Volk der Finsternis

Ich war zur Höhle des Dagon gekommen, um Richard Brent zu töten. Ich folgte den düsteren Straßen, die zu beiden Seiten von gewaltigen Bäumen gesäumt wurden, und meine Stimmung glich der urwüchsigen Bitterkeit meiner Umgebung. Der Zugang zur Höhle des Dagon liegt stets im Dunkeln, da das mächtige Astwerk und das dichte Laub keine Sonnenstrahlen durchlassen, doch an jenem Tag ließ die Finsternis meiner eigenen Seele die Schatten noch unheilvoller und düsterer erscheinen.

Von den nahe gelegenen hohen Klippen drang das sanfte Raunen der Brandungswellen an mein Ohr, der dichte Eichenwald verdeckte jedoch den Blick aufs Meer. Durch die Dunkelheit und die herbe Schwermut meiner Umgebung schlossen sich die Schatten noch enger um meine Seele, während ich unter den jahrhundertealten Bäumen entlangging – bis ich schließlich an eine kleine Lichtung kam und den Eingang der uralten Höhle vor mir sah. Ich hielt inne, um den Eingangsbereich der Höhle und die schweigend im Halbdunkel stehenden Eichen mit Blicken abzusuchen.

Der Mann, dem all mein Hass galt, war noch nicht hier! Es war noch nicht zu spät, mein finsteres Vorhaben in die Tat umzusetzen. Für einen Augenblick wankte ich in meinem Entschluss, doch dann strömte der wunderbare Geruch von Eleanor Blands Parfüm wie eine Woge über mich hinweg, und in meiner Vorstellung sah ich golden wellendes Haar und tiefgraue Augen, leidenschaftlich und geheimnisvoll wie das Meer. Ich ballte die Fäuste so fest, dass meine Knöchel schneeweiß wurden, und griff instinktiv nach dem Unheil verheißenden kurzläufigen Revolver, dessen Gewicht meine Manteltasche schwer nach unten zog.

Wenn es Richard Brent nicht gäbe, da war ich ganz sicher, hätte ich das Herz dieser Frau längst gewonnen. Das Verlangen nach ihr machte meine wachen Stunden zur Qual, meinen Schlaf zur Folter. Doch wen liebte sie? Sie zeigte es nicht, und ich vermutete, dass sie es selbst nicht wusste. Wenn einer von uns verschwinden würde, so glaubte ich, wandte sie sich sicher dem anderen zu. Ich würde ihr die Sache erleichtern – und mir auch. Zufällig hatte ich mit angehört, wie mein blonder englischer Rivale verkündete, er habe die Absicht, einen Ausflug zur einsamen Höhle des Dagon zu machen, um sie in aller Ruhe zu erkunden – allein.

Ich habe eigentlich keine kriminelle Natur. Ich wurde in einem unbarmherzigen Land geboren und dort bin ich auch aufgewachsen. Die meiste Zeit meines Lebens habe ich an den raueren Orten dieser Welt verbracht, an denen ein Mann sich nimmt, was er braucht – sofern er kann – und an denen Gnade zu den weniger bekannten Tugenden zählt. Aber die Qualen, die ich Tag und Nacht litt, hatten in mir den Entschluss reifen lassen, das Leben von Richard Brent auszulöschen.

Mein bisheriges Leben war hart gewesen, teilweise sogar brutal. Als die Liebe mich ereilte, traf auch sie mich stürmisch und brutal. Möglicherweise setzte auch mein Verstand aus, sobald es um meine Liebe zu Eleanor Bland und meinen Hass auf Richard Brent ging. Unter anderen Umständen hätte ich mich glücklich geschätzt, ihn als Freund zu haben – ein vornehmer, hochgewachsener, aufrechter junger Mann, scharfsinnig und stark. Doch er stand meinem Verlangen im Weg und musste deshalb sterben.

Ich trat in die Düsternis der Höhle und blieb stehen. Ich war noch nie zuvor in der Höhle des Dagon gewesen, und dennoch beunruhigte mich ein vages Gefühl irritierender Vertrautheit, als ich die hohe, kuppelartige Decke, die glatten Steinwände und den staubigen Boden betrachtete. Ich zuckte die Achseln; das unbestimmte Gefühl konnte ich nicht recht einordnen. Vermutlich wurde es ausgelöst durch die Ähnlichkeit dieses Ortes mit den Gebirgshöhlen im amerikanischen Südwesten, wo ich geboren worden war und meine Kindheit verbracht hatte.

Dennoch wusste ich, dass ich noch nie eine Höhle wie diese gesehen hatte, deren Perfektion die Legende unterstützte, dies sei keine natürliche Höhle, sondern vielmehr vor Jahrhunderten von den winzigen Händen der Angehörigen des geheimnisvollen Kleinen Volkes, eines prähistorischen Stammes aus der britischen Mythologie, aus dem harten Felsen gehauen worden. Die ganze Gegend ringsum bildete einen wichtigen Bestandteil der überlieferten Legende.

Die Landbevölkerung war größtenteils keltischer Abstammung, denn hier hatten die sächsischen Invasoren sich nicht lange halten können. Die Legenden reichten in dieser seit Langem besiedelten Gegend weit zurück, weiter als irgendwo sonst in England – weiter als bis zur Ankunft der Sachsen, und, unglaublicherweise, sogar noch weiter als bis in diese uralten Zeiten, weiter als bis zur Ankunft der Römer, zurück bis in jene unermesslich frühen Tage, als die Ureinwohner Britanniens im Krieg mit schwarzhaarigen irischen Piraten lagen.

