7


Es war beinahe so, als würde man Whack-a-mole spielen und auch wenn Sandra Rawlings zu Tode erschrocken war, ließ sie der Gedanke an diesen Vergleich laut kichern.

Eine Regung, die sie ganz schnell wieder unterdrückte.

Heutzutage machte Gelächter die Leute nervös.

Die Klowns rückten stetig gegen die Bushmaster vor, die hinter einem zerschossenen weißen Pick-up mit vier Platten festgenagelt waren. Ihre Angreifer benutzten die vielen Trucks und Vans auf dem Parkplatz als Deckung und Versteck. Für Rawlings und die anderen war es fast wie ein Spiel, sich die Klowns einzeln herauszupicken. Man wartet ab, bis einer von ihnen plötzlich seinen Kopf hinter einem Fahrzeug auftauchen lässt, zielt kurz und feuert.

Fast so wie bei den Schießübungen.

Nur dass ihr in Kürze die Munition ausgehen würde und die Klowns gerade weiter vorrückten.

»Verdammt. Keine Munition mehr«, fluchte Nutter.

»Dann hau ab«, befahl ihm Muldoon. »Und lass den Kopf unten.«

Urena hockte hinter ihnen und deckte die Straße sowie die Häuser auf der anderen Seite des Maschendrahtzauns in ihrem Rücken ab. »Nimm meine Pistole«, sagte er und zog Nutter neben sich. »Du schießt aber erst, wenn sie fast dran sind, kapiert?«

»Kapiert, First Sergeant«, antwortete Nutter.

Rawlings beobachtete den Wechsel.

Einige Klowns waren bewaffnet, die meisten davon Cops und Soldaten. Sie waren ein wenig schwerer zu treffen. Der Virus verwandelte zwar gute Männer und Frauen in gemeingefährliche Wahnsinnige, aber er löschte nicht die Fähigkeiten und das Fachwissen dieser Menschen aus. Die Klowns konnten Flugzeuge führen, Strategien ausarbeiten und Sprengstoffe verwenden, im Grunde alles, was sie vor ihrer Verwandlung gelernt hatten.

Einschließlich guter Taktiken.

Einer der Klowns, ein Polizist der Philadelphia Police, näherte sich so weit, dass er einen Plastikbeutel mit Pisse nach ihnen werfen konnte.

Glücklicherweise flog er zu kurz und zerplatzte auf der anderen Seite des Trucks, den sie als Deckung nutzten.

Niemand wurde bespritzt.

Rawlings legte mit ihrem Gewehr auf den Kopf des Cops an, aber Duke schob sie zur Seite.

»Ich übernehme den«, knurrte er.

Er zielte, schoss dem Cop unter die Nase und sprengte dessen Gehirn in einem pinkfarbenen Nebel direkt durch den Hinterkopf.

Duke ließ sich wieder auf ein Knie nieder und wechselte schnell sein Magazin.

»Was zur Hölle?«, zischte Rawlings. »Ich hatte ihn doch schon.«

»Sorry«, meinte Duke. »Es ist die Pisse. Ich hasse diese Pissebeutel.«

Bevor sie antworten konnte, stürmte eine nackte, kotverschmierte Frau hysterisch gackernd am Heck eines Trucks vorbei direkt auf sie zu.

Rawlings zögerte nicht. Sie feuerte auf die Frau, mähte sie nieder, noch ehe sie nahe kommen konnte, um sie zu infizieren.

»Verdammt«, fluchte Rawlings und wandte sich Duke zu, »ich hab auch keine Munition mehr.«

Duke nickte. Er griff unter seine Panzerweste und gab ihr ein Magazin.

»Das ist mein letztes«, meinte er. »Mach das Beste draus.«

Sie nahm es entgegen, sprachlos wegen der Geste. Er verschoss gerade sein letztes Magazin und trotzdem gab er ihr dieses. »Danke, Duke.« Sie räusperte sich.

