Elisabeth

Hauer

Franz

spricht

Roman

titel

IMPRESSUM

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ISBN 9783990400289

© 2012 by Styria premium

in der Verlagsgruppe Styria GmbH & Co KG

Wien · Graz · Klagenfurt

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Lektorat: Reinhard Deutsch

Cover- und Buchgestaltung: Bruno Wegscheider

Coverfoto: iStockphoto/​spooh

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2014

Alle Rechte vorbehalten

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Ich kannte das Haus...

Franz spricht

Elisabeth Hauer

Ich kannte das Haus. Ich kannte seine Bewohner. Aber ich wusste nicht, was dort geschehen war.

Ich wohnte am Land, schon seit meiner Geburt. In einem kleinen, stillen Ort, der keine Bedeutung hatte. Mein Vater war Lehrer, er musste jeden Morgen in die nahe gelegene Kreisstadt fahren, um am dortigen Gymnasium zu unterrichten. Meine Mutter war zu Hause. Das war damals so üblich. Heute ist alles ganz anders, aber ich bin ja schon ziemlich alt. Meine Mutter also war den ganzen Tag über bei uns. Bei meinem Bruder und mir. Mein Bruder, zwei Jahre jünger als ich, hieß Paul. Ich heiße Peter, man hat uns wahrscheinlich wegen der beiden Kalenderheiligen, deren Feiertag der 29. Juni ist, so genannt. Meine Eltern waren fromm, der sonntägliche Kirchgang war auch für uns Kinder Pflicht.

Es fällt mir schwer, meinen Bruder Paul, der bereits tot ist, zu beschreiben. Wir haben uns nie gut verstanden. Eine Fremdheit war zwischen uns, die wir zu keiner Zeit, auch nicht, als wir bereits erwachsen waren, überwinden konnten. Wahrscheinlich lag es daran, dass Paul weder meinem Vater noch meiner Mutter glich. Auch keinem anderen Familienmitglied. Ich bin überzeugt, dass er sich von mir in allen Eigenschaften unterschied. Das zeigte sich schon in unserem Äußeren. Er hatte dunkles, fast schwarzes Haar, ich ziemlich helles, das hell blieb, auch als ich erwachsen wurde. Paul war kräftig, er wuchs sehr rasch. Ich war von Geburt an schwächlich, ein Sorgenkind. Er gedeiht nicht richtig, sagte mein Vater oft. Erst mit siebzehn machte ich einen ziemlichen Wachstumsschub und erreichte eine mittlere Größe. Meine Kräfte waren gering. Deshalb arbeitete ich später oft in unserem kleinen Garten, was Paul stets ablehnte. Schon als Kind zog er sich gern in die Mansarde zurück, die wir gemeinsam bewohnten.

Dort spielte er, später las er und wollte durch mich nicht gestört werden.

Ich muß es zugeben. Als Kind war ich oft krank und quengelig. Ich war überzeugt, dass man mir mehr Anteilname zukommen lassen müsse als ihm. Dieser Ansicht war auch meine Mutter. Als er noch klein war, rächte sich Paul mit wildem Geschrei. Später zog er sich in die Mansarde zurück. Lang hing ich an der Kittelfalte meiner Mutter. Du verwöhnst ihn, das hat keinen Sinn, meinte mein Vater, wie soll er sich da besser entwickeln.

Heute kann ich meinen Vater verstehen.

Seltsam war, dass meine Mutter meinen Bruder Paul nie so richtig mochte. Gut, er war manchmal wild und ungehorsam. Aber ihr Tadel war heftiger, als es die Situation verlangte. Das erkannte ich bald. Mir gefiel meine Bevorzugung. Später, als Paul sich immer mehr zurückzog, erkannte ich, dass meine Mutter oft Unrecht hatte. Ich sagte es ihr, und sie begann zu weinen. Ich wollte dann nicht mehr darüber reden.

Unser Haus, nicht groß, aber ordentlich, stand am Ende einer schmalen, nur von Sand bedeckten Straße. Da war nicht viel los, Autos waren noch selten. Manchmal rasselte ein Leiterwagen vorbei oder ein anderes bäuerliches Fahrzeug. Ich spielte fast nie auf dieser Straße, Paul oft. Er hatte viele Freunde aus der Umgebung, meistens aus Arbeiterfamilien. Im nächsten Ort, einige Kilometer von unserem entfernt, gab es eine Fabrik, die Metallwaren verschiedener Art erzeugte. Dort gab es auch eine vom Fabrikbesitzer für die Arbeiter errichtete Siedlung, sie bestand aus kleinen Häusern, von denen eines am anderen klebte. Winzige Gärten erlaubten den Anbau von Gemüse. Die Familien, die dort wohnten, hatten oft Streit, ihre Kinder waren laut und unkompliziert.

Pauls bester Freund kam von dort. Er hieß Franz, und ich konnte ihn vom ersten Augenblick an nicht leiden, obwohl er anfänglich auch meine Freundschaft suchte. Aber bald erkannte er, dass da nichts zu machen war. Er ging mir aus dem Weg. Manchmal sah ich ihn mit Paul auf der sandigen Straße Fußball spielen. Ich ging dann rasch vorbei.