Natürlich hatte das Kleine Volk auch seinen Platz in den Überlieferungen. Die Legende besagte, dass diese Höhle eine seiner letzten Hochburgen gegen die keltischen Eroberer gewesen war, und erzählte von vergessenen Tunneln, die längst verschüttet oder blockiert waren, und dass diese Tunnel die Höhle mit einem Netzwerk unterirdischer Korridore verbanden, das sich über sämtliche Hügel der Gegend erstreckte. Während diese beiläufigen Gedanken ziellos mit weit finstereren Ahnungen in meinem Geist wetteiferten, lief ich durch die äußere Kammer der Höhle und gelangte an einen engen Stollen, der, so wusste ich aus Beschreibungen, zu einem größeren Raum führte.

Im Gang war es dunkel, aber nicht so dunkel, dass ich die verblassten, teils beschädigten Umrisse der geheimnisvollen Zeichnungen auf den Steinwänden nicht erkannt hätte. Ich riskierte es, meine Taschenlampe einzuschalten und sie genauer zu betrachten. Auch wenn sie verblasst waren, erfüllte mich ihre widerliche Abartigkeit mit Ekel. Diese grotesken Obszönitäten waren mit Sicherheit nicht das Werk eines menschlichen Wesens wie wir es kennen.

Das Kleine Volk – ich fragte mich, ob die Anthropologen mit ihrer Theorie richtig lagen, wonach diese Wesen einer gedrungenen, mongoliden Art angehörten, die auf einer so niedrigen Evolutionsstufe stand, dass sie kaum als menschlich gelten konnte, die aber trotzdem über eine ausgeprägte Kultur verfügte, wenn sie auch in unseren Augen abscheulich erschien. Laut dieser Theorie waren sie zwar schon vor der Invasion anderer Völker verschwunden, doch alle indogermanischen Legenden von Trollen, Elfen, Zwergen und Hexen basieren auf ihrer Existenz. Diese Urbevölkerung hatte von jeher in Höhlen gelebt und war vor den Eroberern immer weiter in die Berghöhlen zurückgewichen, bis sie schließlich ganz verschwunden war, wenngleich die fantastischsten Überlieferungen Bilder ihrer Nachfahren zeichnen, auf denen sie noch immer tief unter den Hügeln in vergessenen Schächten hausen, die letzten, verabscheuungswürdigen Überlebenden eines längst überdauerten Zeitalters.

Ich schaltete die Taschenlampe aus und gelangte durch den Tunnel schließlich zu einer Art Türöffnung, die viel zu symmetrisch war, als dass sie ein Werk der Natur hätte sein können. Vor mir erstreckte sich ein großer, dämmriger Höhlenraum, der etwas tiefer lag als die äußere Kammer, und erneut ließ mich ein eigenartiges Gefühl der Vertrautheit erschaudern. Einige Steinstufen führten vom Tunnel zum Höhlenboden hinab – winzige Stufen, in den massiven Felsen gehauen, viel zu klein für normale menschliche Füße. Ihre Kanten waren stark abgetreten, ganz so, als seien sie seit Jahrhunderten benutzt worden. Ich begann mit dem Abstieg – und rutschte plötzlich aus. Instinktiv wusste ich schon vorher, dass es passieren würde – es hing mit diesem eigenartigen Vertrautheitsgefühl zusammen –, aber ich konnte mich nicht halten. Ich stürzte kopfüber die Stufen hinunter und schlug mit solcher Wucht auf dem Steinboden auf, dass meine Sinne sich verdunkelten …

Mit einem Gefühl der Verwirrung kam ich langsam wieder zu Bewusstsein – mir dröhnte der Schädel. Ich fasste mir an den Kopf und stellte fest, dass er voller Blut war. Man hatte mir einen so heftigen Schlag versetzt oder ich war so schwer gestürzt, dass dabei wohl all meine Sinne aus mir herausgeschleudert worden waren und mein Verstand nun vollkommen leer war. Wo ich mich befand, wer ich war – ich wusste es nicht.

Ich schaute mich um, blinzelte im fahlen Licht und erkannte, dass ich mich in einer weiten, staubigen Höhle befand. Ich stand am Fuß einer kurzen Treppe, die zu einer Art Tunnel hinaufführte. Ich strich über meine kräftigen, nackten Arme und Beine und meinen muskulösen Körper. Wie ich zerstreut feststellte, trug ich eine Art Lendenschurz, an dessen Gürtel eine leere Scheide hing, und meine Füße steckten in Ledersandalen.

Dann erblickte ich zu meinen Füßen einen Gegenstand und bückte mich, um ihn aufzuheben. Es war ein schweres Eisenschwert, dessen breite Klinge dunkle Flecken zeigte. Meine Finger schlossen sich instinktiv und mit so großer Vertrautheit um den Schwertgriff, dass es mir schien, als gehöre die Waffe seit langer Zeit zu mir.

Nun fiel mir mit einem Mal alles wieder ein und ich musste bei dem Gedanken lachen, dass ein kleiner Schlag auf den Kopf mich, Conan den Plünderer, vorübergehend zu einem völlig verunsicherten Narren gemacht hatte. Ja, ich erinnerte mich wieder. Wir hatten die Briten überfallen, an deren Küsten wir häufig von der Insel Eire-ann aus mit Fackeln und Schwertern auf Raubzug gingen. An jenem Tag hatten wir, die schwarzhaarigen Gälen, uns mit unseren langen, flachen Booten einem Küstendorf genähert und waren dort eingefallen. Nach heftigen Kampfesstürmen hatten die Briten ihren verbissenen Widerstand letztlich aufgegeben und waren – Krieger, Frauen und Kinder – tief in die Schatten des Eichenwaldes geflohen, in den wir ihnen nur selten zu folgen wagten.

Aber dieses Mal war ich ihnen gefolgt, denn unter meinen Feinden gab es ein Mädchen, das ich mit brennender Leidenschaft begehrte. Ein anmutiges, schlankes Geschöpf mit golden wellendem Haar und tiefgrauen Augen, leidenschaftlich und geheimnisvoll wie das Meer. Ihr Name war Tamera – er war mir wohlbekannt, denn zwischen unseren Völkern herrschte nicht immer Krieg, wir trieben auch Handel, und ich hatte ihre Dörfer vor einiger Zeit während einer seltenen Waffenruhe in friedlicher Absicht besucht.

