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Rainer M. Schröder

Goldrausch in Kalifornien

Roman

hockebooks

19

Vier Tage blieb John Sutter mit seiner Familie in San Francisco. Er nutzte diese Zeit intensiv, um die unsichtbare Mauer des einander Fremdseins, die zwischen ihm und seinen Söhnen lag, Stück für Stück niederzureißen.

Bei seinem ältesten Sohn John gelang es ihm am besten. Vermutlich trug die Tatsache, dass sich John immerhin noch schwach an die Zeit mit seinem Vater erinnern konnte, nicht unwesentlich dazu bei.

Annette Sutter hatte in weiser Voraussicht und gemäß dem brieflichen Rat ihres Mannes schon Monate vor der Abreise aus der Schweiz dafür gesorgt, dass sie alle drei intensiven Englischunterricht bekamen. Und während der monatelangen Reise an Bord der Provence hatte sie durch Studien der englischen Sprache und der amerikanischen Geschichte der deprimierenden Monotonie des Schiffsalltags entgegengewirkt. Dies kam ihnen nun allen zugute.

Viktor jedoch blieb weiterhin scheu und zurückhaltend, was seiner ganzen Wesensart entsprach. Aber auch er verlor bald das unangenehme Gefühl, mit einem völlig Fremden zu reden. Die faszinierende Atmosphäre von San Francisco tat ein Übriges, um die Stimmung fröhlicher zu machen.

John Sutter traf in der Stadt auf viele Menschen, die ihn kannten. Und zu seiner größten Genugtuung wurde er überall mit viel Respekt, ja sogar Bewunderung begrüßt. Jetzt, da Old Cap als Landlord offenbar für ewige Zeiten entmachtet war und somit keine Gefahr darstellte, erinnerten sich die meisten gern an seine beeindruckenden Pionierleistungen.

John Sutter nahm diese Huldigungen gern entgegen, denn er war nicht ohne Eitelkeit. Außerdem gefiel es ihm, dass seine Frau und seine Söhne ein möglichst positives Bild von ihm und seiner Stellung in Kalifornien bekamen.

Am fünften Tag ging die Fahrt mit der Kutsche zur Hock-Farm los. Tom Wedding bestand darauf, den Platz auf dem Bock einzunehmen.

»Du wirst ihnen eine Menge zu erzählen und zu erklären haben«, sagte er und ließ keinen Widerspruch zu.

Sutter freute sich über die Begeisterung seiner Familie, als sie dem Flusslauf des Sacramento folgten und die weiten, fruchtbaren Ebenen sich vor ihnen im Licht der warmen Junisonne bis zum Horizont erstreckten.

Sie gelangten zur Stadt Sacramento, die nicht weit vom Fort innerhalb von wenigen Monaten entstanden war.

»Im November vergangenen Jahres stand dort nicht ein einziges Haus«, erklärte John Sutter und bat Tom Wedding, einen Augenblick auf der Kuppe des Hügels zu halten. Von dieser Stelle aus konnten sie die junge Stadt am Zusammenfluss des Sacramento und des American River wunderbar überblicken. »Und jetzt zählt die Stadt schon zwölftausend Einwohner. Und noch mal die gleiche Anzahl Menschen wohnt in den Zelten am Rand von Sacramento.«

John Junior beobachtete einen Augenblick das hektische Treiben im Hafen von Sacramento. Zahlreiche Schaluppen und Schoner ankerten am Ufer. Dann wandte er sich zu seinem Vater.

»Gehört nicht dir das ganze Land hier am Sacramento?«, fragte er.

Captain Sutter nickte. »Ja, und noch viel mehr.«

»Dann gehört dir auch die Stadt Sacramento, Dad?«

Sutter tauschte einen kurzen Blick mit Tom Wedding. »Von Rechts wegen ja«, antwortete er dann langsam. »Das Land gehört mir, so weit das Auge reicht. Nur hat mich keiner gefragt, als die Siedlungen wie die Pilze nach einem Regenschauer aus dem Boden schossen.«

John Junior sah seinen Vater erstaunt an. »Aber … das ist doch illegale Besitzergreifung! Warum hast du das zugelassen, Dad?«

Ein schmerzlicher Ausdruck trat in seine Augen. »Hast du schon einmal allein gegen zehntausend vom Goldrausch besessene Männer gekämpft?« John senkte den Blick. »Nein, entschuldige die dumme Frage«, murmelte er. »Aber irgendetwas musst du doch tun.«

»Zu dem Entschluss bin ich auch schon gekommen«, sagte Captain Sutter und die Verbitterung verschwand aus seinen Augen. »Doch das ist eine sehr langwierige Sache.« Er wechselte plötzlich scheinbar übergangslos das Thema. »Stimmt es, dass du dich für die Rechtswissenschaft interessierst?«

»Ja, ich möchte Rechtsanwalt werden! Ein paar Vorlesungen habe ich schon gehört. Und in New York habe ich mir eine Abhandlung über amerikanisches Recht besorgt.«

»Das ist ein Wink des Schicksals, ein gutes Omen«, sagte Captain Sutter zufrieden und sein nachdenklicher Blick ruhte auf seinem ältesten Sohn. »Du hast eine gute Wahl getroffen, John. Rechtsanwälte werden in Kalifornien bald dringender als alles andere gebraucht, nicht wahr, Tom?«

Tom Wedding lachte fröhlich. »Ich würde meinen letzten Nickel darauf verwetten, dass die Rechtsanwaltsbüros bald so zahlreich aus dem Boden schießen werden wie im Augenblick die Goldgräberlager.«

Captain Sutter nickte grimmig »Wir werden ihnen schon einheizen, Tom«, sagte er entschlossen. Nur sein Freund wusste bisher, welchen gewaltigen Coup er plante. Sutter wandte sich an seinen Sohn. »Hättest du Lust, an der Ostküste zu studieren? Dort gibt es die besten Universitäten und du brauchst die beste Ausbildung, die es überhaupt in Amerika gibt.«

