßig als »Zelldusche« gewährt, danach erhielt er einen eiförmigen Zellschwingungsaktivator, der auf ihn speziell eingestellt war und den er an einer Kette um den Hals trug. Schließlich nahm ES ihm diesen Aktivator ab und implantierte stattdessen einen Chip, der die gleiche Funktion übernahm, aber weniger anfällig für Diebe war.

Auf diese Weise verstrichen die Jahrhunderte, und während Perry Rhodan und seine Getreuen, die das gleiche Geschenk wie er erhielten, die Menschheit zu den Sternen und in fremde Galaxien führten und dabei äußerlich unverändert blieben, gefeit gegen Alter und Krankheit, lebten und starben viele Generationen Terraner. Keiner war unter den Unsterblichen, der dadurch nicht Freunde, Familie und Geliebte verlor, aber auch keiner, der nicht Neider und Feinde hinter sich ließ. Und niemand verlor dabei so viel wie Perry Rhodan selbst.

Mit dem Geschenk von ES kamen Pflichten und Freiheiten, Lohn und Bürde auf jene zu, die es annahmen. Aber mit einem rechnete keiner, weil es undenkbar blieb: Niemals gab es GETEILTE UNSTERBLICHKEIT ...

Was tust du, wenn der Mensch, den du liebst, ermordet wird? Wenn ein anderer aus Egoismus dein Leben zerstört? Einer, der verehrt wird und im Licht steht. Würdest du nicht auch wie ich an Rache denken?

 

1.

Terra, Solare Residenz

13. Oktober 1466 NGZ

 

»Komm nach Arkon I, Oana«, erklang die harte Stimme des Vaters. Für den befehlsgewohnten Admiral del Grazino war dieser Umgangston mittlerweile völlig normal.

Oana betrachtete die holografische Abbildung über ihrem Armbandgerät. Ihr Vater sah alt aus. Tiefe Furchen spalteten die Stirn, die Augen umkränzte ein Netz feiner Fältchen. Sie umklammerte die dampfende Tasse mit ferronischem Zimtkaffee und schüttelte den Kopf.

»Nein. Keine zehn Haluter bringen mich auf diesen Drecksplaneten.«

Seine Kinnmuskulatur verkrampfte. Der Mund bildete einen harten Strich. »Du verhältst dich unreif. Der Tod deiner Mutter ist schon so lange her.«

»Ach ja? Vielleicht rechne ich in kosmischen Maßstäben.«

»Oana ...«

Eine melodische Tonabfolge, gespielt von einem siebensaitigen Kitharon, unterbrach ihn. Ihr Armbandkom sendete eine Prioritätsnachricht eines ihrer Informanten.

»Entschuldige mich, Admiral. Die Arbeit ruft.« Ohne ihm Zeit für weitere Worte zu lassen, beendete sie die Verbindung und hob das akustische Feld auf.

Schlagartig hörte sie das leise Gemurmel im Restaurant um sich, das sich mit dem Geruch feinster interkosmischer Speisen mischte. Sie studierte den Funkeingang: Bist du noch im »Marco Polo«? Aufruhr im Residenzpark! Könnte interessant sein.

Hastig stand sie auf und zahlte. Fieberhafte Erregung packte sie, als sie das Marco Polo verließ und durch den öffentlichen Teil des Regierungs- und Parlamentssitzes zum Antigravlift ging. Jeder Job konnte die ganz große Chance sein, den Durchbruch endlich zu schaffen. Regional gesehen stellte sie als Reporterin eine Größe dar, aber interstellar betrachtet war sie ein Nichts. Noch.

Während sie mit festen Schritten hinüber in den Antigravlift trat, dachte sie an Dschingiz Brettzeck; diese missratene swoonsche Gurke, die mit lächerlichen dreißig Zentimetern Körpergröße nicht nur Starreporter beim Sender Augenklar war, sondern derzeit gleich in drei wechselnden Medien Shows moderierte. Wenn ein Swoon das ganz ohne Charme und gutes Aussehen schaffte, sollte es für sie – eine Halbarkonidin mit Stil – ein Kinderspiel sein.

Sie strich ihr silbernes Haar zurück und genoss den Blick auf die atemberaubende Metropole. Die Stadt erstrahlte im Mittagslicht wie ein Schneeachat. Zahlreiche Gleiter kreuzten über den rasch näher kommenden Wolkenkratzern. Die orchideenförmige Residenz wurde in ihrem Sichtfeld immer kleiner, während sie dem Residenzsee entgegenraste. Ihr Magen drückte ihr gegen das Zwerchfell. Das entstehende Kribbeln belebte sie.

