cover.jpg

Syrien – Vom regionalen Konflikt zum Weltenbrand

Vor eineinhalb Jahren hatten wir in einem ebenfalls bei Promedia herausgebrachten Buch über Syrien für den Untertitel noch die Formulierung »Ein Land im Krieg« gewählt. Mittlerweile ist der Nahe Osten insgesamt zum Mittelpunkt und Schauplatz eines internationalen Konfliktes erster Ordnung geworden. Dem tragen wir mit der vorliegenden Publikation Rechnung. Sowohl die Faktoren, die letztlich dazu geführt haben, einen zunächst lokalen Konflikt innerhalb kürzester Zeit zu einem der weltweit gefährlichsten regionalen Krisenherde werden zu lassen, als auch die direkte Beteiligung regionaler und internationaler Player in diesem »Bürgerkrieg« haben Syrien zum primären Austragungsort verschiedenster Interessenskonflikte und Machtkämpfe werden lassen. Anders als bei der verständlichen und durchaus berechtigten lokalen Rebellion 2011 geht es schon lange nicht mehr um die Durchsetzung politischer, sozialer und ökonomischer Reformen in Syrien, auch nicht mehr alleine und in erster Linie um den Sturz von Präsident Baschar al-Assad und die Beendigung der baathistischen Herrschaft. Längst prallen im Nahen Osten konkurrierende regionale und globale Konzepte aufeinander, die perfekt in das bereits lange vor 2011 von den USA definierte Ziel nach einem regime change in Syrien passen.1 Das Schicksal der knapp 23 Millionen Syrerinnen und Syrern2 steht nicht mehr im Vordergrund, weder bei der Allianz der internationalen Dschihadisten (und deren Promotoren und Financiers) noch bei dem um sein Überleben kämpfenden Regime.

Syrien ist nach mehr als fünf Jahren brutalen und verheerenden Kriegs ein weitgehend zerstörtes Land, dessen Zukunft als einheitliches Staatswesen höchst ungewiss ist; ganz abgesehen von den unvorstellbaren menschlichen, sozialen, kulturellen und letztlich auch materiellen Schäden. Nach den Schätzungen des »Syrian Center for Policy Research« (SCPR) beläuft sich die Zahl der Todesopfer auf rund 470.000, die Zahl der Verletzten wird mit knapp 2 Millionen angegeben, über vier Millionen SyrerInnen haben das Land verlassen, weitere 6,4 Millionen sind innerhalb Syriens auf der Flucht. Ohne die infolge von Kampfhandlungen zerstörten Werte zu berücksichtigen, werden die Verluste der syrischen Wirtschaft seit 2011 auf 254 Milliarden US-Dollar geschätzt.3 Die für den Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur notwendigen Kosten werden nach Angaben des Weltbank-Chefs Jim Yong Kim mit 150 Milliarden US-Dollar veranschlagt, andere Experten gehen von 180 Milliarden US-Dollar aus. Was aber noch weitaus schwerer wiegt, ist die bereits weit fortgeschrittene Zerstörung der kulturellen und zivilisatorischen Fundamente Syriens und weiter Teile des Nahen Ostens, die immerhin über eine Jahrtausende lange Tradition verfügen. Die Zerstörung von Kulturdenkmälern durch dschihadistische Terroristen, wie man sie auch aus Afghanistan, Irak und Mali kennt, richtet das Schlaglicht auf einen höchst bedenklichen und bedrohlichen Aspekt des gesamten Konfliktes: die gezielte Vernichtung von zivilisatorischen und kulturellen Traditionen und die Unterwerfung unter eine fanatische, intolerante und letztlich inhumane Gesinnung. Dass ein beträchtlicher Teil der syrischen Bevölkerung diese Denkweise völlig ablehnt, bewiesen der mutige Einsatz des Chefs der Antikenverwaltung in Tadmur/Palmyra im August 2015, aber auch die Jubelszenen der Menschen in der vom Islamischen Staat befreiten nordsyrischen Stadt Manbidsch ein Jahr später.

Syrien ist ähnlich wie der Irak nach wie vor ein multiethnischer und multireligiöser Staat. Dieser Charakter ist durch den gegenwärtigen Krieg aufs Höchste gefährdet. In einem Staat der Daesh und al-Nusra-Fanatiker würden christliche, drusische und andere religiöse Minderheiten (wie natürlich auch die Alawiten und Schiiten) keinerlei Zukunft haben, aber auch ethnische Minderheiten wie die Kurden könnten kaum überleben.

In diesem Zusammenhang möchte ich zunächst auf zwei Beiträge in diesem Buch hinweisen: Nikolaus Brauns beschreibt das höchst interessante und weit über Syrien hinaus bedeutsame Selbstverwaltungsexperiment der Kurden in Nordsyrien (Rojava), Johannes Auer analysiert die Situation der Christen in Syrien, welche sich in einer höchst bedrohlichen Situation befinden. Beiden Gruppen wird ein gewisses Naheverhältnis zum Assad-Regime nachgesagt. Dies hat wohl weniger mit Sympathien mit dessen autokratischem und korruptem Charakter zu tun, als mit der nackten Existenzangst im Falle der Machtübernahme der radikalen Dschihadisten.