»Und ob ich dazu Lust habe«, sagte John mit gedämpfter Begeisterung, denn er verstand nicht, was das alles zu bedeuten hatte. »Aber weshalb ist das ein gutes Omen? Und wem wollt ihr einheizen, Dad?«

»Den Leuten da unten!«, stieß Captain Sutter hervor und deutete auf Sacramento hinunter, als wollte er es mit einer Handbewegung vernichten. »Kommt in die Kutsche. Ich werde euch die ganze verfluchte Geschichte erzählen. Ihr habt ein Recht darauf zu wissen, wofür ihr in Zukunft kämpft.« Und er begann mit dem Jahr 1839, als er zum ersten Mal kalifornischen Boden betreten hatte …

20

Die bedrückenden Niederlagen und Demütigungen der letzten anderthalb Jahre schüttelte John Sutter ab wie eine lästige Last. Er sprühte vor Energie und Tatkraft. Jetzt hatte er wieder eine Aufgabe und ein Ziel, für das es sich einzusetzen lohnte.

Bevor John Junior sein Studium an der Ostküste begann, lernte er, was ein Farmer und Rancher wissen musste. Sein Vater bestand darauf, denn er sollte wissen, wofür er in Zukunft kämpfen musste.

Bei den praktischen Dingen begnügte sich John Junior mit einem Überblick. Die finanziellen und verwaltungstechnischen Dinge musste er in harter Lehre von Tom Wedding lernen.

John erwies sich im Gegensatz zu Viktor, der mehr Sinn für das Praktische zeigte, als hervorragender Verwaltungsmann mit einem Gefühl für Zahlen. Er bewies sein Talent, indem er vor seiner Abreise an die Ostküste noch durch geschickten Verkauf von Grundstücksparzellen die väterliche Kasse beträchtlich auffüllte und damit sein Studium sicherte.

Captain Sutters zweiter Aufstieg begann. Und wie schon früher schien ihm alles zu gelingen, was er in Angriff nahm. Seine Farm am Feather River erlebte einen ungeahnten wirtschaftlichen Aufschwung. Bald belieferte er alle Siedlungen und Dörfer im Umkreis mit Nahrungsmitteln.

Er warb sogar Chinesen an, die für ihre Genügsamkeit und ihren Fleiß bekannt waren. Der Wohlstand kehrte sichtbar bei John Sutter wieder ein. Alles schien in bester Ordnung zu sein.

Allein Tom Wedding wusste, dass der äußere Schein trog. Sutter stürzte sich zwar tief in die Arbeit, doch ihm fehlten die visionäre Kraft und die ansteckende Begeisterung der früheren Jahre. Seine Schufterei war von grimmiger Entschlossenheit geprägt, von dem Wunsch nach Rache durch das Gesetz, ja sogar von Hass. Sutter kümmerte sich nicht deshalb so intensiv um den Aufbau der Hock-Farm, weil es ihm ein Bedürfnis gewesen wäre, sondern um wieder zu Geld und Einfluss zu gelangen.

Machtstreben und ausgeprägte Eitelkeit veranlassten ihn, sich zum Delegierten des verfassunggebenden Kongresses wählen zu lassen, der im September 1849 in Monterey zu tagen begann.

Bereitwillig ließ er sich aber auch überreden, für den Posten des Gouverneurs von Kalifornien, das am 9. September 1850 als sklavenfreier 31. Staat in die Union aufgenommen wurde, zu kandidieren. Diese Wahl endete für ihn mit einer vernichtenden Niederlage. Nur 2201 Stimmen wurden für ihn abgegeben.

»Du hättest die Finger davonlassen sollen«, sagte Tom Wedding ärgerlich, als sich Sutter nach der Blamage wieder auf die Hock-Farm zurückzog. »Damit hast du deiner Sache nur geschadet.«

»Es war nur ein Versuch, zu meinem Recht zu kommen. Als Gouverneur von Kalifornien hätte ich die Macht gehabt, meine Ansprüche besser geltend zu machen«, verteidigte sich Captain Sutter ohne viel Nachdruck. Seine Fehler und politischen Fehltritte waren einfach zu offensichtlich und ließen sich nicht beschönigen. Er verfluchte seine Eitelkeit.

»Es war ein völlig untauglicher Versuch!« Tom Wedding hatte diesmal keine Nachsicht. Er ging hart mit Sutter ins Gericht. Und er gab sich keine Mühe, seinen Ärger zu unterdrücken. »Du kannst deine Ansprüche nur auf dem Rechtsweg geltend machen, John. Du wirst einen Prozess anstrengen müssen.«

»Das ist mir klar«, brummte Sutter.

»Verdammt noch mal, wie hättest du als Gouverneur gegen den Staat von Kalifornien einen Prozess führen können?!«, brauste Tom Wedding auf. »Das wäre eine Sache des Unmöglichen gewesen. Man hätte dich sofort zum Rücktritt gezwungen und dir korruptes Verhalten unterstellt. Wie konntest du nur so blind sein und dich in eine derart wahnwitzige Idee verrennen. Gouverneur von Kalifornien!«

»Okay, okay, ich habe meine Lektion erhalten«, versuchte Sutter seinen Freund zu besänftigen.

