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Rainer M. Schröder

Die letzte Fahrt des Captain Kidd

Roman

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Weitere Titel von Rainer M. Schröder bei hockebooks

Dschingis Khan

König der Steppe

ISBN: 978-3-95751-176-8

Rainer M. Schröder erzählt die aufregende Geschichte des wohl berühmtesten mongolischen Herrschers. Eines Tages soll Temudschin die Nachfolge seiner Vaters antreten und über dessen Stammesgebiet herrschen. Bis dahin wächst er nach dem harten Gesetz der Steppe auf, lernt Bogenschießen, Reiten und Jagen. Doch der Traum von der Herrschaft scheint früh ausgeträumt zu sein: Der Junge ist gerade einmal dreizehn Jahre alt, als sein Vater von feindlichen Tantaren vergiftet wird. Aber Temudschin gibt nicht auf: Nach blutigen Stammesfehden und reichen Beutezügen schließen sich ihm von allen Seiten immer mehr Krieger an – bis er schließlich zum Khan aller Mongolen ernannt wird: zum Dschingis Khan.

Sir Francis Drake

Pirat der Sieben Meere

ISBN: 978-3-95751-177-5

Francis Drake – allein der Name des Freibeuters und Entdeckers lässt die Feinde Englands in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts erzittern. Francis Drake überfällt und plündert, angetrieben von persönlichem Ehrgeiz und einem unbändigen Hass auf alles Katholische, die spanischen Kolonien in der Karibik und in Mittelamerika. Im Auftrag der Königin Elisabeth I. macht er sich im Jahre 1577 erneut auf zu einem Beutezug in die Karibik. Doch oft ist es ungewiss, wie die Reise enden wird. Nicht nur die Unwägbarkeiten des Wetters drohen, das Unternehmen zum Scheitern zu bringen, sondern auch Verrat und politische Intrigen. Wenn Francis Drake und seine Mannschaft es schaffen, wieder in den Hafen von Plymouth einzulaufen, liegt hinter ihnen das größte Abenteuer ihrer Zeit: die Umseglung der Welt.

Die Galgeninsel

ISBN: 978-3-95751-178-2

Die Eltern des 15-jährigen David Cooper sind in der englischen Stadt Plymouth der Pest zum Oper gefallen. Deshalb soll der Junge von einem entfernen Verwandten in Barbados aufgenommen werden. David hat sich nur widerwillig auf die Reise gemacht, denn ihm ist der Plantagenbesitzer James Inglethorpe als rechthaberischer Mann in Erinnerung geblieben. Als das Handelsschiff Rose, das David nach Barbados bringen soll, kentert, wird er von Freibeutern aus dem Karibischen Meer gefischt. Schnell freundet sich der Junge mit Captain Ben Melvin und der Crew der Golden Sea an. Doch was für David als großes Abenteuer beginnt, wird schnell bitterer Ernst: Als sie auf einer einsamen Insel stranden, beginnt für die gesamte Mannschaft der Kampf ums Überleben …

Der Autor

Rainer M. Schröder
Rainer M. Schröder

Rainer M. Schröder alias Ashley Carrington zählt mit einer Gesamtauflage in Deutschland von fast sechs Millionen zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Schriftstellern von Abenteuerromanen, Jugendbüchern sowie historischen Romanen. Nach ersten Bucherfolgen in den 80ern ließ er sich mit seiner Frau Helga in den USA nieder und verbrachte einige Jahre auf seiner Farm in der Halbwildnis von Süd-Virginia, dem Ausgangspunkt zahlreicher Abenteuerreisen, bei denen er unter anderem zwischen Kuba und Key West erfolgreich nach versunkenen Schätzen getaucht hat, in einer Goldmine in den Bergender Sierra Nevada gearbeitet hat oder abenteuerliche Reisen auf eigene Faust durch den Amazonas, Australien und die südlichen Länder Afrikas unternommen hat. Heute lebt Rainer M. Schröder mit seiner Frau in Palm Coast / Florida.