Immer wieder sah ich ihren weißen, halbnackten Körper zwischen den Bäumen aufblitzen, als sie mit der Leichtigkeit eines Rehs davonlief. Während ich ihr folgte, keuchte ich vor wilder Begierde. Sie floh tiefer und tiefer in die dunklen Schatten der knorrigen Eichen, ich war dicht hinter ihr, und bald waren das Klingen der Schwerter und das Gebrüll der Schlacht nicht mehr zu hören. Schließlich rannten wir durch eine Stille, die nur durch schnelles, angestrengtes Atmen unterbrochen wurde, bis wir an eine kleine Lichtung kamen, die vor einer düsteren Höhlenöffnung lag.

Jetzt war ich ihr so nahe, dass ich ihre wehenden goldenen Locken mit meiner mächtigen Hand packen konnte. Sie sank mit einem verzweifelten Heulen zu Boden, das von einem Schrei beantwortet wurde, und als ich mich blitzschnell umdrehte, sah ich mich einem hochgewachsenen jungen Briten gegenüber, der – mit dem Feuer der Verzweiflung in den Augen – zwischen den Bäumen hervorsprang.

»Vertorix!«, stieß das weinende Mädchen hervor, und ihre Stimme brach mit einem Schluchzen, während die Wut in mir immer wilder raste, da ich wusste, dass dieser junge Mann ihr Geliebter war.

»Lauf in den Wald, Tamera!«, rief er ihr zu, stürzte sich wie ein Panther auf mich und schwang seine Bronzeaxt wie ein Feuerrad über seinem Kopf. Dann durchdrangen der Klang aufeinanderschlagender Klingen und das schwere Keuchen zweier Kämpfer den Wald.

Der Brite war zwar ebenso groß wie ich, doch sein schlanker Körper war weit weniger muskulös. An schierer Muskelkraft war ich ihm weit überlegen – bald hatte ich ihn in die Defensive gedrängt und er versuchte verzweifelt, meine heftigen Schwerthiebe mit seiner Axt zu parieren. Wie die Hammerschläge eines Schmieds dessen Amboss erschüttern, trafen meine unerbittlichen Hiebe seine Abwehr, und ich drängte ihn unbarmherzig immer weiter zurück. Unter schweren Atemzügen hob und senkte sich seine Brust; meine blitzschnelle Klinge hatte auf seinem Kopf, seiner Brust und seinem Oberschenkel blutende Wunden hinterlassen – er würde nicht mehr lange durchhalten. Ich schlug noch heftiger zu, er krümmte und bog sich unter meinen Schlägen wie ein junger Baum in einem tosenden Sturm, und dann hörte ich das Mädchen rufen: »Vertorix! Vertorix! Die Höhle. In die Höhle!«

Ich sah, wie sein Gesicht vor Angst erblasste, und diese Angst war größer als die Angst vor meinem hämmernden Schwert.

»Nicht dort hinein!«, stöhnte er. »Dann lieber einen edlen Tod! Im Namen von Il-marenin, Liebste, lauf in den Wald und rette dein Leben!«

»Ich verlasse dich nicht!«, rief sie. »Die Höhle – sie ist unsere einzige Rettung!«

Wie eine fliegende Elfe huschte sie, ein heller Blitz, an uns vorbei und verschwand in der Höhle, und mit dem Mut der Verzweiflung versetzte mir der Junge jetzt einen Schlag, der beinahe meinen Schädel gespalten hätte. Während ich noch unter der Wucht des Hiebes, den ich nur mit Mühe hatte abwehren können, taumelte, sprang er auf und folgte dem Mädchen in die Höhle, wo ihn die Dunkelheit verschluckte.

Mit einem wilden Schrei, der all meine unerbittlichen gälischen Götter beschwor, rannte ich blindlings hinterher. Es kümmerte mich nicht, dass der Brite womöglich hinter dem Eingang wartete, um mir den Schädel einzuschlagen. Mit einem schnellen Blick sah ich jedoch, dass die Höhlenkammer leer war, und bemerkte einen hellen Blitz, der auf der anderen Seite durch eine dunkle Türöffnung verschwand.

Ich sprang hinüber und wurde urplötzlich zum Halt gezwungen, als eine Axt mit einem Pfeifen aus dem Dunkel der Öffnung gefährlich dicht neben meiner schwarzen Mähne auf mich niederfuhr. Ich wich ein Stück zurück. Nun hatte Vertorix, der in der schmalen Öffnung des Korridors stand, die Oberhand, denn ich konnte ihn dort nicht angreifen, ohne mich den zerstörerischen Schlägen seiner Axt auszuliefern.

Ich schäumte beinahe vor Wut. Der Anblick der schlanken weißen Gestalt, die in den Schatten hinter dem Krieger zu erkennen war, versetzte mich in Raserei. Wild, aber überlegt, attackierte ich meinen Gegner mit gewaltigen Schlägen und wich dabei seinen Hieben aus. Ich wollte ihn zwingen, einen großen Schritt nach vorne zu machen, ihm dann ausweichen und ihn überrennen, bevor er das Gleichgewicht wiedererlangt hatte. Im Freien hätte ich ihn dank meiner Kraft längst mit heftigen Stößen bezwungen, doch hier drinnen konnten nur dieses Vorhaben und meine Schwertspitze den Kampf zu meinen Gunsten entscheiden – die ganz Klinge wäre mir lieber gewesen. Aber ich war fest entschlossen – wenn ich ihm auch keinen tödlichen Hieb versetzen konnte, so konnten mir doch weder er noch das Mädchen entfliehen, solange ich ihn in diesem Tunnel festsetzte.

