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Inhalt

Kapitel 1.

Kapitel 2.

Kapitel 3.

Kapitel 4.

Kapitel 5.

Kapitel 6.

Kapitel 7.

Kapitel 8.

Kapitel 9.

1.

Das Licht eines neuen Tages erhob sich grauweiß über der östlichen Kimm. Es war der 18. August 1579. Schweißgebadet richtete sich Generalkapitän Don Francisco Rodriguez von seinem zerwühlten Lager auf. Es war ganz und gar gegen seine Gewohnheit, früh aufzustehen, doch er hatte während der Nacht kaum ein Auge zugetan und hielt es nun einfach nicht mehr in seiner Koje aus.

Es war, als hege die Koje so etwas wie eine tiefe Abneigung gegen ihn. Sie war hart und wollte ihn nicht. Überhaupt schien plötzlich die ganze Welt gegen ihn zu sein, jedenfalls redete er es sich ein.

Die Nacht hatte, wie auch die vorherigen Nächte, etwas Bedrohliches gehabt. Qualvoll waren die Stunden gewesen, die Rodriguez in nur gelegentlichem Einnicken und traumdurchwebtem Dahindämmern durchlebt hatte. Die Dunkelheit hatte bedrückende Fragen an ihn gestellt, auf die er allenfalls ausweichende Antworten gewußt hatte. Und immer wieder hatte er angstvoll in die Nacht gelauscht, als stünden dort die Richter, die ihn für das Geschehene zur Verantwortung ziehen wollten.

Die Feuchtigkeit in der Kapitänskammer der Galeone „San Josefe“ war drückend und lastete schwer auf ihm. Schwerfällig verließ Rodriguez seine Koje und schlurfte zu einem der Fenster in der Heckgalerie. Er blickte durch die Bleiglasscheiben und sah die zinngraue See im Schein des heraufziehenden Morgenlichtes. Die Dünung hatte zugenommen. Die Wellen trugen weiße Schaumkronen, die sich nach einem unergründlichen System entfalteten, dann wieder in sich zusammenfielen und sich wenig später neu aufrichteten.

Rodriguez seufzte. Er glaubte, in der Ferne der Karibik einige der Spukgestalten auftauchen zu sehen, die ihn in seinen kurzen, bestürzenden Träumen heimgesucht hatten. Ihre Erscheinungen waren irreal, doch ihre Stimmen schienen Wirklichkeit zu sein, denn sie besaßen verblüffende Ähnlichkeit mit den Stimmen jener Señores, die Rodriguez’ Befehlshaber und Auftraggeber waren – Männer, die die Zusammenstellung des sechsunddreißig Schiffe zählenden Geleitzuges in Cartagena, Kolumbien, veranlaßt hatten. Männer, die ihn mit dem zumindest zu drei Vierteln vollständigen Konvoi in Havanna, Kuba, erwarteten. Männer, die auf ihn und seine Erfahrung bauten! Ihre Stimmen setzten seinen Geist gefangen und beherrschten ihn:

„Sie sind ein Versager, Capitan General Rodriguez!“

„Wo sind die Schiffe, Capitan Rodriguez?“

„Eine schwache Leistung ist das für einen Mann Ihrer Reputation, Señor!“

Ja, sie begleiteten ihn in seinen Alpträumen und in seinen Visionen, und sie standen bereit, ihn bis tief in die Höllenschlünde hinein zu verdammen. Deshalb fand er keinen Schlaf – weil er sich seiner Fehler bewußt war. Er hatte ein schlechtes Gewissen.

Sechsunddreißig Schiffe hatte der Konvoi einschließlich seiner „San Josefe“, des Flaggschiffes, gezählt. Und sechs waren nun übriggeblieben. Nur sechs! Gewiß, es war nicht seine Schuld, daß die Karibik von verfluchten Piraten geradezu wimmelte. Aber er hätte sich nicht ausschließlich auf den Geleitschutz der Zweimast-Karavelle „Cartagena“ verlassen dürfen. Er hätte mehr mitdenken und schon viel, viel früher aus eigenem Antrieb auch seine Kanonen gegen die Freibeuter richten sollen, die immer wieder wie reißende Raubtiere über den Konvoi hergefallen waren.