Die weiteren Beiträge dieses Buches behandeln wichtige Aspekte des Konfliktes, wobei in den meisten Texten auch auf die überregionalen Dimensionen eingegangen wird. Norman Paech befasst sich ausführlich mit den völkerrechtlichen Auswirkungen, wobei er massive Kritik an den in den internationalen Beziehungen herrschenden Doppelstandards übt. Werner Ruf analysiert in einem Beitrag ausführlich Grundlagen, Ideologie, Strategie und Taktik des Islamischen Staates und in einem zweiten Text die Dimension des ganzen Konfliktes als regionalen Stellvertreterkrieg. Tyma Kraitt wiederum gibt einen guten Überblick über die historische Entwicklung Syriens seit dem Zerfall des Osmanischen Reiches, die Machtübernahme der Baath-Partei und den konsequenten Aufbau der Dominanz der alawitischen Minderheit, die sie durchaus differenziert sieht. Rüdiger Lohlker beschreibt die professionellen Propagandamethoden der Dschihadisten im Internet. Gerhard Mangott und Murat Çakır erläutern die Motive und Strategien von zwei wichtigen externen Akteuren, nämlich von Russland und der Türkei. Weitere Analysen wie etwa über die Rolle der Golfstaaten und des Iran, aber auch über Libanon und Jordanien mussten leider aus Platzgründen unterbleiben, werden aber zum Teil in den Beiträgen von Paech und Ruf mitbehandelt. Ähnliches trifft auch auf die Position der USA zu, die aber in einer Reihe von Beiträgen, z.B. in jenem von Hannes Hofbauer, angesprochen werden. Hofbauer beschäftigt sich in seinem umfangreichen Aufsatz mit dem »Krieg gegen den Terror«, der letztendlich die gesamte Welt, also den Süden wie auch den Norden, unsicherer gemacht hat. Karin Leukefeld, die als langjährige Nahost-Korrespondentin Syrien sehr genau kennt, beschreibt die einseitige Berichterstattung der europäischen, besonders der deutschsprachigen Medien.

Das zentrale Anliegen dieses Buches ist es, die internationalen Aspekte des Konfliktes zu behandeln, denn diese haben in den mehr als fünf Kriegsjahren an Bedeutung gewonnen. Eines ist im Laufe der Jahre auch zunehmend klar geworden: Eine Lösung des Konfliktes, wie sie auch immer aussehen mag, wird ohne einen internationalen Konsens kaum möglich sein. Letzteres trifft natürlich auch auf ein Problem zu, das zuletzt vor allem Europa mehr und mehr beschäftigt hat, die Bewältigung der Flüchtlingsströme aus Syrien.

Zur Übersetzung von Eigennamen und sonstigen Bezeichnungen aus dem Arabischen haben wir uns – wie auch bei früheren Publikationen – entschlossen, bei Eigennamen anstelle der arabischen Transkription eine eingedeutschte Schriftweise zu verwenden (mit Ausnahme des Beitrags von Rüdiger Lohlker).

Somit möchte ich abschließend dem Promedia Verlag und seinem Programmleiter Hannes Hofbauer für die Initiative zur Herausgabe dieses Bandes danken. Die Ereignisse in der gesamten Nahost-Region seit dem sogenannten Arabischen Frühling, die unterschiedlichen Betrachtungsweisen und Interessen, vor allem aber auch die recht manipulative und einseitige Berichterstattung in westlichen Mainstream-Medien machen eine Beschäftigung mit dieser Weltregion notwendig. Damit versuchen wir, einen Beitrag zu einer umfassenden, möglichst wahrheitsgetreuen Darstellung zu leisten. Den Autorinnen und Autoren dieses Buches danke ich ganz besonders, dass sie sich an dieser aufklärerischen Mission beteiligt haben.

Fritz Edlinger
Wien, im August 2016

1. Für diese Tatsache gibt es zwei höchst eindrucksvolle Belege: ein Interview von Amy Goodman in »Democracy Now« mit dem prominenten früheren US-Viersterne-General Wesley Clarke vom 2. März 2007 (siehe dazu www.youtube.com/watch?v=ukAFbalToOc&feature=youtube.be; oder: http://de.wikipedia.org/wiki/Wesley_Clark) sowie ein Interview des Fernsehsenders LCP mit dem früheren französischen Außenminister Roland Dumas vom 18. Juni 2013 (http://youtu.be/ukAFbalToOc).

2. Die Bevölkerung Syriens belief sich nach Angaben der Weltbank 2013 auf knapp 23 Millionen. Diese dürfte sich inzwischen auf knapp über 20 Millionen reduziert haben.

3. »Syria. Confronting Fragmentation! Impacht of Syrian Crisis Report«. Quarterly based report (2015).« Syrian Centre for Policy Research (SCPR), February 2016. Siehe www.scpr-syria.org.

Der Syrienkrieg – ein regionaler Stellvertreterkonflikt

Werner Ruf

Der Niedergang der USA

Die nachhaltige Präsenz der USA im Nahen Osten beginnt in den 1930er-Jahren, als US-amerikanische Ölfirmen mit der Aufschließung der Energiereserven auf der arabischen Halbinsel begannen. 1944 wurde unter Führung von Standard Oil of California (Socal) die Arabian American Oil Company (Aramco) gegründet, an der der saudische Staat 1973 25% übernahm, 1980 erwarb er 100% des Firmenkapitals.4 Um sich den freien Zugang zum iranischen Öl zu sichern, organisierten die USA gemeinsam mit Großbritannien 1953 den Putsch gegen die Regierung Mohammad Mossadegh im Iran. Doch noch drei weitere Jahre blieb der Nahe Osten unter dem beherrschenden Einfluss der alten imperialistischen Mächte Großbritannien und Frankreich. Ihren Niedergang besiegelte die Suez-Krise von 1956, als nach der Verstaatlichung des Suez-Kanals durch den ägyptischen Präsidenten Abdel Nasser Israel – nach geheimer Absprache mit London und Paris – Ägypten angriff, während Großbritannien und Frankreich zur »Sicherung« des Kanals bereitstanden. Gemeinsames Ziel der Operation war der Sturz Nassers, mit dem Frankreich auch einen wichtigen Unterstützer des 1954 begonnenen algerischen Befreiungskrieges zu beseitigen hoffte. Trotz der zeitgleich stattfindenden Ungarn-Krise, bei der sich die Sowjetunion und die USA gegeneinander in Stellung brachten, übten die beiden gemeinsam massiven Druck auf Paris und London aus und zwangen die Aggressoren zum Rückzug. Gamal Abdel Nasser feierte einen politischen Sieg, der ihn zum Idol der arabischen Welt machte.

