Nr. 1581
Tod im Weltraumfort
Das Komplott der Friedensstifter – alle Macht den Springern
Horst Hoffmann
Ende 1171 NGZ beträgt die Lebenserwartung der Zellaktivatorträger nur noch sechs Jahrzehnte, nachdem ES die Leben erhaltenden Geräte zurückgefordert hatte.
Es ist klar, dass die Superintelligenz einen Irrtum begangen haben muss, denn sie gewährte den ZA-Trägern ursprünglich 20 Jahrtausende zur Erfüllung ihrer kosmischen Aufgaben. Die Superintelligenz aufzufinden, mit den wahren Fakten zu konfrontieren und dadurch die eigene Lebensspanne zu verlängern ist natürlich allen Betroffenen ein Anliegen von vitalem Interesse.
Man hat aus diesem Grund in Terrania alle Daten und Fundstücke zusammengetragen, die zur Bestimmung des Aufenthaltsorts von ES dienen können. Die Auswertung des Materials wird von dem genialen Myles Kantor und seinem wissenschaftlichen Team vorgenommen.
Noch im Dezember stellt sich der Erfolg ein: Die Kunstwelt manifestiert sich an einem Ort entlang der errechneten Bahn.
Perry Rhodan und ein paar seiner Gefährten schaffen es nur unter Schwierigkeiten, Wanderer zu betreten. Ihr Ziel, sich mit ES auseinander zu setzen, erreichen sie nicht. Sie werden unverrichteter Dinge wieder abgeschoben.
Andere hingegen sind erfolgreicher. Auf sie wartet DIE NEUE BESTIMMUNG ...
Roi Danton – Ein Pirat in diplomatischer Mission.
Atlan – Dantons Gegenspieler beim Planeten-Poker.
Paylaczer – Die Überschwere erleidet eine Schlappe.
Cebu Jandavari – Eine Friedensstifterin mit großen Ambitionen.
Marfin Kinnor – Dantons Vertrauter.
»Er hat also versagt?«
Paylaczers tiefe Stimme erfüllte die Zentrale des mächtigen Walzenschiffs.
»Er hat gezögert, als Zeit zum Handeln war«, sagte der Überschwere, der neben dem neuen Corun von Paricza stand und unruhig auf den Füßen wippte. Bei seiner quadratischen Gestalt und dem Körpergewicht von über vier Zentnern wirkte das beinahe lächerlich.
Nur wer ihm in die zusammengekniffenen, hinter Fettsäcken halb verborgenen Augen sah, der konnte an seiner Erscheinung absolut nichts Lächerliches entdecken. Der dritte Überschwere in der Mitte des Kontrollstands sah den Tod in diesen Augen – seinen eigenen Tod.
»Seinem Zaudern ist es zu verdanken, dass die Piraten entkommen konnten, nachdem sie den Warentransport überfielen. Als wir aufmerksam wurden und feuerbereit waren, hatten sie längst die Flucht ergriffen. Hermytas hätte sie dreimal in eine Sonne verwandeln können. Stattdessen begnügte er sich damit, sie abzuwehren und davonzujagen.« Merschazter riss den rechten Arm hoch und richtete den Zeigefinger auf seinen Artgenossen. Seine Stimme wurde noch lauter. »Hermytas hat die Verbrecher geschont! Er hat sie absichtlich in den Hyperraum entkommen lassen, damit sie morgen an anderer Stelle erneut zuschlagen und vielleicht tapfere Soldaten töten! Vielleicht ist er sogar mit ihnen im Bunde! Ich behaupte, Hermytas ist nicht nur ein erbärmlicher Weichling und Versager, sondern auch ein elender Verräter! Seine Strafe kann deshalb nicht hart genug sein!«
»Nein!«, schrie der Beschuldigte laut. Die huschenden Lichter von Kontrollmonitoren rings um die drei Überschweren zauberten sehr bizarre Muster auf seine schweißnasse Haut. Er machte jetzt in seiner Verzweiflung einen großen Schritt auf Paylaczer zu, zuckte aber sofort wieder zurück. Er warf sich auf die Knie und flehte wehleidig um sein Leben.
Immer mehr Überschwere an den Schalttischen ringsum ließen ihre Arbeit ruhen und verfolgten gebannt, was sich vor ihren Augen tat. Die LETICRON, Paylaczers nach dem legendären Ersten Hetran der Milchstraße benanntes Schiff, machte ruhigen Flug mit Kurs auf Archetz im Rusuma-System. Der größte Teil der zweitausendköpfigen Besatzung hielt sich in den Quartieren auf.
