Zweites Kapitel.
Die Abreise der Weltensegler

Inhaltsverzeichnis

Für Professor Stiller und seine Gefährten vergingen die folgenden Tage in fieberhafter Tätigkeit mit den Vorbereitungen zur Reise. Auch auf dem Cannstatter Wasen in der Werkstätte des Weltenseglers herrschte wieder regste Tätigkeit. Das Luftschiff war aus der gewaltigen Halle heraus auf den großen, freien Platz davor gebracht und hier fest verankert worden. Nun erst konnte man die riesigen Formen des Ballons richtig erkennen. Er hatte eine länglich ovale Gestalt, ebenso die an ihm befestigte geschlossene Gondel. Infolge dieser Ähnlichkeit machte die Gondel den Eindruck, als befinde sich ein zweiter kleinerer Ballon unterhalb des großen, gewissermaßen wie Mutter und Kind.

Die Länge des Luftschiffes betrug, von einer Spitze zur andern gemessen, zweihundert Meter, die mittlere Höhe zwanzig Meter.

Das innere Gerippe des Ballons bestand aus einem Netzwerk von luftleer gemachten, sehr dünnen, aber außerordentlich starken Metallblechröhren. Darüber legte sich ein zweites, gleich konstruiertes Gerippe und über dieses ein drittes. Wohl waren die drei Lagen unter sich verbunden, aber doch so, daß auch jede einzelne für sich allein tätig sein und die Gondel tragen konnte. Es war sozusagen ein dreifach übereinander gestülpter Ballon.

Zur Anfertigung der Metallröhren wurde die von Professor Samuel Schwab in Tübingen neu entdeckte Metallmischung, Suevit genannt, verwendet. Diese Mischung zeichnete sich durch außerordentliche Leichtigkeit, fabelhafte Widerstandsfähigkeit und gewaltige Tragkraft aus und stellte alle bis jetzt in dieser Richtung bekannten Metallpräparate in den Schatten. Suevit bestand der Hauptsache nach aus Aluminium, dem aber in bestimmtem prozentualem Verhältnisse Wolfram neben etwas Kupfer und Vanadium beigegeben war. Diese Legierung ließ sich zu feinstem Blech auswalzen, ohne dabei von ihrer Widerstandskraft auch nur das geringste einzubüßen. Aus diesem Blech nun wurden die Röhren geformt, die zur Anfertigung der drei Ballongerippe dienten. Die Röhren waren nahtlos und wurden, nachdem sie auf das sorgfältigste luftleer gemacht worden waren, mit dem neuen merkwürdigen Gase Argonauton gefüllt.

Zur Umhüllung der einzelnen Metallgerippe diente das von dem leider zu früh verstorbenen Eßlinger Großindustriellen Wilhelm Weckerle erfundene Gewebe aus Seide und Leinen, das das Staunen und die Vewunderung der gesamten Textilbranche erregte. Die Fäden dieses Gewebes wurden auf eigens dazu gebauten Webstühlen mittels neuer Maschinen auf geistreiche Weise so miteinander verknüpft, daß sie nahezu unzerreißbar und von wunderbarer Glätte wurden. Jeder einzelne der drei Ballons wurde mit dem Stoff umhüllt, dann erst wurde dieser so lange mit Kautschuklösung getränkt, als er aufnahmefähig war. Durch dieses Verfahren wurde der Stoff für das Gas vollständig undurchdringlich gemacht. Nichtsdestoweniger wurde der Vorsicht wegen das Ganze noch mit einer dünnen Kautschukmasse umgeben und auf diese endlich die Pillerinlösung aufgetragen, eine von Professor Piller in Tübingen zu diesem Zwecke hergestellte Eisensilikatflüssigkeit. Sie gab dem Überzuge eine einer Panzerung ähnliche Widerstandskraft, die selbst durch Anwendung größter äußerer Gewalt kaum überwunden werden konnte. Der Ballon stellte so das Ideal des starren Systems des Luftschiffes dar.

In dieser peinlich genauen Art wurden auch die einzelnen Bestandteile des Ballons behandelt. Die Berechnung war so getroffen, daß auch nach einem etwaigen Verlust der ersten, äußersten Hülle oder, was kaum anzunehmen war, auch der zweiten mittleren, die innerste immer noch als selbständiges Ganzes zu funktionieren und die Gondel zu tragen vermochte.

Auf diese Weise suchte Professor Stiller allen nur möglichen Gefahren im Weltraum erfolgreich zu trotzen. Jede Ballonhülle war mit einer besonderen Klappe versehen, die vom Gondelinnern aus dirigiert werden konnte.

Der Ballon war, wie bereits gesagt, mit dem neu entdeckten, spezifisch unendlich leichten Gase Argonauton gefüllt. Kaum noch wägbar (0,01), besaß das Argonauton die unschätzbare Eigenschaft, weder durch enorme Hitze (+1350 Grad), noch durch größte Kälte (-500 Grad) irgendwie in seinem Aggregatzustande beeinflußt oder gar verändert zu werden. Es war zur Zeit noch das einzige wirklich beständige oder permanente Gas, das Rätsel der Gelehrtenwelt.

Das Gerippe der Gondel bestand aus derselben Art von Röhren und einem Überzuge aus Weckerleschem Gewebe, das in ähnlicher Weise wie der Ballon mit Kautschuk überzogen und mit Pillerinlösung widerstandsfähig gemacht worden war; Außerdem trug die Gondel noch eine dicke Isolierschicht aus Asbest. Im Innern aber war sie dicht mit Pelzwerk ausgeschlagen; galt es doch, dem Wärmeverlust im ungeheuer kalten Ätherraume, dessen Temperatur auf 120 bis 150 Grad Celsius unter Null geschätzt wurde, nach Möglichkeit vorzubeugen. An Sitz- wie Liegegelegenheit fehlte es in der Gondel nicht. Ihr Inneres machte sogar einen äußerst wohnlichen und behaglichen Eindruck. An den Längsseiten der zehn Meter langen und fünf Meter breiten Gondel befanden sich in einer Art von Schränken die Vorräte von den verschiedenartigsten Nahrungsmitteln.

Unterhalb der Vorratsräume liefen die Leitungen der elektrischen Apparate für Heizung und Beleuchtung des Gondelinnern und diejenigen für die Erneuerung der Luft. Die Fortschritte der technischen Wissenschaften hatten es möglich gemacht, ganz gewaltige Mengen elektrischer Kraft auf einem verhältnismäßig kleinen Raume festzulegen. Auf diese Weise nur war es dem Weltensegler möglich, ohne nennenswerte Mehrbelastung diejenigen Energiemengen an elektrischer Kraft mit sich zu führen, die in ihrer umgesetzten Form als Licht und Wärme nicht nur die Existenz der Gondelbewohner ermöglichen, sondern auch zur Vorwärtsbewegung und Lenkung des Luftschiffes selbst dienen sollten. Für letztere Zwecke waren am Ballonkörper selbst seitwärts, rechts und links, Luftschrauben angebracht, die durch die elektrische Kraft von der Gondel aus in Tätigkeit gesetzt werden konnten. Zur ebenfalls elektrisch betriebenen Steuerung dienten mit dem imprägnierten Weckerleschen Stoffe bespannte, wagrecht wie senkrecht einstellbare große, mit Suevitröhren eingefaßte Flächen. Dadurch war eine Steuerung nach zwei Richtungen hin möglich, horizontal sowohl wie auch vertikal.