Schon aus der Luft erblickte sie die Menschenansammlung am Seeufer um einen kleinen Hügel. Sie hob ihre Hand, ließ aus dem Ring am Ringfinger durch Hautkontakt einen Stein in die Luft schweben – ein winziges fliegendes Auge in Lapislazuliblau – und machte via Zoomautomatik erste Bilder. Unten angekommen, hatte sie nur hundert Meter zu gehen. Im Näherkommen hörte sie die stimmverstärkten Worte eines Mannes, der auf dem Dach eines Gleiters stand.

»Was ich sage, ist wahr! Ich kann es beweisen. Aber nur Reginald Bull oder Noviel Residor gegenüber persönlich! Ich bitte um nicht mehr und nicht weniger als einen Kontakt!«

Einige Menschen schüttelten den Kopf, viele murmelten leise und drückten ihren Unglauben aus.

Oana drängte sich rücksichtslos durch die Menge, bis sie in der ersten Reihe der Terraner stand, die zu dem Mann im grauen Overall mit den roten Applikationen aufsahen. Sie machte mit der Kamerasonde ein paar Aufnahmen von oben und betrachtete den Fremden. Er hatte dunkles, halblanges Haar und einen durchdringenden Blick. Auf der Stirn verlief eine kleine Narbe, die sich wie ein weißer Strich in die Haut kerbte. Sein Blick schweifte durch die Menge und traf ihren.

Ihr wurde schwindelig. Was der Antigravlift der Residenz nicht geschafft hatte, das gelang diesem Terraner – wenn er denn einer war – mit seinen Augen. Seine Stimme tönte durch den Park.

»Es ist die Wahrheit, auch wenn sie schwer zu begreifen ist.«

»Und was ist die Wahrheit?«, schleuderte Oana zum Dach des Stadtflitzers hinauf. Mehrere Leute drehten sich zu ihr um.

Der Mann atmete tief durch. In seinen Worten lag eine Eindringlichkeit, die ihn absolut glaubwürdig klingen ließ.

»Wie ich schon sagte: Ich bin Perry Rhodan!«

 

*

 

Das Gemurmel schwoll an. Oana fühlte Ellbogen und andere Körperteile, die sich gegen sie drängten, doch sie verteidigte ihren Platz mit gekonnten Gegenstößen.

»Perry Rhodan«, echote sie leise. Bei jedem anderen, der das von sich behauptet hätte, wäre sie in Gelächter ausgebrochen. Es gab nur einen Perry Rhodan und ansonsten jede Menge Volk, das sich wichtigmachen wollte. Aber bei diesem Mann spürte sie Authentizität. Er hatte die Ausstrahlung der Macht und der durch Unsterblichkeit gewonnenen Gelassenheit. Sie lag wie eine unsichtbare Aureole um ihn und ließ sich nicht leugnen.

Sirenengeheul erklang, das rasch erstarb. Ein Gleiter der Ordnungskräfte senkte sich aus der Luft.

Die Menge stob auseinander und formierte sich in einigem Abstand neu. Oana blieb stehen und machte Bilder. Ihre Haare wirbelten auf, als das Luftfahrzeug keine drei Meter vor ihr landete.

Zwei Männer in SERUNS stiegen aus. Die Kampfanzüge saßen wie eine zweite Haut um die durchtrainierten Körper. Hinter ihnen schwebten zwei Roboter auf den Rasen des Parks. Es waren kleinere Modelle in Zapfenform, aber Oana zweifelte nicht an ihrer Kampfkraft.

Der größere trat vor den Stadtflitzer. Hellblonde Haarstoppeln bedeckten seinen Kopf. Er wirkte sympathisch, aber nicht sonderlich attraktiv. Die Züge waren eine Spur zu ausdruckslos für einen Flirt, also beschränkte sich Oana vorerst darauf, weiter Bilder zu machen und zu beobachten.

Der Blonde legte den Kopf in den Nacken. »Komm von da oben runter.«

Der Mann, der behauptete, Perry Rhodan zu sein, sprang mit einem eleganten Satz zu Boden. Oana beobachtete, wie die hohen Stiefel dabei federten. Vermutlich enthielten sie Antigrav-Mikropaks zur Überwindung der Schwerkraft. Der Fremde ließ dem Sicherheitsbeamten keine Zeit für weitere Aufforderungen. Seine Stimme klang so befehlsgewohnt wie die ihres Vaters, nur nicht so arrogant.