»Es fragt sich aber, ob du daraus gelernt hast. Du musst dich endlich entscheiden. Entweder du verhältst dich ruhig und baust auf der Grundlage der Hock-Farm ein neues wirtschaftliches Unternehmen auf und ziehst unter die Vergangenheit einen Schlussstrich. Oder aber du beziehst klar Stellung gegen die illegalen Landbesitzer. Dann wirst du einen Prozess anstrengen und eine Menge Ärger in Kauf nehmen müssen. Ein solcher Prozess wird nicht eben dazu beitragen, deine Beliebtheit im Land zu steigern!«

Captain Sutter sah ihn mit einem schiefen Lächeln an. »Deutlicher geht es wohl nicht mehr, was?«

Tom Wedding verzog keine Miene. »Du sollst dir keine trügerischen Illusionen mehr machen, John. Wenn du dich für den Prozess entscheidest, sollst du auch wissen, was dich erwartet. Es wird hart auf hart gehen und zudem noch eine Menge Geld verschlingen.«

Captain Sutter schwieg einen Moment. Er starrte auf die vergilbte Tageszeitung, in der ein spöttischer Kommentar über seine beschämende Niederlage als Gouverneurskandidat stand. Jedes Wort war wie ein schmerzhafter Messerstich.

Tom Wedding setzte ihm hart zu und weckte damit wütenden Widerspruch. Doch Tom war der Einzige, der nicht nur in den guten Jahren zu ihm gehalten hatte. Auch in den von Demütigungen und Niederlagen gekennzeichneten Zeiten war er nicht von seiner Seite gewichen und hatte mehr als einmal sein Leben für ihn riskiert. Wenn also irgendjemand das Recht auf schonungslose Kritik besaß, dann war das Tom Wedding.

»Nimm dir Zeit und überlege es dir gut, John.«

Captain Sutter blickte auf. Seine Schultern strafften sich. »Ich habe mich entschieden, Tom. Wir werden den Prozess führen. Keine Macht der Welt wird mich daran hindern. Ich verlange mein Recht!«

Mit Kleinigkeiten hatte sich John Sutter noch nie abgegeben. »Alles im großen Stil!« Dieser Devise blieb er auch jetzt treu, als er einen Prozess mit wahrlich gigantischem Ausmaß gegen den jungen Staat Kalifornien anstrengte.

John Sutter verklagte zuerst einmal über achtzig große und kleine Gemeinden. Er beanspruchte das Land, auf dem sich die Gemeinden ausgebreitet hatten, allein für sich. Städte wie San Francisco, Sacramento, Venicia, Fairfield, Stockton und viele andere Ortschaften, die eine rasante Bevölkerungszunahme zu verzeichnen hatten, befanden sich unter diesen Gemeinden.

Damit gab sich John Sutter aber längst nicht zufrieden. Er verklagte auch gleich über siebzehntausend Einzelpersonen, die sich auf seinen Farmen und Plantagen widerrechtlich niedergelassen und seine Felder und Äcker an sich gerissen hatten.

Weiterhin verlangte er von der Regierung Kaliforniens eine gewaltige Summe Schadenersatz dafür, dass sie die von ihm errichteten und mit seinem Geld bezahlten Straßen, Brücken, Dämme, Kanalisationen, Mühlen, Hafenanlagen, Fähren und Lagerhallen in ihren Besitz genommen und der Öffentlichkeit zur Benutzung freigegeben hatte.

Auch an die Regierung in Washington stellte er eine Schadenersatzforderung in Millionenhöhe. Seiner Anklageschrift zufolge hatte sie sich unfähig gezeigt, für Ruhe und Ordnung zu sorgen und seinen Besitz zu schützen, als der Goldrausch ausgebrochen war. Er stellte alles in Rechnung, was er durch den Zustand der Gesetzlosigkeit und durch Plünderer verloren hatte.

Und das war nicht wenig. Alles in allem belief sich seine Forderung auf über zweihundert Millionen Dollar! Eine unvorstellbare Summe, die Sutter von seriösen Gutachtern und Kommissionen hatte errechnen lassen.

Mit diesen über zweihundert Millionen Dollar begnügte er sich aber immer noch nicht. Er erhob noch Anspruch auf einen Teil des bisher gewonnenen Goldes. Zudem verlangte er eine angemessene Beteiligung an dem Gold, das vom Tag des Prozessbeginns noch gewonnen wurde. Eine unabhängige Juristenkommission sollte seinen Anteil festlegen.

Ein Aufschrei der Entrüstung ging durch das Land, als diese Forderungen bekannt wurden. Die Existenz der Städte stand auf dem Spiel, ja sogar des gesamten Staates. Falls Sutter vom Obersten Gerichtshof Recht bekommen sollte, hätte das den Bankrott Kaliforniens zur Folge.

Tom Wedding hatte Sutter gewarnt. Doch der geballte Hass, der Sutter nun entgegenschlug, übertraf alle Erwartungen. Ganz Kalifornien geriet in Aufruhr. Jeder Goldgräber, Geschäftsmann und Siedler sah sich in seiner Existenz bedroht.

Die Gemeinden setzten sich zur Wehr, indem sie Hunderte von Juristen auf Lebenszeit einstellten, deren einzige Aufgabe es war, Sutters Forderungen abzulehnen oder den Prozess zumindest auf Jahre zu verschleppen.

Auch die Siedler schlossen sich zu Interessengemeinschaften zusammen und machten zusammen mit den Goldgräbern gegen Sutter Front. Sogenannte Verteidigungssyndikate entstanden, die die besten Anwälte aus dem Osten kommen ließen und sie fürstlich bezahlten.

Terence Jenkins und Cliff Bradley, führende Persönlichkeiten von San Francisco und noch immer Herren des Groldgräbersyndikates, unternahmen alles, um die Stimmung gegen John Sutter anzuheizen.

Eine Anti-Sutter-Liga wurde im Land gegründet und hatte ihren Sitz ausgerechnet in jener Stadt, die seinen Namen trug – Sutterville.

Die Empörung und der Hass auf diesen Mann, der Zehntausende in den Ruin zu stürzen drohte, waren so stark, dass eine aufgebrachte Menschenmenge zur Hock-Farm zog.

Captain Sutter hatte damit gerechnet. Als der Pöbel bis auf eine Meile heran war, zeigten sich seine bewaffneten Männer und gaben Warnschüsse ab.