Die in metallene Behälter eingeschlossene feste, kristallinische Luft, im Augenblicke ihres Kontaktes mit äußerer, gasförmiger Luft sofort sich verflüssigend und fein zerstäubend, nahm, trotz großer Vorratsmenge, ebenfalls nicht allzuviel Raum und Gewicht in Anspruch.

So waren die wichtigsten, elementarsten Bedingungen erfüllt, die das großartige Unternehmen zu einem erfolgreichen Ergebnis führen konnten. Seit sich der Weltensegler im Freien befand, allen Augen sichtbar, strömte eine Menge neugieriger Besucher herbei, um ihn zu bewundern, die Erbauer mit Fragen zu bestürmen und sie um allerlei Auskunft zu bitten. Die Herren Blieder und Schnabel befanden sich nun endlich in dem ihnen am meisten zusagenden Elemente. Sie schwammen förmlich in Stolz, Wonne und erhöhtem Selbstgefühl, waren sie doch in diesem Augenblick die wichtigsten und dank ihrer Intelligenz als Erbauer auch die angesehensten Persönlichkeiten nicht allein Groß-Stuttgarts, sondern sogar der gesamten Welt. Ihre Namen waren in aller Munde. Was konnten sie mehr verlangen? Selten wird einem Irdischen das große Los zuteil, allgemein mit Hochachtung genannt zu werden. Unter den staunenden Besuchern des Cannstatter Wasens waren Vertreter aller möglichen Völker erschienen, Gelehrte und Ungelehrte, Hochkultivierte und Halbwilde, Männer, Frauen und Kinder, war es ja doch seit Monaten schon durch Zeitungen und Spezialberichte überall, diesseits und jenseits der Ozeane, bekannt geworden, daß das große, unerhört verwegene Wagnis einer Reise nach dem fernen Mars anfangs Dezember vom Herzen des Schwabenlandes aus zur Ausführung kommen sollte. Die Namen Blieder und Schnabel waren daher in den fernsten Winkel des Erdballes getragen worden als die kühnen Schöpfer des Luftschiffes, das als erstes die unendlichen Räume des Weltenäthers durchschnitt.

Mit der Zunahme der Besucher stieg die allgemeine Erregung, als der Tag des Aufstieges des Weltenseglers langsam näher rückte. Nach Hunderttausenden wurden die Fremden geschätzt, die nach Groß-Stuttgart geströmt waren, um das in seiner Art einzige Schauspiel zu sehen, ein Schauspiel, von dem noch in den fernsten Zeiten als von einer wunderbaren Begebenheit gesprochen werden mußte. Nur persönlich dabei zu sein, den Augenblick des Aufstieges in seiner ganzen Wucht der Eigenart auf sich einwirken zu lassen, von diesem einzigen Wunsche waren alle Besucher beseelt. Sie zahlten gewaltige Preise für ihre Unterkunft. Wer mit dem Geld nicht verschwenderisch um sich werfen konnte, fand weit und breit in und um Stuttgart herum keine Unterkunft. Nicht nur waren die Gasthäuser bis unter das Dach hinauf besetzt, nein, auch die Häuser von Privaten waren gefüllt. Noch niemals hatte Stuttgart mit seiner Umgebung einen so ungeheuren Fremdenstrom erlebt, wie in diesen Tagen.

Auf dem Wasen selbst war das Leben und Treiben der Menschenmenge nachgerade lebensgefährlich geworden. Man stieß und drängte sich förmlich. Überall war ein fürchterliches Pressen und Schieben, dazwischen ein Lachen und Schimpfen und Wettern in allen Sprachen der Völker. Jeder und jede wollte so nahe als möglich an den Weltensegler gelangen, an dieses Wunder der Technik, dieses stolze Erzeugnis wissenschaftlicher Berechnung. Alle wollten das Werk möglichst genau sehen und betrachten, womöglich auch befühlen und einen Blick in die merkwürdig eingerichtete Gondel werfen; sollte diese doch für viele Wochen der Aufenthaltsort der berühmten sieben Gelehrten sein, die ohne Rücksicht auf ihr Leben die einem Märchen gleiche Reise nach einer andern Welt unternahmen, einer Welt, die in schwindelerregend weiter Ferne von der Erde sich befand.

Die Meinungen über das Gelingen oder Mißlingen der Expedition waren beim Publikum noch immer geteilt. Darüber aber waren sich alle einig, daß das Unternehmen an Kühnheit und Großartigkeit alles in den Schatten stellte, was die Welt bisher gesehen, und daß die Männer der Expedition an Mut und Entschlossenheit nicht ihresgleichen fanden.

So war der 7. Dezember herangekommen, der ewig denkwürdige Tag, an dem nachmittags punkt vier Uhr der Aufstieg des Weltenseglers stattfinden sollte. Kurz nach Tagesanbruch war Professor Stiller auf der Baustelle erschienen. Die Herren Blieder und Schnabel befanden sich bereits auf dem Platze und erwarteten den Professor. Ebenso waren sämtliche am Weltensegler beschäftigte Arbeiter angetreten. Der Ballon wie die Gondel wurden einer scharfen, eingehenden Besichtigung unterworfen. Die von Professor Stiller gerügten Ausstände waren beseitigt. Einige kleinere Anstände, die der Professor da und dort noch entdeckte, verbesserten die Arbeiter sehr rasch. Nachdem auch das Kleinste geordnet war, stieg Professor Stiller in die Gondel. Ihm folgten die Herren Blieder und Schnabel sowie einige der ersten Arbeiter.

Die Taue, mit denen das Riesenluftschiff am Boden befestigt war, wurden vorsichtig gelöst. Langsam, in stolzer Sicherheit erhob sich der Weltensegler gen Himmel. Unterdessen hatte sich trotz der frühen Morgenstunde eine Menge von Neugierigen auf dem Wasen eingefunden, die mit Staunen und lauter Bewunderung den Bewegungen des Luftschiffes folgten. Hoch oben in der Luft, kaum noch erkennbar, bald rückwärts, bald vorwärts flog der Weltensegler, willig der Steuerung gehorchend wie das flinkste Schiff im Wasser. In raschem Fluge und weitem Bogen zog das Luftschiff über Stuttgart hin, kehrte wieder über den Ort des Aufstieges zurück und ließ sich langsam und majestätisch genau auf dem Punkt nieder, von dem es ausgegangen war.

Ein tausendstimmiges Bravo der Zuschauer, wie ein Donner klingend, belohnte die gelungene Probefahrt. Nun konnte es tatsächlich keinem Zweifel mehr unterliegen, daß ein so wunderbar schnell fliegendes und leicht lenkbares Luftschiff wie der Weltensegler den höchsten aeronautischen Anforderungen genügen, daß die Reise wirklich zu einem befriedigenden Ziele, zu einem günstigen Ergebnis führen mußte.