Er musste den Unterton in ihrer Stimme mitbekommen haben, denn er beehrte sie mit einem linkischen Lächeln. »Hey Babe, so bin ich eben.«

Direkt vor ihnen sprang ein großer schwarzer Kerl mit einem Metallrohr in der Hand über die Motorhaube eines Trucks. Rawlings ließ Dukes Magazin einrasten und zog den Verschluss zurück, um durchzuladen. Im nächsten Moment legte sie den Klown mit einem Drei-Schuss-Feuerstoß um.

»Was hab ich denn gesagt?«, fragte Duke, als sie sich wieder hinter den Truck duckte, der ihnen als Deckung diente.

»Nenn mich nicht Babe«, grollte sie. »Ich hasse das.«

Zwei weitere Soldaten der 56. Stryker Brigade stürmten in ihre Richtung los. Rawlings und Duke standen zur gleichen Zeit auf und schossen die angreifenden Klowns mit kurzen Feuerstößen nieder.

»Ich kämpfe hier direkt neben dir«, sagte Rawlings. »Ich bin niemandes Babe.«

Er sah total verwirrt wegen ihrer Bemerkung aus, so wie ein Hund, der ein Algebra-Problem lösen soll.

»Ernsthaft«, meinte sie, »ich hasse das.«

»Okay. Jesus, okay!«

Sie wandte sich wieder den Klowns zu, die sich ihren Weg über den Parkplatz bahnten. Sie abzuknallen hatte noch vor wenigen Augenblicken so einfach ausgesehen, aber inzwischen waren es zu viele. Weswegen sie auch dreister wurden. Die meisten von ihnen, und in der Zwischenzeit mussten es mindestens zweihundert sein, bemühten sich nicht einmal mehr um Deckung. Sie stürmten einfach voran, ihre Beutel mit Pisse wurfbereit in den Händen.

»Duke«, fragte sie, »was machen wir jetzt?«

Bevor er antworten konnte, stieß Urena hinter ihnen einen Alarmruf aus.

Rawlings schaute vorsichtig über die Schulter.

Der hohe Maschendrahtzaun hinter ihnen schützte zwar ihre Rückseite, aber auch dort gab es Klowns.

Und die wurden ebenfalls immer frecher.

Die wenigen, die sich zwischen den Gebäuden versteckt gehalten hatten, waren zu einer kleinen Horde angewachsen, die in einer Linie auf die Bushmaster vorrückte. Es waren vielleicht zwanzig von ihnen und alle trugen improvisierte Waffen, Äste, Schläger und zerbrochene Flaschen.

»Das ist mein letztes Magazin«, stellte Urena fest.

»Wie ist der Plan?«, fragte Rawlings.

»Wenn ich das verdammt noch mal wüsste«, meinte Duke. »First Sergeant, ich bin ganz Ohr. Wie sieht's aus?«

Urenas Augen waren blutunterlaufen. Er sah erschöpft aus, hatte sich aber voll unter Kontrolle. Vorsichtig nahm er eine M67-Splittergranate aus seiner Panzerweste und zog den Sicherungshebel. »Runter mit den Köpfen«, befahl er und ließ den Hebel los.

Rawlings hatte die Anwendung der Granaten im Training gesehen. Sie duckte sich und schützte ihr Gesicht mit den Händen. Die Schrapnelle dieser Dinger konnten einen noch in achtzig Metern Entfernung erwischen.

Aus dem Augenwinkel beobachtete sie, wie Urena die Granate über den Zaun schleuderte. Rawlings öffnete ihren Mund, um den Explosionsdruck so weit wie möglich auszugleichen, und wappnete sich für die Explosion.

Die Granate landete direkt vor den Füßen der sich nähernden Angreifer.

Einer der Klowns erkannte die Gefahr und versuchte sie noch schnell zu erreichen, möglicherweise, um sie zurückzuwerfen.

Er war jedoch zu langsam.

Die Granate detonierte mit einer abrupten, ohrenbetäubenden Explosion, und obwohl Rawlings darauf vorbereitet gewesen war, wurde sie trotzdem rückwärts gegen das Fahrzeug geschleudert, dass sie als Deckung benutzte.