Die Menge wich zurück.

»Bastarde!«, stieß Captain Sutter verächtlich hervor. »Jeder wird bezahlen müssen. Das Recht steht auf meiner Seite. Sollen sie mich nur verfluchen!«

Und das taten sie auch.

Besorgt beobachtete Tom Wedding die hasserfüllte Menge, die nur von zwei Dutzend Gewehrläufen davon abgehalten wurde, die Farm in Schutt und Asche zu legen. Drei Stunden lang sah es so aus, als würden die Männer doch noch einen Angriff wagen. Dann endlich löste sich die Menge auf.

Tom Wedding kehrte mit Captain Sutter und seinem Sohn Viktor zur Farm zurück.

»Ab jetzt müssen wir dreifach wachsam sein«, meinte Tom Wedding. »Die Leute sind unberechenbar, John. Du bist ihnen jetzt verhasst. Und ich würde mich nicht wundern, wenn ein paar feine Geschäftsleute in San Francisco oder Sacramento ein paar Killer anheuern, um das Problem Sutter aus der Welt zu schaffen. Und zwar mit einer Kugel aus einem 45er Revolver.«

»Wir werden Wachposten aufstellen«, erwiderte Captain Sutter und lachte über das ängstliche Gesicht seines Sohnes. »Mach nicht so ein Gesicht, Viktor. Die Reaktion der Leute zeigt doch, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Sie fühlen sich schuldbewusst. Du wirst sehen, wir werden Recht bekommen.«

Viktor blieb skeptisch. »Aber um welchen Preis«, murmelte er düster. Der Tumult hatte ihn erschreckt und ihm gezeigt, dass sie ihres Lebens nicht mehr sicher waren. Die Mordlust der Männer hatte ihm den Atem genommen. Und er wusste, dass er nicht aus demselben Holz wie sein Vater geschnitzt war, der im Angesicht der Gefahr erst richtig auflebte und im direkten Kampf seine Bestätigung suchte – sei es im Kampf mit der Natur oder gegen seine Mitmenschen.

»Irgendeinen Preis zahlt man immer!«, wies John Sutter seinen Sohn zurecht. »Ich verlange nichts weiter als mein Recht. Dafür verzichte ich gern auf die falsche Freundlichkeit dieser Ganoven!« Damit wandte er sich jäh ab und verschwand im Haus.

Tom Wedding teilte Wachen ein und unternahm alles, um die Farm und das Leben ihrer Bewohner nach besten Kräften zu schützen.

Dass es einen sicheren Schutz nicht gab, zeigte sich vier Tage später. Gegen kurz nach zwei in der Nacht gelang es einem fanatischen Sutterhasser, die Postenkette unbemerkt zu passieren und einen Brand im Wohntrakt zu legen.

Das trockene Holz fing sofort Feuer. Fensterscheiben zersprangen mit lautem Klirren und Flammen schossen heraus.

»Feuer! Feuer!«, gellte es durch das Haus.

Sutter war von einer Sekunde auf die andere hellwach. Er sprang aus dem Bett und überzeugte sich, dass seine Frau und seine Söhne ins Freie liefen. Dann rannte er den Flur hinunter, ohne auf das Feuer zu achten, das ihn einzuschließen drohte. Er musste die Dokumente, die seinen Besitzanspruch untermauerten, vor den Flammen retten.

Es gelang ihm. Mit versengtem Haar und mehreren Brandwunden taumelte er ins Freie, die von der mexikanischen Regierung ausgestellten Urkunden gegen seine Brust gepresst.

»Sie schaffen es nicht«, keuchte er nach Atem ringend und lachte höhnisch. »Diese Hunde werden es nicht schaffen, was auch immer sie versuchen werden.«

Viktor starrte in die Flammen und zitterte am ganzen Leib. Er verstand nicht, weshalb sein Vater sich auf einen derart aussichtslosen Kampf einließ. Die Farm war doch ein herrlicher Grundbesitz, der ihnen Wohlstand und ein angenehmes Leben garantierte. Weshalb all dies für eine Illusion aufs Spiel setzen?

»Der Prozess bringt uns eines Tages alle um!«, stieß Viktor hervor und sah seinen Vater beschwörend an. »Sie werden uns alles nehmen, Dad! Was hat dieser Prozess für einen Sinn? Er bringt nur Hass und Zerstörung! Zieh die Klageschrift zurück, Dad. Wir haben doch genug. Niemand wird dir Recht geben können, weil zweihundert Millionen Dollar den Bankrott des Staates bedeuten würden. Gib diesen Wahnsinn auf!«

»Schweig!«, schrie Sutter ihn unbeherrscht an. Sein Gesicht verzerrte sich. »Wage nicht noch einmal, so mit mir zu sprechen, Viktor. Ich habe dieses Land der Wildnis entrissen! Ich habe die Voraussetzungen für den Staat Kalifornien erst geschaffen! Was ich tue, ist kein Wahnsinn. Ich verlange nur mein Recht und ich habe Vertrauen in die Gerechtigkeit unseres Staates. Und ich werde mich von niemandem einschüchtern lassen!« Die Flammen warfen einen rot glühenden flackernden Schein auf sein Gesicht.

Das Feuer konnte erstaunlich schnell unter Kontrolle gebracht werden, weil man es frühzeitig bemerkt hatte. Der Schaden war beträchtlich, berührte Sutter jedoch nicht weiter. Für ihn war nur wichtig, dass die Urkunden nicht Opfer der Flammen geworden waren.

Gut zwei Jahre nach dem Brandanschlag kehrte John Junior als frisch gebackener Anwalt aus dem Osten zurück. Er war über alle Aktionen, die sein Vater eingeleitet hatte, bestens informiert. Mit Begeisterung und Überzeugung stürzte er sich in die monströse Arbeit.

