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Nr. 1328

 

Die Harmonie des Todes

 

In den Singschulen von Mardakaan – Intrigen um das Spiel des Lebens

 

von Robert Feldhoff

 

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Auf Terra schreibt man den Juni des Jahres 446 NGZ, was dem Jahr 4033 alter Zeitrechnung entspricht. Somit sind seit den dramatischen Ereignissen, die zum Aufbruch der Vironauten und zum Erscheinen der beiden Sothos aus ESTARTU führten, mehr als 16 Jahre vergangen.

Seither haben die Lehre des Permanenten Konflikts und der Kriegerkult in der Galaxis ihren Einzug gehalten – Tyg Ian hat dafür gesorgt. Dennoch hat der Sotho den Widerstand der Galaktiker nicht brechen können. Geheimorganisationen, allen voran die von Julian Tifflor geleitete GOI, sorgen dafür, dass die Hoffnung auf Freiheit von fremder Unterdrückung erhalten bleibt. Mehr noch: Der GOI gelingt es, dem Sotho und seinen Schergen empfindliche Niederlagen beizubringen und sogar den Untergang Pelyfors, eines Ewigen Kriegers, herbeizuführen.

Auch im Reich der 12 Galaxien, wo die Ewigen Krieger im Namen ESTARTUS seit Jahrtausenden regieren, regt sich in jüngster Zeit mehr Widerstand gegen ihre Herrschaft denn je zuvor.

Hinter diesem Widerstand steht die kleine Organisation der Netzgänger, die durch einige prominente Galaktiker verstärkt wurde.

Galaktiker sind es auch, die einen großen Coup gegen das Regime vorbereiten. Auch ein Meistersinger ist mit von der Partie – er beherrscht DIE HARMONIE DES TODES ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Salaam Siin – Ein Meistersinger wird zum Gänger des Netzes.

Kaleng Proo – Salaam Siins schärfster Konkurrent.

Alaska Saedelaere – Der Terraner als Lebensretter.

Graucum – Regierungschef von Mardakaan.

Ondech – Ein missgestalteter Ophaler.

1.

Schüler

 

Als auf Zaatur gerade der Winter angebrochen war, erhielt Salaam Siin erstmals Gelegenheit, vor einem Prüfungskollegium seine Fähigkeiten zu demonstrieren.

Damit war keineswegs die genaue Kenntnis theoretischer Grundlagen gemeint. Vielmehr ging es darum, exemplarisch ein wirkungsvolles Zusammenspiel zwischen Akustik und Psionik zustande zu bringen. Natürlich hätte er die Prüfung auch in den Sommer verschieben können – aber er fühlte sich fit und ausreichend vorbereitet.

»Kind! So werde fertig!«

Er verstand zunächst nicht, wem diese aufgeregten Laute galten.

»Werde fertig, Salaam Siin!«

Augenblicklich schrak er aus seiner Versunkenheit auf. Die Prüfung ... Man durfte das Kollegium nicht warten lassen.

Gemessen an der Zeitrechnung von Mardakaan, vollendete er heute die erste Hälfte seines zweiten Lebensjahrs, was in der Galaxis Siom Som sechzehn oder siebzehn Standardjahren entsprach. So viel hatte man ihm in der lokalen Singschule beigebracht. Dort bekamen sie nicht allein weiterführenden Lehrstoff über Musik und artverwandte Gebiete vermittelt, sondern auch die Grundlagen anderer Wissenschaften, dazu Geschichten über die Heraldischen Tore, über den Ewigen Krieger Ijarkor und vieles andere.

Weitgereiste Sänger hatten Salaam Siin berichtet, dass in ganz ESTARTU Ophaler anzutreffen waren. Viele Ewige Krieger nahmen ihre Dienste nur zu gern in Anspruch, weil die ophalische Sprache aus einer Mischung von komplexen Tonfolgen und suggestiven Impulsen bestand. Ein ganzer Chor war imstande, fast allen bekannten Lebensformen seinen Willen aufzuzwingen.

»Salaam Siin!«

Er spürte nun genau, wie sich ein ungehaltener Ton in die Stimme seines Erzeugers mischte. »Ich komme schon!«, rief er deshalb.

Die Töne mischten sich perfekt in den psionisch angereicherten Klangteppich des übrigen Hauses. Er sah, wie sein Erzeuger ungeduldig den von Sinnesknospen übersäten Kopf neigte. Mit einem leicht mulmigen Gefühl im Rumpf kam er auf die Beine.

