Ludwig Bechstein

 

Märchen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

Covergestaltung: nexx verlag gmbh, 2014

 

ISBN/EAN: 9783958706118

 

Rechtschreibung und Schreibweise des Originaltextes wurden behutsam angepasst.

 

www.nexx-verlag.de

 

 

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Der Wolf und die sieben Geißlein.

Es ist einmal eine alte Geiß gewesen, die hatte sieben junge Zicklein, und wie sie einmal fort in den Wald wollte, hat sie gesagt: »Ihr lieben Zicklein, nehmt euch in acht vor dem Wolf und lasst ihn nicht herein, sonst seid ihr alle verloren.« Danach ist sie fortgegangen.

 

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Nach einer Weile rappelt etwas wieder an der Haustür und ruft: »Macht auf, macht auf, liebe Kinder! Euer Mütterlein ist aus dem Wald gekommen!« Aber die sieben Geißlein erkannten's gleich an der groben Stimme, dass das ihr Mütterlein nicht war und haben gerufen: »Unser Mütterlein hat keine so grobe Stimme!« Und haben nicht aufgemacht.

 

Nach einer Weile rappelt's wieder an der Tür und ruft ganz fein und leise: »Macht auf, macht auf, ihr lieben Kinder! Euer Mütterlein ist aus dem Wald kommen!«

 

Aber die jungen Geißlein guckten durch die Türspalte und haben ein paar schwarze Füße gesehen und gerufen: »Unser Mütterlein hat keine so schwarzen Füße!« Und haben nicht aufgemacht.

 

Wie das der Wolf, denn er war es, gehört hat, ist er geschwind hin in die Mühle gelaufen und hat die Füße ins Mehl gesteckt, dass sie ganz weiß worden sind. Danach ist er wieder vor die Tür gekommen, hat die Füße zur Spalt hineingesteckt und hat wieder ganz leise gerufen: »Macht auf, macht auf, ihr lieben Kinder! Euer Mütterlein ist aus dem Wald kommen!«

 

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Und wie die Geißlein die weißen Füße gesehen haben und die leise Stimme gehört, da haben sie ja gemeint, ihr Mütterlein sei's und haben geschwind aufgemacht. Aber kaum haben sie aufgemacht gehabt, so ist der Wolf hereingesprungen. Ach, wie sind da die armen Geißlein erschrocken und haben sich verstecken wollen! Eins ist unters Bett, eins unter den Tisch, eins hinter den Ofen, eins hinter einen Stuhl, eins hinter einen großen Milchtopf und eins in den Uhrkasten gesprungen. Aber der Wolf hat sie alle gefunden und gefressen. Hernach ist er fortgegangen, hat sich in den Garten unter einen Baum gelegt und hat angefangen zu schlafen.

 

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Wie hernach die alte Geiß aus dem Wald zurückgekommen ist, hat sie das Haus offen gefunden und die Stube leer, da hat sie gleich gedacht, jetzt ist's nicht geheuer, und hat angefangen ihre lieben Zicklein zu suchen, sie hat sie aber nicht finden können, wo sie auch gesucht hat, und so laut sie auch gerufen hat, es hat keins Antwort gegeben.

 

Endlich ist sie in den Garten gegangen, da hat der Wolf noch gelegen unterm Baum und hat geschlafen und hat geschnarcht, dass alle Äste gezittert haben; und wie sie näher zu ihm gekommen ist, hat sie gesehen, dass etwas in seinem Bauch gezappelt hat. Da hatte sie eine Freude und dachte, ihre Geißlein leben wohl noch. Jetzt ist sie geschwind hinein ins Häuslein gesprungen, hat eine Schere geholt und hat dem Wolf den Bauch aufgeschnitten, da sind ihre sieben Geißlein eins nach dem anderen herausgesprungen und haben alle noch gelebt. Danach hat die Alte geschwind sieben Wackelsteine geholt, hat sie dem Wolf in seinen Bauch gesteckt, und hat den wieder zugenäht.

 

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Wie der Wolf munter wurde, hatte er Durst und ist an den Brunnen gegangen, um zu trinken, aber wie er einen Schritt gegangen ist, da haben die Wackelsteine in seinem Bauch angefangen, zusammenzuschlagen, und da hat er gesagt:

 

»Was rumpelt, was pumpelt in meinem Bauch?
Ich hab' gemeint, ich hab' junge Geißlein drein,
Und jetzt sind's nichts als Wackelstein'!«

 

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Und wie nun der Wolf an den Brunnen gekommen ist und hat trinken wollen, so haben ihn die Wackelsteine hineingezogen und er ist ersoffen. Und die alte Geiß ist mit ihren Zicklein vor Freude um den Brunnen herumgetanzt.