Der Vorfall, der nun hier auf so drastische Art und Weise verhandelt wurde, hatte sich vor zwei Tagen ereignet, beim Laden der Waren im Wert von rund 100 Milliarden Galax. Die LETICRON hatte nicht viel davon an Bord genommen. In der Hauptsache hatte Paylaczer die Beladung von zehn anderen Walzenraumer seiner Flotte überwacht. Es waren Gerüchte im Umlauf gewesen, dass mit Piratenüberfällen zu rechnen sei. Andere hatten darüber gelacht – eine allgemeine Raumpiratenhysterie schien in der Galaxis ausgebrochen zu sein, wurde gehöhnt. Zuerst die Monkin, dann die Aktivitäten solcher Gestalten wie Roi Danton und seiner Männer von Lepso ...
Paylaczer war viel zu vorsichtig, um die Warnungen in den Wind zu schlagen. Das Riesengeschäft der Kosmischen Hanse mit den Friedensstiftern war kein Geheimnis. Die halbe Milchstraße redete in diesen Tagen von nichts anderem. Und diese Hundertmilliarden-Lieferung war nur ein Teil des Gesamtpakets, das die Hanse den Friedensstiftern zu liefern hatte. Oder besser gesagt, ihnen schuldig war – denn bezahlt hatten die neuen Zellaktivatorträger bereits.
Während die LETICRON die Beladung der zehn Walzenraumer überwachte, nahmen auf anderen Handelskontoren der Kosmischen Hanse über dreißig weitere Schiffe der Überschweren ebenfalls Waren an Bord. Die vorausgesagten Piraten trafen tatsächlich ein, und Paylaczer vernichtete zwei ihrer drei schnellen und wendigen kleinen Kugelschiffe.
Das dritte war Hermytas entkommen, der nur auf die Feuerknöpfe seiner SHORGAH zu drücken brauchte.
Paylaczer stand vor dem Unglücklichen, die muskelbepackten Arme, breiter als die Oberschenkel eines kräftigen Menschen, vor der hochgewölbten Brust verschränkt. Der 1,62 m hohe und noch um einige Zentimeter breitere Körper steckte in einem rüstungsartigen, mit Metallgliedern verstärkten SERUN, feuerrot und mit raffinierten Waffensystemen versehen. Paylaczer legte den Anzug niemals ab. Ob der Corun von Paricza auch darin schlief, wusste niemand, aber es wurde behauptet. Darüber zu witzeln, getraute sich niemand aus Paylaczers Umgebung.
Es konnte zu leicht den Kopf kosten.
In den Schultersegmenten der SERUN-Rüstung befanden sich kleine Raketen- und Granatwerfer, in den Unterarmteilen Paralysatoren und andere, tödliche Strahler. In der Brust waren Desintegratoren verborgen. Verschiedene Wurfgeschosse kamen noch dazu. Fast überall im SERUN versteckte sich der schnelle Tod. Nur wer Paylaczer fast rund um die Uhr begleitete, wie Merschazter, dem fiel auf, dass es nicht immer die gleiche Rüstung war. Der Corun musste ein Dutzend davon besitzen und sich mindestens einmal am Tag umkleiden.
»Steh auf!«, herrschte Paylaczer den Kommandanten der SHORGAH an. »Nur ein Wurm wälzt sich am Boden! Äußere dich! Stimmt es, was Merschazter sagt?«
»Ich habe ...« Hermytas stemmte sich in die Höhe. Er zitterte unter dem strengen Blick aus Paylaczers eiskalten Augen. Schließlich gab er sich einen Ruck. Mit einem Aufbäumen, das aus einer realistischen Einschätzung seiner Chancen bei dieser Farce von Verhandlung herauskam, stieß er hervor: »Ich bin kein Verräter, Corun! Ich wollte die Piraten lebendig bekommen, damit sie uns verraten könnten, woher sie kamen und in wessen Auftrag vielleicht! Ich hätte nur noch eine Sekunde gebraucht, um die Paralysegeschütze der SHORGAH genau auszurichten und zu ...«
Merschazters Faust traf ihn von hinten zwischen die Schultern und beförderte ihn erneut vor die Füße des Coruns.
»Er lügt erbärmlich! Er hat sich das mit dem Gefangennehmen nur ausgedacht, um seine Feigheit zu vertuschen – und vielleicht seine Komplizenschaft! Ich an deiner Stelle, Corun, würde ihn foltern und dann ...«
»Du bist nicht an meiner Stelle«, unterbrach Paylaczer ihn. Als der Corun Hermytas die rechte Hand reichte und ihm aufhalf, schüttelte der Überschwere ungläubig und entsetzt den massigen Schädel und schnappte nach Luft.