In der Diele vor dem Ausgang hatten sich sämtliche Mitglieder des Haushaltes versammelt. Sie alle wussten, dass seine erste große Prüfung unmittelbar bevorstand.

»Viel Glück!«, sangen sie. »Viel Glück, Salaam Siin!«

Die kurze Melodie bestand aus einer Folge von Dreiklängen, die ihm unwillkürlich Mut machte.

Gemeinsam mit seinem Erzeuger verließ er das Haus. Auf einem Abstellplatz nahebei stand ihr Gleitfahrzeug, das ziemlich groß war und für einen umfangreichen Haushalt gerade ausreichend Platz bot. Diesmal allerdings wirkte die Leere fast beklemmend auf Salaam Siin. Mehr als eine Minute lang erfüllte statt Musik nur Stille den Innenraum.

»Es ist Brauch, dass außer mir keiner dich zur ersten Prüfung begleitet, Salaam Siin«, stellte sein Erzeuger fest. »Als ich selbst in deinem Alter war, habe ich mich gefürchtet. Ja, und ich glaube, dass es in dir ähnlich aussieht. Aber das ist falsch, mein Sohn – Furcht beeinträchtigt die Seele und verkrampft die Atemwege.«

»Ich fürchte mich nicht«, log Salaam Siin.

Sein Erzeuger schaute ihn von der Seite an. Die borkenartige rote Haut schien sekundenlang von einem blassen Schleier überzogen.

»Du musst wissen, mein Sohn: Als ich so weit war wie du, habe ich mich für den Gesang der Spiele von Mardakaan entschieden. Eine wirkungsvolle Melodie, die deine Membranen nicht überfordert, und eine sichere Sache. Ich rate dir, dasselbe zu tun.«

»Das ... das geht nicht«, erwiderte Salaam Siin.

Ihm wurde heiß. Er hatte nicht erwartet, dass sein Erzeuger so kurz vor der Prüfung ausgerechnet dieses Thema anschneiden würde. Die Auswahl der Prüfungsmelodie oblag ganz allein dem Prüfling selbst.

»Weshalb nicht?«, wollte sein Erzeuger erstaunt wissen. »Du kannst mir glauben, es ist wirklich eine sichere Sache. Du hast schon ganz andere Aufgaben gemeistert, den Gesang der Kodexwahrer, suggestive Wahrheitsgesänge ...«

»Das ist es nicht!«, unterbrach Salaam Siin, und das zittrige Vibrieren seiner Sinnesknospen demonstrierte, welch ein Maß an Unruhe doch in ihm war. »Ich habe mich anders entschieden ... Ich trage den Gesang der Heraldischen Tore von Siom Som vor!«

Nun war es heraus, obwohl er vorher nichts davon hatte sagen wollen.

Sein Erzeuger schaute nur ungläubig. »Der Gesang der Heraldischen Tore ... Eine Aufgabe für einen Sänger, nicht für einen Schüler! Für ein Kind zumal! Salaam Siin, ich fürchte, du handelst unüberlegt. Ja, sehr unüberlegt ... Dies ist keine einfache Übung, sondern deine erste Prüfung. Verscherze nicht alles, was du so mühsam erlernen musstest!«

»Ich kann es schaffen.«

Fast trotzig kam das, in kaum tremolierenden, unmodulierten Tönen.

»Denkst du wirklich, Salaam Siin?«

Er wusste, dass sein Erzeuger ihm die Wahl der Prüfungsmelodie nicht vorschreiben durfte. Für den Rest der Fahrt herrschte wieder Stille im Gleiter, und Salaam Siin merkte seinem Erzeuger die Sorge fast körperlich an. Außerdem schwang eine gute Portion Hoffnungslosigkeit mit, der er sich nur mühevoll zu entziehen vermochte.

War er denn nicht ganz sicher, dass er es schaffen konnte? Wie viele Mardakaan-Tage hatte er verborgen in einer Kammer des Haushalts geübt, hatte immer wieder den Gesang der Heraldischen Tore angehört und bis in die feinsten psionischen Nuancen studiert ... Er wusste es nicht mehr. Manches Mal war sein Knorpelwulst, der am Halsansatz die Membranen barg, vor Anstrengung geschwollen gewesen. Er hatte dann Übelkeit vorschützen müssen, damit niemand Verdacht schöpfte.