 

Der Schmied von Jüterbog.

Im Städtlein Jüterbogk hat einmal ein Schmied gelebt, von dem erzählen sich Kinder und Alte ein wundersames Märlein. Es war dieser Schmied erst ein junger Bursche, der einen sehr strengen Vater hatte, aber treulich Gottes Gebote hielt. Er tat große Reisen und erlebte viele Abenteuer, dabei war er in seiner Kunst über alle Maßen geschickt und tüchtig. Er hatte eine Stahltinktur, die jeden Harnisch und Panzer undurchdringlich machte, welcher damit bestrichen wurde, und gesellte sich dem Heer Kaiser Friedrichs I. zu, wo er kaiserlicher Rüstmeister wurde und den Kriegszug nach Mailand und Apulien mitmachte.

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Dort eroberte er den Heer- und Bannerwagen der Stadt und kehrte endlich, nachdem der Kaiser gestorben war, mit vielem Reichtum in seine Heimat zurück. Er sah gute Tage, dann wieder böse, und wurde über hundert Jahre alt. Einst saß er in seinem Garten unter einem alten Birnbaum, da kam ein graues Männlein auf einem Esel geritten, das sich schon mehrmals als des Schmiedes Schutzgeist bewiesen hatte. Dieses Männchen herbergte bei dem Schmied und ließ den Esel beschlagen, was jener gern tat, ohne Lohn zu heischen. Darauf sagte das Männlein zu Peter, er solle drei Wünsche tun, aber dabei das Beste nicht vergessen. Da wünschte der Schmied, weil die Diebe ihm oft die Birnen gestohlen, es solle keiner, der auf den Birnbaum gestiegen, ohne seinen Willen wieder herunter können – und weil er auch in der Stube öfters bestohlen worden war, so wünschte er, es solle niemand ohne seine Erlaubnis in die Stube kommen können, es wäre denn durch das Schlüsselloch. Bei jedem dieser törichten Wünsche warnte das Männlein: »Vergiss das Beste nicht!« und da tat der Schmied den dritten Wunsch, sagend: »Das Beste ist ein guter Schnaps, so wünsche ich, dass diese Bulle niemals leer werde!«

 

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»Deine Wünsche sind gewährt«, sprach das Männchen, strich noch über einige Stangen Eisen, die in der Schmiede lagen, mit der Hand, setzte sich auf seinen Esel und ritt von dannen.

 

Das Eisen war in blankes Silber verwandelt. Der vorher arm gewordene Schmied war wieder reich und lebte fort und fort bei gutem Wohlsein, denn die nie versiegenden Magentropfen in der Bulle waren, ohne dass er es wusste, ein Lebenselixier.

 

index-11_1.pngEndlich klopfte der Tod an, der ihn so lange vergessen zu haben schien; der Schmied war scheinbar auch gern bereitwillig, mit ihm zu gehen, und bat nur, ihm ein kleines Labsal zu vergönnen und ein paar Birnen von dem Baum zu holen, den er nicht selbst mehr besteigen könne aus großer Altersschwäche. Der Tod stieg auf den Baum, und der Schmied sprach: »Bleib droben!« denn er hatte Lust, noch länger zu leben. Der Tod fraß alle Birnen vom Baum, dann gingen seine Fasten an, und vor Hunger verzehrte er sich selbst mit Haut und Haar, daher er jetzt nur noch so ein scheußlich dürres Gerippe ist. Auf Erden aber starb niemand mehr, weder Mensch noch Tier, darüber entstand viel Unheil, und endlich ging der Schmied hin zu dem klappernden Tod und vereinbarte mit ihm, dass er ihn in Zukunft in Ruhe lasse, dann ließ er ihn los. Wütend floh der Tod von dannen und begann nun auf Erden aufzuräumen. Da er sich an dem Schmied nicht rächen konnte, so hetzte er ihm den Teufel auf den Hals, dass dieser ihn hole. Dieser machte sich flugs auf den Weg, aber der pfiffige Schmied roch den Schwefel voraus, schloss seine Tür zu, hielt mit den Gesellen einen ledernen Sack an das Schlüsselloch, und wie Herr Urian hindurchfuhr, da er nicht anders in die Schmiede konnte, wurde der Sack zugebunden, zum Amboss getragen, und nun ganz unbarmherziglich mit den schwersten Hämmern auf den Teufel losgepocht, dass ihm Hören und Sehen verging, er ganz mürbe wurde und das Wiederkommen auf immer verschwur. Nun lebte der Schmied noch gar lange Zeit index-12_1.jpgin Ruhe, bis er, wie alle Freunde und Bekannte ihm gestorben waren, des Erdenlebens satt und müde wurde.

 

index-13_1.jpgMachte sich deshalb auf