»Ich erbitte ein Treffen mit Reginald Bull oder Noviel Residor. Gib das nach oben weiter.« Er wies beim Sprechen mit dem Kopf hinauf zur Stahlorchidee.

Der Blonde stemmte die Arme in die Hüften. »Für formelle Anfragen sind wir nicht zuständig. Du kannst deinen Gleiter nicht mitten im Park abstellen. Ich muss dich bitten, mit uns zu kommen.«

Oana betrachtete die Züge der Sicherheitskraft. Sie kam zu der Überzeugung, dass der Aufruhr beobachtet worden war. Sicher hatte LAOTSE, das Rechengehirn der Solaren Residenz, alles aufgezeichnet und ausgewertet. Dieser Mann wusste genau, dass der Schwarzhaarige sich als Perry Rhodan ausgab, und wollte ihn deshalb zumindest zeitweise aus dem Verkehr ziehen, um seine ID-Karte und die Individualschwingung zu prüfen. Gespannt wartete sie darauf, wie der Fremde reagierte. Sein Ton blieb sachlich.

»Ich werde nicht mit dir kommen. Es gibt keinen Anlass für eine Festnahme. Ich habe niemanden bedroht oder geschädigt.«

»Wegen unsachgemäßer Abstellung deines Flugfahrzeugs ...« Der Blonde hielt inne, denn in diesem Augenblick schwebte das Fahrzeug wie von Zauberhand in die Höhe und verharrte mit nahezu lautlosem Antrieb fünf Meter über der Grünfläche.

Der Fremde schenkte den Sicherheitsleuten ein entwaffnendes Lächeln. »Ich sehe kein abgestelltes Fahrzeug.«

Oana trat vor. Die Sache interessierte sie brennend, und sie fürchtete, den Kontakt zu verlieren, wenn sie nicht aktiv wurde. Sie gab ihrer Stimme ein tiefes, erotisches Timbre, für das sie schon anderweitige Stellenangebote erhalten hatte, und blinzelte kokett. »Wir fliegen umgehend vom Park fort, Leute. Kein Problem.«

Während der Beamte einen unsicheren Blick mit seinem Kollegen wechselte und offensichtlich nicht wusste, ob er nachgeben sollte, sah der Fremde sie an.

»Wir?«, fragte er skeptisch. Im Gegensatz zu den Wachleuten schien er sich nicht von ihren Reizen beeindrucken zu lassen.

Sie schluckte, nickte aber. »Ja, wir. Du willst die Aufmerksamkeit des terranischen Führungsstabs. Ich kenne jemanden, der sie dir verschafft.«

Seine Entscheidung dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde. »Also gut. Komm mit.« Er deutete zum Gleiter.

Oana zögerte nicht, obwohl ihr mulmig zumute war. Auf was – oder besser wen – ließ sie sich da ein? Einen Spinner, der so fest an seinen Wahn glaubte, dass nicht einmal ein Ara ihm helfen konnte?

Der blonde Sicherheitsmann verschränkte die Arme vor der Brust und wirkte trotzig. »Also gut. Du bekommst drei Minuten, um aus dem Park zu verschwinden.«

»Danke.« Der Fremde ging direkt unter seinen Gleiter. »Aber mir reichen zwei.«

Oana stolperte auf ihren hohen Schwebeschuhen neben ihn und spürte den Sog, der sie unmittelbar erfasste und in ein geöffnetes Luk zog, das fast ein Drittel des Gleiters ausmachte. Kurz darauf saß sie im Inneren des Zweisitzers. Unter ihr schloss sich der Boden, und die automatischen Sicherheitsklammern glitten um ihren Körper.

Der Antriebsschub drückte sie trotz Ausgleichsmodul hart in das Polster. Der Flitzer beschleunigte.

Atemlos sah sie zu, wie der Park kleiner wurde und schließlich hinter weißen Gebäuden verschwand.

 

*

 

Solare Residenz

Acht Stunden später

 

Perry Rhodan betrachtete die bislang ungelesenen Datenspeicher auf dem Schreibtisch seines Nachfolgers. Seit einigen Minuten stand er nun in seinem ehemaligen Büro und sah sich um. Er wirkte nachdenklich.