Dies schien nun auch Tamera erkannt zu haben, denn sie sagte Vertorix, sie wolle nach einem Ausgang suchen. Obwohl er ihr lautstark verbot, sich allein in die Dunkelheit zu wagen, drehte sie sich um, eilte den Tunnel hinunter und verschwand in der Finsternis. Mein Zorn wuchs ins Unermessliche, und beinahe wäre mir in meinem blinden Eifer der Kopf gespalten worden, denn ich wollte meinen Gegner unbedingt zu Fall bringen, bevor das Mädchen einen Fluchtweg fand.

Dann erschütterte die Höhle ein furchtbarer Schreckensschrei. Vertorix schrie ebenfalls wie ein tödlich getroffener Krieger auf, und sein Gesicht schimmerte aschfahl in der Dunkelheit. Er wirbelte herum, als habe er mich und mein Schwert vergessen, rannte wie ein Verrückter den Tunnel hinunter und rief kreischend Tameras Namen.

Aus weiter Ferne, wie aus den Eingeweiden der Erde, glaubte ich, ihr Rufen hören zu können, das mit einem fremdartigen, zischenden Geschrei vermischt war, das mir augenblicklich einen namenlosen Schreckensschauer durch den Körper jagte. Dann legte sich eine Stille über die Höhle, die nur durch Vertorix’ wilde Rufe durchbrochen wurde, die sich immer weiter ins Innere der Erde entfernten.

Ich fasste mich wieder, sprang in den Tunnel und eilte dem Briten ebenso leichtsinnig hinterher, wie er dem Mädchen nachgerannt war. Dabei ging es mir, berüchtigter Plünderer oder nicht, weniger darum, meinen Rivalen von hinten niederzustrecken, sondern zu erfahren, welch grauenhafte Kreatur Tamera mit ihren Klauen gepackt hatte.

Während ich durch den Tunnel rannte, sah ich, dass die Wände mit abscheulichen Bildern beschmiert waren, und begriff plötzlich mit Schrecken, dass dies die gefürchtete Höhle der Kinder der Nacht sein musste. Um sie rankten sich Erzählungen, die längst über die Meerenge nach Eire-ann gelangt waren und die dort in den Ohren der Gälen entsetzlich widerhallten. Ich musste Tamera in solch entsetzliche Angst versetzt haben, dass sie sich in diese Höhle wagte – die Höhle, die ihr Volk ängstlich mied, da in ihr, wie man sagte, die letzten Überlebenden jenes grausamen Volkes hausten, das das Land vor der Ankunft der Pikten und Briten bevölkert hatte, bevor diese es schließlich zur Flucht in die unbekannten Berghöhlen trieben.

Vor mir mündete der Tunnel in einen riesigen Raum. Ich sah Vertorix’ weiße Gestalt kurz im Halbdunkel aufleuchten und sofort im Eingang zu einer Art Korridor verschwinden, der genau gegenüber der Öffnung des Tunnels verlief, durch den ich rannte. Nur einen Augenblick später hörte ich einen kurzen, heftigen Schrei, dann den Knall eines harten Schlages und das hysterische Kreischen eines Mädchens, vermischt mit einem schlangenhaften Zischen, dass sich mir die Haare sträubten. In genau diesem Augenblick schoss ich aus vollem Lauf aus dem Tunnel und erkannte zu spät, dass der Boden der Höhle mehrere Fuß tiefer lag als der Tunnel. Meine Füße flogen über die winzigen Stufen und dann schlug ich heftig auf dem harten Steinboden auf.

Nun, da ich im Halbdunkel stand und mir den schmerzenden Kopf rieb, wurde ich mir allmählich des gesamten Ausmaßes des Schreckens bewusst. Ich starrte angsterfüllt auf den schwarzen, geheimnisvollen Korridor auf der anderen Seite der riesigen Kammer, durch den Tamera und ihr Liebhaber entschwunden waren und über den sich die Stille nun wie ein Tuch gebreitet hatte. Ich ergriff mein Schwert, schritt vorsichtig durch die große, stille Halle und warf einen Blick in den Korridor – doch meinen Augen begegnete hier nur noch tiefere Finsternis. Ich trat hinein und hatte große Mühe, in der Dunkelheit etwas zu erkennen, und als ich auf einem großen, nassen Fleck auf dem Steinboden ausrutschte, drang der rohe, beißende Geruch frisch vergossenen Blutes an meine Nase. Jemand oder etwas war hier zu Tode gekommen, entweder der junge Brite oder sein unbekannter Angreifer.

Verunsichert blieb ich stehen. All die übernatürlichen Ängste, ein Erbe meiner Abstammung, erwachten in meiner einfachen gälischen Seele. Ich könnte einfach umkehren und dieses verhasste Labyrinth hinter mir lassen, in den Sonnenschein treten und ans herrlich blaue Meer zurückkehren, an dessen Ufern mich zweifellos meine Kameraden nach dem Überfall auf die Briten bereits ungeduldig erwarteten. Weshalb sollte ich mein Leben in diesen grauenhaften Rattenlöchern riskieren? Doch die Neugier auf die Kreaturen, die von den Briten Kinder der Nacht genannt wurden und die diese Höhlen heimsuchten, fraß mich fast auf, aber letztlich war es meine Liebe zu dem Mädchen mit den goldgelben Haaren, die mich weiter in den dunklen Tunnel trieb – denn ich liebte sie wirklich, auf meine eigene Weise, und ich wäre gut zu ihr gewesen, hätte ich sie tatsächlich mit auf meine geliebte Insel nehmen können.

Lautlos schritt ich den Korridor entlang, meine Klinge stets bereit. Ich hatte keine Ahnung, was für Wesen die Kinder der Nacht waren, aber die Erzählungen der Briten zeichneten ein Bild von zutiefst unmenschlichen Kreaturen.