Ihren Dominanz-Anspruch formulierten die USA unmittelbar nach Ende der Suez-Krise in der Eisenhower-Doktrin vom 5. Januar 1957. Darin erklärte Washington, dass es kommunistischer Unterwanderung oder Bedrohungen durch die Sowjetunion insbesondere in Nahost »mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln« (also gegebenenfalls auch mit Atomwaffen) begegnen würde. Dies war eine klare Warnung an Nasser, aber auch an die säkularen, sich sozialistisch nennenden Regime in Damaskus und Bagdad, keine Bindungen mit der Sowjetunion einzugehen. Zugleich signalisierten die USA mit der Verkündung dieser Doktrin auch gegenüber ihren westlichen Verbündeten, wer der Hegemon in der Region war.

Den beginnenden Ausstieg der Sowjetunion aus der Weltgeschichte vermochten die USA zu nutzen, um ihren hegemonialen Anspruch in der Region durchzusetzen, indem sie die Besetzung und Annexion Kuwaits durch den Irak im August 19905 nutzten, um diesen bis dahin nützlichen Stellvertreter im Bemühen um die Destabilisierung der Islamischen Republik Iran mit Krieg zu überziehen und ihm über den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ein Embargo aufzuerlegen, das die Ökonomie und die Sozialsysteme des Landes ruinierte.6

Acht Jahre nach Ende der Amtszeit von George Bush Senior zog 2001 dessen Sohn George W. Bush ins Weiße Haus ein. Dieser berief in sein Kabinett und seinen Beraterstab vor allem Mitglieder des Project for a New American Century (PNAC), das 1997 gegründet worden war7. Unter ihnen waren der mit der Öl-Industrie eng verbundene Dick Cheney, Donald Rumsfeld, Paul Wolfowitz und sieben weitere der insgesamt 25 Gründungsmitglieder dieses neo-konservativen Think Tanks. Das Gründungsmanifest trägt den Titel »Rebuilding America’s Defenses«. Insgesamt konzentriert sich das Programm des PNAC so gut wie ausschließlich auf militärische Fragen. Eine Hochrüstung ohnegleichen sollte die Überlegenheit der USA für mindestens das kommende Jahrhundert sichern. Die Konzentration auf militärische Fähigkeiten kennt keinerlei Rücksichtnahme auf das bestehende Völkerrecht oder auf humanitäre Grundsätze. Im PNAC-Papier steht zu lesen: »Fortgeschrittene Formen der biologischen Kriegführung, die spezifische Genotypen ›anzielen‹ können, dürften biologische Kriegführung aus dem Bereich des Terrors zu einem politisch nützlichen Instrument transformieren.«8

Diese militärischen Allmachtsfantasien korrelieren mit hegemonialen Visionen wie der des Kolumnisten Charles Krauthammer, der unter dem Titel »Der unipolare Augenblick« 1991 nach Auflösung der Sowjetunion die Etablierung einer US-amerikanischen Weltherrschaft ohne jede Rücksichtnahme gefordert hatte. Im Wortlaut schrieb er: »Unsere beste Hoffnung auf Sicherheit … ist Amerikas Stärke und die Willenskraft, eine unipolare Welt zu führen und ohne Scham die Regeln der Weltordnung festzulegen und sie auch durchzusetzen.«9

Selbstverständlich hatten der Nahe Osten und die Energieversorgung in den Grundsatzüberlegungen dieser Kreise wie auch des PNAC einen hohen Stellenwert. In der Sprache von PNAC-Mann Donald Kagan liest sich das folgendermaßen: »Amerikas globale Führungsaufgabe und seine Rolle als Garantiemacht des derzeitigen Großmachtfriedens ruht auf der Sicherheit der amerikanischen Heimat und auf der Sicherung eines günstigen Machtgleichgewichts in Europa, dem Mittleren Osten und der umliegenden Energie produzierenden Region und Ostasien; sowie der allgemeinen Stabilität des internationalen Systems von Nationalstaaten gegenüber Terroristen, organisiertem Verbrechen und anderen ›nichtstaatlichen Akteuren‹.«10

Diese Konzepte (und ihre Vordenker) dürften Pate gestanden haben bei George W. Bushs »Krieg gegen den Terror«: Eine rein militärische, gnadenlose Bekämpfung all dessen, was als »terroristisch« identifiziert wurde.

Doch scheint es, dass die Kriege in Afghanistan und im Irak, die Interventionen in Libyen und die vielfältige Unterstützung von Stellvertretern in großen Teilen der Welt – darunter nicht zuletzt in Syrien – zu Lasten der ökonomischen Infrastruktur des Hegemons gehen. Kein geringerer als der mehrfache Präsidentenberater Zbigniew Brzezinski11 hat den Niedergang der USA vom Zerfall der Infrastruktur wie Straßen, Eisenbahnen und Flughäfen über das Erziehungswesen und die Universitäten bis zur Zunahme der Arbeitslosigkeit in einer detaillierten Untersuchung dramatisch beschrieben. Diese Beschreibung erinnert an die meisterhafte Arbeit des britischen Historikers Paul Kennedy12 über den Aufstieg und Fall der großen Reiche, deren ökonomische Substanz durch »militärische Überdehnung« ruiniert wird.