Unter dem Galgen

»Auf, auf! Der Strick wartet schon!«, grölte Joe Simonton am Nachmittag desselben Tages. Es war der 23. Mai 1701, der Tag der Hinrichtung. »Die frische Luft am Galgen wird uns guttun!« Er lachte, und seine Stimme überschlug sich und wurde zu einem schrillen, hysterischen Kreischen.

Captain Kidd, Darby Mullins und Joe Simonton wurden aus ihrer Zelle geführt und durch die düsteren Gänge des Gefängnisses eskortiert. Man hatte ihnen die Hände auf dem Rücken gefesselt.

Kidd fühlte eine eigentümliche Leere in sich. Der Wärter hatte ihm eine Flasche billigen Gin besorgt, und Kidd hatte sie sich mit Mullins geteilt. Sie waren jetzt fast so betrunken wie Joe Simonton, und das war gut so.

Vor den Toren von Newgate drängte sich eine riesige Menschenmenge. Eine Hinrichtung war in London stets ein Volksfest und zählte zu den beliebtesten Vergnügen der armen, aber auch der reichen Bürger.

Tausende hatten sich vor dem Gefängnis angesammelt und warteten schon seit Stunden darauf, endlich diesen angeblich blutrünstigen Erzschurken und Piraten William Kidd mit eigenen Augen zu sehen.

Als die drei Verurteilten im Torbogen von Newgate auftauchten, ging ein Schrei durch die Menge. Der Pöbel brüllte ihnen die übelsten Verwünschungen zu und sang Spottlieder. Andere jedoch drängten sich nahe an den schwarzverhangenen Schinderkarren, auf den die drei Männer nun gestoßen wurden, und schrien nach Goldmünzen, Ringen und Edelsteinen. Es geschah gar nicht so selten, dass zum Tode verurteilte Mörder und Piraten ihre letzten Geldmünzen und manchmal sogar Edelsteine in die Menge warfen. Doch keiner der drei hatte auch nur noch einen Penny in der Tasche.

Der Zug setzte sich langsam in Bewegung. An der Spitze fuhr der stellvertretende Marschall der Admiralität in einer offenen Kutsche. Ihm folgte der Henker namens Cheeke. Und dann kam der Schinderkarren mit den Verurteilten, von bewaffneten Konstablern begleitet, die die Menge, so gut es ging, zurückdrängten.

Im Schritttempo zog die Prozession, gefolgt vom Londoner Pöbel, nach Wapping, wo der Galgen direkt an der Themse stand. Die Luft war erfüllt vom Gebrüll der Menschen, während der Zug sich durch die Elendsviertel von London bewegte, um den Bürgern Achtung vor dem Gesetz einzuflößen.

Zwei Stunden brauchte die makabre Prozession, um den Richtplatz zu erreichen. Der Galgen ragte aus dem Schlick der Themse, und Reverend Paul Lorrain wartete schon am Fuß des Gerüstes. Er hatte die Hoffnung auf ein Geständnis von Kidd immer noch nicht aufgegeben.

Zwei Konstabler zerrten Kidd nun vom Karren unter den Galgen und legten ihm die Schlinge um den Hals. Und dann tat der Henker seine Pflicht.

Doch kaum fühlte Kidd, wie sich die Schlinge um seinen Hals zuzog, als der Strick plötzlich unter seinem Gewicht riss und er in den matschigen Schlick am Fuß des Galgens stürzte.

Die Schaulustigen schrien vor Überraschung auf. So etwas war ganz nach ihrem Geschmack. Hier bekamen sie endlich einmal etwas geboten, ohne einen Penny zahlen zu müssen. Und sie hatten für den vom Unglück verfolgten Kidd nichts als Hohn und Spott übrig.