Sicherlich hätte er verhindern können, daß einige Galeonen gekapert und als Prisen der Piraten entführt wurden. Doch was machte dies alles schon aus gegenüber dem Unheil, das vor wenigen Tagen an jenem entsetzlichen Morgen über sie hereingebrochen war! Sie hatten nachts Westkurs gewählt, um den zuletzt auftauchenden Piratenschaluppen zu entgehen. Diaz de Veloso, der Kapitän der „Cartagena“, hatte ihm dies empfohlen, und es hatte sich als kluge Lösung erwiesen.

Doch dann hätte er, Don Francisco Rodriguez, auch weiter auf Diaz de Veloso hören und noch in derselben Nacht wieder nördlichen Kurs einschlagen sollen. Er hätte! Doch er hatte de Velosos Warnungen ignoriert und in den Wind geschlagen. Er hatte zu tun gehabt in jener Nacht und seine Kapitänskammer nicht verlassen wollen.

Jetzt war es zu spät, sich Selbstvorwürfen hinzugeben. Rodriguez wußte es, aber die bittere Erkenntnis, daß er sich wie ein Narr benommen hatte, quälte ihn.

Sechzehn Schiffe waren im Morgengrauen auf die berüchtigten Serranilla-Bänke gelaufen – Korallenriffe der übelsten Sorte. Ihre scharf über die Wasserlinie hinausreichenden Formationen hatten die Galeonen buchstäblich zersägt und aufgeknackt. Und wo die Besatzungen nicht von Trümmern zerquetscht und erschlagen worden waren, waren die gefürchteten tiburones zur Stelle gewesen. Haie! Sie hatten grausige Mahlzeit gehalten unter den in der See schwimmenden Schiffbrüchigen.

Rodriguez hatte Beiboote aussetzen lassen, um Schiffbrüchige und Teile der Havarieladungen aufzunehmen. Doch das Unternehmen war im Ansatz erstickt worden – durch einen neuen Angriff von zwei Piratenschaluppen. Rodriguez war an der Spitze des winzigen Restverbandes nach Nordwesten geflohen und hatte de Veloso, diesen mutigen schwarzhaarigen Teufel, mit seinem Schicksal alleingelassen. Was aus ihm geworden war, wußte er nicht.

Versager! riefen die Stimmen in ihm.

O ja, er hatte in Cartagena gelegentlich Schauergeschichten über die Serranilla-Bänke vernommen. Sie lagen in nordöstlicher Richtung querab vor dem Capo Gracias a Diòs, und spanische Seefahrer, die sich mit knapper Not vor den gefährlichen Riffen hatten retten können, hatten ihnen den Namen verliehen. Aber Rodriguez hatte die Erzählungen als Seemannsgarn und Großtuerei zurückgeweisen. Er hatte ihnen keinen Glauben geschenkt. Das hatte er nun davon! Er hatte sich eines Besseren belehren lassen müssen.

Eigentlich gab es nun keine Rettung mehr. Die Casa de Contratacion in Sevilla – jene Behörde, die Handel und Verkehr mit den Kolonien überwachte – hatte klare Direktiven und Order für Fälle wie diese erlassen. Don Francisco Rodriguez würde sich für die Geschehnisse rechtfertigen müssen. Und wenn sie ihn für schuldig befanden, würde er einen Teil des Schadens sogar bezahlen müssen. Denn die gekaperten oder gesunkenen Galeonen waren Schatzschiffe gewesen, genau wie die „San Josefe“ und die restlichen fünf Schiffe. Sie hatten sich in Havanna mit anderen Schatzgaleonen vereinigen und nach Spanien zurücksegeln sollen.

Rodriguez blickte starr auf die kabbelige See, als läge dort die Lösung für sein großes Problem.

Wenn nur de Veloso zurückkehren würde, dachte er, dieser wilde, schwarzhaarige Bursche mit den eisblauen Augen. Wenn er doch nur den Kampf gegen die Piraten siegreich abgeschlossen hätte und versuchte, zum Restkonvoi zu stoßen.

Die „Cartagena“ war im Golf von Darien mit ihnen zusammengetroffen. In einer Nacht hatte sie so bravourös drei Piratenschaluppen abgewehrt, daß Rodriguez sich am darauffolgenden Tag an Bord begeben hatte, um sich bei Kapitän Rafael Castelar zu bedanken. Bei dieser Gelegenheit hatte ihm jener Diaz de Veloso mitgeteilt, daß Castelar gleich zu Beginn des Gefechtes gefallen wäre. Rodriguez hatte de Veloso daraufhin spontan zum neuen Kapitän befördert. Eine Woche hatte er dem Konvoi Geleitschutz geliefert, dann, am tragischen 12. August, hatten die Serranilla-Bänke dem ohnehin schon arg reduzierten Konvoi den Rest gegeben.