Natürlich – er würde der erste Prüfling in der Geschichte der lokalen Schule sein, der den Gesang der Heraldischen Tore als erste Aufgabe meisterte. Niemand zuvor hatte es gewagt, im Alter von eineinhalb Mardakaan-Jahren diese Aufgabe auch nur anzugehen. Aber er war nicht irgendjemand ... Er war Salaam Siin, und eines Tages würde er zum Leiter einer Singschule aufsteigen. Dies war ebenso sicher wie der nächste Sonnenaufgang.

 

*

 

Sein Heimatplanet Zaatur war eine kleine, unbedeutende Siedlerwelt, auf der man bis heute die Zeitrechnung des Mutterplaneten Mardakaan beibehalten hatte. Ihre Sonne nannten die Kolonialophaler Asuk. Sie stand ganz am Rand des ophalischen Sternenreichs, das ungefähr 250 Lichtjahre durchmaß und seinerseits am Rand der Galaxis Siom Som lag.

Und auf diesem unbedeutenden kleinen Planeten nun stand weitab von den wenigen Metropolen das Gebäude, in dessen Mauern Salaam Siins erste Prüfung stattfinden sollte. Er war sich seiner Bedeutungslosigkeit in diesem großen Rahmen wohl bewusst. Aber gerade das Bewusstsein half ihm, sein bevorstehendes Problem in den rechten Rahmen zu rücken. Er sah die Prüfung endlich als das, was sie auch war – als eine von vielen nämlich.

Das Gebäude war eine farblose Kuppel aus Glassitbeton, die nur wenig Licht reflektierte. Salaam Siin verließ gemeinsam mit seinem Erzeuger den Gleiter. Sekunden später betraten sie den Eingangskorridor, der geradewegs in die Vorbereitungsräume führte.

»Ich wünsche dir Glück, Salaam Siin!«, sang der erwachsene Ophaler mit schwermütigem Unterton. »Viel Glück ...«

Er hörte nicht mehr hin. Es war zu spät, den Bedenken seines Erzeugers jetzt noch Aufmerksamkeit zu schenken. Fast beiläufig wehrte er die Armpaare ab, womit der andere ihn an sich drücken wollte, und betrat stattdessen den kahlen Vorbereitungsraum für Schüler.

»Ah, Salaam Siin!«

Er sah Ondech auf sich zukommen, der offenbar zum gleichen Zeitpunkt seine Prüfung abzuleisten hatte wie er. Ondech war ein sehr kleines Ophalerkind. An der rechten Seite war seine Haut bläulich getönt statt flammend rot, wie es sich bei Salaam Siin ergeben hatte. Außerdem fehlten ihm zwei der sechs Armpaare, so dass viele Leute ihn einen Krüppel schimpften. Aber Salaam Siin schätzte Ondechs Sangeskunst; der kleine Ophaler wusste seinen Membrankranz weit geschickter einzusetzen, als dies im Alter von eineinhalb Mardakaan-Jahren gewöhnlich der Fall war.

»Ich grüße dich!«, sang Salaam Siin zurück. Er hoffte, dass seiner Stimme die verbliebene Nervosität nicht anzumerken war.

»Gleich ist es so weit; das Kollegium bereitet schon den Dom der Harmonie vor ... Was wirst du singen, Salaam Siin? Ich selbst habe mich für den Gesang von Asuk entschieden, eine sichere Sache, nicht wahr?«

Salaam Siin gab zunächst nur einen brummigen Basslaut von sich. Er musste sehr aufpassen, dass Ondechs redselige Nervosität nicht auf ihn überschlug.

»He, Salaam Siin ... Hast du mich nicht verstanden? Was wirst du vortragen? Vielleicht eines unserer zaaturischen Sonette? Oder eines der großen Lieder, so wie ich ...? – He, du hörst mir nicht zu, Salaam Siin!«

»Ich höre dich genau. Laut genug singst du ja, Ondech.«

Der kleine Ophaler verstand den Hinweis nicht. »Salaam Siin, es interessiert mich eben, verstehst du?«

»Ja, ich verstehe. Ich werde den Gesang der Heraldischen Tore von Siom Som vortragen.«

Ein paar Sekunden erwiderte Ondech nichts darauf. Dann sagte er bloß: »Du bist verrückt, wenn du das versuchen willst.«

Salaam Siin hatte nicht damit gerechnet, auf Verständnis zu stoßen. Ondechs Meinung bedeutete ihm nichts. Was wirklich zählte, waren die Mitglieder des Kollegiums, die seinen Gesang anzuhören und zu bewerten hatten. Dort fiel die Entscheidung über seine Zukunft und nicht bei Ondech oder den Mitgliedern seines Haushalts.