Der Terranische Resident hatte ihm freien Zutritt in sein Büro gewährt, da er sich ohnehin nicht auf Terra befand. Rhodan dachte darüber nach, wie lange es her war, dass er an diesem Schreibtisch gesessen und Amtsgeschäfte getätigt hatte. Obwohl er geglaubt hatte, den Job nicht zu vermissen, spürte er einen Anflug von Wehmut.

»Drei Jahre«, sagte er halblaut und fuhr mit einem Finger über die Tischplatte. Seit drei Jahren trug er den Titel eines Sonderbeauftragten des Galaktikums für die Polyport-Domäne und Reginald Bull den des Terranischen Residenten der Liga Freier Terraner. Während Bull sich der Verwaltung hingab, reiste Rhodan mit MIKRU-JON durch das All, um das Polyport-Netz zu erforschen und in seiner Rolle als unabhängiger Botschafter und Völkerverständiger verschiedenen Polyport-Galaxien Besuche abzustatten. Doch in dieser Woche war Bull auf Reisen, während Rhodan sich ohne Mondra Diamond auf Terra die Zeit vertrieb.

Mit einem Lächeln dachte er an die wundervolle Frau, die in Anthuresta auf ihn wartete. Sobald Bull von seiner Reise zurückkehrte, würde Rhodan wieder aufbrechen. Er wusste die Erde bei seinem Freund in besten Händen.

Er blinzelte, als er eine Bewegung in der Luft wahrnahm. Im Reflex legte sich seine Hand auf den Kombistrahler, dann ließ er sie genauso schnell wieder sinken.

LAOTSE reagierte nicht, also drohte keine Gefahr. Der Rechner steuerte und verwaltete die Residenz. Ihm entging kein Eindringling. Wie er erwartet hatte, materialisierte neben ihm die Gestalt einer übergroßen Maus mit Biberschwanz im SERUN. Der farbige Kampfanzug gab der Körpermitte des Mausbibers das Aussehen eines Wasserballs. Ehe er etwas sagen konnte, kam der Ilt ihm zuvor.

»Da bist du ja, Großer. Ist ja schwerer, dich zu finden als eine Mohrrübe im Leerraum.«

Mit einem Anflug von Unruhe drehte sich Rhodan dem Mausbiber ganz zu. »Warum suchst du mich, Gucky? Ist etwas passiert?«

»Keine Sorge, eine Katastrophenmeldung bringe ich nicht.« Gucky zeigte zum Hologerät neben dem Interkom. »Aber du musst dir was ansehen. Da läuft gerade eine Show in den Medien – whow. Da gibt's jemanden, der behauptet, er wäre du.«

Rhodan runzelte die Stirn. »Er behauptet, Perry Rhodan zu sein?«

»Genau.« Gucky bediente bereits telekinetisch das Holo auf dem Schreibtisch. Als Multimutant hatte der Ilt gleich drei außergewöhnliche Fähigkeiten, von denen die dritte jene der Telekinese war.

Abwehrend hob Rhodan die Hand. »Ich denke, wir sollten lieber in einen anderen Raum gehen. Das ist Reginalds Büro, nicht meins oder deins.«

Gucky ließ seinen Nagezahn blitzen. »Der Dicke hat sicher nichts dagegen.«

Mit einem leicht unwohlen Gefühl blickte Rhodan auf das Holo. Bull hatte ihm erlaubt, sein Büro aufzusuchen, keine Frage. Trotzdem kam es ihm wie ein Übergriff vor. Er wollte nicht, dass Bully das Gefühl bekam, er würde ihm nicht voll vertrauen oder könnte seinen alten Posten nicht loslassen. Was waren schon drei Jahre?

In der Luft baute sich das Bild mehrerer Antigravplattformen auf, die gut tausendfünfhundert Meter über terranischem Boden im Nachthimmel schwebten. Rhodan errechnete die Distanz anhand der hinter und unter ihnen liegenden Residenz. Die Stahlorchidee strahlte durch ihre umfassende Beleuchtung wie ein zu naher Stern. Er kannte nur einen, der Medienshows in dieser Höhe veranstaltete und damit symbolisch zeigte, als Medienvertreter über der Regierung zu stehen: Dschingiz Brettzeck.

Tatsächlich rückte der grüne Swoon nun in die Aufnahmeoptik. Er schwebte auf einem Thron einen Meter über der Plattform, um mit seinen Interviewpartnern Augenkontakt auf einer Höhe halten zu können.