Als sich der Rauch verzogen hatte, entdeckte sie ein halbes Dutzend Klowns, die auf dem Boden herumkrochen und sich den Arsch ablachten bei dem Versuch, auf dem nassen Asphalt irgendwie vorwärtszukommen.

Den meisten fehlten ganze Körperteile.

Einer war sogar in der Mitte auseinandergerissen worden. Als er jetzt vorwärtsrobbte, zog er eine dicke Spur aus dunklem Blut und Eingeweiden über den Straßenbelag und kicherte die ganze Zeit über.

Das war mehr, als sie ertragen konnte. »Wir müssen hier weg«, meinte sie verzweifelt.

»Gib mir einen Plan«, antwortete Urena. »Im Moment nehme ich alles.«

Das Echo eines aufheulenden Motors und quietschender Reifen unterbrach ihn. Mit entsetzter Faszination beobachtete Rawlings, wie ein stark beschädigter Streifenwagen um die Ecke gerast kam. Die Klowns auf der Straße machten kehrt, um sich der neuen Bedrohung zuzuwenden. Rawlings erwartete, dass der Streifenwagen einen Schlenker um sie herum machen würde, doch stattdessen drückte der Fahrer das Gaspedal ganz durch und brachte den Motor auf volle Drehzahl, bevor er mitten in die kleine Horde Klowns hineinpflügte.

Körper prallten von der Motorhaube des Wagens ab und flogen durch die Luft, Arme und Beine fuchtelten unkontrolliert herum.

»Was zur Hölle?«, fluchte Rawlings.

»Das ist vielleicht unser Ausweg«, meinte Duke.

Urena stand auf. »Denke ich auch. Alle über den Zaun. Los! Mal sehen, ob er für uns anhält.«

 

14


Als Colonel Frank Morgan durch die Tür kam, war Lee bereits auf den Beinen.

Er hatte sich schon vor einiger Zeit angewöhnt, unangenehmen Situationen stehend zu begegnen. Ein Mann fühlte sich nicht wirklich wie ein Mann, wenn er schlechte Nachrichten auf einem Stuhl entgegennahm. Dabei auf den Füßen zu stehen, vermittelte einem zumindest die Illusion, die Kontrolle über das eigene Schicksal zu haben.

Morgan war kein beeindruckender Mann. Er war knapp 1,80 Meter groß und wog höchstens 70 Kilogramm. Seine Panzerweste und der Helm ließen ihn wie einen kleinen Jungen aussehen, der Soldat spielte. Er trug eine Offizierspistole in einem Hüftholster, aber er machte kein großes Aufheben darum. Tatsächlich schob er direkt nach dem Eintreten als Erstes seine breite, schwarz umfasste Brille zurück auf die Nasenwurzel und ließ ein ziemlich dämlich wirkendes Grinsen in Lees Richtung aufblitzen.

»Lieutenant Colonel Harry Lee, vermute ich?« Er hatte eine Reibeisenstimme und sprach langsam, dem Akzent nach stammte er aus Georgia oder vielleicht aus Tennessee.

Lee salutierte forsch. »Ja, Sir«, antwortete er.

Morgan erwiderte den Salut beiläufig, deutete ihn nur an. »Freut mich, Sie kennenzulernen.« Morgan umrundete den Tisch und streckte eine Hand aus. »Ich bin Colonel Frank Morgan, General Anthony Bells Stellvertreter.«

»Freut mich ebenfalls, Sie kennenzulernen, Colonel.«

»Ja, es ist gut, dass wir uns treffen. Auch General Bell brennt darauf, Sie endlich kennenzulernen. Wir haben von der außergewöhnlichen Reise der Zehnten Gebirgsdivision aus Boston heraus gehört. Es klang, als hättet ihr Kerle einen ziemlich heftigen Ritt gehabt.«

»Ja, Sir.«

»Wir haben auch von den Umständen gehört, die Ihre kürzliche Beförderung umgeben. Ich muss gestehen, dass mich die Nachricht von Colonel Prince' Ableben betrübt hat. Wissen Sie, er war ein Freund von mir.«

»Oh, nein, Sir, das wusste ich nicht.«

»Seit dem College. Guter Mann.«

»Ja, Sir«, sagte Lee. Irgendwie gefiel ihm die Richtung nicht, in die sich das Gespräch entwickelte.