Der regionale Hexenkessel

Die USA

Diese Diagnose impliziert keineswegs, dass sich Washington umgehend aus der Region zurückgezogen hätte. Nach dem »arabischen Frühling« visierten die USA einen Partnerwechsel an und blieben zunächst ihrem schon gegenüber Tunesien und Ägypten formulierten Motto »Wir wollen diesen Wandel« treu.13 Auf dieser Linie liegt die Äußerung der US-Außenamtssprecherin Victoria Nuland Anfang Juli 2011, die USA würden sich darauf konzentrieren, »unsere Unterstützung den Syrern vor Ort zu geben, die sich organisieren und deutlich sagen, dass sie einen Wechsel wollen«.14

Der US-Botschafter in Damaskus, Robert Ford, mischte sich aktiv in das Geschehen vor Ort ein, wobei er aus seiner Unterstützung für die Rebellion kein Hehl machte.15 Auch hier zielte die Politik der USA auf einen regime change, der den Sturz Baschar al-Assads zum Ziel hatte und zugunsten der Muslimbrüder ausgehen sollte.

Unter dem Motto »Assad muss weg« hofften die USA, eines der letzten relativ unbotmäßigen Regimes in der Region zu beseitigen. Ihr Hauptanliegen war die Schwächung des Iran, der seit der Revolution im Jahre 1979 als der zentrale Gegner in der Region angesehen wurde. Hauptziel war die Zerschlagung der »schiitischen Achse«, die vom Iran über Syrien bis zur libanesischen Hisbollah reicht. An diesem Punkt trafen sich die Interessen der USA mit denen Israels, der Türkei und Saudi-Arabiens. Um nicht nach den verlorenen Kriegen in Afghanistan und im Irak abermals an vorderster Front kämpfen zu müssen, schien die alte Politik des Stellvertreterkrieges nahe zu liegen: die muslimischen (sunnitischen) Vormächte Saudi-Arabien, Katar und die Türkei erschienen geradezu als natürliche Verbündete, die vor Ort das Kampfgeschehen übernehmen bzw. durchführen (lassen) konnten.

Russland

Syrien ist für Russland nach dem Ende des Kalten Krieges der letzte verbliebene und verlässlich erscheinende Partner in der Region. Tausende russische Experten sind nicht nur im militärischen, sondern auch im zivilen Bereich in Syrien tätig. Von höchster Priorität ist für Russland auch seine Marinebasis in der syrischen Hafenstadt Tartus. Sie ist die einzige Basis der russischen Flotte außerhalb ihres Territoriums und in warmen Gewässern. Wenn Russland ein global player bleiben will, muss es im Konflikt um Syrien Präsenz zeigen und seinem Partner Schutz bieten. Die Entwicklung des Konflikts und die Beteiligung zahlreicher dschihadistischer Gewaltakteure stellen in der Wahrnehmung Russlands auch eine Gefahr für die eigene Sicherheit dar, kämpfen in Syrien doch viele Dschihadisten aus den muslimischen ehemaligen Sowjet-Republiken, die fanatisiert und kampferfahren in ihre Heimat zurückkehren könnten.

Die Türkei

Ankara verfolgt vielfache Interessen im Konflikt. An erster Stelle steht die Verhinderung der Entstehung einer Autonomie oder gar einer Staatlichkeit in den kurdischen Gebieten Syriens, die sich von der Kontrolle durch Assad weitgehend befreit haben. Die Entstehung staatlicher Strukturen in den kurdischen Gebieten eines zerfallenden Syriens würde einen Präzedenzfall für die Zukunft der kurdischen Gebiete der Türkei darstellen und dem kurdischen Autonomiestreben dort gewaltigen Auftrieb geben. Diese Gefahr wird von Ankara als umso höher eingeschätzt, als die syrisch-kurdischen Volksbefreiungskräfte PYD eng mit der türkisch-kurdischen Arbeiterpartei PKK zusammenarbeiten.

Die den Muslimbrüdern nahe stehende islamistische AKP befindet sich auf der Linie »westlicher Werte«, da sie die neuen Partner des Westens in der Region (Tunesien, Ägypten bis zum Sturz Mursis) unterstützt und den Umbau dieser Gesellschaften entlang neoliberaler Konzepte vorantreibt. Zugleich verfolgt die Türkei als Mitglied der NATO eigene Großmachtinteressen, mit denen sie sich in einer Art Nachfolgerolle des Osmanischen Reiches sieht.16 In diesen Kontext passt, dass die Türkei seit 2012 die vorwiegend im Nordwesten Syriens lebenden Turkmenen mobilisiert und aufgerüstet hat. In Ankara wurde 2013 eine »Turkmenische Gesetzgebende Versammlung« ins Leben gerufen. Die turkmenischen Milizen kämpfen zwar auch gegen die Truppen Assads, ihre Hauptaufgabe ist aber wohl, den Vormarsch der syrisch-kurdischen PYD im Nordwesten zu stoppen.17

Ein weiterer, bisher kaum thematisierter Aspekt sind die Kohlenwasserstoffreserven an der Küste der Levante, die vom US Geological Survey auf 1,7 Mrd. Fass Öl und auf 122 Trillionen Kubikmeter Gas geschätzt werden.18 Diese Öl- und Gasfelder erstrecken sich von der Küste des Gaza-Streifens über die Grenzen Israels und des Libanon bis vor die Küste Syriens. Vor allem Israel, das bisher über solche Ressourcen nicht verfügt, zeigt massives Interesse, aber auch die Türkei könnte durch die Verwirklichung ihrer neo-osmanischen Gebietsvorstellungen und die Aneignung von Teilen Syriens Zugriff auf einen Teil dieser Ressourcen erhalten. Ohnehin führen wichtige Pipelines für die europäische Energieversorgung durch die Türkei, die damit ihre geopolitische Schlüsselposition noch ausbauen könnte. Die Türkei selbst hat einen ständig wachsenden Energiebedarf, verfügt aber bisher nicht über eigene Ressourcen.