Rodriguez hatte sich überlegt, ob er nun einfach fliehen sollte. Doch das konnte er nicht. Man würde ihn suchen und finden. Er mußte nach Havanna laufen, was blieb ihm anderes übrig?

Die letzte Chance bot eben nur Diaz de Veloso. Er, Rodriguez, würde ihn mit sich nach Havanna locken, wenn er zurückkehrte. Auf Kuba würde er ihn dann ganz rigoros der Pflichtvernachlässigung bezichtigen und ihm die ganze Schuld an dem Unheil in die Schuhe schieben. Was konnte de Veloso zu seiner Verteidigung vorbringen? Nichts! Er war ja der Geleitschutz.

Gewiß, Rodriguez hatte einen Narren an ihm gefressen. Doch was bedeutete das schon? Männer stiegen und fielen in seiner Gunst, wie es ihm gerade in den Kram paßte. Und in einer Situation wie dieser war sich jeder selbst der Nächste.

Rodriguez fühlte sich eingedenk dieser Erkenntnis irgendwie erleichtert. Vielleicht hatte er Glück, vielleicht ließ sich doch noch alles zu seinen Gunsten bereinigen. Er wandte sich von dem Fenster ab, zündete eine Öllampe an und verließ die Kapitänskammer. In den Schiffsgängen war es düster. Ohne Licht konnte man nicht die Hand vor den Augen sehen. Rodriguez wanderte durch sein stolzes Flaggschiff und glich die rollenden und stampfenden, beständig zunehmenden Decksbewegungen mit erstaunlichem Geschick aus. Er war ein dicker Mann, aber dennoch besaß er große Wendigkeit.

Rodriguez steuerte einen bestimmten Raum im Vordeck an. Er war zu dem Schluß gelangt, daß alle Seelenqual nichts nutzte und ihn nicht weiterbrachte. Abwechslung tat not. Er wollte die tristen Gedanken verdrängen und über Bord werfen.

Plötzlich polterten Schritte den Niedergang hinunter. Der Generalkapitän wollte sich verstecken, doch es war zu spät. Es paßte ihm nicht, hier von einem seiner Untergebenen gesehen zu werden. Aber jetzt ließ es sich nicht mehr ändern.

Ausgerechnet der Erste Offizier trat ihm entgegen. Er grüßte höflich, aber um seine Mundwinkel spielte ein spöttischer Ausdruck.

„So früh schon auf den Beinen, mi Capitan General? Aber, aber, das ist doch ganz gegen Ihre Gewohnheiten. Ist etwas nicht in Ordnung?“

„Wir kriegen Sturm“, erwidete Rodriguez unfreundlich.

„Ja. Aber ich versichere Ihnen, daß auch hier unten im Vordeck alles ordnungsgemäß gestaut und festgezurrt ist.“

„Es empfiehlt sich, immer alles doppelt und dreifach zu prüfen“, entgegnete Francisco Rodriguez barsch. „Sie wissen genau, wie das ist. Die Mannschaft schläft mit offenen Augen. Man kann sich auf keinen der Hunde verlassen.“

Der Erste Offizier lächelte. Für eine Weile herrschte Schweigen, und sie fixierten sich über den Lichtkreis der Öllampe weg. Nur das Knarren und Ächzen der Verspannungen im Schiffsrumpf waren zu hören. Endlich bewegte sich der andere, ging an seinem Kapitän vorbei und deutete auf ein Schott. Rodriguez hatte es fast erreicht, als er von dem Mann gestört worden war. Schwach hoben sich die Umrisse des schwer verriegelten Schotts im trüben Lichtschimmer ab.

„Natürlich entzieht es sich meiner Kenntnis, was sich in dem Raum dort befindet“, sagte der Erste Offizier. „Sie haben den Schlüssel, mi Capitan General. Weiß der Teufel, was hinter dem Schott vorgeht. Wollen wir zusammen nachsehen, ob alles seine Richtigkeit hat?“

Rodriguez kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. „Wie soll ich das verstehen – was dort vorgeht?“

Der Offizier wußte, daß er mit dem Feuer spielte. Doch die Ereignisse der letzten Tage, die offensichtliche Niederlage und Schmach des Generalkapitäns, bemüßigten ihn zu einem Maß an Forschheit, das er sich sonst niemals erlaubt hätte.