»General Bell bat mich, Ihnen mitzuteilen, dass er versteht, warum Sie getan haben, was Sie taten. Sie haben eine kritische Situation vorgefunden und veranlassten die erforderlichen Maßnahmen, um diese in Ordnung zu bringen. Haben Sie jemals General Bell getroffen?«

»Nein, Sir«, antwortete Lee. »Ich hatte noch nicht das Vergnügen.«

»Okay, Sie werden ihn mögen. Er ist hart, aber fair. Und er weiß Offiziere zu schätzen, die den Schneid haben, aus dem Blatt, das sie bekommen, das Beste zu machen. Ich soll Ihnen von ihm ausrichten, dass er Sie unterstützt und darauf vorbereitet ist, Ihre Beförderung offiziell zu machen.«

»Ich verstehe. Das … das sind gute Nachrichten.«

»Ja«, sagte Morgan. Er schob die schwarz umrandete Brille wieder zurück auf die Nasenwurzel und lächelte weiterhin. »Wir sind jedoch neugierig, warum es zwei Tage gedauert hat, bevor wir uns treffen.«

Und da ist es, dachte Lee.

»So wie wir das gehört haben«, meinte Lee, »haben die Klowns Flugzeuge benutzt, um durch Ihre Verteidigung zu brechen.«

»Die Klowns?«

»Ich denke, Sie nennen sie Crazies.«

»Ah«, sagte Morgan, »ja. Und ja, sie haben unsere Verteidigung durchbrochen. Die Gefechte waren in den letzten 48 Stunden … ziemlich hart. Wie auch immer, wir haben sie eingeschlossen und unsere zweite Verteidigungslinie errichtet, die sicher hält. Es gibt also keinen Grund, warum wir uns nicht jetzt zusammensetzen und darüber sprechen sollten, wie unsere beiden Truppen weiter vorgehen können.«

Lee nickte langsam.

»Tatsächlich ist General Bell daran interessiert, dieses Treffen so bald wie möglich stattfinden zu lassen. Ich bin hergeschickt worden, um Sie sicher in sein Hauptquartier im Navy Yard zu eskortieren. Ich hoffe, Sie haben keine Einwände dagegen, sofort aufzubrechen?«

»Jetzt sofort?«

»Ja, jetzt sofort. Das ist doch kein Problem, oder?«

Lee beobachtete den Mann verstohlen. Das Lächeln war während des ganzen Gesprächs nicht aus seinem Gesicht gewichen und seine Körpersprache war immer noch entspannt. Doch der Mann beobachtete ihn eindeutig ebenfalls, analysierte ihn. Bisher hatte noch niemand das Wort »Inhaftierung« benutzt. Aber Lee hatte das Gefühl, dass es nur auf der Seitenbühne darauf wartete, wie er jetzt reagierte.

»Ich würde das vorher gern noch mit meinen Führungsoffizieren beraten, wenn das in Ordnung wäre?«, antwortete Lee schließlich.

»Ihr Stellvertreter steht doch draußen. Major Walker ist ein kompetenter Offizier, hoffe ich. Ich meine, obwohl er einen Junior-Offizier dazu ermuntert hat, das Kommando zu übernehmen.«

»Er ist ein fähiger Offizier. Ja, Sir.«

»Ausgezeichnet!« Morgans Lächeln wurde noch breiter, während er in die Hände klatschte. »Sehr gut. Wir werden ihn beim Rausgehen informieren. Sie können ihm bei der Gelegenheit gleich mitteilen, dass Sie über Funk in Kürze wieder Verbindung aufnehmen werden, maximal in ein paar Stunden.«

Lee holte tief Luft. »Das ist alles ziemlich unerwartet, Colonel.«

Zum ersten Mal verschwand das Lächeln aus Morgans Gesicht.