Mit jedem Schritt umschloss mich die Dunkelheit noch enger, schließlich bewegte ich mich durch schwärzeste Finsternis. Mit der linken Hand ertastete ich eine eigenartig geschnitzte Türöffnung, und just in diesem Moment hörte ich neben mir einen Laut wie das Zischen einer Viper und spürte einen spitzen Stich in meinem Oberschenkel.

Ich schlug wie wild um mich, bis einer der blinden Hiebe mit einem zerstörerischen Krachen sein Ziel fand und etwas tot neben mir zu Boden fiel. Was ich im Dunkeln erschlagen hatte, wusste ich nicht, aber es musste zumindest teilweise menschlich gewesen sein, da die oberflächliche Wunde in meinem Bein durch irgendeine Klinge verursacht worden war, nicht durch Reißzähne oder Krallen. Der Schrecken trieb mir den Schweiß auf die Stirn, denn, bei Gott, die zischende Stimme dieses Wesens hatte keinerlei Ähnlichkeit mit irgendeiner menschlichen Sprache, die ich je gehört hatte.

Vor mir im Dunkeln hörte ich diese Laute nun erneut, und darunter mischten sich fürchterliche Gleitgeräusche, die klangen, als drängten unzählige reptilienartige Geschöpfe auf mich zu. Ich sprang rasch in den Durchgang, den meine tastende Hand entdeckt hatte, und wäre beinahe erneut kopfüber in die Tiefe gestürzt, denn anstatt zu einem weiteren Korridor führte der Eingang zu einer kleinen Treppe, auf deren Stufen ich gefährlich ins Taumeln geriet.

Ich fand das Gleichgewicht wieder und ging vorsichtig weiter, tastete mich an den Wänden des Schachts entlang, um einen sichereren Tritt zu finden. Es schien mir, als würde ich in die innersten Eingeweide der Erde hinabsteigen, doch ich wagte nicht, wieder umzukehren. Plötzlich erblickte ich, weit entfernt in der Tiefe, einen schwachen, unheimlichen Lichtschein. Notgedrungen ging ich weiter und gelangte an eine Stelle, an der sich der Schacht zu einer weiteren großen Gewölbekammer öffnete – dann wich ich vor Entsetzen zurück.

In der Mitte des Raumes stand ein grauenhafter, schwarzer Altar, der vollständig mit einer Art Phosphor eingerieben worden war und deshalb ein stumpfes Leuchten ausstrahlte, durch das die düstere Kammer halbwegs erleuchtet war. Über ihm thronte ein mysteriöses schwarzes Objekt, das mit geheimnisvollen Hieroglyphen verziert war und auf einem Podest aus menschlichen Schädeln stand. Der Schwarze Stein! Der älteste der uralten Steine, vor dem, so erzählten sich die Briten, die Kinder der Nacht in grauenhaften Anbetungszeremonien niederknieten und dessen Herkunftsgeschichte in den schwarzen Nebeln einer schrecklichen, weit entfernten Vergangenheit begraben lag. Einst, so besagte die Legende, stand er in dem unheimlichen Monolithenkreis von Stonehenge, doch dann wurden seine Verehrer von den Pfeilen und Bogen der Pikten wie die Spreu im Wind in alle Richtungen verstreut.

Ich schenkte ihm einen vorbeischweifenden, erschrockenen Blick. Auf dem schwarz leuchtenden Altar lagen zwei Menschen, die mit rohen Lederriemen gefesselt waren. Es waren Tamera und Vertorix – Letzterer blutüberströmt und furchtbar zugerichtet. Seine Bronzeaxt, an der geronnenes Blut klebte, lag neben dem leuchtenden Altar. Davor kauerte das reine Grauen.

Obwohl ich nie zuvor eines dieser ghoulischen Urwesen gesehen hatte, wusste ich, was ich vor mir hatte, und erschauderte. Es sah ähnlich aus wie ein Mensch, stand auf der Lebensskala jedoch so weit unten, dass seine entstellte Menschlichkeit weitaus grauenhafter war als seine bestialischen Züge.

Aufgerichtet war es gewiss keine eineinhalb Meter hoch. Der Körper war dürr und deformiert, der Kopf unverhältnismäßig groß. Das Haar fiel in schlangenartigen Strähnen über sein kantiges, unmenschliches Gesicht, das schlaffe, schiefe Lippen über gelben Reißzähnen, flache, breite Nasenlöcher und große gelbe Schlitzaugen offenbarte. Mir war klar, dass diese Kreatur im Dunkeln wohl ebenso gut sehen konnte wie eine Katze. Über Jahrhunderte waren diese Wesen durch dämmerige Höhlen geschlichen und hatten schreckliche, unmenschliche Eigenschaften entwickelt. Am abstoßendsten war jedoch die Haut: schuppig, gelb und gefleckt wie die einer Schlange. Die Lenden der Kreatur wurden von einem Schurz aus echter Schlangenhaut bedeckt, und in ihren krallenartigen Händen hielt sie einen kurzen Speer mit steinerner Spitze und einen bedrohlich aussehenden Schlaghammer aus poliertem Feuerstein.

Sie ergötzte sich so inbrünstig am Anblick ihrer Gefangenen, dass sie meinen vorsichtigen Abstieg scheinbar nicht bemerkt hatte.

Während ich zögernd im Schatten des Schachtes verharrte, hörte ich weit über mir leise ein grimmiges Rascheln, das mir das Blut in meinen Adern gefrieren ließ. Die Kinder krochen durch den Schacht herab zu mir – ich saß in der Falle. Ich sah, dass die Kammer noch weitere Ausgänge hatte, und handelte nun sofort, als mir bewusst wurde, dass eine Allianz mit Vertorix unsere einzige Hoffnung war. Wenn wir auch Feinde waren, wir waren beide Menschen, aus dem gleichen Holz geschnitzt, gefangen im Versteck dieser unbeschreiblichen Missgeburten.