Mit Befriedigung verließ Professor Stiller die Gondel. Die Sache war besser ausgefallen, als er vor wenigen Tagen selbst noch geglaubt hatte. Sein so lange genährter und auch berechtigter Unmut gegen die Herren Blieder und Schnabel wich freundlicheren Gefühlen, als er sich von ihnen verabschiedete. Gern übersah er deshalb auch, daß die Erbauer des Weltenseglers eigentlich nur die Handlanger bei der Ausführung des Erzeugnisses seiner eigenen Geistesarbeit gewesen waren, und gönnte ihnen den leicht und billig verdienten Ruhm. Neidlos überließ er seine alten Schulgenossen dem herbeiströmenden Publikum, das diese mit Glückwünschen zu dem genialen Bau und der gelungenen Probefahrt des Weltenseglers überschüttete.

Es ging auf ein halb vier Uhr nachmittags. Ein Meer von Menschen wogte auf dem Wasen. Von Minute zu Minute stieg die Erwartung, denn bald sollten die kühnen Weltensegler, die sieben berühmten Gelehrten, Deutschlands und Schwabens Stolz und Zier, auf dem Wasen eintreffen, um in dem Luftschiff mit dem so treffenden Namen die ungeheuerliche Reise anzutreten. Punkt ein halb vier Uhr begannen die Glocken aller Türme von Groß-Stuttgart zu läuten. Es war ein harmonisches, feierliches Konzert, würdig des bevorstehenden ernsten und zugleich so großartigen Augenblicks. Aus dem Tale des Nesenbachs heraus wie aus dem des Neckars verkündete der laute, eherne Mund der Glocken das Hohelied von Mut, von Kühnheit und dem Menschengeist, der sich über den einengenden Erdenkreis hinaus erhob und sich einen Verkehr mit jenen fernen, geheimnisvollen Welten anzubahnen anschickte, der seit Beginn der menschlichen Kultur bis zur heutigen Stunde das hoffnungslose Sehnen und Wünschen der Edelsten und Besten gewesen war. Jetzt endlich, nach Jahrtausenden, sollte dieses Sehnen Erfüllung finden, der Verwirklichung entgegengehen. Kein Wunder, daß die gesamte Welt mit atemloser Spannung nach der Hauptstadt des Schwabenlandes blickte, wo eine solche Großtat vollbracht werden sollte.

Nach allen Richtungen der Windrose flogen von dem Cannstatter Wasen die Telegramme der Berichterstatter. Ein großes Depeschenbureau war für diesen Zweck in unmittelbarer Nähe des Weltenseglers errichtet worden. Auf dem Wasen selbst war die Erregung der Massen nachgerade aufs höchste gestiegen. Die feierlichen Akkorde der Glocken hatten bei der Menschenmenge ein erhebendes, sonntägliches Gefühl erweckt, und als fünf Minuten vor vier Uhr die Glocken plötzlich mit einem Schlage verstummten, da herrschte auf dem weiten Platze die ernste, erwartungsvolle Stille der Kirche.

Die Sonne stand schon tief im Westen. Ihre rotgoldenen Strahlen spielten wie Abschied nehmend an dem Weltensegler und ließen das gewaltige, kaum sich bewegende Luftschiff wie mit einem Heiligenschein umgeben erscheinen. Da ertönten von der Neckarbrücke her Hurrarufe. Sie pflanzten sich fort und wurden zu einem betäubenden Willkommen. Aus Hunderttausenden von Kehlen stieg brausender Begrüßungsruf, als die Menge der sieben Gelehrten ansichtig wurde, deren Namen von Mund zu Mund gingen, und deren Bildnisse in ungezählten Exemplaren gekauft worden waren. Die Herren vertraten folgende Fächer:

Prof. Dr. Siegfried Stiller, Astronomie, Physik und Chemie,

Prof. Dr. Paracelsus Piller, Medizin und allgemeine Naturwissenschaft,

Prof. Dr. David Dubelmeier, Jurisprudenz,

Prof. Dr. Bombastus Brummhuber, Philosophie,

Prof. Dr. Hieronymus Hämmerle, Philologie,

Prof. Dr. Theobald Thudium, Nationalökonomie,

Prof. Dr. Friedolin Frommherz, Ethik und Theologie.

In einem Autoelektrik sitzend, fuhren die Herren langsam durch die sich vor ihnen öffnende Menschenmauer der Baustelle des Weltenseglers zu. Ernst und voll Würde grüßten die kühnen Reisenden die ihnen zujubelnde Menge. Am Weltensegler angelangt, verließen sie den Wagen, und Professor Stiller bestieg die in aller Eile und in letzter Stunde noch aufgerichtete Rednertribüne, um von da aus einige Worte des Abschiedes an die nächste Umgebung zu richten.

„Verehrte Damen und Herren, werte Freunde und Kollegen von nah und fern dieses kleinen Erdenballes! Die Geschichte unseres Planes ist Ihnen ja allen bekannt. Heute ist er verwirklicht insofern, als es uns gelungen ist, ein Luftschiff zu konstruieren, das nicht nur die Atmosphäre unserer Erde mit Leichtigkeit durchschneiden, sondern auch — und dies ist der springende Punkt — den Ätherraum selbständig durchfliegen soll. Alle hier in Frage kommenden, ungeheuer verwickelten wissenschaftlichen Bedingungen, die vorher erfüllt werden mußten, um unsere Reise nach dem Mars zu ermöglichen, will ich nicht weiter erwähnen. Dies würde mich auch viel zu weit führen. Aber für meine heilige Pflicht halte ich es, in dieser Stunde des Abschiedes laut und offen zu erklären, daß möglicherweise unsere Reise von manchen Faktoren ungünstig beeinflußt, durch diese „Unbekannten“, die wir hier auf unserm Planeten nicht in den Kreis unserer Berechnung zu ziehen vermochten, vielleicht auch zum Scheitern gebracht werden kann. Diese Erkenntnis schützt uns vor Selbstüberhebung, sie zeigt uns aber auch klar die Gefahren unserer Expedition. Nicht Leichtfertigkeit, sondern die vorwärts treibende Wissenschaft, der Durst nach Aufklärung ist es, der uns unser eigenes Leben nicht achten, sondern in den Dienst der allgemeinen Forschung stellen läßt.

Ob und wann wir uns je in diesem Leben wiedersehen werden, kann heute niemand von uns sagen. Kommen wir in einer Reihe von Jahren nicht mehr zurück, so weihen Sie unserm Andenken eine stille Träne. (Allgemeine Rührung.) Wir sind eben dann die Opfer unseres Berufes geworden. Aber ebensogut ist es möglich, daß wir Ihnen einmal später von den Wundern einer andern Welt berichten können. Leben Sie daher alle, alle wohl, und nehmen Sie zum Abschiede meinen und meiner Kollegen herzlichen Dank für Ihr Erscheinen hier, für Ihre Anteilnahme an unserm Unternehmen.“

Beifallsstürme brachen los, als Professor Stiller seine Rede beendigt hatte und nun gemessenen Schrittes von der Tribüne herabstieg. Wieder trat eine lautlose Stille ein, als die Gelehrten einer nach dem andern in die Gondel stiegen. Professor Stiller war der letzte, der die Strickleiter zur Gondel hinaufkletterte. Er winkte noch mit der Hand, dann schloß sich die kleine Tür. Das Klingeln einer elektrischen Glocke war das Signal zum Lösen der Taue. Der Weltensegler hob sich. Ruhig, gerade stieg er hinauf in den mehr und mehr heraufziehenden Winterabend. Kleiner und kleiner wurde der mächtige Ballon, größer und größer die Entfernung zwischen ihm und der Erde, dann verschwand er vor den Augen der Zurückgebliebenen, die sich schweigend unter dem machtvollen Eindruck des Geschehenen nach und nach zerstreuten.