Er drehte sich um und öffnete die Tür zum Kontrollraum des Trailers. Mit einer knappen Handbewegung winkte er Lee durch die Tür.

Lee bemerkte auf der anderen Seite, wie Walker sie beobachtete.

Im Kontrollraum taten die Mannschaftsdienstgrade an den Computern so, als würden sie nicht zuhören.

»Aber leider ist es auch zwingend erforderlich, Colonel. Jetzt, wenn ich bitten darf.«

Lee schluckte hart und ging durch die Tür.

 

22


Die Zelte fielen überall um ihn herum zusammen, als sich das Bataillon auf den Abmarsch vorbereitete.

Während einer kurzen Unterbrechung der Aktivitäten beobachtete Duke Muldoon Rawlings dabei, wie sie ihre Ausrüstung zusammenpackte. In seinem Kopf wirbelten ungewohnte Gedanken herum und das machte ihn wahnsinnig. In weniger als einer Stunde würde er ins Gefecht ziehen, und hier stand er, unfähig, das Gefühlschaos aus Eifersucht, Verbitterung und Liebe zu sortieren.

Er konnte ein .50 Maschinengewehr säuseln lassen wie einen Liebhaber, aber Frauen gehörten definitiv nicht zu seinem Fachgebiet.

Duke schluckte den Kloß in seinem Hals herunter und ermahnte sich selbst: Scheiß drauf, geh hin, mach es.

Er tauchte hinter ihr auf. »Hey Rawlings, hast du etwas dagegen, wenn ich zu dir … mit dir rede?«

»Was willst du, Duke?«

»Einfach nur reden.«

»Mir ist im Moment nicht nach Reden zumute. Außerdem rücken wir in dreißig Minuten ab. Du solltest dich besser fertigmachen.«

»Mein Zeug ist schon fertig. Brauchst du Hilfe?«

Sie wollte gerade einen Poncho verstauen, doch dann stoppte sie auf halbem Weg zu ihrem Rucksack. Deutlich war ein verächtlicher Ausdruck auf ihrem Gesicht zu sehen. »Ich brauche keine Hilfe. Ich bin absolut in der Lage, meine Ausrüstung selbst zu packen.«

»Hey, komm schon, Babe. Ich weiß das doch. Ich weiß, dass du das ohne Probleme hinbekommst, aber …«

»Jesus fucking Christ, Duke. Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du mich nicht Babe nennen sollst? Siehst du nicht, dass du mich damit echt wütend machst?«

»Sieht so aus, als hätte ich das in letzter Zeit ziemlich oft getan«, antwortete er.

»Ja, scheint so.«

»Verdammt noch mal, Rawlings, ich wollte nicht, dass es so schwierig wird. Es ist doch nur … ich hab keine Ahnung, was ich mache.«

»Wie wäre es damit, dass du gerade eine ziemlich gute Freundschaft versaust? Reicht das für den Anfang?«

»Schau, ich fühle mich wie … wie, ich weiß nicht, so als ob ich mich um dich kümmern müsste. Auf dich achten müsste.«

Sie hörte mit dem Packen auf. »Wie wäre es damit, Duke? Was hältst du davon, wenn ich dich von dieser Verpflichtung jetzt in diesem beschissenen Moment befreie? Ich brauche nämlich niemanden, der sich um mich kümmert.«

Das nahm ihm den Wind aus den Segeln. Er schaute zu Boden und entdeckte dort einen Kieselstein. Duke stieß ihn mit der Schuhspitze an, fühlte sich vollkommen verloren.

»Ich habe mich vor kurzem mit dem Cop unterhalten.«

»Du meinst den schwarzen Cop?«, fragte sie.