Salaam Siin ließ einen klingenden Ton hören. »Verrückt?«, summte er leise. »Nein – ganz gewiss nicht.«

 

*

 

Ondech war als Erster an der Reihe. Er kehrte nach ungefähr einer Stunde mit hängendem Kopf zurück. Sein Hals war zu voller Länge ausgefahren und pendelte unkoordiniert hin und her.

»Durchgefallen«, sang er. »Sie haben mich tatsächlich durchfallen lassen ... Dabei war es eine sichere Sache, ich habe es schon tausendmal geschafft.«

Salaam Siin kam nicht mehr dazu, seinem Mitschüler Trost zu spenden. Eine gänzlich unmelodiöse, blecherne Lautsprecherstimme forderte ihn auf, sich im Dom der Harmonie einzufinden. »Warte auf die nächste Chance, Ondech«, empfahl er noch, dann öffnete er die Tür und verschwand im Korridor zum Dom.

Die Tür bestand aus einem schallschluckenden Feld, das unsichtbar war und beim Passieren auf Salaam Siins Organknospen leichtes Prickeln erzeugte. Urplötzlich wölbte sich über ihm die eiförmige, mit mardakaanischem Kristallglas verspiegelte Rundung. Er spürte, wie jedes noch so kleine Geräusch dort auftraf und restlos versickerte, so dass keinerlei Hall oder Resonanzboden entstand. Ansonsten fehlte im Dom jeglicher Einrichtungsgegenstand. Kein fester Körper würde Dissonanzen erzeugen oder die abgestimmte Tonfülle einer Melodie verfälschen. An diesem Ort hatten bereits viele ausgebildete Sänger ihre Kunst vorgeführt, und einige davon gehörten zu den bedeutendsten Psi-Talenten, die Zaatur hervorgebracht hatte.

In der Mitte des Doms standen sechs ausgebildete Sänger und Singlehrer. Salaam Siin kannte keinen davon mit Namen. Das allerdings war auch unnötig, denn er konnte sie jederzeit nach dem Klang der Stimme auseinanderhalten.

Weiterhin besaßen ausgewachsene Ophaler gewisse körperliche Merkmale, die typischen Charakter hatten. So war der eiförmige Schädel des einen größer als gewöhnlich, während dem anderen Fühlerbüschel an den Tentakeln hingen, deren Farbe ein bisschen von der Norm abwich ...

Schluss jetzt!, schalt sich Salaam Siin. Er hatte wahrlich andere Sorgen, als die körperlichen Abweichungen seiner Prüfer anzustarren.

»Salaam Siin«, sangen die Mitglieder des Kollegiums nach einer Weile, »du bist gekommen, um vor unseren Gehörorganen deine erste Prüfung abzulegen. Bist du bereit?«

»Ich bin bereit.«

»Triff deine Wahl! Welchen Gesang wünschst du vorzutragen?«

Dies war die Sekunde, die Salaam Siin ein wenig fürchtete. Das Kollegium war berechtigt, einen unangemessenen Vorschlag zurückzuweisen. Zwar hatte er noch von keinem derartigen Fall gehört, aber wissen konnte man nie ...

»Ich ... ich wähle den Gesang der Heraldischen Tore von Siom Som.«

Nun war es heraus.

»Das ist ungewöhnlich, Prüfling. Sehr ungewöhnlich.«

Ein zweiter Prüfer sang: »Noch nie hatten wir auf Zaatur einen solchen Fall. Selbst auf Mardakaan liegt es Jahrhunderte zurück, dass ein Prüfling von so geringem Alter eine solch schwierige Aufgabe wählte.«

Und ein dritter: »Wir gewähren dir Bedenkzeit. Noch kannst du widerrufen, Salaam Siin ...«

»Nein«, antwortete Salaam Siin, nun vollkommen sicher, »ich will es genau so, wie ich gesagt habe.«

»Dann sei es!«, antwortete der Chor. »Der Gesang der Heraldischen Tore

Und Salaam Siin begann zu singen. Er kannte jede Note des polyphonen Satzgesangs, jeden Akkord und all die Kadenzen, die eine Variation des Hauptthemas einleiteten. Aber damit war es nicht getan. Er nutzte die gesamte Bandbreite seiner Membranen, um daraus eine Tonfülle hervorzulocken, wie sie ansonsten nur ein hochwertiger Synthesizer erzeugen konnte. Für einen Ophaler war Musik kein totes Ding, das es auf Punkt und Komma zu reproduzieren galt – im Gegenteil, ein Sänger hatte die Aufgabe, aus alldem eine lebendige, emotional ansprechende Darbietung zu machen. Akustik und Psionik sollten eine möglichst wirksame Einheit bilden.