Am Abend dieses bedeutungsvollen Tages gab der hohe Rat der Stadt Stuttgart zu Ehren der Herren Blieder und Schnabel, der Erbauer des Weltenseglers, in dem glänzend erleuchteten, prachtvoll geschmückten Cannstatter Kursaal ein prunkvolles Festmahl. In mancherlei Reden wurden die Herren als die im Augenblick berühmtesten Männer und hervorragendsten Leuchten ihrer Vaterstadt gefeiert. Tränen der Freude liefen den beiden Herren über die gut genährten Wangen, als sie so offen ihr Loblied aus dem Munde der hochwürdigen Stadtväter singen hörten. Allerdings behaupteten böse Zungen später, Blieder und Schnabel hätten nur deshalb geweint und nicht mit Worten zu danken vermocht, weil sie schon zu viel des guten Weines getrunken und den Zungenschlag bekommen hätten. Aber böse Zungen sind ja immer dabei, wenn es gilt, die Verdienste anderer zu schmälern.

Beim Festmahle erreichte die allgemeine Rührung ihren Höhepunkt, als den Herren Blieder und Schnabel auf ihre etwas großen Köpfe je ein mächtiger Lorbeerkranz gepreßt wurde. Am Schlusse des Mahles verkündete der Herr Oberbürgermeister der Haupt- und Residenzstadt, daß Herr Architekt Adolf Blieder und Herr Professor Julius Schnabel auf Grund ihrer Leistungen bei dem kühnen Bau des Weltenseglers aus dem Stande der gewöhnlichen Bürger der Stadt herausgehoben und in die kleine Gemeinde der Ehrenbürger versetzt seien. Die Überreichung der Ehrendiplome unter den rauschenden Klängen des Stuttgarter Stadtmarsches schloß die erhebende Feier erst um die mitternächtliche Stunde.

Viertes Kapitel.
Auf dem Mars

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Vom Mars aus — denn er war es wirklich — hatte man das Luftschiff schon längst bemerkt. Als es sich nun dem Boden näherte, strömte eine Anzahl von Menschen, die hier herum wohnten, dem Orte zu, an dem das Luftschiff niederging. Der Weltensegler hielt auf eine große, grüne Wiese zu, auf der Gruppen edelster Viehrassen weideten. Professor Stiller warf das Kabel mit dem Anker in weitem Bogen von der Gondel ab und deutete durch Zeichen und Gebärden den untenstehenden Menschen an, was sie ungefähr tun sollten, um das Luftschiff festzumachen. Die Marsleute begriffen auch sofort, was der fremde Mann in seiner stummen Sprache von ihnen begehrte. Ohne jede Hast, aber doch rasch und auffallend gewandt, war dem Wunsche des Professors entsprochen worden. Nun lag das Fahrzeug fest und sicher vor Anker.

Die Strickleiter wurde aus der Gondel herabgelassen und an den hiezu bestimmten Metallklammern befestigt. Die sieben Männer aus dem fernen Schwabenlande stiegen nacheinander an ihr herab, um als die ersten Erdgeborenen den Boden des Mars zu betreten. Eine weiche, balsamische, von Wohlgerüchen erfüllte Luft umfing die kühnen Reisenden, als sie aus ihrer Gondel herabgeklettert waren. Ein Gefühl der Wonne, des Geborgenseins, unsäglicher Befriedigung zog in die Brust der armen, halbtoten Männer, als sie nach so vielen Wochen zum erstenmal wieder festen Boden unter ihren Füßen spürten. Ja, sie mußten sich selbst erst überzeugen, daß es wirkliche Erde sei, auf der sie standen. Mit den Händen griffen sie nach dem Boden, um sich von seiner erdigen Beschaffenheit zu überzeugen. Nein, es war kein Traum, es war Wirklichkeit: sie standen auf richtigem Boden. Tausend-, abertausendmal Dank dem Himmel, der sie ihr Ziel erreichen ließ! Tränen des Glückes, der reinsten Freude liefen den hartgeprüften Männern über die bärtigen Wangen, die seit langer Zeit nicht mehr gepflegt worden waren.

„Donnerwetter, wie sehen wir aus!“ rief voll Entsetzen Professor Piller, als er seine Genossen genauer im Lichte der Sonne betrachtete.

Dann aber brachen die Herren in lautes Lachen über die Komik ihres eigenen Äußern aus. Professor Stiller begann nun, die ihn und seine Genossen umgebenden Menschen zu mustern. In der Tat, das waren Menschen von Fleisch und Blut, die hier herumstanden und mit freundlichem Lächeln die Erdensöhne betrachteten.

„Sauberer, großer und schöner als wir sind sie entschieden. Oder sollten wir am Ende gar zu den Göttern des Olymps und nicht nach dem Mars gekommen sein?“ bemerkte Professor Hämmerle, nachdem er seine Brillengläser geputzt und die Brille auf die Nase gesetzt hatte.

„Warum das?“ fragte Professor Dubelmeier.

„Eine Gesellschaft von Göttern scheinen mir diese Wesen hier zu sein. Sehen Sie nur einmal diese geradezu klassisch schönen Gesichter, diese prachtvollen Körperformen und die sie nur schwach verhüllenden antiken Gewänder!“

„Der Vergleich hat entschieden viel für sich,“ antwortete Professor Stiller, „aber nach dem Olymp hätten wir viel näher gehabt als nach dem Mars; diese eine Tatsache schon mag Sie aus Ihrem Wahn reißen, lieber Hämmerle.“

Dabei zog er seinen Chronometer. Er wies auf die achte Stunde.

„Es ist noch früh am Morgen. Wir wollen sehen, was uns dieser erste Tag auf dem Mars an merkwürdigen Erlebnissen bringen wird. Versuchen wir einmal eine sprachliche Verständigung mit unsern neuen Freunden; denn daß sie das sind, zeigt mir ihre freundliche und wohlwollende Haltung.“ Mit diesen Worten trat Professor Stiller zu den vordersten Marsmenschen vor, die ihn in vornehmer Ruhe, ohne die geringste Furcht und ohne irgendein Zeichen des Erstaunens an sich herankommen ließen.

„Wir sind doch auf dem Mars, nicht wahr?“ Diese etwas banale Frage richtete er in deutscher Sprache an die Leute. Aber diese schüttelten den Kopf und erwiderten in wohllautender Sprache etwas, das Stiller wiederum nicht verstand, das aber klang, als ob sie bedauerten, den Fremden nicht begriffen zu haben.