»Ja«, antwortete er. Er schaffte es nicht, sie dabei anzublicken. »Er schlug vor, ich sollte einfach mal mit dir reden.«

»Nicht jeder ist ein Redner, Duke.«

»Ja, damit hast du wohl recht.«

»Hör zu, ich brauche einfach etwas Freiraum, okay? Ich muss mir über ein paar Dinge klar werden.«

»Was … was bedeutet das?«

»Es bedeutet, dass ich etwas Platz und Zeit für mich brauche.«

»Okay, okay«, stammelte er. »Das bekomme ich hin.«

Sie ging ohne ein weiteres Wort zu ihrer Ausrüstung zurück. Er wartete darauf, dass sie noch etwas hinzufügen würde, irgendetwas, aber das tat sie nicht. An der Art, wie sie ihre Klamotten in den Rucksack stopfte, konnte er erkennen, dass sie immer noch verärgert war. Doch da er keine Ahnung hatte, was er noch sagen sollte, drehte er sich um.

Und stieß fast mit Urena zusammen.

»Wo ist Nutter?«, fragte dieser.

»Ich habe ihn nicht gesehen.«

»Verdammt, wir sollen in dreißig Minuten abrücken. Ich will uns in zehn fertig haben.« Plötzlich schien Urena die Spannung in der Luft zu spüren. Er schaute von Rawlings, die immer noch Kleidung in ihren Rucksack stopfte, zu Duke hinüber. »Ist hier alles in Ordnung?«

»Einfach toll, First Sergeant«, antwortete Duke.

»Rawlings?«

Sie nickte nur.

Urena zuckte mit den Achseln. »Okay«, meinte er dann. »Zehn Minuten. Duke, suchen Sie Nutter. Sorgen Sie dafür, dass er abmarschbereit ist. Rawlings, wissen Sie, wo der Philly Cop steckt? Ich möchte, dass er uns begleitet. Wir brauchen jemanden, der sich in der Gegend auskennt.«

Rawlings verschnürte ihren Rucksack. »Ich finde ihn, First Sergeant.«

Urena sah zwar nicht überzeugt aus, ließ es aber dabei bewenden.

»Okay, dann also in zehn Minuten.«

 



RETREAT 3

Stirb lachend!


Joe McKinney, Craig DiLouie und Stephen Knight


Aus dem Amerikanischen übersetzt von

Wolfgang Schroeder


Impressum


Deutsche Erstausgabe

Published by arrangement with Craig DiLouie, Stephen Knight & Joe McKinney
Originaltitel: THE RETREAT #3: DIE LAUGHING
Copyright Gesamtausgabe © 2016 LUZIFER-Verlag
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

 

Übersetzung: Wolfgang Schroeder

  

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2016) lektoriert.

  

ISBN E-Book: 978-3-943408-57-7

  

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

  

1


Die Stadt der Nächstenliebe verzehrte sich selbst lichterloh.

Seit fünf Monaten brannten die Feuer ohne Unterbrechung. Die Crazies tanzten in den Flammen und rannten lachend und kreischend durch den Rauch. Sie rissen North Philly in Stücke, mörderische Horden, die von Wahnsinn und Grausamkeit befeuert die geschockte Bevölkerung immer tiefer in die Schatten trieb.

Und sie lachten dabei, lachten ohne Pause.

Die meisten Überlebenden klammerten sich aneinander, wie Schafe flüchteten sie in die Sicherheit der Herde. Aber einige wenige wehrten sich: Polizisten, Feuerwehrleute und selbst ein paar Durchschnittsbürger. Zusammen stoppten sie die Crazies an der Glenwood Avenue Bahnlinie und errichteten dort eine Mauer.

Die Nationalgarde tauchte zwei Wochen später in der Stadt auf. Spezialtrupps der 56. Stryker Brigade sprengten alle Brücken, die die Amtrak-Schienen entlang der Glenwood Avenue Verteidigungslinie überquerten.

Eine durchgehende Reihe von Zügen, die man von überall her geholt hatte, blockierte die Strecke. Auf die Zugwaggons stapelte die Army alles, was sie bergen konnte, von Motorrädern und Mini-Cooper über Busse und Sattelschlepper. Die Barriere war ein endlos wirkender Autofriedhof, durchsetzt mit Stacheldraht.