Saudi-Arabien

Die wahhabitische Despotie sieht sich nach dem Sturz mehrerer säkularer Diktaturen in der Region als gestärkte Regionalmacht. Als Bedrohung begreift sie folgerichtig den Iran, der als starkes Glied der »schiitischen Achse« ihr Hauptfeind ist. »Assad muss weg« ist daher ein strategisches Ziel auch der saudischen Politik. Die Verbreitung des wahhabitisch-salafistischen Islam war schon seit den Kämpfen in Afghanistan in den 1980er-Jahren zentrales Instrument saudischer Außenpolitik, mit der Riad seinen Einfluss in der arabisch-islamischen Welt von unten zu stärken suchte. Die Unterstützung der Dschihadisten in Syrien ist daher die Fortsetzung dieser konsequenten Linie saudischer Außenpolitik. Die wahhabitische Propaganda beschränkt sich keineswegs auf die islamische Welt. Auch in den westlichen Hauptstädten unterhält Saudi-Arabien Ausbildungsstätten wie zunächst in Bonn, dann in Berlin, wo die »King Fahd-Akademie« eine Schule und eine Moschee unterhält, in der auch zum »Heiligen Krieg« aufgerufen wird.19 Das Gewähren-Lassen der saudisch-wahhabitischen Agitation durch die deutschen Behörden ist nur durch die wechselseitigen Wirtschaftsinteressen erklärbar, die sich im Kauf von Öl und im Verkauf von Rüstungsgütern manifestieren. Vom damaligen Außenminister Guido Westerwelle und dem Ex-Verteidigungsminister Thomas de Maizière wurde dieses Verhältnis auf die Formel gebracht: »Saudi-Arabien ist ein Anker der Stabilität«. Salafistische Propaganda oder Menschenrechte müssen dafür im Ranking nach hinten rücken, regime change kommt in solchen Fällen nicht in Betracht.

Entscheidend im Syrien-Konflikt ist jedoch, dass die Saudis dort dschihadistische Milizen wie den »Islamischen Staat« von Anfang an massiv unterstützten, vertritt dieser doch in radikalster Weise die wahhabitische Lehre, die in Saudi-Arabien Staatsreligion ist. Allerdings nutzen die Dschihadisten taktisch geschickt die Widersprüche zwischen der reinen Lehre und der sozialen Praxis des Königshauses mit seinen über 6000 Prinzen, von denen Fotos in westlichen Spielhallen und bordellähnlichen Einrichtungen in der arabischen Welt kursieren. Als Prototyp eines Rentenstaates hat Saudi-Arabien eine Bevölkerung von mehr als 30 Mio. Menschen aus seinen Exporteinnahmen zu ernähren. Dies hat dazu geführt, dass im Jahre 2016 erstmals mit einem Haushaltsdefizit von 86 Mrd. US-Dollar zu rechnen ist und große Investitionsvorhaben im Bereich der Infrastruktur gestoppt werden mussten.20 Hinzu kommt der kostspielige Krieg im Jemen, der kaum noch zu gewinnen ist. Die jüngsten Anschläge des »IS«, die ohne Unterstützung innerhalb der saudischen Gesellschaft nicht möglich wären, zeigen, dass das Regime alles andere als ein »Anker der Stabilität« ist.

Katar

Auch das Emirat Katar hat ein unmittelbares Interesse am Konflikt in Syrien.21 Bereits 2009 hatte Katar Damaskus vorgeschlagen, eine Pipeline zum Export seines Gases in Richtung Türkei zu bauen, die in der Türkei an die großen Transportlinien in Richtung Europa angeschlossen werden sollte. Die Pipeline sollte über Saudi-Arabien und Jordanien durch Syrien verlegt werden. Es mag der »schiitischen Achse« zu verdanken sein, dass die syrische Regierung einem Projekt den Vorzug gab, das für eine Bausumme von 10 Mrd. Dollar iranisches Gas über den Irak durch Syrien Richtung Türkei führen sollte. Das Abkommen über diese sogenannte »Islamische Pipeline« wurde im Juli 2011 geschlossen, als der Krieg in Syrien bereits begonnen hatte. Bei der syrischen Entscheidung mag die Nutzung eigener Ressourcen im Offshore-Bereich des Mittelmeers und die Hoffnung, mit dem iranischen Partner leichter handelseinig über die mögliche Einspeisung dieses Gases in die »Islamische Pipeline« zu werden, eine Rolle gespielt haben. Nachdem in der Folge des Atom­abkommens mit dem Iran Anfang 2016 die Sanktionen aufgehoben sind, hat dieses Projekt geo-strategische Bedeutung – und wäre ein Grund für die EU, auf ein Ende des Krieges in Syrien hinzuarbeiten. Ob den USA an einer zunehmenden Unabhängigkeit der Energieversorgung Europas gelegen ist, ist eine andere Frage, die hier nicht weiter verfolgt werden kann.

Katar und sein TV-Sender Al Jazeera unterstützen die Muslimbrüder, die von Saudi-Arabien als Erzfeinde des Wahhabismus und des Salafismus gesehen werden. Dieser Konflikt, der vor allem durch die Predigten eines der führenden Muslimbrüder, Youssef Qaradaoui, auf Al Jazeera befeuert wird, gipfelte vor zwei Jahren in der Abberufung des saudischen Botschafters aus Doha.22

Iran: der große Gegenspieler?