„Die können nicht deutsch, natürlich. Das hätten Sie sich doch von vornherein selbst sagen müssen, Stiller,“ warf Professor Hämmerle tadelnd ein.

„Nun, so examinieren Sie einmal, Hämmerle! Vielleicht gelingt es Ihnen mit Ihren vielseitigen Sprachkenntnissen festzustellen, in welchem Idiom mit den Leuten hier eine Verständigung möglich ist.“

Mit kraftvoller Stimme hub Hämmerle auf Altgriechisch an: „Freunde, wir grüßen euch in herzlichster Art, wir, die von der fernen Erde hergeflogen sind, um euch zu besuchen.“ Keine Antwort, nur ein eigentümliches Lächeln als Zeichen des Nichtverstehens. Jetzt deklamierte Hämmerle seine Begrüßungsformel in lateinischer Sprache. Wiederum dieselbe Stille und dasselbe Lächeln als Antwort.

„Vielleicht gelangen wir mit einer unserer modernen Sprachen eher zum Ziele, da klassische Bildung diesen Wesen völlig abzugehen scheint,“ sprach Hämmerle, ärgerlich geworden über die Ergebnislosigkeit seiner ersten Versuche. Aber auch Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Russisch, schließlich sogar Arabisch und Hebräisch führten zu keinem Ziele.

„Das fängt gut an!“ murrte Professor Brummhuber.

„Wir müssen allem Anscheine nach die Marssprache erlernen,“ bemerkte Thudium.

„Wahr gesprochen!“ bestätigte Frommherz.

„Aber siehe da, was kommt denn da für ein altes Haus?“ rief Dubelmeier.

Ein älterer Mann von achtunggebietender Gestalt, mit weißem Haar und Bart, ohne jegliche Kopfbedeckung, durchbrach die Reihe seiner Gefährten und schritt stolz auf die sieben Schwaben zu. Gekleidet war der Alte wie seine übrigen Genossen. Ein blusenartiges, schneeweißes Hemd aus feinster Wolle mit purpurfarbenem Besatze hüllte den hohen, edlen Körper ein. Um die Hüften war es durch ein breites Band von purpurner Farbe gehalten. An den nackten Füßen trug er Sandalen aus feinem, gelbem Leder. Voll Ehrfurcht machten ihm seine Gefährten Platz, und die Herren aus dem Schwabenlande erkannten daraus sofort, daß ihnen in dem Alten ein Mann von hoher sozialer Stellung entgegentrat.

Sie entblößten nun als Zeichen der Hochachtung das Haupt und erwarteten voll Spannung die weitere Entwicklung der Szene. Der Alte ließ zuerst seine Blicke über den Weltensegler gleiten, dann richteten sich seine klaren, dunkelblauen Augen, aus denen ebensoviel Geist als Herzensgüte sprach, auf die sieben Fremden, die er in einer harmonischen Sprache anredete, wobei er hin und wieder auf das mächtige Luftschiff deutete und schließlich ihnen durch eine freundliche Gebärde zu verstehen gab, ihm zu folgen.

Die Herren zogen nun mit dem Alten als Führer an der Spitze von dannen. Ihnen schlossen sich in ruhiger, würdevoller Haltung die Marsbewohner an, die beim Niedergange des Weltenseglers so bereitwillig hilfreiche Hand geleistet hatten. Den Professoren schien es, als ob ein Märchen aus Tausend und einer Nacht lebendig geworden wäre. Sie konnten sich nicht satt sehen an all dem Schönen und Eigenartigen, das ihnen hier auf Schritt und Tritt begegnete. Von der Wiese kamen sie auf einen mit feinem, weißem Sande bestreuten, mit prächtigen, früchtebehangenen Bäumen eingefaßten schattigen Pfad. Dieser führte auf eine große Anzahl von Gebäuden zu, die voneinander getrennt und von prächtigen Gärten umgeben waren. Ihrer stattlichen Größe nach zu urteilen, schienen es öffentliche Bauten zu sein, die sich da in ihrem reinlichen Weiß aus dem Grün ihrer Umgebung abhoben.

Überall wuchsen hochstämmige Palmen, dazwischen prächtige, hellgrüne Bananen und Farnbäume, vermischt mit einer Blumenpracht, wie sie die Tübinger Professoren in dieser üppigen Entfaltung noch nie zuvor gesehen hatten. Rosen-, lilien-, myrten- und lorbeerartige Gewächse, Orchideen und eine Menge anderer Blumen wetteiferten miteinander an Glanz und Schönheit der Farben und an Wohlgeruch. Schmetterlinge in allen Größen und Farben wiegten sich in der warmen, herrlich zu atmenden Luft, und buntschillernde Vögel ließen von den Bäumen herab ihr schmetterndes Morgenlied ertönen.

„Ein Paradies, in das wir gelangt sind,“ sprach Professor Stiller leise zu dem neben ihm schreitenden Professor Piller. „Ich muß meinen Gefühlen Luft machen, meiner Bewunderung Worte verleihen. Sagen Sie, Piller, ist es Ihnen nicht auch so wunderbar, so feierlich zumute wie mir, haben Sie nicht auch ein Gefühl ungefähr so, wie es unser unsterblicher Uhland in seinem Sonntagsliede zu so ergreifendem Ausdruck gebracht hat?“

„Na, na!“ entgegnete Piller trocken. „Auch mir gefällt ja dieser Einzug auf dem Mars gar nicht übel. Im übrigen aber haben wir heute zufällig Sonntag. Wußten Sie das nicht, Stiller?“

„Nein! Mir entfiel die Zeitrechnung in den letzten Wochen vollständig. Woher aber wissen Sie das?“

„Nun, als Sie heute früh in tiefer Ohnmacht lagen, da habe ich mit der Uhr in der Hand Ihre Herztätigkeit kontrolliert. Meine Uhr zeigt aber zufällig außer den üblichen Stunden, Minuten und Sekunden auch noch Monate und Tage. Wir haben heute Sonntag, den 7. März.“

„Sonntag, den 7. März! Die heilige Siebenzahl in allem. Möge sie uns auch weiter schirmend und schützend umgeben!“ rief Professor Stiller.

„Vor allem wünsche ich mir ein gutes Essen nebst solidem Trunk; das frischt die Lebensgeister besser auf und schützt sie gründlicher vor Verbrauch als Ihre Siebenzahl. Wir haben in unserer Gondel zuletzt ein heilloses Leben an Entsagung geführt; es ist höchste Zeit, wieder in einen guten Hausstand und an einen richtigen Herd zu gelangen.“

„O Sie ewig Prosaischer!“ erwiderte lächelnd Professor Stiller. „Hungern und dürsten werden Sie hier oben nicht. Da sehen Sie einmal nach den Früchten da drüben!“

Professor Piller folgte mit den Blicken der angegebenen Richtung. „Donnerwetter!“ entfuhr es seinen Lippen. „Sollen diese kolossalen Beeren, die da herunterhängen, am Ende gar zu einer Weintraube gehören?“

„Nichts anderes! Das, was Sie sehen, ist eine Weintraube, wie sie in dieser Größe eben nur dem subtropischen Klima eigen ist.“

„Dann leb’ wohl, Zuckerle, Trank meiner Heimat!“ rief Herr Piller so laut, daß ihn die andern Kollegen hörten. „Leb’ wohl, Zuckerle, denn den Tropfen, den man hier aus diesen Ungeheuern von Beeren preßt, der muß ja einem wie flüssiges Feuer durch die Adern rinnen, Halbtote, wie wir sind, wieder zu freudigstem Lebensgenuß erwecken. Auf diesen Trunk freue ich mich.“

„Nektar und Ambrosia scheinen wir hier zu finden,“ flötete Frommherz.