Als ich aus dem Schacht trat, riss die grauenhafte Gestalt neben dem Altar den Kopf hoch und starrte mich an. Dann schoss sie nach vorne. Ich stürzte mich auf sie. Sie krümmte sich und das Blut spritzte, als mein starkes Schwert ihr Reptilienherz durchbohrte. Aber selbst im Augenblick ihres Todes stieß sie noch einen abscheulich schrillen Schrei aus, dessen Echo den langen Schacht emporgellte.

Mit verzweifelter Hast durchtrennte ich Vertorix’ Fesseln und half ihm auf die Beine. Dann wand ich mich Tamera zu, die in dieser schrecklichen Notlage nicht vor mir zurückwich, sondern mich mit flehenden, angsterfüllten Augen ansah.

Vertorix verlor keine Zeit mit Worten, als er erkannte, dass das Schicksal uns zu Verbündeten gemacht hatte. Er ergriff seine Axt, während ich das Mädchen befreite.

»Den Schacht können wir nicht hinauf«, bemerkte er sofort, »sonst ist uns die gesamte Meute direkt auf den Fersen. Sie haben Tamera gefangen, als sie nach einem Ausweg suchte, und mich durch schiere Überzahl übermannt, als ich ihr folgte. Sie zogen uns immer höher hinauf, und bis auf dieses Aas da sind alle wieder ausgeschwärmt – bestimmt, um die frohe Botschaft von den neuen Opfern bis ins letzte Erdloch zu tragen. Il-marenin allein weiß, wie viele meines Volkes, gestohlen in der Nacht, auf diesem Altar ihr Leben ließen. Wir müssen unser Glück in einem dieser Tunnel suchen, auch wenn sie alle in die Hölle führen! Folgt mir!«

Er ergriff Tameras Hand und rannte zum nächstgelegenen Tunnel. Ich folgte ihnen. Ehe die Kammer durch eine Kurve im Tunnel nicht mehr zu sehen war, blickte ich noch einmal zurück und sah, wie die widerliche Horde aus dem Schacht strömte.

Der Tunnel führte steil nach oben, und plötzlich erschien vor uns ein Balken aus grauem Licht. Unsere hoffnungsvollen Ausrufe verwandelten sich jedoch bald in heftige Flüche bitterer Enttäuschung. Dort schien zwar das Tageslicht durch eine Spalte im Kuppeldach herein, aber sie lag in unerreichbarer Höhe. Hinter uns gab die Meute frohlockende Laute von sich.

Ich blieb stehen.

»Rettet euch, wenn ihr könnt«, sagte ich mit tiefer Stimme. »Ich werde sie aufhalten. Sie vermögen im Dunkeln zu sehen, ich nicht. Hier kann ich sie wenigstens erkennen. Geht!«

Aber Vertorix war ebenfalls stehengeblieben. »Und uns bis zum bitteren Ende wie Ratten jagen lassen? Es gibt kein Entrinnen. Lasst uns unserem Ende tapfer begegnen.«

Tamera stieß einen Schrei aus, ballte hilflos ihre Hände und drängte sich eng an ihren Geliebten.

»Bleib mit dem Mädchen hinter mir«, raunte ich Vertorix zu. »Falls ich sterbe, zerschmettere ihr mit deiner Axt das Hirn, ehe sie sie erneut lebend fangen. Dann verkaufe dein eigenes Leben, so teuer du kannst, denn es gibt keinen, der uns rächen könnte.«

Angespannt sah er mich mit entschlossenen Augen direkt an. »Wir beten zu unterschiedlichen Göttern, Plünderer«, sagte er, »aber alle Götter lieben tapfere Männer. Vielleicht sehen wir uns wieder, jenseits der Dunkelheit.«

»Heil dir, Brite, und Lebewohl!«, entgegnete ich, und unsere rechten Hände umschlossen einander in einem stählernen Griff.

»Heil auch dir, Gäle, und Lebewohl!«

Dann fuhr ich herum – die grausame Horde überschwemmte den Tunnel und stürzte ins Zwielicht, ein fliegender Albtraum schlangenhafter Haare, schäumender Mäuler und grell leuchtender Augen.

Mein Schlachtruf erschütterte den Tunnel, ich sprang auf die Meute zu und mein schweres Schwert sang, als es den grinsenden Kopf einer Bestie von den Schultern trennte und eine Blutfontäne in hohem Bogen über mir aufstieg. Die Biester brachen wie eine Welle über mir zusammen, und der kühne Wahnsinn meines Volkes ergriff von mir Besitz. Ich kämpfte wie ein wildes Tier, mit jedem Hieb spaltete ich Fleisch und Knochen, Blut fiel wie purpurroter Regen auf mich herab.

Als die Meute über mich hinwegbrandete und ich schließlich aufgrund ihrer schieren Masse zu Boden ging, zerschnitt ein durchdringender Schrei den Lärm, ich hörte das Summen von Vertorix’ Axt über mir. Blut und Gehirnmasse spritzten durch die Luft wie dicke Wassertropfen. Das Gewühl ließ nach. Ich kam wankend wieder auf die Beine und zertrampelte die sich windenden Körper zu meinen Füßen.

»Die Treppe hinter uns!«, brüllte der Brite. »Sie ist halb hinter einem Wandvorsprung versteckt! Sie muss ans Tageslicht führen! Hinauf, im Namen von Il-marenin!«

Kämpfend wichen wir Zentimeter um Zentimeter zurück. Das widerliche Pack tobte wie bluthungrige Dämonen und kletterte kreischend und metzelnd über die Leichen der Getöteten hinweg. Wir waren beide blutüberströmt, als wir die Öffnung des Schachts erreichten, in den Tamera uns bereits vorausgeeilt war.