Vom Alkohol und Sturz halb betäubt, richtete sich Captain Kidd mühsam auf. Vor seinen Augen verschwamm alles. Es war wie ein schrecklicher Alptraum, als man ihn zum zweiten Mal zum Galgen zerrte und zwang, die Leiter erneut hochzusteigen.

Diesmal hielt der Strick.

Als kein Leben mehr in ihm war, schnitt ihn der Henker vom Galgen, kettete den Leichnam an einen Pfahl direkt am Wasser, so dass Ebbe und Flut dreimal über die Leiche spülen konnte, denn so befahl es das Gesetz der Admiralität.

Nachdem das geschehen war, wurde der mit Teer bestrichene Leichnam, von Ketten und einem eisernen Harnisch gehalten, an einem Galgen in Tilbury Point aufgehängt. Nun konnte jeder, der die Themse befuhr, das abschreckende Mahnmal sehen. Und es hieß, Kidd hätte dort jahrelang gehangen …

Die Hölle von Newgate

Der Tag der Hinrichtung dämmerte herauf. Fahlgraues Licht verdrängte allmählich die tiefschwarzen Schatten der Nacht vor dem winzigen vergitterten Fenster, das hoch oben in der Mauer der Kerkerzelle eingelassen war. Schmutziggraue Wolken hingen über dem Londoner Gefängnis Newgate, einer Stätte des Grauens und des Todes, vor der sich sogar die abgebrühtesten Schwerverbrecher fürchteten. Zu Recht.

Captain William Kidd hatte die ganze Nacht über kein Auge zugetan. Frierend kauerte der zum Tode Verurteilte in einer Ecke der Zelle auf einer dünnen Schicht feuchten Strohs. Es war eiskalt. Die rauen Wände, die zum Teil mit Schimmel bedeckt waren, hielten noch die Kälte der Nacht in ihren mächtigen Steinquadern.

Neben Kidd lag eine stämmige, sehnige Gestalt in dünner verschlissener Kleidung. Es war sein langjähriger Gefährte und ehemaliger Steuermann Darby Mullins, der sich nun auf dem Stroh zu regen begann und sich hustend aufrichtete.

»Dreimal zur Hölle mit diesen elenden Heuchlern, die uns in den Kerker von Newgate gebracht haben!«, stieß Darby Mullins hervor und fuhr sich über die brennenden und geröteten Augen. Auch Darby Mullins hatte in dieser Nacht keinen Schlaf gefunden.

»Wenn sie uns noch länger hierbehalten«, fuhr er fort, »brauchen sie keinen Galgen mehr. Dann verrecken wir bereits hier in diesem Loch!« Er fluchte lauthals, doch dann erstickte ein heftiger Hustenanfall seine lästerlichen Flüche.

»Sie werden es nicht wagen, Darby«, erwiderte Captain Kidd und bemühte sich, seiner Stimme einen zuversichtlichen Klang zu geben.

Kidd zog den mehrfach geflickten schwarzen Samtrock, der während der langen Kerkerhaft übel zugerichtet worden war, fester um seine noch immer kräftigen Schultern. Die Haftzeit war jedoch nicht spurlos an ihm vorübergegangen. In sein ehemals wettergegerbtes Gesicht, das nun von kränklich bleicher Farbe war, hatten sich unzählige tiefe Falten eingegraben. Sein Haar hatte sich zudem stark gelichtet und hing ihm in schmutzigen Strähnen in die Stirn. Doch in seinen Augen war die Flamme der Hoffnung noch immer nicht erloschen.

»Sie werden es nicht wagen? Habe ich Euch recht verstanden, Captain?«, machte sich nun der dritte Mann in der Zelle bemerkbar, den man erst vor wenigen Tagen zu Kidd und Mullins in den Kerker geworfen hatte. Es war Joe Simonton, ein pockennarbiger Pirat der übelsten Sorte.