„Wollen gerne auf dieses griechische Götterzeug verzichten, wenn es nur sonst hier was menschlich Anständiges für unsern Magen gibt,“ antwortete Piller.

Unter solchen Gesprächen gelangten die Herren mit ihrer Begleitung zu den ersten Häusern. Zu ihrem Erstaunen mußten sie sich überzeugen, daß die Gebäude, die sie aus der Ferne für öffentliche Bauten gehalten hatten, nichts anderes waren als großartige Einfamilienhäuser oder Villen. Aus weißen, sorgfältig behauenen Steinen ausgeführt, hatten sie vorn hohe, säulengetragene Hallen, die einen überaus einladenden Eindruck machten und von der Vorliebe der Bewohner für frische Luft und für freie und uneingeengte Räume Zeugnis ablegten. Für das warme Klima waren solche offene Hallen das einzig Richtige und Zweckmäßige. Breite Marmorstufen führten zu ihnen empor und dienten blühenden Kindern, die nur mit einem hellfarbenen, leichten, durch einen Gürtel um die Lenden festgehaltenen Hemde bekleidet waren, als Spielplatz. Marmorfiguren hoben sich stimmungsvoll zwischen den Bogen der Hallen ab. Alles atmete ruhige Schönheit und Freude und verfehlte nicht seine tiefe Wirkung auf die Reisenden.

Der Alte geleitete seine Gäste zu einem zweistockigen, palastartigen Gebäude, das rings von üppigstem Pflanzenwuchs umgeben war und in seiner Pracht einem Fürstensitz glich. Es war aber das Haus des Alten selbst, das dieser den Fremdlingen zur ausschließlichen Benützung anwies. Auf breiten Marmorstufen gelangten die Professoren in einen von Säulen getragenen, offenen, großen Hof, in dessen Mitte ein mächtiger Springbrunnen sein Wasser rauschen ließ. Rings um den Hallenhof lagen saalartige Zimmer, deren Türen auf den Hof hinausführten. Rechts an der Halle befand sich die Haupttreppe. Sie bestand aus zwanzig breiten Stufen, jede aus einem Stein von vier Meter Länge. Sie führte zu einem Absatze mit einem großen Fenster. Von diesem Absatze führten weitere zwanzig Stufen in die obere, geschlossene Galerie, die durch große Fenster erhellt wurde und mit einer prächtigen Kassettendecke geschmückt war. Von der Galerie aus gelangte man in eine Reihe von Prunkgemächern, an die sich die Schlafzimmer und Baderäume anschlossen. Der ganze Bau war voll Licht und Bequemlichkeit.

Auf ein Händeklatschen des Alten eilten einige jüngere Männer herbei, die wahrscheinlich die dienenden Geister dieses Palastes waren. Der Alte sprach mit den jungen Männern lange und eindringlich und bedeutete endlich seinen Gästen durch Zeichen und Gebärden, sich hier häuslich niederzulassen. Darauf verließ er sie nach einer freundlichen Verbeugung. Auch die Diener verschwanden, erschienen aber bald wieder und brachten duftende, reine Kleider und Sandalen, ähnlich denen, die sie trugen. In stummer, aber zuvorkommender Art wiesen sie den Fremden den Weg zum Bade.

„Ich bin wirklich neugierig, was da noch alles kommen wird!“ sprach Piller lachend zu Professor Stiller. „Würde ich nicht wachen, wäre ich nicht nüchtern wie ein Pudel und bei klarstem Verstande, ich würde glauben, daß alles, was ich hier bis jetzt erlebt und, gesehen habe, nichts anderes als ein tolles Spiel meiner Einbildungskraft ist.“

„Warten wir ab, Piller! Schlecht aufgehoben sind wir für den Anfang nicht, im Gegenteil. Ich höre bereits in unserer Nähe Tische rücken. Wahrscheinlich wird für unser Mahl gedeckt. Baden wir zuerst, reinigen wir uns vom letzten Erdenstaube und den Schlacken der Reise, und beginnen wir dann unser neues, so viel Interessantes versprechendes Leben auf dem Mars!“

„Mit Speise und Trank,“ ergänzte Piller den Freund. „Jawohl, Stiller, wenn Sie Idealist es auch nicht gern hören, ewig wahr bleibt es doch: Speise und Trank bedarf der Sterbliche zuerst und vor allem, will er etwas leisten und fest auf seinen Füßen stehen. Hoffentlich munden uns Kost und Trank auf dem Mars. Also bis nachher!“ Mit diesen Worten verschwand Piller in seinem Badezimmer. Stiller sowie die übrigen Herren folgten diesem Beispiele und plätscherten wenige Augenblicke später in dem angenehm erwärmten Wasser ihrer geräumigen marmornen Badewanne.

Wunderbar gestärkt durch das Bad und eingehüllt in ihre frischen, bequemen Kleider, fanden sich die Gelehrten eine halbe Stunde später in dem hohen, luftigen Speisesaale des Hauses zusammen. Die Decke dieses Saales trug farbenprächtige Gemälde in Medaillenform, die Fenster wiesen edle Glasgemälde auf, und der Boden bestand aus Platten von verschiedenfarbigem Marmor. In der Mitte des Saales stand der Tisch, gedeckt mit blankem Silbergerät. Auch Teller und Pokale waren aus demselben kunstvoll verarbeiteten Edelmetalle hergestellt. Auf Fruchtschalen aus feinstem Kristallglas lagen die herrlichsten Früchte, und aus geschliffenen Karaffen funkelte verlockend eine klare, goldgelbe Flüssigkeit. Schwere Armstühle aus schwarzem, eigenartigem Holze mit vergoldeten Lehnen standen um den Tisch.

„Das nenne ich fürstliche Pracht,“ rief entzückt Frommherz, nachdem er im Saale und auf dem Tische Umschau gehalten hatte. „Hier, Freunde, wollen wir uns niederlassen, hier ist es gut sein! Der Erde fern und doch dem Paradiese nahe.“

„Nun, Sie scheinen mir ganz in Verzückung geraten zu sein,“ meinte lächelnd Hämmerle.

„Lassen Sie unsern Frommherz phantasieren! Ich meinerseits bin auf das Essen gespannt,“ sprach, sich am Tische niederlassend, der nüchterne Piller. „Sechzig Millionen Kilometer von unserer Erde entfernt, wird man wohl hier oben einen andern Speisezettel haben als bei uns unten am Strande des Neckars.“

„Stiller, Sie setzen sich als Präses oben hin,“ entschied Brummhuber, als Professor Stiller in gewohnter bescheidener Weise sich zwischen den andern Kollegen niederlassen wollte.