Genau das strebte Salaam Siin an. Der Gesang der Heraldischen Tore von Siom Som erzählte von den Zeiten, als es die große Kalmenzone im Zentrum der Galaxis noch nicht gegeben hatte. Er diente dem Andenken des Ewigen Kriegers Ijarkor, dem das estartische Wunder in Form eines Transmitternetzes zu verdanken war.

Während Salaam Siin sang, glaubte er an den Inhalt seiner Melodie. Er hatte keine andere Wahl, denn in seinem Alter war ein zweifelnder Sänger ein schlechter Sänger. Erst später lernten die Ophaler, ihr Talent in dieser Hinsicht besser unter Kontrolle zu bringen. Normalerweise ließ ihn die Philosophie des Permanenten Konflikts kaum in Euphorie verfallen; manchmal fühlte er sich sogar eher abgestoßen ... Aber er hatte noch viel zu lernen.

Nach einer halben Stunde näherte sich der Gesang dem Ende. Salaam Siin hatte jeden einzelnen Ton hervorgebracht wie geplant und einstudiert. In den Mienen der Lehrer zeigte sich nichts als Hochachtung.

Zuletzt allerdings, als er im Fortissimo die letzten Akkorde sang, mischte sich eine schmerzhafte Intensität in seine Stimme. Salaam Siin wurde von dieser überraschenden Entwicklung beinahe mitgerissen. Gerade rechtzeitig mäßigte er sich und nahm der Intensität die Spitze. Nicht, dass er falsch gesungen hätte – o nein. Trotzdem hatte er einen Fehler begangen, dessen Auswirkungen er derzeit nicht abzusehen imstande war.

Die letzten Töne brachte er nur mehr routinemäßig hervor. Dann stand er schweigend da und erwartete das Urteil der Lehrer. Erst jetzt bemerkte er die Mattigkeit in jeder Faser seines Körpers, und er spürte, dass jene unkontrollierte Intensität daran schuld war.

»Es gibt noch viel zu lernen für dich, Salaam Siin«, sang einer der Lehrer erschüttert in die Stille. »Aber niemand hätte gedacht, dass du vollbringen könntest, was du soeben vollbracht hast. Wir erteilen dir Erlaubnis, die weiteren Schritte an unserer Schule des Gesangs in Angriff zu nehmen.«

Das war alles. Salaam Siin schlich wie betäubt hinaus, wo ihn sein Erzeuger mit Leichenbittermiene in Empfang nahm.

»Du darfst dir nichts daraus machen«, sang der erwachsene Ophaler. »Im nächsten Jahr ...«

Salaam Siin lachte triumphierend auf. »Im nächsten Jahr? Aber nein! Ich habe es geschafft! Ich bin der Erste, der dies vollbracht hat!«

2.

Sänger

 

Salaam Siin wurde außerdem der jüngste Kolonialophaler, der je einen Ruf nach Mardakaan erhielt. An Standardjahren gemessen, betrug sein Alter zu diesem Zeitpunkt ungefähr 38, nach Mardakaan-Jahren zählte er ziemlich genau dreieinhalb.

Für einen Ophaler stellte Mardakaan das Zentrum aller Dinge dar. Dort, auf dem öden Wüstenplaneten, der in der Eastside von Siom Som gelegen war und um die rote Riesensonne D'haan kreiste, fand seit Jahrtausenden das Spiel des Lebens statt. Wer hier imstande war, sich durchzusetzen, hatte einen Platz im Tross des Kriegers Ijarkor fast sicher. Aber noch war er nicht dort, dachte Salaam Siin, und sein Ziel war ein anderes ...

Er musterte nachdenklich den matt schimmernden Würfel, den er in Händen hielt und der einen kodierten Berechtigungsnachweis für eine Passage nach Mardakaan darstellte. Auf Zaatur nannte man dies einfach einen Fahrschein. Aber er wusste, dass er sich nun veränderten Dimensionen anpassen musste.