Joe Simonton lachte rau. »Hängen werden sie uns, Captain. Uns alle! Und auf Euren Kopf ist der Pöbel von London ganz besonders scharf, Captain. Der Strick ist Euch gewiss.«

Kidd ersparte sich eine Antwort, und Joe Simonton zog eine noch halbvolle Flasche Branntwein aus seiner Rocktasche, setzte sie an die rissigen Lippen und trank gierig. Irgendwie war es Simonton gelungen, sich mehrere Flaschen von diesem billigen scharfen Fusel zu besorgen. Im Gefängnis von Newgate war alles möglich, denn die Wärter waren bestechlich und nahmen, was sie von den Gefangenen bekommen konnten.

Auch Kidd hatte in seiner Verzweiflung versucht, den Aufseher zu bestechen. Immerhin war er ein vermögender, ja reicher Mann. Aber er war zu bekannt, als dass der Gefängnisaufseher ihn für eine Kiste Goldstücke hätte laufen lassen können – wie das bei kleineren Fischen sonst möglich war. Das ehrwürdige Geschworenengericht von Old Bailey hatte ihn für schuldig befunden, schwerste Piraterie begangen zu haben, und zum Tode durch den Strang verurteilt. Es war ein aufsehenerregender Prozess gewesen, der auch politische Auswirkungen gehabt hatte.

»Wir hätten den einflussreichen Londoner Gentlemen, diesen Hundesöhnen, niemals Glauben schenken, sondern mit dem Gold verschwinden sollen«, sagte Darby Mullins mit Bitterkeit, als die Sonne langsam höher stieg und sich der morgendliche Nebel aufzulösen begann. »Deine ehrwürdigen Freunde haben uns an den Teufel verkauft, um ihre eigene schmutzige Haut zu retten. So sieht es aus, Captain.«

Darby Mullins hatte sich angewöhnt, Kidd mit Captain anzusprechen, obwohl sie Freunde waren und schon so manches Gefecht Seite an Seite durchgestanden hatten. Aber auch im Angesicht des Galgens würde Mullins von dieser Gewohnheit nicht abgehen.

Kidd schüttelte den Kopf. »Daran kann und will ich einfach nicht glauben, Darby. Und noch haben wir die Schlinge nicht um den Hals.«

»Aber bald!«, rief Joe Simonton aus der gegenüberliegenden Ecke des Kerkers und griff wieder zur Flasche. Gurgelnd rann der scharfe Branntwein durch seine Kehle. Seit Tagen schon ersäufte er seine Todesangst in Alkohol, denn auch ihm war der Galgen gewiss.

Kidd schwieg und starrte geistesabwesend hinüber auf die Wand.

Darby Mullins rückte näher zu ihm und fragte leise: »Du denkst an diesen feinen Pinkel Jack, nicht wahr?«

Kidd nickte gedankenversunken.

»Zum Teufel mit diesem Burschen!«, fluchte Darby Mullins. »Keinen Viertelpenny Silber gebe ich noch für seine verlogenen Versprechungen!«

»Abwarten, Darby«, erwiderte William Kidd.

Wenige Tage vor Prozessbeginn hatte Kidd eine merkwürdige Begegnung gehabt. Ein gewisser Jack Brownigton hatte ihn im Kerker besucht und sich als Advokat vorgestellt. Er war teuer gekleidet und hatte Kidd gewarnt, vor den Geschworenen die Wahrheit zu sagen. Schließlich hatte Kidd mit Jack Brownigton, der sicherlich ganz anders hieß, einen Handel geschlossen: Kidds Schweigen für die Sicherheit seiner Familie, sein eigenes Leben und das seines Gefährten Darby Mullins. Der Advokat hatte den Handel angenommen.