Seit der Revolution des Jahres 1979 galt der Iran als der große Feind und Gegenspieler des Westens im Allgemeinen und Israels im Besonderen. Mit der Revolution von 1979 hatten die Ayatollahs in Teheran gezeigt, welche mobilisierende Kraft dem Islam innewohnen kann. Der Krieg, den Saddam Hussein stellvertretend für die Golfmonarchien und die USA gegen das Land führte, zeigte den Machthabern in Teheran zugleich ihre Isolation in der sie umgebenden Staatenwelt. Da war das syrische Regime als Partner naheliegend, denn es war der Erzfeind der sich gleichfalls auf die Wurzeln der Baath-Partei berufenden irakischen Diktatur. Mit Damaskus einte Teheran nicht nur die Gegnerschaft zum Irak, sondern zugleich eine virulente anti-israelische Rhetorik, die jedoch in beiden Fällen mehr an die innere Öffentlichkeit gerichtet war, als dass sie tatsächlich aggressive Absichten gegen Israel intendierte. Die sicherste Grenze Israels war die mit Syrien. In der Gesamtschau verhielt sich der Iran gegenüber dem Westen eher defensiv. Die gemeinsame Grenze mit Afghanistan blieb während der seit 2001 andauernden Intervention des Westens ruhig. Teheran kam auch den schiitischen Glaubensbrüdern der Hazara in Afghanistan trotz ihrer Verfolgung durch die Taliban nicht zur Hilfe.

Der über Jahre medial befeuerte Streitpunkt war das iranische Atomprogramm, das sehr wahrscheinlich – auch – militärische Zwecke verfolgte. Doch auch hier zeigt sich die Doppelbödigkeit westlicher Berichterstattung: Längst verfügen nicht nur Israel, sondern auch Indien und Pakistan über »die Bombe« – im Falle Pakistans sogar über eine »islamische«. Richtig ist, dass die drei letztgenannten Länder nie dem Atomwaffensperrvertrag beigetreten sind – Iran dagegen schon, da der Schah diesen Vertrag unterzeichnet hatte, dennoch aber insgeheim ein Nuklearprogramm verfolgte, was ihm von seinen westlichen Protektoren gestattet wurde.23 So bleibt bei der Fixierung auf das iranische Nuklearprogramm ein Beigeschmack, der die These unterstützt, dass es weniger um das iranische Nuklearprogramm ging als um die Ächtung, Isolierung und Schwächung der iranischen Position im regionalen Machtgeflecht. Genau dies scheint sich mit der Unterzeichnung des Atomabkommens mit dem Iran durch die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats und Deutschland zu ändern: Die Sanktionen gegen das Land werden aufgehoben, der Iran darf zurückkehren in die Position eines »normalen« Staates. Damit wird die politische Kooperation mit dem Regime der Mullahs, das gegen den »Islamischen Staat« gebraucht wird und dessen Truppen seit zwei Jahren effizient im Irak kämpfen, wieder möglich. Genau einen solchen Kurswechsel des Westens sehen Saudi-Arabien und Israel als Gefahr, verlören sie dadurch doch ihre Monopolstellung als Partner der USA.

Israel

Nach außen erscheint es, als ob Israel sich in diesem Konflikt zurückhält. Doch hat es in unmittelbarer Nachbarschaft einen ernst zu nehmenden Feind: die libanesische Hisbollah. Seit dem Abzug der israelischen Armee aus dem Libanon im Jahre 2000 war es an der libanesisch-israelischen Grenze immer wieder zu Schießereien mit dem bewaffneten Arm der libanesischen Schiiten gekommen. Im Juli 2006 hatte eine Einheit der Hisbollah zwei israelische Soldaten gefangen genommen. Israel beantwortete dies mit einer groß angelegten Invasion des Libanon, bombardierte massiv Ziele im ganzen Land, insbesondere die schiitischen Viertel der Hauptstadt Beirut. Weit über 1000 Libanesen wurden getötet, zum größten Teil Zivilisten, da Israel offensichtlich auch Splitterbomben einsetzte.24 Die Hisbollah überraschte durch ihre effiziente Kriegführung und durch Waffen, von denen behauptet wurde, sie seien vom Iran geliefert worden. Ohne sein Kriegsziel, die Zerschlagung der Hisbollah, erreicht zu haben, zog sich Israel nach erheblichen Verlusten schließlich am 14. August 2006 zurück.

Die Vernichtung der Hisbollah ist daher prioritäres Ziel der israelischen Politik. Als diese dem syrischen Regime gegen die dschihadistischen Gruppen zu Hilfe kam, bombardierte Israel immer wieder Ziele in Syrien, nach eigenen Angaben – wenn solche überhaupt gemacht wurden –, um Waffenlieferungen aus dem Iran zu vernichten. Zu diesen Angriffen bekannte sich öffentlich erstmals der israelische Ministerpräsident Netanjahu im April 2016, als er erklärte, Israel habe »dutzende Male« Ziele in Syrien angegriffen.25 Es mag stimmen, dass Israel sich zu Beginn des Konflikts weitgehend zurückgehalten hat, da die Stimmung im Lande auf den Konsens hinauszulaufen schien: »Lasst die bösen Buben sich doch gegenseitig umbringen«.26 Im selben Beitrag der New York Times zitiert die Autorin auch Nathan Thrall, einen Analytiker der International Crisis Group mit den Worten: »Die Verewigung des Konflikts dient voll und ganz den israelischen Interessen.«

In der Gemengelage feindlicher und vielleicht nützlicher Parteien scheint Israel inzwischen genau die mit al-Qaida verbündete Nusra-Front als zumindest zeitweise nützlichen Alliierten anzusehen.27 Die Nusra-Front ist auf der syrischen Seite der Golan-Höhen stark, operiert also in unmittelbarer Nähe der Grenze dieses von Israel annektierten Gebiets. Dabei wird sie mittlerweile offensichtlich von Israel unterstützt.28 Unbestritten scheint auch, dass verwundete Nusra-Kämpfer in israelischen Krankenhäusern behandelt werden.29