»Wir werden den Prozess gewinnen, Dad!«, versicherte er und zeigte die gleiche fanatische Überzeugung wie sein Vater. In San Francisco bezog er sogleich ein großes Büro. Er verpflichtete ein halbes Dutzend ausgezeichneter und erfahrener Anwälte von der Ostküste, denn allein vermochte er die anfallende Arbeit nicht zu bewältigen.

Die Juristen der verklagten Gemeinden und Siedler deckten die Anwälte, die in Sutters Auftrag arbeiteten, tonnenweise mit Schriftsätzen, Widersprüchen und immer neuen Gutachten ein. Tausende lebten von Sutters Prozess wie andere von dem Gold lebten, das sie auf Sutters Grund und Boden fanden.

Der Rechtsstreit verschlang Unsummen. Doch John Sutter ließ sich nicht entmutigen. Er schaffte das Geld heran, um den scheinbar unsinnigen Papierkrieg zu bezahlen. Er modernisierte seine Farm, machte große Gewinne mit Obstkonserven und baute sich ein neues wirtschaftliches Imperium auf.

Jahre vergingen. Der Prozess, der bald nur noch für Fachexperten verständlich war, verblasste im Bewusstsein der Bevölkerung. Die meisten Bewohner hielten Sutters Klage schon längst für abgewiesen. Und wer besser informiert war, betrachtete den Prozess nur noch als einen höchst kostspieligen Witz eines Gerechtigkeitsfanatikers.

Niemand glaubte noch daran, dass Sutter eine Chance hatte, den Rechtsstreit zu gewinnen, als gegen Ende des vierten Prozessjahres sein Anwaltsbüro in San Francisco in Flammen aufging. Alle wichtigen Unterlagen und Gerichtsakten verbrannten – auch die mexikanischen Schenkungsurkunden, auf die Sutter seinen Anspruch gestützt hatte.

Sutters Feinde triumphierten. Diesen Tiefschlag würde er nicht verkraften. Die Niederlage war ihm gewiss. Old Cap war geschlagen. Endgültig erledigt.

Sie irrten.

Das Unglaubliche geschah. Captain Sutter gab nicht auf, sondern verdoppelte seine Anstrengungen. Man konnte ihn vielleicht physisch vernichten, aber den Kampf aus freien Stücken würde er niemals aufgeben. Zu sehr hatte er sich in die Idee verrannt, sein Recht zu bekommen. Er machte keine großen Worte mehr über seinen Anspruch, sondern kämpfte schweigend und verbissen weiter.

Die Leute bekamen Mitleid mit ihm. Dieser Prozess wurde zu einer Farce, einem Unikum. Kaum jemand fühlte sich von Sutter noch bedroht. Die Geschichte schien ihn längst überrollt zu haben. Er war ungefährlich geworden.

Und plötzlich erinnerte man sich wieder daran, dass Kaliforniens Aufstieg untrennbar mit seiner Person verbunden war und seine Pionierleistungen eigentlich nach geschichtlicher Würdigung und Ehrung verlangten.

Captain Sutter wurde nach San Francisco eingeladen, um an Kundgebungen und Paraden teilzunehmen, die man ihm zu Ehren veranstaltete. Die ganze Stadt befand sich auf den Beinen. Ob Männer oder Frauen, ob Kinder oder Alte – sie alle drängten sich in den Straßen, um »ihren« Pionier John Sutter zu sehen. Die Honoratioren der Stadt behandelten ihn mit Respekt und einer Herzlichkeit, als hätte es nie Unstimmigkeiten und keinen Prozess gegeben. John Sutter sah sich plötzlich von freundlichen Leuten umgeben, die ihm nicht nur einmal den Tod geschworen hatten. Doch an diesem Tag war alles wie verwandelt.

Sutter genoss den Jubel – glaubte er doch selbst nicht mehr an einen Sieg vor Gericht, obwohl ihm dieses Eingeständnis nie über die Lippen gekommen wäre.

Sein Gesicht zeigte deutlich die Genugtuung, als man ihn feierlich zum Ehrengeneral ernannte und ihm die Urkunde überreichte.

Der Bürgermeister und hohe Persönlichkeiten der Union beglückwünschten ihn. Das Sternenbanner flatterte und die Nationalhymne erklang.

Stumm und ergriffen nahm General Sutter die Ehrung entgegen. Das abenteuerliche und streckenweise recht unerfreuliche »Kapitel Sutter« der Geschichte Kaliforniens schien damit zur Erleichterung vieler endgültig abgeschlossen zu sein.

21

Woran niemand recht geglaubt hatte, geschah. Der Oberste Gerichtshof von Kalifornien unter Vorsitz von Richter Thompson legte den 15. März 1855 als Tag der Urteilsverkündung im Sutterprozess fest.

»Das ist der Tag, auf den ich Jahre gewartet habe.« John Sutter vermochte kaum zu glauben, dass der monströse Papierkrieg ein Ende haben sollte.

»Wirst du nach San Francisco reisen?«, fragte Tom Wedding, als sie bei einem Glas Wein im Herrenzimmer saßen und auf die gute Nachricht anstießen. Denn wie auch immer das Urteil ausfiel, es würde einen endgültigen Schlussstrich ziehen und dem bangen Warten und Hoffen und dem unsinnigen Geldausgeben für Rechtsberater ein Ende bereiten.

»Ein General, der auch nur etwas auf sich hält, scheut nicht das Angesicht des Feindes, Tom. Ich werde der Urteilsverkündung persönlich beiwohnen. Wirst du mich begleiten?«

Tom Wedding überlegte kurz. »Ich täte es gern, aber die Arbeit auf der Farm erlaubt es nicht. Du weißt, dass schon übermorgen die neuen Maschinen geliefert werden. Viktor braucht noch meine Hilfe. Außerdem ist es besser, wenn sich nicht der gesamte Sutterclan in San Francisco zeigt. Es reicht, wenn du und dein ältester Sohn anwesend sind.«

»Ich wüsste nicht, was ohne dich aus mir geworden wäre«, sagte John Sutter.