»Sie wollten unser Schweigen vor Gericht, Captain«, sagte Mullins grimmig. »Und das haben sie bekommen. Und jetzt werden sie uns endgültig zum Schweigen bringen – mit einem Hanfstrick!«

Joe Simonton hatte Mullins verbitterte Worte mitgehört. Er rülpste laut. »Hängen ist gar nicht so schlimm, wenn man sich erst mal daran gewöhnt hat.« Er lachte heiser, als hätte er einen besonders gelungenen Witz gemacht. Doch in seinen Augen stand ein irres Flackern.

Kidd und Mullins ignorierten ihn und fielen in ein brütendes Schweigen. Ihnen blieb nichts weiter übrig, als zu hoffen und zu warten. Aber warten in Newgate – das war die Hölle auf Erden. Vor fünfhundert Jahren hatte man das Gefängnis gebaut, und seitdem hatte sich hier nichts geändert. Noch immer liefen offene Wasserkanäle mitten durch die Zellen, und brutale Wärter und Seuchen forderten mehr Todesopfer als der Galgen. Ein unvorstellbarer Gestank erfüllte die Kerker, in denen es von Ungeziefer nur so wimmelte.

Die drei zum Tode Verurteilten schreckten auf, als auf dem Gang vor den Zellen Schritte laut wurden. Sie hörten das Rasseln von Schlüsseln. Metall schlug gegen Metall, als die massiven Riegel der Zellentür zurückgeschoben wurden. Die Tür schwang auf.

Der hagere Aufseher stand im Lichtschein der Laternen, die den Gang erhellten. Hinter ihm warteten mit ausdruckslosen Gesichtern zwei bewaffnete Wärter.

Der Aufseher befahl mit barscher Stimme: »Folgt mir, Captain Kidd! Man will Euch sprechen.«

Kidd griff nach seiner dreckigen Perücke, stülpte sie hastig über sein strähniges Haar und sprang auf. Er wagte nicht zu fragen, um wen es sich bei diesem »man« handelte. Es konnte nur Jack Brownigton sein, der gekommen war, um sein Versprechen einzulösen. Kidd warf Darby Mullins einen bedeutungsvollen Blick zu.

»Bis nachher, Captain!«, grölte Joe Simonton ihm nach und schwang seine nun fast leere Branntweinflasche. »Am Galgen!«

Captain William Kidd trat hinaus auf den Gang. Und während er dem wortkargen Aufseher folgte, eskortiert von den bewaffneten Wärtern, wanderten seine Gedanken zurück in die Vergangenheit, zurück in die Zeit, als er auf dem Höhepunkt seiner Macht stand und noch nichts von den Dingen ahnte, die mit dem Kommando über das unglückselige Schiff Adventure Galley auf ihn zukommen würden.

Und wenn er es recht überlegte, begann eigentlich alles mit jenen dramatischen Ereignissen im Sommer 1689. Gut zwölf Jahre lag das nun schon zurück, doch ihm war, als wäre es erst gestern gewesen …

Segel voraus!

»Klar Schiff zum Gefecht!«

Laut hallte das Kommando über das Deck der englischen Fregatte Shark. Captain William Kidd, der Eigner des stolzen Dreimasters, stand mit gespreizten Beinen und hinter dem Rücken verschränkten Armen auf dem Achterdeck. Aufmerksam beobachtete er, wie seine Mannschaft das Schiff in Gefechtsbereitschaft brachte.

Es gab nichts zu beanstanden. Jeder wusste, was er zu tun hatte und wo sein Platz war. Zahlreiche Seegefechte hatten sie zu einer kampferprobten Gemeinschaft zusammengeschmiedet.

Nackte Füße eilten über das Deck und die Stufen des Niedergangs hinunter. Pulver, Kugeln und Handwaffen wurden an Deck geschleppt. Die Geschützmannschaften nahmen die Mündungsschoner von den 12-Pfündern, luden sie, öffneten die Stückpforten und rannten die Kanonen aus. Die Lunten lagen bereit.

Die Planken wurden begossen, damit feindliche Geschosse kein Feuer entfachen konnten. Und dann streuten die Männer Sand über das Deck. Wenn es zum Kampf kam, sollte keiner im Blut der Verletzten und Toten ausgleiten.