Die Drusen siedeln auf beiden Seiten der Grenze. Sie sind die einzige nichtjüdische Minderheit in Israel, die in der israelischen Armee Wehrdienst leistet. Bemerkenswert ist, dass keine der dschhadistischen Gruppen in Syrien bisher jemals Israel angegriffen hat. Damit findet sich Israel mit Saudi-Arabien und den Golfstaaten, aber auch mit der Türkei in jener Front, die durch Unterstützung der Dschihadisten die »schiitische Achse« bekämpft und den Sturz Assads als entscheidenden Schlag gegen den Iran und die Hisbollah sieht. Dies bestätigt auch das von Amos Yadlin, einem langjährigen Militärberater der israelischen Regierung, entwickelte Szenario: »Es geht darum, die Allianz mit den sunnitischen Staaten in der Region zu stärken, an erster Stelle mit Saudi-Arabien und der Türkei«.30 Die Ausschaltung Syriens als Regionalmacht würde nicht nur die »schiitische Achse« sprengen, sie erscheint israelischen Regierungskreisen wohl als Ouvertüre für stabile Beziehungen mit den reaktionären Mittelmächten der Region.

Dabei setzt auch Netanjahu auf ethno-religiöse Spannungen, die den Konflikt mehr und mehr charakterisieren und eskalieren. Diese Politik passt durchaus zur israelischen Innenpolitik, betreiben doch die aufeinander folgenden, zunehmend rechts ausgerichteten Regierungen immer stärker die Transformation Israels in Richtung eines ethno-religiösen Staates. Zumindest indirekt leistet Israel damit einen Beitrag zur Ethnisierung und Konfessionalisierung der Region. Demgegenüber ist das Regime Assads (nach der Zerstörung des Irak und Libyens und abgesehen von der von den Saudis abhängigen ägyptischen Militärdiktatur) das letzte säkulare System der Region.

Fazit: Friedensperspektiven?

Kein Geringerer als der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan hatte im März 2012 als Sondergesandter seines Amtsnachfolgers Ban Ki-moon begonnen, eine Verhandlungslösung durch eine Konferenz, die unter dem Kürzel »Genf I« bekannt wurde, zu suchen. Das war der Zeitpunkt, zu dem die USA noch ernsthaft daran glaubten, im Verbund mit den Saudis und durch Unterstützung salafistischer Banden den Sturz des Damaszener Regimes erreichen zu können. Im August gab Annan auf und trat von seinem Amt zurück. Seinen Rücktritt begründete er mit mangelnder Unterstützung für seine Tätigkeit.31

Zu Annans Nachfolger bestellte Ban Ki-moon Lakhdar Brahimi, einen algerischen Spitzendiplomaten, der seit 1994 im Dienste der Vereinten Nationen tätig ist. Er ist Autor des viel beachteten Brahimi-Berichts der UNO zu Friedensoperationen der Vereinten Nationen. Neben schier endlosen anderen Auszeichnungen ist er Träger des Hessischen Friedenspreises 2003. Brahimi versuchte auf den Vorarbeiten Kofi Annans aufzubauen, vor allem betonte er immer wieder, dass es keine militärische, sondern nur eine politische Lösung des Konflikts geben könne. Im Vorfeld einer 2014 geplanten Friedenskonferenz (dem sogenannten »Genf II«) hatte die syrische Regierung die von Brahimi benannten Rebellengruppen als Verhandlungspartner akzeptiert, die USA bestanden allerdings auf dem Rücktritt Assads als Vorbedingung. Der schließlich gefundene Kompromiss, den auch die syrische Regierung akzeptierte, sah vor, dass eine Übergangsregierung gebildet werden sollte, der sowohl Mitglieder der derzeitigen syrischen Regierung wie auch Mitglieder »der Opposition und anderer Gruppen« angehören könnten.32 Diese Vereinbarungen wurden aber nie umgesetzt. Nach knapp zweijähriger Vermittlungstätigkeit trat auch Brahimi im Mai 2014 von seinem Amt zurück, wofür er keine Gründe nannte. Damit war auch die »Genf II« genannte Initiative beendet.

»Genf III« begann am 1. Februar 2016 unter Leitung des UN-Sondergesandten Staffan de Mistura. Auf einer Vorbereitungskonferenz in Riad am 10. und 11. Dezember 2015 wurden die Kräfte bestimmt, die an der Konferenz auf Seiten der Opposition gegen Assad teilnehmen sollten. Das von Saudi-Arabien unterstützte »Hohe Verhandlungskomitee«, in der außer dem »Islamischen Staat« und der mit al-Qaida verbündeten al-Nusra-Front alle anderen wichtigen dschihadistischen Gewaltakteure versammelt sind, weigerte sich bis Redaktionsschluss dieses Buches, mit Vertretern der Assad-Regierung zu verhandeln. Nicht vertreten sind ferner die syrischen Kurden der PYD. Erstmals soll der Iran an den Verhandlungen beteiligt werden.

Als bisher einziges Ergebnis wurde ein Waffenstillstand beschlossen und durch die Resolution 2254 des UN-Sicherheitsrats vom 18. Dezember 2015 international abgesegnet, der seither mehr schlecht als recht eingehalten wird. Verhandlungen zwischen den als Konferenzteilnehmer ausgesuchten Parteien konnten bisher nicht aufgenommen werden. Sollten die mittlerweile für den Spätsommer 2016 geplanten Verhandlungen je zustande kommen, werden sie wohl kaum zu einer Lösung führen: Ob die im »Hohen Verhandlungskomitee« unter saudischer Führung versammelten »Rebellengruppen« aufgrund der Rekrutierung ihrer Kämpfer und der ausländischen Unterstützung einen wesentlichen Teil des syrischen Volkes repräsentieren, darf bezweifelt werden. Zusammen mit dem Ausschluss der syrischen Kurden sorgt die Auswahl der Konferenzteilnehmer dafür, dass die ausländischen Interessen weiterhin stärker wiegen als die des syrischen Volkes. So scheint auch »Genf III« schon im Vorfeld gescheitert, die Bürgerinnen und Bürger Syriens bleiben Spielball und Opfer der Kriegsziele auswärtiger Mächte.