Tom Wedding lächelte. »Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für einen Rückblick in die Vergangenheit, John. Der 15. März wird deine, meine und die Zukunft des ganzen Staates bestimmen. Richter Thompson ist als unbestechlich bekannt.«

»Ja, auf diesen Ruf gründe ich meine Hoffnung!«

Annette bestand darauf, ihren Mann nach San Francisco zu begleiten. So kam die Kutsche, die Sutter vor Jahren erstanden hatte, noch einmal zu Ehren.

Am Morgen des 15. März drängte sich schon eine gewaltige Menschenmenge vor dem Portal des Justizpalastes. Jeder wollte Zeuge dieser historischen Urteilsverkündung sein. Niemand zweifelte daran, dass Sutters Klage abgewiesen wurde. Das bewiesen die fröhlichen, lachenden Gesichter und die scherzhaften Bemerkungen der elegant gekleideten Geschäftsleute, die auf den breiten Stufen des Palastes darauf warteten, eingelassen zu werden. Die Stimmung war wie auf einem Volksfest.

Auch Cliff Bradley und Terence Jenkins befanden sich unter der Schar der Neugierigen. Sie wurden respektvoll begrüßt, als sie sich unter die Menge mischten.

»Himmel und Hölle, ich hätte nicht geglaubt, dass der alte Bastard den Prozess bis zum Ende durchhalten würde«, sagte Cliff Bradley vergnügt und mit einer Spur Anerkennung in der Stimme »Ein sturer Kerl ist er ja, das muss man ihm lassen.«

»Als Pionier macht er sich in der Geschichte bestimmt gut«, sagte Terence Jenkins wohlwollend und zog ungeduldig seine goldene Uhr hervor. »Die Vorstellung könnte allmählich beginnen.«

»Ein geschickter Schachzug, Sutter zum General zu ernennen«, sinnierte Cliff Bradley und lächelte spöttisch. »Dieser Ehrentitel kostet nicht viel und wird ihm die Niederlage ein wenig versüßen.«

»Eine Schande um das viele Geld, das er in all den Jahren zum Fenster hinausgeworfen hat«, bedauerte Terence Jenkins.

Während die Menschenmenge wenig später durch den Haupteingang in den Justizpalast strömte, betraten General Sutter, seine Frau Annette und sein Sohn John Junior das Gebäude durch den Hintereingang. Zwei Soldaten führten sie durch dunkle Gänge und geleiteten sie durch das leerstehende Beratungszimmer der Richter in den großen Gerichtssaal, der zum Bersten voll war. Auf den Galerien drängten sich die Goldgräber und Siedler, dass man Angst um das Geländer haben musste. Auch unten im Saal gab es keinen freien Platz mehr. Die hohen Flügeltüren des Saals standen weit offen, damit auch die Leute auf dem Korridor etwas von der Urteilsverkündung mitbekommen konnten.

Als General Sutter den Saal betrat, brandete spontaner Jubel auf.

Mit ausdruckslosem Gesicht nahm General Sutter den Jubel der Massen hin. Er erkannte ganz vorn in der ersten Reihe neben dem Bürgermeister Kewen Cliff Bradley und Terence Jenkins, die ihm zunickten.

»Dieses Pack wird sich noch wundern!«, raunte John seinem Vater zu, als er hinter der Barriere Platz nahm. Vermutlich war er der Einzige im Saal, der von Sutters Sieg überzeugt war.

»Sei still, Sohn!«

Der Jubel verebbte, als die Tür hinter dem Richtertisch aufging. Knisternde Spannung breitete sich schlagartig im Saal aus, als die Richter, bekleidet mit schwarzen Talaren und schwarzen Baretten, feierlich ihre Plätze vor dem Sternenbanner einnahmen.

Alle Augen richteten sich auf Richter Thompson, der als höchster Beamter Kaliforniens das Urteil zu verkünden hatte. Sein asketisches, hartes Gesicht zeigte keine persönlichen Gefühlsregungen, als er die lederne Mappe mit dem schriftlich fixierten Urteil aufschlug.

General Sutter wagte kaum zu atmen. Jetzt würde es sich entscheiden. Es war ein unwirklicher Augenblick. In Sekundenschnelle zogen die letzten sieben Jahre seit der Entdeckung des Goldes an ihm vorbei. Die Demütigungen und die Niederlagen, die unsäglichen Anstrengungen und die Mühen der letzten Jahre, um diesen gigantischen Mammutprozess führen zu können.

In atemloser Stille begann Richter Thompson das Urteil zu verlesen, dem eine umfangreiche Präambel vorangestellt war. Seine klare, fast unpersönliche Stimme drang bis in den Flur. Und dann kam er an die Stelle, die das Schicksal von Zehntausenden bestimmen sollte.

»Im Namen Gottes hat der Oberste Gerichtshof von Kalifornien sein Urteil gefällt. Er bestätigt, dass die von Johann August Sutter eingebrachte Klage gegen die in der Präambel aufgeführten Städte, Gemeinden, Einzelbesitzer und Syndikate zu Recht besteht! Er erkennt die Rechtmäßigkeit seiner Forderungen sowie den rechtmäßigen Besitz und die Unantastbarkeit all seiner Ländereien an …«

Das Urteil traf die Anwesenden wie ein Schock und nahm ihnen für einen Augenblick den Atem. Doch dann brach ein unbeschreiblicher Tumult los.

Revolverschüsse krachten. Die Menge schrie den Richter Thompson nieder, der vergeblich zu erklären versuchte, dass das Urteil nur formale Bedeutung hatte und erst noch vom Obersten Gerichtshof in Washington bestätigt werden musste.