»Haltet Kurs Südsüdwest, Mullins!«, rief Kidd dem Steuermann am Ruder zu.

Darby Mullins, ein stämmiger Mann, der nur aus Muskeln und Sehnen zu bestehen schien und mit nacktem sonnengebräuntem Oberkörper hinter dem Ruder stand, nickte ernst. »Aye, aye, Captain! Kurs Südsüdwest.«

Tom Bone, der Segelmacher mit dem knöchrigen Körperbau und dem fast zahnlosen Gebiss, trat zu Kidd auf das Achterdeck. Sein Gesicht schien zu glühen. »Gleich werden diese verdammten Froschfresser unsere Breitseite zu schmecken bekommen!«

Kidd verzog das Gesicht. »Noch liegt der Kampf vor uns, Bone. Pierre d’Avernas ist kein leichter Gegner. Er versteht es, eine Klinge zu führen und selbst dem Teufel ein Ohr abzusäbeln.«

Der Segelmacher spuckte verächtlich über Bord. »Das wird ihm heute wenig nützen, Captain … mit Verlaub gesagt. Der Teufel soll mich holen, wenn wir ihn nicht dahin schicken, wo dieser Franzmann hingehört … in die Hölle nämlich!«

Darby Mullins lachte zustimmend. »Diesmal sitzt Pierre d’Avernas in der Falle. Und er ahnt es noch nicht einmal.«

»Schiff gefechtsbereit, Captain!«, meldete der Geschützmeister James Brewer, den alle nur Scotty nannten, weil er auf seine schottische Heimat nichts kommen ließ.

Scotty war ein Hüne von einem Mann. Mehrere Narben bedeckten seinen muskulösen Oberkörper. Seine Hände waren wie die Pranken eines Grizzlys. Mit einem wuchtigen Fausthieb vermochte er einen ausgewachsenen Mann ins Jenseits zu schicken. Er trug ein buntes Halstuch und eine schwarze Perle im rechten Ohr.

Kidd nickte zufrieden und musterte ihn mit einem kaum merklichen Lächeln. Scotty hatte sich schon mit einem mächtigen Entermesser und zwei geladenen Musketen bewaffnet, die hinter seinem breiten Gürtel steckten.

»Du kannst es kaum abwarten, nicht wahr?«

Scotty lachte. »Es wurde Zeit, dass uns dieser Bastard endlich vor die Rohre segelt, Captain. Der Franzmann hat eine Menge englische Schiffe in den Grund gebohrt.« Er deutete mit dem Kopf zu der Besatzung an den Geschützen hinunter. »Die Männer können es kaum erwarten. Haben lange keinen Pulverrauch mehr gerochen.«

»Vielleicht bekommen wir heute mehr Pulver zu schmecken, als uns recht sein kann«, erwiderte Captain Kidd. »Wenn d’Avernas gewarnt ist, wird er uns einen heißen Empfang bereiten, den wir so schnell nicht vergessen werden.«

»Pah!«, knurrte Tom Bone. »Wir werden ihn zu den Fischen schicken, Captain … mit Verlaub gesagt.« William Kidd setzte das Fernrohr an die Augen. Gut drei Meilen voraus lag eine langgezogene, bewaldete Insel, die zur Bahama-Gruppe gehörte. Unbewohnt, aber mit Frischwasserquellen. Ein ideales Versteck für einen Piraten. Nur Pech für Pierre d’Avernas, dass er, William Kidd, diese Insel mit der versteckten Bucht kannte.

D’Avernas hatte jahrelang als gefürchteter Pirat die karibischen Gewässer unsicher gemacht. Auf eigene Rechnung. Jetzt, wo Frankreich und England im Krieg miteinander lagen, gehörte er sozusagen zur französischen Kriegsflotte. Doch das änderte nichts an der Tatsache, dass er ein skrupelloser Pirat war, der sich weniger um sein Vaterland als vielmehr um reiche Beute kümmerte.