Keifend wie leibhaftige Dämonen strömten die Kinder herein, um uns wieder nach unten zu zerren. Im Schacht war es nicht so hell wie im Korridor, und je höher wir stiegen, desto dunkler wurde es, unsere Feinde konnten uns jedoch nur einer nach dem anderen angreifen. Bei allen Göttern – wir schlachteten sie ab, bis die Stufen mit zerfleischten Leibern bedeckt waren und die Kinder wie tollwütige Wölfe schäumten!

Dann brachen sie ihren Angriff urplötzlich ab und rasten die Treppe wieder hinunter.

»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Vertorix, nach Luft schnappend, und wischte sich den blutigen Schweiß aus den Augen.

»Den Schacht hinauf, schnell!«, keuchte ich. »Sie suchen sich eine andere Treppe, um uns von oben anzugreifen!«

Wir rannten die verfluchten Stufen hinauf, stolperten und rutschten aus. Bald passierten wir einen schwarzen Tunnel, der auf den Schacht zulief und aus dessen Tiefe ein markerschütterndes Heulen zu uns drang. Im nächsten Augenblick ging der Schacht in einen gewundenen Korridor über, der durch schwaches, graues Licht, das von oben herabschien, schwach beleuchtet war.

Aus den tiefsten Eingeweiden der Erde glaubte ich jetzt, das tosende Donnern rauschender Wassermassen zu hören. Wir liefen den Korridor hinunter und aus dem Nichts sprang etwas unglaublich Schweres auf meine Schultern. Es warf mich kopfüber zu Boden und ein Schlaghammer schmetterte wieder und wieder auf meinen Kopf ein und jagte dumpfe, höllische Schmerzen durch meinen Schädel. In einem gewaltigen Wutausbruch versetzte ich meinem Angreifer einen heftigen Schlag, durch den ich mich befreien konnte, und als ich über ihm kniete, riss ich ihm mit bloßen Händen die Kehle heraus. Als er starb, verbissen sich seine Reißzähne in meinem Arm.

Als ich mich aufgerappelt hatte, stellte ich fest, dass Tamera und Vertorix verschwunden waren. Sie waren mir ein Stück voraus gewesen und weitergelaufen, da sie offenbar nicht bemerkt hatten, dass einer unserer Gegner auf meine Schultern gesprungen war. Zweifellos dachten sie, ich sei noch immer dicht hinter ihnen. Nach etwa einem Dutzend Schritte blieb ich stehen. Vor mir gabelte sich der Korridor und ich wusste nicht, welchen Weg meine Gefährten genommen hatten.

Ich wählte kurzerhand die linke Abzweigung und stolperte weiter durch das Halbdunkel. Durch die Müdigkeit und den Blutverlust fühlte ich mich schwach, und von den Schlägen, die ich hatte einstecken müssen, war mir schwindelig und übel. Allein durch den Gedanken an Tamera hielt ich mich verbissen auf den Beinen. Dann hörte ich deutlich das Tosen eines unsichtbaren, reißenden Stromes.

Da aus der Höhe ein schwaches Licht herabfiel, konnte ich mich nicht allzu tief unter der Erde befinden, und ich rechnete jeden Moment damit, auf eine weitere Treppe zu stoßen. Als ich sie erreichte, hielt ich in bitterer Verzweiflung inne – anstatt nach oben, führte sie nach unten. In der Ferne hinter mir ließ sich das Heulen der Meute erahnen, und so tauchte ich in die umfassende Dunkelheit der Treppe hinab. Endlich erreichte ich ihr Ende und setzte meinen Weg blind fort.

Ich hatte alle Hoffnung auf ein Entkommen begraben und wünschte mir nur noch, Tamera zu finden – falls ihr und ihrem Geliebten die Flucht nicht schon geglückt war –, um an ihrer Seite sterben zu können. Die rauschenden Wassermassen donnerten nun über mich hinweg, und der Tunnel war schlammig und feucht. Wasser tropfte mir auf den Kopf und ich erkannte, dass ich mich tatsächlich unter dem Fluss befand.

Kurz darauf stolperte ich über die steinernen Stufen einer weiteren Treppe. Dieses Mal führten sie nach oben. Ich kletterte hinauf, so schnell es meine lähmenden Wunden zuließen – ich war mit Schlägen gestraft worden, die einen gewöhnlichen Mann längst umgebracht hätten.

Höher und höher führte mein Aufstieg. Plötzlich wurde ich von Tageslicht umflutet, das durch eine Felsspalte hereindrang, und ich trat in den grellen Sonnenschein. Ich stand auf einem Felsvorsprung, und in der Tiefe donnerte mit atemberaubender Geschwindigkeit ein reißender Fluss, der zu beiden Seiten von hohen Klippen gesäumt wurde. Der Felsvorsprung lag unmittelbar unter der Spitze der Klippe; meine Rettung war nur eine Armlänge entfernt. Dennoch zögerte ich, denn meine Liebe zu dem Mädchen mit den goldenen Haaren war so groß, dass ich in meiner wahnwitzigen Hoffnung, sie zu finden, bereit war, wieder in die schwarzen Tunnel zurückzukehren. Dann wich ich zurück.

Mir gegenüber, auf der anderen Seite des Flusses, erblickte ich in der Felswand einen ähnlichen Vorsprung, der jedoch etwas länger war. In früheren Zeiten waren diese beiden Felsvorsprünge zweifellos durch eine primitive Brücke verbunden gewesen, möglicherweise, bevor der Tunnel unter dem Flussbett gegraben worden war. Als ich nun hinübersah, erschienen zwei Gestalten auf der anderen Seite – die eine mit tiefen Schnittwunden, verdreckt, humpelnd, in den Händen eine blutverschmierte Axt, die andere schlank, weiß und weiblich.

Vertorix und Tamera! Sie hatten an der Gabelung den anderen Korridor gewählt und waren anscheinend, ebenso wie ich, den Windungen eines Tunnels bis an die Oberfläche gefolgt, nur dass ich links abgebogen war und so den Fluss unterirdisch überwunden hatte.