»Bringt die Richterbrut um!«

»An den Galgen mit Sutter und Thompson!«

»Schlagt sie tot!«

»Umbringen!«

In die Schreie der aufgebrachten Menge mischte sich das Krachen der Revolver. Mehrere Kugeln pfiffen haarscharf an General Sutters Kopf vorbei und bohrten sich hinter ihm in die Wandtäfelung. Wie gelähmt saß Sutter auf der Bank, unfähig zu begreifen, was da geschah.

Hinter seiner Stirn jagten sich die Gedanken. Er hatte Recht bekommen! Das Gesetz stand auf seiner Seite und hatte sich von der Volksmeinung nicht in die Knie zwingen lassen! Das Gericht erkannte seine gigantischen Forderungen an! Er war der reichste Mann der Welt!

Eine harte Faust riss Sutter hoch und brachte ihn in die Wirklichkeit zurück. Der General blickte in das verkniffene Gesicht seines Sohnes.

»Mein Gott, die bringen uns wirklich um, wenn wir nicht sofort verschwinden!«, stieß er hastig hervor.

Fluchtartig verließ die Sutter-Familie zusammen mit den von Panik erfassten Richtern den Gerichtssaal durch den Hinterausgang. Und nur den mutigen Soldaten verdankten sie ihr Leben. Wenn die Justizwachen der mordgierigen Menge den Weg nicht für einige Minuten versperrt hätten, wären Sutter und Thompson im Justizpalast gelyncht worden.

John Junior brachte seinen Vater und seine Mutter am Rande der Stadt bei einem befreundeten Rechtsanwalt unter, der das Risiko, als Sutter-Freund ebenfalls von der aufgebrachten Menge aufgeknüpft zu werden, mit den grimmigen Worten abtat: »Auch mit dem Strick können sie das Urteil nicht mehr aus der Welt schaffen.«

General Sutter erlitt einen leichten Herzanfall. Das Urteil, der Tumult im Gerichtssaal und die Flucht hatten ihn überfordert. Geschwächt sank er auf eine Couch.

»Du musst sofort zur Hock-Farm aufbrechen!«, beschwor er seinen Sohn und rang nach Luft. Die stählerne Klammer um seine Brust lockerte sich allmählich. »Tom und Viktor müssen gewarnt werden. Der Sieg vor Gericht wird das Land in Aufruhr versetzen. Sie müssen die Farm verlassen. Sie sind dort nicht mehr sicher.«

»Ich werde heute noch losreiten!«, versprach John Junior und triumphierte innerlich. Diesen Sieg hatte er errungen, und bevor er zur Farm aufbrach, wollte er sich das Urteil beschaffen. Er wollte es in den Händen halten und es Tom Wedding und seinem Bruder vorzeigen können.

General Sutter und Richter Thompson waren entkommen. Ihre gelungene Flucht versetzte die Menge in rasende Wut. Und schon kurz nach Ausbruch des Tumults im Gerichtssaal stand der Justizpalast in Flammen.

Die offene Rebellion brach aus. Zehntausende rotteten sich in den Straßen von San Francisco zusammen. Und Männer wie Cliff Bradley und Terence Jenkins taten alles, um den Hass der Menge und die Lust an Gewalt zu schüren. Sie ließen Alkohol in den Straßen ausgeben.

»Die Sutter-Brut muss ein für alle Mal ausgerottet werden!«, schrie Terence Jenkins. Und Zehntausende nahmen seinen Ruf mit Begeisterung auf und trugen ihn weiter.

Die Behörden waren machtlos. Niemand wagte, sich den entfesselten Menschenmassen entgegenzustellen, als öffentliche Gebäude und Archive in Flammen aufgingen und das Gefängnis gestürmt wurde.

Das Urteil wirkte wie eine gigantische Ladung Dynamit. Feuersbrünste loderten in San Francisco auf, Plünderer räumten ungestört Läden und Magazine aus. Und überall floss der Alkohol in Strömen.

Das Chaos erfasste alle Viertel. Wer es wagte, in einer der hitzigen Debatten, die an allen Straßenecken rund um ein offenes Fass Brandy oder Wein stattfanden, auch nur ein halbwegs gutes Haar an Sutter oder Thompson zu lassen, riskierte sein Leben.

»Tod der Sutter-Brut! Auf zur Hock-Farm!«, schallte es schließlich durch die Straßen. Und schwer bewaffnet zog die mordlüsterne und hasserfüllte Menge los.

Ein gewaltiger Strom zum Morden entschlossener Bürger setzte sich in Bewegung. Johlend schlossen sich auch diejenigen an, die weder etwas zu gewinnen noch zu verlieren hatten.

Auf ihrem Marsch zur Hock-Farm verbreitete sich die Nachricht vom Urteil in alle Himmelsrichtungen und die Menge erhielt in jeder Ortschaft und in jeder Siedlung weiteren Zulauf.

Als John Junior die Hock-Farm erreichte, ahnte er nicht, dass sein Vorsprung nur wenige Stunden betrug. Die Freude über den Sieg überwog seine Beunruhigung über den Aufruhr bei Weitem.

»Wir haben gewonnen! Wir haben gewonnen!«, schrie er, als er durch das Tor der Farm galoppierte und sein Pferd in einer Staubwolke vor dem Haus zum Stehen brachte. Er sprang aus dem Sattel.

Tom Wedding und Viktor bestürmten ihn mit Fragen. Die Nachricht war so sensationell, dass sogar ein kühler Denker wie Tom Wedding Begeisterung zeigte.

Als sie schließlich die Gefahr erkannten, die ihnen drohte, war es schon zu spät. Die Vorhut der Bande, die die Stärke einer Armee hatte, war schon ins Tal eingedrungen und hatte den Männern von der Farm jegliche Fluchtwege abgeschnitten. Alles, was sich ihnen in den Weg stellte, wurde getötet. Feldarbeiter und Tiere.