Kidd starrte zur Insel hinüber. Die bewaldete Landzunge, die weit ins Meer hinaussprang und die stille Bucht schützte, kam näher und näher. Hatte d’Avernas Posten aufgestellt? Ahnte er vielleicht schon, dass sich ihm die Shark mit ausgerannten Geschützen näherte?

Captain Kidd schob das Fernrohr mit einer energischen Bewegung zusammen. Er würde es darauf ankommen lassen müssen. Kidd hatte sich in den letzten Jahren einen Namen als mutiger und erfolgreicher Kapercaptain gemacht. Ein Sieg über Pierre d’Avernas’ Schiff, die Fregatte Esperance, würde ihm zur Ehre gereichen. Und er war fest entschlossen, die Esperance zu nehmen.

»Wir befinden uns in Luvposition, und da will ich während des ganzen Gefechtes möglichst auch bleiben«, sagte Kidd nun an Darby Mullins gewandt.

»Aye, aye, Captain! Von diesen Froschfressern werden wir uns nicht aussegeln lassen«, versicherte Darby Mullins und gab Stützruder.

Kidd blickte nun den Geschützmeister an, der scheinbar gedankenverloren die schwarze Perle in seinem rechten Ohrläppchen drehte.

»Wir wissen nicht, was uns erwartet. Jedenfalls nicht genau. D’Avernas ist ein gerissener Hund, das muss man ihm lassen. Er versteht sein blutiges Piratenhandwerk. Sonst hätte er sich nicht so lange in diesen Gewässern behaupten können.«

Scotty zog die buschigen Augenbrauen hoch. »Worauf wollt Ihr hinaus, Captain?«

»Dass die erste Breitseite aus unseren Rohren die entscheidende sein wird«, erklärte William Kidd schärfer als beabsichtigt. Die nervliche Anspannung kurz vor einem derart gefährlichen Gefecht machte sich auch bei ihm bemerkbar. »Vermutlich wird sie sogar den Ausgang des Kampfes bestimmen.«

Scotty erlaubte sich den Anflug eines stolzen Lächelns. »Mit allem Respekt, Captain, das wissen die Männer. Die Breitseite wird sitzen, darauf verwette ich meine Perle!«

»Wenn die Esperance Gelegenheit erhält, mit voller Feuerkraft zu antworten, wird von der Shark nicht mehr viel übrig bleiben, was sich lohnt, eingesammelt zu werden. Mach das den Geschützmannschaften klar, Scotty!«

»Eigentlich ist das nicht nötig«, sagte Scotty, »aber ich werde ihnen noch einmal Feuer unter dem Achtersteven machen.« Er verließ das Achterdeck und begab sich anschließend von einem Geschütz zum anderen. Kidd vermochte deutlich zu hören, wie Scotty den Männern vor Augen führte, was ihnen bei einer misslungenen Breitseite blühte. Kielholen war noch die mildeste Strafe, die er denjenigen Kanonieren androhte, die ihre Kugel nicht mitten in den hölzernen Bauch des französischen Schiffes jagten.

Kidd trat wieder an die Backbordreling und spähte zur Insel hinüber. Von weitem ähnelte sie einem mächtigen Wal, der aufgetaucht war und mit seinem von Seetang bedeckten Buckel ruhig im Wasser lag. Verfilztes, scheinbar undurchdringbares Dickicht reichte bis ans Wasser hinunter. Plötzlich fiel ihm ein, dass im Nordwesten ein langes halbkreisförmiges Unterwasserriff eine natürliche und gefährliche Barriere bildete und die Bucht von Norden her schützte.

Er schickte deshalb einen Mann nach vorn zum Bug, der mit einem Lot darüber wachen sollte, dass die Shark immer genügend Wasser unter dem Kiel hatte.

EsperanceShark