Vor ihm saßen ein Mann und eine Frau auf fliegenden Sitzen. Die Frau schien aufgrund ihres Aussehens Halbarkonidin zu sein. Der Mann wirkte terranisch. Er hatte dunkles Haar und trug einen grauen Overall mit roten Applikationen.

Brettzeck dagegen hüllte ein Mantel aus Pfauenfedern ein. Darunter blitzte feinste violette Seide. Seine stimmverstärkten Worte dröhnten durch den Raum. »Du bist also Perry Rhodan, ja?«

Der Schwarzhaarige nickte. Obwohl Rhodan ihm eine gewisse Ausstrahlung zugestand, konnte er in dem fremden Gesicht nicht mehr erkennen als einen Mann, der sich wichtigmachte.

»Er sieht nicht mal aus wie ich«, stellte er nüchtern fest und berührte flüchtig sein kurz geschnittenes blondes Haar. Stirnrunzelnd schaltete er das Holo ab. Es gab Besseres zu tun, als sich damit zu befassen. »Und du solltest wissen, dass ich ich bin, Gucky. Diese Show ist nichts weiter als einer von Brettzecks absurden Scherzen, um auf sich aufmerksam zu machen. Damit brauchen wir keine Zeit zu verschwenden.«

Gucky blickte ihn treuherzig an. »Soll ich trotzdem rüberspringen und mich darum kümmern?«

Rhodan schüttelte entschieden den Kopf. »Nein. Bausch die Sache nicht noch mehr auf.«

»Ich könnte zumindest mal in seine Gedanken reinhören, ohne dass es jemand merkt. Ich hab's schon von hier aus versucht, aber dieser Brettzeck hat was gegen Mutanten. Seine Shows sind mental gesicherter als Arkons Imperialgeheimnisse. Auf der unteren Plattform befindet sich so ein verdammter Schmerzmacher. Aber den könnte ich ausschalten.«

»Lieber nicht. Lass den PIEPER PIEPER sein. Falls dein Einsatz bemerkt wird, würdest du die Sensationslust einiger Terraner nur noch mehr anfachen, Kleiner. Dein Auftauchen gibt Brettzeck unnötigen Auftrieb. Hast du nichts Besseres zu tun, als dich mit einem aufmerksamkeitsheischenden Swoon und diesem Hochstapler zu befassen?«

»Nein.« Der Mausbiber sah mitleiderregend zu ihm hoch. Seine Knopfaugen glänzten feucht und wirkten in seinem pelzigen Gesicht riesig. »Friedenszeiten sind zwar großartig, aber auch ein ganz klein bisschen langweilig. Wen soll ich denn da retten?«

Rhodan tätschelte seinen Kopf. »Du findest sicher eine bessere Beschäftigung. Wenn an der Sache etwas dran ist, erfahren wir es früh genug.«

2.

 

Was tust du, wenn das Leben, das du lebtest, eine Lüge war? Wenn du betrogen wurdest von dem Menschen, dem man am meisten vertraut? Einem, der genau wusste, was er tat, und der dich aus Furcht und Selbstsucht vernichten wollte? Würde nicht auch in dir der Hass wachsen?

 

*

 

Er musste sterben. Endlich sterben. Dieses Mal würde es gelingen. Der schwarzhaarige Mann mit den zahlreichen Flechtzöpfen und dem eingebrannten Zeichen auf der linken Wange schloss die Augen. Tief atmete er die feuchte Regenluft ein. Die Zeit war reif. Überreif.

»Fünfzig Stunden«, flüsterte er. »Noch fünfzig Stunden. Dann bist du tot.«

Sobald der Feind in Reichweite kam, würde er zuschlagen. Schon zweimal hatte er in den vergangenen Tagen eine Chance gesehen, und zweimal musste er seine Pläne wegen widriger Umstände aufgeben. Er war kein Narr, und er wollte das sichere Ende des Gegners. Sauber und glatt. Ohne unnötig viele Zivilisten zu gefährden und mit dem geringsten Risiko für sich und seine Leute.

Unbehaglich sah er sich um. Von der Dachterrasse aus hatte er weite Sicht auf das Stadtviertel. Fremdheit umgab ihn. Alles, was ihn ausmachte und umschloss, sein ganzes jetziges Sein, verschuldete der andere. Nur durch ihn geriet er in diese unmögliche Situation. Ja, sein Feind trug die Verantwortung für sein Leid. So, wie er es immer tat. Wieder und wieder hatte der andere ihn gedemütigt.