Er baute sich vor Rodriguez auf und sagte ohne Umschweife: „Jetzt mal ganz offen, was verbergen Sie dort? Glauben Sie denn, es ist mir entgangen, daß die Kombüse tagtäglich größere Rationen kocht, als für Offiziere und Mannschaft verbraucht werden? Meinen Sie, ich hätte Tomaten auf den Augen? Dreimal täglich schafft Ihr Aufklarer Proviant hier herunter und hat strenge Order, die Tabletts und Kübel und was sonst noch alles vor dem Schott abzusetzen. Und weiter? Dann erscheinen Sie, schließen auf und lassen die Leute dort drinnen Essen fassen. Na schön, Sie haben das alles stets heimlich abgewickelt. Aber für wie dumm halten Sie uns Offiziere eigentlich? Auf einem Schiff kann so was nicht lange verborgen bleiben. Wir beobachten Sie seit einiger Zeit. Ich verlange eine Erklärung.“

Don Rodriguez war kleiner als sein Erster Offizier. Rein äußerlich gab er eine eher groteske als respekteinflößende Figur ab. Doch das täuschte nicht über den harten Kern in seinem Inneren hinweg. Der Erste Offizier war zu weit gegangen, er bemerkte es. Rodriguez’ Augen hatten plötzlich einen eisigkalten, erschrekkenden Ausdruck. Der Erste Offizier bereute seine Worte, noch bevor der Generalkapitän zur Antwort ansetzte, aber zurücknehmen ließ sich das Gesagte nicht mehr.

„Erklärung?“ fuhr Rodriguez ihn an. „Was fällt Ihnen überhaupt ein, sich eines solchen Tones zu bemächtigen? Diese Frechheit werden Sie noch bereuen, de Morales, das schwöre ich Ihnen. Was Sie sich hier anmaßen, grenzt an Meuterei!“

De Morales, der Erste Offizier der „San Josefe“, versuchte seinen Fehler durch Flucht nach vorn zu übertrumpfen. Er trat zwei Schritte vor. Plötzlich zuckten seine Hände hoch, packten die Rockaufschläge des Generalkapitäns und hielten sie fest. De Morales’ Gesicht war dicht vor dem von Rodriguez.

„So leicht winden Sie sich nicht heraus“, sagte de Morales scharf. „Antworten Sie auf meine Frage. Wer verbirgt sich in dem Raum?“

Rodriguez lief vor Zorn und Empörung dunkelrot an. In diesem Augenblick sah es wirklich so aus, als blähe sich sein gewaltiger Leib noch mehr auf. Sein Selbstvertrauen war erschüttert, aber nicht so weit, daß er sich jetzt von einem simplen Schiffsoffizier erniedrigen und seiner Autorität berauben ließ.

„Sie!“ keuchte er. „Bastardo – Hundesohn! Verdammter Querulant, dir werde ich zeigen, was es heißt, einen Rodriguez anzugreifen!“

De Morales wußte nicht, welcher Teufel ihn ritt, aber er ließ nicht von dem dicken Mann ab. Im Gegenteil, er krallte die Finger in dessen Aufschläge fest und schüttelte ihn. „Spuck es aus, dein Geheimnis. Eher kommst du hier nicht ’raus!“

Wenn de Morales aber geglaubt hatte, sich jetzt den übergewichtigen Kapitän unterwerfen zu können, dann hatte er sich gründlich getäuscht. Es war eben sein Pech, daß er zuvor niemals Gelegenheit gehabt hatte, seine Kräfte mit denen Rodriguez’ zu messen. Er hatte ihn unterschätzt. Er war nicht besonders groß, dieser Francisco Rodriguez, aber er verfügte über verblüffende Körperkraft, besonders in den Armen.

Unversehens fühlte sich de Morales hochgehoben und durch den Gang des Vorkastells geschleudert. Er ruderte mit den Armen, aber das nutzte ihm nichts. Rücklings prallte er gegen eine Wand, stöhnte auf und rutschte daran zu Boden. Ehe er sich wieder aufrappeln konnte, war Rodriguez bei ihm. Rodriguez eilte flink wie ein Affe herbei. Seine Körpermassen wabbelten und schwabbelten, doch sie behinderten ihn nicht in seiner Aktion.