„Natürlich!“ pflichtete Professor Piller bei. „Ehre, wem Ehre gebührt! Unser Freund Stiller hat seine Sache bis jetzt ganz ordentlich gemacht, er stehe deshalb auch ferner unserer Korona vor!“ Mit diesen Worten goß er sich von dem Inhalt der vor ihm stehenden Karaffe etwas in seinen Pokal ein und hielt ihn prüfend an die Nase.

„Hm . . . hm! Der Trank riecht wirklich nicht übel . . . hat feines Bouquet.“ Vorsichtig nahm er einen Schluck.

„Es ist Wein, tatsächlich Wein und zwar so eine Art Trockenwein, beinahe wie Sherry, nur noch bedeutend feiner und milder,“ entschied Piller, nachdem er getrunken. „Von schlechten Eltern stammt er nicht, aber mein Zuckerle ist entschieden süffiger als dieser Marstropfen. Immerhin, er kann bleiben, wie er ist; lieber solchen Wein als gar keinen!“

„Seien Sie froh, Piller, Sie Alkoholiker, daß Sie überhaupt etwas zu trinken haben! Wir sind doch wahrlich nicht des Weines wegen nach dem fernen Mars gekommen!“ warf Professor Dubelmeier ein. „Ihr ewiger Durst und Ihre unstillbare Sehnsucht nach dem Zuckerle hätten Sie eigentlich da unten auf der Erde festhalten sollen.“

„Schweigen Sie, Sie fanatischer Anhänger des Göppinger Wassers!“ rief Piller voll Grimm. „Was verstehen Sie denn von . . .“

Aber Professor Stiller ließ den Zornigen nicht ausreden. Er erhob sich. „Meine lieben Freunde! Ich bitte um Ruhe und Frieden und wünsche Ihnen allerseits einen recht gesegneten Appetit zu dem bevorstehenden Mahle. Weihen wir unserer glücklichen Ankunft auf dem Mars den ersten Schluck! Der zweite soll dem Gedenken an unsere engere und weitere Heimat, dem lieben Schwabenlande und Deutschland, gelten. Bitte, füllen Sie ihre Pokale und tun Sie mir Bescheid!“

„So, das laß ich mir gefallen,“ brummte Piller; „Stiller ist wirklich ein vernünftiger Knabe.“

„Und nun, meine Freunde, setzen wir uns zum Mahle!“ Nach dem Beispiele des Alten von vorhin klatschte Herr Stiller in die Hände, und herein traten sieben Diener, für jeden Herrn einer. Sie trugen Platten in den Händen, auf denen wohlriechende Fische lagen. Herrn Pillers Zorn verrauchte schnell angesichts der warmen, so einladenden Speise. Er und die übrigen Herren langten tüchtig zu. Alle waren darüber des Lobes voll, daß die Fischspeise ausgezeichnet geschmeckt habe.

Auf den Fisch folgten einige eigenartige, aber äußerst schmackhaft zubereitete Mehlspeisen, dann Gemüse, Obst und Backwerk.

Als das Frühstück beendet war, füllte Piller seinen Pokal mit dem goldschillernden Wein, rückte seinen Stuhl etwas vom Tische zurück und stand auf.

„Silentium, meine Herren!“ Die laute, anregende Unterhaltung der Herren verstummte und machte einer aufmerksamen Stille Platz. „Meine lieben Freunde und Genossen! Ich erfülle nur einen Akt der Pflicht,“ hub Piller an, wurde aber plötzlich von seiner Rede abgelenkt, als sich von außen her zuerst unendlich zarte, wundervolle Töne hören ließen, die nach und nach in mächtige Akkorde übergingen. Es war Musik, ein Spiel, so feierlich und schön, daß die Herren unter dessen Banne ruhig, fast unbeweglich an ihren Plätzen verharrten, um durch kein auch noch so leises Geräusch die ergreifenden Töne zu stören, die mit ihren Klängen aus der Gegenwart emporzuheben schienen zu jenen blauen, seligen Gefilden der unbegrenzten Freude. Leise, einem Flüstern gleich, erstarben nach und nach die Akkorde.

„So empfängt uns der Mars!“ rief in heller Begeisterung Professor Stiller, als die Musik geendet hatte. „Kann es einen schöneren und zugleich erhebenderen Willkommen für uns hier oben geben als dieses göttergleiche Saitenspiel?“

„Nein, gewiß nicht!“ erwiderten die Gefährten einstimmig und voll Begeisterung. Dann eilten sie an die Fenster des Saales, um nach den Veranstaltern des hohen Genusses Umschau zu halten. Ein Dutzend Harfenspieler waren es, die sich da langsam und würdevoll mit ihren Instrumenten von der Terrasse des Hauses entfernten.

„Piller, das war entschieden ein schönerer und edlerer Ohrenschmaus, als es die Rede gewesen wäre, die Sie im Begriffe waren, uns zum besten zu geben,“ foppte Dubelmeier den Freund.

„Was wissen Sie denn, was ich zu sagen hatte! Die Rede bekommen Sie übrigens über kurz oder lang doch einmal zu hören. Aber danken Sie es der eben gehörten Musik, die mein Gemüt so friedlich gestimmt hat, daß ich auf Ihre Herausforderungen nicht so antworte, wie Sie es verdienen, Sie — Sie unverbesserlicher Wasserphilister.“

Die Herren lachten über den Disput der beiden Gefährten, die sich im Grunde ihres Herzens trotz allen Reibereien sehr zugetan waren.

Von mehreren ehrwürdigen Männern begleitet, erschien der Greis wieder im Rahmen der großen Türe des Saales. Ein Lächeln huschte über das ernste, ausdrucksvolle Gesicht des alten Mannes, als er die sieben Fremden wieder erblickte, die da, ähnlich gekleidet wie er, achtungsvoll vor ihm standen. Der Greis neigte leicht den Kopf zum Zeichen des Grußes und lud die Herren durch eine Handbewegung ein, ihm zu folgen. Es ging den Weg zurück, den sie diesen Morgen gekommen waren.

„Am Ende werden wir gleich wieder dahin abgeschoben, wo wir hergekommen sind,“ bemerkte besorgt Professor Frommherz.

„Darüber brauchen Sie sich nicht zu ängstigen,“ erwiderte Professor Stiller. „In diesem Falle wären wir nicht so liebenswürdig aufgenommen worden.“

Die Gesellschaft war nun auf der Wiese angelangt, auf der sich der Weltensegler kaum merkbar am Ankerkabel bewegte. Der Alte gab den Herren zu verstehen, daß sie ihr Eigentum aus der Gondel herausnehmen sollten. Zu diesem Zwecke und der besseren Verständigung wegen stieg der Greis mit seiner Begleitung die Strickleiter zur Gondel hinauf und brachte aus ihr verschiedene Dinge herab, die den Erdmenschen gehörten. Nun begriffen diese den Greis.