Die Verteidigungslinie war stark. Sie hielt ganze fünf Monate.

 

2


Officer Jeff Carter vom Philadelphia Police Department stand auf seinem Posten an der Ostseite der Ridge Street Bridge und beobachtete Schattenfiguren, die in den Trümmern dessen tanzten, was einst die Nachbarschaft von Allegheny West gewesen war. Es kam ihm vor, als würde er bereits sein ganzes Leben lang kämpfen.

Geboren und aufgewachsen in Stanton, einer von Phillys rauesten Nachbarschaften, verbrachte er seine Jugend damit, Kugeln auszuweichen. Seine beiden älteren Brüder wurden auf offener Straße erschossen, noch bevor er fünfzehn war. Seine kleine Schwester verlor er ans Kokain. Mit achtzehn kapierte er, dass er nur eine Wahl hatte: entweder zur Army zu gehen oder zu sterben.

Wie sich herausstellte, war er ein richtig guter Soldat. Er absolvierte vier Jahre bei der Infanterie, bevor er bei den Rangern einstieg. Dort diente er weitere sechs Jahre.

Das Kämpfen, von dem er dachte, er hätte es in Philly zurückgelassen, verfolgte ihn die ganze Zeit über. Vier Einsätze im Irak und in Afghanistan und er war jeden einzelnen Tag davon mittendrin.

Als er wieder nach Hause kam, wurde es auch nicht viel besser.

Er versuchte einen Neustart, wollte einen guten Job finden, auf den er stolz sein konnte, und so wurde er Polizist. Gerade noch rechtzeitig, um die Unruhen und die Anticop-Welle mitzubekommen, die nach dem Rückzug der Amerikaner aus Afghanistan und dem Irak über die Nation hinwegfegten. Als schwarzer Polizist musste er feststellen, dass ihn die Gesellschaft hasste, die er zu beschützen versuchte. Und auch seine vermeintlichen Brüder in Blau begrüßten ihn nicht gerade mit offenen Armen. Er hatte seine Füße in zwei verschiedenen Welten und war doch in beiden nur ein Fremder.

Dann tauchten die Crazies auf und es gab noch mehr Kämpfe.

Die schlimmsten, die er jemals erlebt hatte.

Gelächter auf der anderen Seite der Mauer ließ seine Erinnerung verstummen, nicht aber seinen Verstand. Dieses Geräusch, dieses hysterische Kichern, jagte ihm immer noch kalte Schauer über den Rücken.

Er hörte es inzwischen sogar im Schlaf.

Wenn er schlafen konnte.

Was in diesen Tagen ziemlich selten vorkam.

Er suchte die Autowracks ab, bis er eine Gruppe von Crazies entdeckte. Sie hatten jemanden aus einem von Granaten zerschossenen Gebäude gejagt. Carter konnte nicht erkennen, ob es sich bei ihrem Opfer um einen nichtinfizierten Überlebenden oder um einen der ihren handelte, denn es blieben immer noch drei Stunden bis Sonnenaufgang und nur die während der allnächtlichen Zerstörungsorgie in Brand gesetzten Gebäude erhellten die Dunkelheit. In ihrem orangefarbenen Feuerschein sah Carter, dass das Opfer ein Schwarzer mittleren Alters war, der kein Hemd trug. Die Crazies wimmelten um ihn herum, rissen ihm die Hose herunter und hoben ihn an einem Verkehrszeichen hoch, spießten ihn durch das Rektum auf und gackerten, als er den Mast herunterrutschte.

Schreiend.

Carter wurde deswegen nicht einmal mehr übel. Zu oft hatte er in letzter Zeit Horror wie diesen gesehen.

Die Crazies feierten weiter, tanzten und kreischten dabei. Ihr Lachen erfüllte die Nacht und übertönte gelegentlich sogar die Schreie derjenigen, die das Pech hatten, von ihnen erwischt zu werden.