4. Fundinguniverse (2003): Saudi Arabian Oil Company History. http://www.fundinguniverse.com/company-histories/saudi-arabian-oil-company-history/ [05-05-16].

5. Belegt ist, dass die US-Botschafterin in Bagdad, April Glaspie, in einem Gespräch mit Saddam Hussein unmittelbar vor der irakischen Offensive erklärte, die USA hätten keine Position zu interarabischen Konflikten wie dem zwischen Irak und Kuwait. http://www.globalresearch.ca/gulf-war-documents-meeting-between-saddam-hussein-and-ambassador-to-iraq-april-glaspie/31145 [18-06-16].

6. Sponeck, Hans-Christof von (2015): Irak. Die Sanktionspolitik des UN-Sicherheitsrats und die humanitäre Ausnahmeregelung. In: Kraitt, Tyma (Hg.): Irak. Ein Staat zerfällt. Hintergründe. Analysen. Berichte. Wien 2015. S. 77-94.

7. Kagan, Donald/Schmitt, Gary/Donnelly (1997): Rebuilding America’s Defenses. http://www.informationclearinghouse.info/pdf/RebuildingAmericasDefenses.pdf [0605-16].

8. A.a.O. S. 60.

9. Krauthammer, Charles: The Unipolar Moment. In: Foreign Affairs, Vol. 70 1/1991. S. 23-33.

10. Kagan a.a.O., S. 4.

11. Brzezinski, Zbigniew: Strategic Vision. America and the crisis of global power. New York 2012.

12. Kennedy, Paul: Aufstieg und Fall der großen Mächte. Ökonomischer Wandel und militärischer Konflikt von 1599 bis 2000. Frankfurt 1987.

13. Philip Crowley, Sprecher des US-Außenministeriums, erklärte bei einem Besuch in Algier am 18. Februar 2011: »Der Wandel ist notwendig. … Wir haben nicht gezögert, die universellen Rechte des algerischen Volkes zu betonen. Wir haben dasselbe in Tunesien getan … (und) in Ägypten und wir sind dabei, dasselbe in der ganzen Region zu tun. Wir ermutigen diesen Wechsel und wir wollen einen friedlichen Wandel.« (Interview mit der algerischen Tageszeitung Liberté, 19. Februar 2011).

14. Leukefeld, Karin: Flächenbrand. Syrien, Irak, die arabische Welt und der Islamische Staat. Köln 2015, S. 54.

15. A.a.O., S. 53.

16. Çakır, Murat: Neo-Osmanische Träume. Über das Werden einer Regionalmacht. Artikelsammlung. Berlin 2014: Rosa-Luxemburg-Stiftung.

17. Kulow, Karin: Dilemmata türkischer Syrien-Politik. In: Ossietzky 10/2016, S. 360-362.

18. Pelaghias, George Christian (2012): Major Gas Finds in Eastern Mediterranean – A Source of New Supply and Conflicts in South East Europe. https://www.energimyndigheten.se/contentassets/ed09a5b8fd074f8894ac2eb8ac86ea11/summary-erpic.pdf [05-05-16].

19. Rasche, Ute: König-Fahd-Akademie verherrlicht Kampf gegen »Ungläubige«. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26. Juni 2004.

20. Abougabal, Hossam/ Khan, Sarmad (28. Dezember 2015): Saudi Arabia to run $ 87bn budget deficit in 2016. In: Middle East business intelligence. http://www.meed.com/sectors/government/saudi-arabia-to-run-87bn-budget-deficit-in-2016/5001038.article [06-01-16]

21. Escobar, Pepe: Syria: Ultimate Pipelineistan War (2015). http://www.counterpunch.org/2015/12/08/syria-ultimate-pipelineistan-war/. [05-05-16].

22. Roberts, David B.: Qatar and the Brotherhood. In. Survival, Vol 56, N. 4 (2014), S. 23-31.

23. Tilgner, Ulrich Die Logik der Waffen. Westliche Politik im Orient. Zürich 2012, S. 44f.

24. BBC News am 25. Juli 2008.

25. Frankfurter Allgemeine Zeitung am 14. Mai 2016, S. 6

26. Rudoren, Jodi (5. September 2013): Israel backs limited Strike in Syria. In: New York Times, http://www.nytimes.com/2013/09/06/world/middleeast/israel-backs-limited-strike-against-syria.html?pagewanted=all&_r=0 [17-05-16].

27. Gross, Ariela (7. April 2015): Es geht um keinen Gottesstaat« http://www.ipg-journal.de/kurzinterview/artikel/es-geht-um-keinen-gottesstaat-866/ [14-05-16].

28. Salloum, Rania (2015, 22. Januar): Neue Front Golanhöhen: Israel unterstützt indirekt Dschihadisten. http://www.spiegel.de/politik/ausland/israel-golanhoehen-werden-zur-naechsten-front-a-1014237.html [06-05-16].

29. Silverstein, Richard (2015, 22. Juni): Israel’s Dangerous Game with Syrian Al Nusra Islamists. http://www.globalresearch.ca/israels-dangerous-game-with-syrian-al-nusra-islamists/5458515 [05-05-16].

30. Weiss, Philip (2015, 22. November): Israel isn’t worried about ISIS. In: http://mondoweiss.net/2015/11/israel-worried-about/ [14-05-16].

31. Spiegel online am 2. August 2012.

32. UN.org (2012, 30. Juni): Action Group for Syria. Final Communiqué. http://www.un.org/News/dh/infocus/Syria/FinalCommuniqueActionGroupforSyria.pdf[12-05-16].