Aber bald würde das alles Vergangenheit sein.

Er besaß die Waffen, die Mittel und die Verbündeten. Selbst LAOTSE hätte er austricksen können, wenn er es gemusst hätte. Aber er brauchte das unnötige Risiko nicht einzugehen.

Es gab andere Wege. Er würde sie einschlagen. Bald.

Sein Ziel stand unwiderruflich fest: Perry Rhodan musste sterben.

 

*

 

Oana betrachtete interessiert das Gebilde, das Brettzeck für seine Show geschaffen hatte.

Sie selbst saß mit dem zweiten Rhodan und dem Swoon auf einer ovalen Antigravbühne, die langsam rotierte. Um sie herum schwebten sieben fixe Antigravplattformen, von denen jeweils fünf mit Showgästen und zwei mit lebensgroßen Gast-Avataren besetzt wurden. Unter den acht Elementen befand sich im Abstand von zehn Metern eine weitere ovale Plattform, die als Gleiterlandeplatz sowie als Technik- und Rechenzentrum fungierte. Dort stand auch als kleiner verwaschener Fleck der Gleiter, mit dem der zweite Rhodan und sie gelandet waren.

Ob sie irgendwann eine ähnliche Show für Augenklar oder einen anderen Sender anbieten würde? Noch saß sie auf der falschen Seite. Aber ihre Bekanntheit stieg in dieser Nacht mit Sicherheit. Auf die eine oder andere Weise.

Ein wenig unbehaglich umklammerte sie die Sessellehnen und blickte durch die Zuschauerreihen. Sie hatte darauf bestanden, mit Rhodan Zwei in die Show zu gehen. Beide oder keiner. Brettzeck räumte ihr fünf Minuten ein.

»Wenn du Rhodan bist, kannst du uns ein paar deiner Geheimnisse verraten, nicht?«, fragte der Swoon gerade mit seiner stimmverstärkten Akustik. »Wie ist Mondra Diamond im Bett?«

Der zweite Rhodan ließ sich von der intimen Frage nicht provozieren. Ihm schien klar zu sein, dass Brettzeck die Frage lediglich nutzte, um ihn aus der Reserve zu locken. Unbeeindruckt blickte er hinauf zu den Kamerasonden, Attrappen und Scheinwerfern, die sie wie der Miniaturspiralarm einer Galaxis umflogen und die Nacht erhellten. Die kugelförmigen Scheinwerfer bildeten die Sonnen, während die fliegenden Kameras und Attrappen Planeten und Monde darstellten.

Seine Stimme klang gelassen, als er antwortete. »Wenn es um Geheimnisse geht, würde ich lieber in die Vergangenheit gehen. Die Erde stand oft genug an Abgründen, von denen die Bewohner Terras nichts wussten.«

Brettzeck klatschte in sein unteres Händepaar. »In die Vergangenheit? Ach ja? Wie war denn deine erste Frau Thora da Zoltral im Bett? Sind Arkonidinnen die besseren Liebhaberinnen?«

Nun sah der zweite Rhodan ihn direkt an. Seine dunklen Augen schienen den Moderator zu sezieren. »Die Frage, wer wie im Bett war, ist kosmisch irrelevant, und ich wüsste auch nicht, was es einem Swoon bringt, das zu erfahren.«

Verhaltenes Gelächter im Publikum. Brettzeck wirkte kurz verärgert über die verbale Ohrfeige, dann fing er sich wieder. Er lehnte auf dem Thron seinen grünen Oberkörper zurück. »Du hast gesagt, du könntest Beweise für deine Behauptung liefern. Bisher sehen meine Zuschauer nicht mehr als einen Kerl, der sich wichtigmachen will. Wo sind deine Trümpfe? Was hast du in petto?«

»Ich kann eine Menge verschiedener Sprachen sprechen. Von Englisch über Japanisch, Satron, Jamisch, TraiCom bis hin zu den Worten der Mächtigen. Außerdem verfüge ich über leicht telepathische Fähigkeiten. Willst du eine Probe?«

Der Swoon beugte sich dem zweiten Rhodan vertraulich entgegen. »Da musst du schon ein wenig mehr springen lassen, Freund. Unsere Rezipienten wollen Tatsachen sehen, keine Hirn- oder Wortkünste. Welche handfesten Beweise hast du?«