„Dreckskerl! Meuterer!“ schrie er. Und dann prasselte ein Trommelfeuer von Ohrfeigen, Boxhieben, Knüffen und Tritten auf de Morales nieder.

Der Gepeinigte versuchte den Angriff abzuwehren. Er trachtete geradezu verzweifelt danach, eine Bresche in den Hagel aus Hieben zu treiben, doch jedes Unterfangen wurde durch Rodriguez’ Heftigkeit unterbunden.

De Morales’ Wangen färbten sich rot bis violett. Seine Stirn hatte Schrammen. Seine Unterlippe platzte auf, und aus seiner Nase tropfte plötzlich Blut. Für kurze Zeit konnte er die Arme des Generalkapitäns festhalten, doch dann riß jener sich wieder los unf drang von neuem auf ihn ein.

„Aufhören“, stammelte de Morales. „Ich ergebe mich.“

Rodriguez stieß einen wilden Schrei aus. Er klang mehr wie ein Heulen. „Ha! Er ergibt sich! Daß ich nicht lache. Hier bestimme ich, wann alles vorüber ist.“

Und er drosch weiter auf den aufmüpfigen Mann ein. Vielleicht hätte er ihn umgebracht, wenn jetzt nicht oben auf Deck Rufe erschollen wären. Schritte trampelten den Niedergang hinunter. Jemand hatte offensichtlich Rodriguez’ Schrei gehört.

Ein Trupp Seesoldaten erschien im Unterdeck. Das Öllicht war zu Boden gefallen, brannte aber noch und verbreitete schwache Helligkeit, die zukkend und gespenstisch auf die Szene fiel.

Don Francisco Rodriguez packte de Morales und richtete ihn auf. Der Mann bot keinen schönen Anblick. Er war arg traktiert worden, konnte sich aber doch noch selbständig auf den Beinen halten. Ihm war schwindlig, doch er wurde nicht ohnmächtig.

„Sargento“, sagte Rodriguez zu dem Anführer des Trupps. „Dieser Mann hat sich unbotmäßig verhalten. Bringen Sie ihn nach oben und lassen Sie ihn auf der Kuhlgräting festbinden. Dann schnappen Sie sich die Neunschwänzige und geben ihm dreißig Hiebe.“

Der Sargento bemerkte de Morales’ Blick auf sich und trat plötzlich von einem Fuß auf den anderen. „Aber — aber Señor Capitan General, es ist doch der Erste Offizier.“

„Wollen Sie etwa einen Befehl verweigern?“ schrie Rodriguez.

„Nein, Señor.“

„Dann bringen Sie ihn ’rauf!“

„Jawohl.“

„Dreißig Hiebe, verstanden? Dreißig!“

Der Sargento und die Seesoldaten schleppten den Ersten Offizier nach oben. Don Francisco Rodriguez schritt hinter ihnen her und begleitete das Unternehmen mit seinen Flüchen und Verwünschungen. De Morales war zu geschwächt, um noch Widerstand zu leisten. Willenlos ließ er sich mit Rohlederstreifen auf die Kuhlgräting binden. Als Rodriguez jedoch neben ihn trat, schaute er zu ihm auf. Die „San Josefe“ begann immer mehr in der kabbeligen See zu schlingern. Rodriguez’ feistes Antlitz verwischte sich vor dem grauen Morgenhimmel.

„Ich fordere Sie zum Duell“, sagte de Morales unter großen Anstrengungen. Rodriguez lachte so heftig, daß er sich den überlappenden Bauch halten muße. „Das könnte dir so passen, du Meuterer! Hast du vergessen, daß ein Mann wie ich eine Herausforderung nur von ihm ebenbürtigen Männern annimmt, nicht von einem Dreck wie dir? Von dir lasse ich mir höchstens noch die Stiefel putzen. Ich erkläre dich hiermit als degradiert, du Hund.“

Er trat zurück und und gab dem Sargento einen Wink. Der begann mit Unterstützung der Seesoldaten, dem gefesselten, halb besinnungslosen Mann die Kleider vom Leib zu fetzen. Unter Rodriguez’ unnachgiebigem Blick griff der Sargento sich schließlich die Neunschwänzige. Er hob sie hoch, holte aus und ließ sie auf den bloßen Rücken des Ersten Offiziers niederpfeifen.