»Geh jetzt«, sagte Paylaczer. »Ich glaube dir, dass du kein Verräter bist.«
»Ich bin ... frei?«, entfuhr es Hermytas. »Ich kann wirklich gehen?«
»Du warst nie gefangen und du hast deine Beine noch. Sind sie plötzlich gelähmt?«
»Nein«, beeilte Hermytas sich zu versichern, verneigte sich vor seinem Herrscher und murmelte undeutliche Dankesworte. Dann drehte er sich, noch gebeugt, herum und schickte sich an, auf schnellstem Weg die Zentrale der LETICRON zu verlassen.
Er kam keine drei Schritte weit.
Paylaczers rechte Hand zuckte zum breiten Ledergürtel um die Taille des roten SERUNS und kam mit einer Riemenpeitsche zurück. Die Bewegung war für normale Augen kaum zu erkennen, ansatzlos und blitzschnell.
Scheinbar ebenso ansatzlos ruckte die Hand mit dem Peitschengriff hoch und schwang die Waffe. Der Riemen traf Hermytas mitten ins Kreuz und fällte ihn.
»Er ist tot«, sagte Merschazter, nachdem er sich über den reglosen Körper gebeugt und ihn kurz untersucht hatte. Hermytas war noch nicht einmal Zeit für einen Schrei geblieben. »Du hast ihm das Rückgrat gebrochen – einfach so.«
Paylaczer rollte die Peitsche wieder zusammen und steckte sie in den Gürtel zurück.
»Ein Verräter war er nicht«, sagte der Corun von Paricza. Den Titel trug Paylaczer, nachdem mit Maczinkor der einzige ernst zu nehmende Konkurrent um die Macht ausgeschaltet worden war.
Paylaczer hatte ihn mit eigener Hand getötet, als die Friedensstifterin Cebu Jandavari sich Ende Mai im Punta-Pono-System an Bord der RICOSSA mit Maczinkor traf, um über die Dienste der Überschweren als Schutz- und Ordnungstruppe zu verhandeln. Nach dem Tod des verhassten Widersachers war der Weg frei geworden zur alleinigen Führung aller Pariczaner.
»Nein, ein Verräter war er nicht.« Paylaczer stieß ein brüllendes Gelächter aus, das genügte, um diejenigen aus der Zentralebesatzung, die noch nicht geflohen waren, zurück an ihre Plätze zu schicken. Das Lachen erstarb. Paylaczers Gesicht wurde wieder hart und grausam. »Er war feige, und Feigheit ist zehnmal schlimmer als Verrat. Feigheit und Winseln haben an Bord meiner Schiffe nichts zu suchen.« Paylaczer sah sich um. »Merkt euch das! Alle!«
Der Corun von Paricza stampfte los und war mit wenigen wuchtigen Schritten vor dem Schachteinstieg des Antigravlifts. Noch einmal drehte die massige Gestalt sich um und schlug sich mit der linken Faust gegen die Brust, die sich etwas mehr vorwölbte als die der anderen Überschweren, die Paylaczer um einen halben Kopf überragte.
Ein kantiger Kopf mit tief schwarzem, kurzem Haar, ungepflegt wie eingefettetes und angestrichenes Stroh. Die Haut des breiten, grünlich schillernden Gesichts war großporig, derb und zernarbt. Zwischen den Wulstlippen zeigten sich gelbliche Zähne, die wie verwitterte Grabsteine aussahen. Die Nase darüber glich einer platten Kartoffel, die Ohren waren wild wuchernde Haut- und Knorpellappen, und die eiskalten Augen blickten nicht ganz parallel.
Noch einmal brach der Corun in brüllendes Gelächter aus, bevor er einen Bildschirm aus der Wandverankerung riss und in eine Monitorgalerie schleuderte. Funken sprühten, es gab Kurzschlüsse. Überschwere vor der Galerie sprangen in Entsetzen auf und brachten sich mit weiten Sätzen in Sicherheit.
»Schafft die Leiche ins All!«, befahl Paylaczer der Mannschaft. »Nein, ein Verräter war er nicht.« Erneut schlug die Faust gegen die Brust. »Eine Frau spürt so etwas. Also nehmt euch alle vor mir in Acht.«
Zur gleichen Zeit befanden sich auch die LOMORAN der Friedensstifterin Cebu Jandavari und Roi Dantons MONTEGO BAY auf dem Weg nach Archetz. Das linguidische Delphinschiff und der terranische Kugelzellenraumer kamen von Lingora in der galaktischen Eastside. Die dramatischen Ereignisse auf der Heimatwelt der Linguiden waren allen Beteiligten noch in frischer Erinnerung. In weniger als zwei Tagen, am 1. Juli 1173 NGZ, sollten die LOMORAN und ihr Geleitschiff den Kugelsternhaufen M 13 erreichen.