„Sehen Sie, daß ich recht hatte?“ Mit diesen Worten wandte sich Stiller an seinen Kollegen Frommherz. „Man kommt doch nicht von der Erde zu so freundlichen, gastfreien Menschen, wie es die Marsbewohner zu sein scheinen, um gleich wieder kehrtmachen zu müssen. Übrigens könnten wir in unserer jetzigen Verfassung an eine sofortige Rückkehr überhaupt nicht denken.“

„Vor dieser bewahre uns für immer der Himmel in Gnaden!“ antwortete Frommherz, emsig damit beschäftigt, seine Habseligkeiten zusammenzupacken.

Bald nachher war das bescheidene Gepäck der Marsreisenden unten auf dem Boden. Mit Aufmerksamkeit betrachtete der Greis die verschiedenen Instrumente, die da zum Vorschein kamen. Ganz besonderes Interesse erregte bei ihm das Fernrohr. Stiller suchte ihm dessen Gebrauch klarzumachen. Aber der Greis schüttelte zu diesen stummen Auseinandersetzungen nur den Kopf und wies endlich mit der Rechten nach einem fernen Bau, dessen kuppelförmiges Dach der Professor jetzt zum erstenmal erblickte.

„Beim Zeus, die haben ja hier oben auch eine Sternwarte und zwar in nächster Nähe!“ rief Stiller erfreut. „Freunde, da müssen wir noch heute abend hingehen, um von dort aus unsere Mutter Erde in weiter Ferne als leuchtenden Stern erster Größe betrachten und bewundern zu können.“

Stiller machte dem Greise diesen Wunsch sofort begreiflich. Er deutete zuerst nach dem Himmel, dann auf sein Fernrohr und schließlich auf die Kuppel des Gebäudes. Endlich entnahm er seinem Gepäck eine große Himmelskarte, die er entfaltete. Mit dem Zeigefinger der Rechten wies er auf die Planeten hin, deren Bahnen um die Sonne auf einem besonderen Abschnitt der Karte verzeichnet waren. Nun verstand ihn der Greis sofort und nickte bejahend mit dem Kopfe. Jetzt suchte ihm auch der Professor begreiflich zu machen, woher er und seine Gefährten gekommen seien. Er zeigte auf die eingezeichnete Erde, dann auf die sie umschließende Bahn des Mars, auf diesen selbst, endlich auf das Luftschiff. Ein lauter Ton des Erstaunens kam über die Lippen des Greises. Er hatte Professor Stiller vollkommen verstanden und reichte ihm zum erstenmal mit Worten, die wie ein herzliches Willkommen klangen, die Hand, die dieser warm, drückte.

Der Greis übersetzte seinen Begleitern, was der Fremde ihm da in seiner stummen Zeichensprache erklärt hatte, und auf den offenen, ehrlichen Gesichtern trat ein gewisser Ausdruck der Achtung vor den kühnen Fremden, die so weit hergekommen waren, hervor. Die Weltensegler wurden wieder in ihr Heim zurückgeführt, in dem sie sich mit den aus ihrer Heimat mitgebrachten Sachen häuslich einzurichten begannen. Darüber war es spät am Mittag geworden. Keine lästige Neugier hatte die Herren bei ihrer Einrichtung gestört. Mit unendlichem Behagen streckten sie sich nach Beendigung dieser Arbeit auf die weichen Ruhebetten in ihren Zimmern, um in dem so lange entbehrten Genusse eines ausgezeichneten Lagers kurze Zeit zu schwelgen.

Inzwischen war die Tischzeit herangekommen. Das Mittagsmahl verlief ähnlich wie das Frühstück, nur war es reichlicher. Voll Befriedigung über die ihnen gebotenen Tafelfreuden wollten sich die Herren gerade erheben, als sie eine neue Überraschung an ihre Plätze bannte. Draußen, vom Hallenhofe des Hauses her, erschallte a capella der Gesang menschlicher Stimmen. Es war ein Lied voll Innigkeit und Tiefe. Die tongewordene Barmherzigkeit selbst schien es zu sein, die da an die Herzen der Gelehrten so mächtig pochte, daß sie ihre große Ergriffenheit nur schlecht zu bemeistern vermochten. Als das Lied verklungen war, wischten sich einige der Herren verstohlen die Tränen aus den Augen.

„Darauf muß ich noch einen Schluck nehmen,“ erklärte Piller, seinen Pokal füllend. „Seelische Erregungen rufen bei mir das Bedürfnis nach materieller Stärkung hervor. Dubelmeier, schneiden Sie kein so sonderbares Gesicht; tun Sie mir lieber Bescheid!“

„Bewahre mich der Himmel davor, diesen hehren Augenblick durch Alkohol zu entweihen!“

„Ganz wie Sie wollen, lieber Dubelmeier!“ erwiderte Piller gegen seine sonstige Gewohnheit milde.

Die Gelehrten verließen das Haus, um den schönen Abend zu einem Spaziergang zu benützen und die Gegend etwas näher kennenzulernen, die voraussichtlich längere Zeit ihren Wohnort bilden würde. Auf diesem Spaziergange wurde es ihnen mehr und mehr klar, daß ihr Luftschiff in der Nähe einer viel größeren Niederlassung gelandet war, als sie anfänglich geglaubt hatten. Es mußte eine Art von Stadt sein; denn trotz des garten- oder parkartigen Charakters des Ganzen bewiesen die vielen Häuser, die stets allein für sich standen, daß hier eine verhältnismäßig dichte Bevölkerung vorhanden sein müsse.

In dieser Auffassung wurden die Herren auch durch die zahlreichen Menschen unterstützt, die sie noch mit den verschiedensten Arbeiten beschäftigt antrafen. Niemand war hier untätig. Die Hast aber schien ein unbekannter Begriff zu sein, denn bei aller Arbeit trat ein gewisses Maß vornehmer Ruhe hervor. Wie wohltuend stach diese gegen das lärmende Treiben der Menschen auf der Erde ab! Überall, wohin auch die Gelehrten ihre Blicke richteten, erschien ein gleichmäßig verteilter Wohlstand; selbst die relative Armut mußte hier unbekannt sein. Nicht nur in den Häusern, deren offene Hallen dem neugierigen Auge ungehinderten Einblick gestatteten, nein, auch um die Wohnungen herum, auf allen Wegen und Stegen herrschte eine geradezu peinliche Sauberkeit.

Ihr Spaziergang führte die Herren auch an den breiten Strom, den sie heute in der Frühe des Tages vom Luftschiff aus gesehen hatten. Es mußte einer der berühmten Marskanäle sein; denn soweit sie sehen konnten, war der Strom kunstvoll eingedämmt, schnurgerade seine Ufer. Eine kühn geschwungene steinerne Brücke, auf vielen Pfeilern ruhend, ein architektonisches Meisterwerk, führte hinüber an das andere Ufer. Auf dem Mars schien alles unter dem Zeichen gemessener Ruhe zu stehen: auch die klaren, hellgrünen Gewässer des mächtigen Kanales flossen still und ruhig dahin und trugen auf ihrem Rücken eine Menge geschmackvoll gebauter Schiffe.