Tom Wedding verspürte zum ersten Mal in seinem Leben nackte Todesangst, als er die gewaltige Menge erblickte, die auf die Farm von mehreren Seiten zuströmte. Im Licht der Nachmittagssonne blitzten in den Händen der Männer Waffen verschiedenster Art: Revolver, Gewehre, Messer, Spaten und Eisenstangen.

Ganz sicher war allen der Tod gewiss. Tom Wedding wusste das. Doch er wollte nichts unversucht lassen.

»Wir müssen etwas unternehmen!«, stieß er mit rauer Stimme hervor, als die Massen immer näher rückten.

»Das … das ist das Ende!«, keuchte John Junior mit tonloser Stimme. Todesangst verzerrte sein Gesicht. Auf dem Papier vermochte er tapfer wie ein Löwe zu kämpfen, doch vor Gewalt hatte er Angst.

»Reiß dich zusammen!«, fuhr Tom Wedding ihn an. »Geht ins Haus und bewaffnet euch. Bringt alles in den südlichen Seitentrakt. Munition, Gewehre und Revolver. Falls es zum Kampf kommt, wollen wir unser Leben so teuer wie möglich verkaufen!«

Viktor zitterte am ganzen Leib. Sein Gesicht wurde plötzlich zu einer hasserfüllten Maske. »Ich habe es gewusst!«, schrie er. »Ich habe gewusst, dass Dad uns mit seinem fanatischen Gerechtigkeitssinn den Tod bringen wird. Wo ist er jetzt? Verflucht …«

Tom Wedding gab ihm eine schallende Ohrfeige. »Feigling!«, zischte er.

Benommen taumelte Viktor die Stufen zur Veranda hoch und folgte seinem Bruder ins Haus. Sie räumten den Gewehrschrank im Zimmer ihres Vaters leer und schleppten die Waffen und mehrere Patronenkisten in den Südtrakt, der zum größten Teil aus Steinen und Lehmziegeln errichtet war und deshalb einem Feuer wenig Nahrung bot.

Mit Entsetzen beobachteten die Brüder, wie Tom Wedding der aufgebrachten Menge entgegenging. Er wollte mit den Wortführern sprechen, mit ihnen verhandeln.

Der Mob jedoch wollte Blut sehen.

»Hängt ihn auf!«, gellte es aus tausend Kehlen und mehr.

Ein Schuss krachte und Tom Wedding schrie getroffen auf. Die Kugel hatte ihn in der Hüfte erwischt. Er wollte zurück ins Haus fliehen, aber er kam nicht weit.

Die Männer in der vordersten Reihe stürmten ihm nach und rissen ihn zu Boden. Fäuste rammten sich in Tom Weddings Magen. Der Blutrausch erfasste sie.

»An den Galgen mit ihm!«

Tom Wedding wurde hochgerissen. Man schleifte ihn zu einer Eiche, die zwanzig Meter vor dem Haus stand. Ein Strick wurde über einen kräftigen Ast geworfen.

Tom Wedding kämpfte um sein Leben. Er schlug wild um sich. Er schrie seine Todesangst hinaus, als sie ihm die raue Schlinge um den Hals legten.

»Hoch mit ihm!«, brüllte die Menge.

Einen Augenblick später war Tom Wedding tot.

Entsetzt schrie Viktor auf, ließ das Gewehr fallen und stürmte kopflos aus dem Zimmer. Tom Weddings grauenvoller Tod brachte ihn fast um den Verstand. »Ich will nicht sterben! Ich will nicht sterben!«, hämmerte es ununterbrochen in seinem Schädel. Und fieberhaft suchte er nach einem Fluchtweg. Gehetzt rannte er in die Stallung und versteckte sich dort.

John feuerte inzwischen in wilder Verzweiflung und Ausweglosigkeit in die Menge. Tränen der Wut und der Angst liefen ihm über das Gesicht.

Sofort erwiderten die wild gewordenen Männer das Feuer. Ein mörderischer Kugelhagel zwang John augenblicklich in Deckung. Ununterbrochen beschossen die Männer das Fenster und nagelten ihn damit im Zimmer fest. Die Geschosse fetzten den Boden auf und rissen lange Splitter aus dem Fensterrahmen. Querschläger sirrten durch den Raum.

Zitternd presste sich John in die tote Ecke des Zimmers. Widerstand war zwecklos. Als er laute Stimmen im Haus hörte, wusste er, dass sein Ende nur noch eine Sache von wenigen Minuten war. Doch er wollte nicht so sterben wie Tom Wedding.

John nahm einen Revolver, spannte den Schlaghammer und steckte sich den Lauf in den Mund. Seine Lippen umschlossen das kalte Metall. Er unterdrückte einen Brechreiz und krümmte den Finger um den Abzug.

Tot kippte er zur Seite weg.

Viktor gelang die Flucht aus den Stallungen, als die Plünderer über den Besitz herfielen und alle Zimmer des Hauses nach Wertgegenständen durchwühlten. Was nicht mitgenommen werden konnte, wurde zertrümmert und in Brand gesteckt.

Viktor kam jedoch nicht weit. Am Feather River erkannte man ihn. Als er sich über den Fluss zu retten versuchte, traf ihn eine Kugel und er ertrank.

Eine gewaltige Feuerwoge raste über Sutters Land hinweg. Alles wurde in Schutt und Asche gelegt, auch die Farmen und Ranches derjenigen, die als Sutter-Freunde bekannt waren oder nur als solche verdächtigt wurden.

Die Rinderherden wurden sinnlos niedergemacht, die Weinberge verwüstet und die Felder niedergebrannt. Die Vernichtungswut kannte keine Grenzen. Ein fürchterlicher Blutrausch erfasste die Menschen. Arbeiter, die in Sutters Diensten standen und den Lynchern in die Hände fielen, wurden erbarmungslos aufgehängt.