Roi Danton wollte bis dahin noch einiges geklärt haben.
»Sie lässt sehr auf sich warten«, brummte Marfin Kinnor in seinen Bart, dessen prächtige Zöpfe nicht zuletzt dafür sorgten, dass man ihn in Anlehnung an den legendären Freihändlerführer Anson Argyris den »Kaiser« nannte. Er ließ es sich gerne gefallen. Sein ganzes Äußeres rief die Erinnerung an Argyris wach, nur besaß dieser ganz bestimmt bessere Manieren als der Ertruser-Klon aus der Jahrhundertserie, der fast als Biont auf einer Randwelt gelandet wäre. Nur seinem Geschick verdankte er es, wegen seiner Fleischallergie nicht als Gen-Müll behandelt worden zu sein. Diese Allergie war Folge eines Gen-Fehlers und im Grunde gegen die vollkommen herausgebildeten Eigenschaften vernachlässigbar, die aus Kinnor eine Kampfmaschine erster Güte machten.
Nur, Monos und seine Schergen hatten es in der Hinsicht mehr als genau genommen.
An Bord der MONTEGO BAY war der Ertruser seit fast zwei Monaten. Roi Danton hatte ihn, zusammen mit anderen Galgenvögeln, auf der Freihandelswelt Lepso gefunden und zu seinem neuen Zweiten Piloten und Navigator gemacht. Dies geschah im Rahmen des neuen Images, das Perry Rhodans Sohn sich gegeben hatte. Er hoffte, damit an die Friedensstifter heranzukommen, die in diesen Tagen weniger Frieden als vielmehr Unruhe und Zwist in der Galaxis stifteten.
Es war ihm besser geglückt als erwartet. Allerdings um den Preis, dass Michael Rhodan jetzt von jedem Uneingeweihten für den ergebenen Diener und Bewunderer Cebu Jandavaris gehalten wurde. Nur wenige Vertraute kannten das Spiel, das er spielte. Der Öffentlichkeit hatte er durch erbitterte Wortgefechte mit seinem Vater und anderen ehemaligen Gefährten genial vorgeführt, wie fertig er angeblich mit den alten Zellaktivatorträgern war – mit seinem ganzen bisherigen Leben. Die Maskerade des zornigen Mannes, der zum Piraten geworden war, wurde ihm auch von der Friedensstifterin abgenommen.
Allerdings war Michael Rhodan schon immer ein Meister der Verstellung gewesen. Nicht ohne Grund hatte er auf eine Rolle zurückgegriffen, mit der er vor über 2300 Jahren die ganze Galaxis an der Nase herumgeführt hatte, allen voran seinen ahnungslosen Erzeuger.
Dennoch genügte ein falsches Wort, eine falsche Geste, um den Argwohn der Friedensstifterin zu wecken.
Wenn diese erst einmal damit begann, ihn auch nur aus Vorsicht zu beeinflussen, war er wahrscheinlich die längste Zeit Herr seines Willens gewesen.
Entsprechend delikat war die Anfrage, die Danton an die LOMORAN gerichtet hatte, und auf deren Beantwortung er jetzt in der Zentrale der MONTEGO BAY gespannt wartete. Marfin Kinnor hatte es ausgesprochen: Die Friedensstifterin ließ mit ihrer Stellungnahme schon ziemlich lange auf sich warten. Die Art und Weise, wie sie ihren neuen Getreuen zappeln ließ, kam schon einer Provokation nahe.
Und deutlicher konnte Mike nicht mehr werden. Er hatte seine Bestürzung darüber, dass der Überschwere Murskaczar das Teshaar-System mit seiner KACZARA verlassen hatte, ohne für den Mord an dem Linguiden Sando Genard zur Rechenschaft gezogen zu werden, vielleicht bereits um eine Spur zu schroff zum Ausdruck gebracht.
Es war ein sehr schmaler Grat, auf dem er sich bewegte. Er durfte nicht den Unmut der Friedensstifterin erregen, sich aber auch nicht als blind Ergebener zeigen. Seine Rolle war die des von seinem bisherigen Leben und Wirken Enttäuschten, der eine neue Aufgabe suchte und glaubte, diese an der Seite der Friedensstifterin gefunden zu haben. Roi Danton hatte sich von den »alten Strukturen« losgesagt und gab sich überzeugt von der neuen galaktischen Ordnung, wie sie die vierzehn neuen Zellaktivatorträger verkündeten.
Angeblich schufen sie diese ja im Auftrag von ES, der immer noch verschollenen Superintelligenz.
»Sie wird antworten«, sagte Roi. »Sie muss es, denn die Anfrage wurde von allen Empfängern der LOMORAN übertragen. Und wir haben Zeit.«