Die beiden saßen dort drüben in der Falle. Auf ihrer Seite ragten die Klippen noch fast fünfzehn Meter in die Höhe und waren so glatt, dass selbst eine Spinne sie nur mit Mühe hätte erklimmen können. Von dem Felsvorsprung aus gab es nur zwei Fluchtmöglichkeiten: zurück in den Tunnel, in die Arme des Feindes, oder tief hinab in den wirbelnden Fluss.

Ich sah, wie Vertorix zunächst an den blanken Felsen empor, dann in den Abgrund blickte und schließlich verzweifelt den Kopf schüttelte. Tamera schloss die Arme um seinen Hals. Wegen des donnernden Flusses konnte ich ihre Stimmen nicht hören, aber ich sah sie lächeln, und dann traten sie gemeinsam an den Rand des Felsvorsprungs. Hinter ihnen quoll aus der Felsspalte die verabscheuungswürdige Meute hervor, wie stinkende Reptilien, die sich aus der Dunkelheit ins Licht schlängeln, und dann standen die Kreaturen der Nacht blinzelnd im grellen Sonnenlicht.

Meine Hilflosigkeit quälte mich, und ich hielt den Schwertgriff so fest umklammert, dass Blut unter meinen Fingernägeln hervortropfte. Wieso war die Meute nicht mir gefolgt anstatt meinen Gefährten?

Die Höhlenwesen hielten einen Moment inne, als die beiden Briten sich zu ihnen umdrehten. Mit einem Lachen warf Vertorix seine Axt weit hinab in den rauschenden Fluss, drehte sich zu Tamera um und ergriff sie in einer letzten Umarmung. Gemeinsam sprangen sie. Sie hielten einander noch immer in den Armen, als sie in die Tiefe stürzten, ins wild schäumende Wasser fielen, das ihnen entgegenzuspringen schien, und schließlich verschwanden. Der reißende Fluss donnerte weiter wie ein blindes, gefühlloses Ungeheuer, das zwischen den Klippen tobt, von denen sein eigenes Echo widerhallt.

Für einen Moment stand ich wie angewurzelt, dann drehte ich mich geistesabwesend um, ergriff den Rand der Felsen über mir, zog mich mit letzter Kraft hinauf und über die Kante. Als ich oben auf den Klippen stand, drang aus der Tiefe das Donnern des Flusses zu mir wie in einem verblassenden Traum.

Ich richtete mich auf und hielt mir verwirrt den dröhnenden Schädel, an dem getrocknetes Blut klebte. Hastig blickte ich mich um. Ich war die Klippen hinaufgeklettert – nein, beim Donner des Crom, ich befand mich noch immer in der Höhle! Ich griff nach meinem Schwert –

Die Nebel lichteten sich langsam. Ich sah mich benommen um, um das Gefühl für Raum und Zeit wiederzuerlangen. Ich stand am Fuß der Treppe, die ich hinabgestürzt war. Ich, der ich Conan der Plünderer gewesen war, war John O’Brien. War dieses groteske Intermezzo nur ein Traum gewesen? Konnte sich ein gewöhnlicher Traum so lebensecht anfühlen? Selbst in Träumen wissen wir oftmals, dass wir träumen, aber Conan der Plünderer war sich keines anderen Daseins bewusst. Mehr noch, er erinnerte sich an sein vergangenes Leben wie ein Mensch aus Fleisch und Blut, aber im wachen Verstand von John O’Brien verschwand diese Erinnerung in Staub und Nebel. Das Abenteuer von Conan in der Höhle der Kinder der Nacht war jedoch klar und deutlich in John O’Briens Erinnerung eingebrannt.

Ich blickte zu der Stelle am anderen Ende der Kammer, an der Vertorix dem Mädchen durch die Tunnelöffnung gefolgt war – doch dort war nur die nackte, glatte Höhlenwand. Ich durchquerte die Kammer, schaltete meine Taschenlampe ein – die wie durch ein Wunder bei meinem Sturz nicht beschädigt worden war – und tastete die Wand ab.

Ha! Ich zuckte zurück, als habe man mir einen elektrischen Schlag versetzt. Genau an der Stelle, an der die Öffnung hätte sein müssen, ertasteten meine Finger eine Veränderung, einen Bereich, der rauer war als die restliche Wand. Ich war überzeugt davon, dass es sich um eine ziemlich neue Bearbeitung handelte – der Tunnel war zugemauert worden.

Ich warf mich mit aller Kraft gegen die umgewandelte Stelle in der Wand und es schien, als würde sie nachgeben. Ich machte einen Schritt zurück, holte tief Luft und stürzte mich noch einmal mit der vollen Wucht meiner Muskelkraft auf sie. Die brüchige, vermoderte Wand fiel mit einem ohrenbetäubenden Krachen zusammen und ich wurde in einer Lawine aus Steinen und einstürzendem Gemäuer hindurchgeschleudert.

Als ich mich aufgerüttelt hatte, entfuhr mir ein spitzer Schrei. Ich befand mich in einem Tunnel, und dieses Mal war die Ähnlichkeit nicht zu verkennen. Hier hatte sich Vertorix dem Volk der Finsternis zum ersten Mal in den Weg gestellt, als sie Tamera mit sich fortschleppten, und an der Stelle, an der ich nun stand, war der Boden mit Blut getränkt gewesen.

Wie in Trance schritt ich den Korridor entlang. Bald würde ich den Eingang zu meiner Linken erreichen – und da war sie, die eigenartig geschnitzte Türöffnung, an der ich die unsichtbare Kreatur erschlagen hatte, die sich im Dunkeln neben mir aufgebäumt hatte. Mir lief ein Schauer über den Rücken. War es möglich, dass die letzten Überlebenden der widerwärtigen Biester noch immer in diesen abgelegenen Höhlen hausten?