Dieses Schreiben macht mich müde. Aber ich habe mir fest vorgenommen aufzuzeichnen, was Miriam, meine Tochter, noch nicht erfahren hat. Ich glaube, es könnte sie interessieren. Oder sogar überraschen. Was weiß ich denn vom Interesse der nächsten und übernächsten Generation. Ich darf mir nichts vormachen. Müde bin ich auch, weil ich allein lebe. Seit vielen Jahren. Man gewöhnt sich zwar daran. Aber es gibt soviel zu tun, Kleinigkeiten, die ich einfach nicht mehr machen will. Ich muß aber gestehen, dass mir dieses Aufschreiben ferner Ereignisse eine gewisse Freude bereitet. Nicht nur, weil ich die Worte, mit denen ich sie berichte, selbst auswählen darf. Auch weil ich glaube, dass das, was ich zu berichten habe, wichtig ist. Damit kommt auch mir eine gewisse Bedeutung zu. Bin ich noch immer klug, habe ich noch immer was zu sagen. Eine zynische Frage, würden andere vielleicht denken. Ich werde es nicht erfahren. Jetzt sollte ich mir Tee machen. Tee. Das Säckchen von gestern kann ich noch einmal aufgießen.

Leider hat der Tee meinen Geist nicht richtig aufgeweckt. Aber ich habe ja Zeit. Viel Zeit. Ich werde eben morgen weiter schreiben. Wie spät. Achtzehn Uhr. Da hat mich meine Frau immer gefragt, ob sie das Abendessen richten soll. Ich habe stets Ja gesagt. Trotzdem hat sie diese Frage nie aufgegeben. Gewohnheit. Gewohnheit auch, wenn ich jetzt zum Fenster gehe, um einen Blick auf die Straße zu werfen. Kein Garten mehr da wie früher. Wäre auch zu anstrengend gewesen für uns beide im fortgeschrittenen Alter. Da ist diese kleine Wohnung schon besser. Überhaupt jetzt. Für mich allein. Ich darf nicht vergessen, mir heute noch zu notieren, was morgen getan werden muss. Vor allem, wie ich fortfahren soll mit der Aufzeichnung dieser so seltsamen Ereignisse. Ich müsste, ja, ich müsste mit der Beschreibung meines Bruders fortfahren, ich glaube, das wäre gut. Wie lang ist er schon tot. Ich weiß es nicht mehr genau. Ist nicht so wichtig.

Miriam hasste die Fahrt mit der U-Bahn, jeden Tag und jeden Tag. Nur am Wochenende nicht. Das Aufstehen um sieben Uhr früh, alles mitnehmen in der großen, schweren Handtasche, die sie nicht mehr täglich ausräumte, weil es ihr zu mühsam war. Die vielen Menschen im Waggon, die stickige Luft. Meistens hatte sie keinen Sitzplatz und musste sich an einen Haltegriff klammern, der schon von vielen verschwitzten Händen berührt worden war. Der Geruch. Der Geruch war das Ärgste. Sie versuchte dann, so lang es ging, die Luft anzuhalten, aber es half nicht wirklich. Auf der Straße dann war es nicht viel besser. Immerhin konnte sie sich rasch bewegen, das Gehen tat ihr gut. Stets war sie ein wenig zu früh im Büro. Sie setzte sich einige Minuten lang ruhig hin und versuchte den kommenden Tag anzunehmen.

An diesem Tag Besuch beim Vater, dachte sie. Nein, nicht heute. Sie würde es noch einmal verschieben.

Sie hatte ein Kind, ein kleines Mädchen, Klara, fünf Jahre alt. Es besuchte den Kindergarten, ganztägig. Abends holte sie es ab. Eine große Freude jedes Mal für beide.

Franz

spricht

Bin ihm immer aus dem Weg gegangen. Auch als Paul schon tot war. Immer aus dem Weg gegangen. Komisch. Als wir jung waren, lebte er in meiner Nähe. Jetzt, da wir alte Männer sind, wohnt er wieder in meiner Nähe. Habe ich nicht gewollt. Aber vorher nicht gewusst. Sonst wäre ich nicht hierher gezogen. Vom Land in die Stadt. Wo ich mich nicht wohl fühle. Ich möchte wieder aufs Land. Tag und Nacht will ich aufs Land. Das müssen Sie mir glauben. Schön, dass Sie heraufgekommen sind zu mir. Ihren Besuch habe ich gern. Wie geht es Ihnen? Hat das geklappt mit der Unterstützung? Noch immer nicht. Wird schon werden. Jetzt frag ich Sie.

Was hätte ich tun sollen, vorgestern, als er mir über den Weg gelaufen ist. Hätte ich hingehen und sagen sollen Servus Peter? Das hab ich nicht über mich gebracht. Und vielleicht hätte ich noch fragen sollen, wie es ihm geht. Unmöglich. Er hat mich nicht erkannt, glaub ich. Nein, er hat mich sicher nicht erkannt. Sie kennen ihn ja nicht, aber wenn Sie ihn kennen würden, würden Sie mich verstehen. Der verfolgt mich ein Leben lang. Ein Leben lang. Wissen Sie, was das heißt? Ich bereue jetzt die Scheidung von meiner Frau. Nicht so lustig hier, in dieser Wohnung. Und sie hat jetzt das Haus. Lang hat sie es schon, dieses Haus. Viele Jahre. Ein Haus auf dem Land. Wissen Sie, was das heißt, ein Haus auf dem Land? In der Gegend, wo ich hergekommen bin? Ein Traum ist das, ein Traum. Aber reden wir wieder von Ihnen. Wo gehen Sie spazieren? Soll ich jetzt woanders spazieren gehen? Dort, wo ich ihn bestimmt nicht mehr treffe? Ich überlege das ganz kühl. Ich war nämlich einmal ein Arbeiter, und der weiß immer, was er tut. Er muß es wissen. Sonst kommt er unter die Räder. So lang her ist das alles. Unglaublich lang her.

»

Wenn Miriam ihre Tochter gebadet hatte, versteckte sich Klara stets unter dem Badetuch und wollte es nicht hergeben. Das war ihr tägliches Spiel. Komm schon, sagte Miriam und trug sie ins Bett. Bleib noch bei mir sitzen, Mama, sagte Klara. Erzähl mir was. Miriam dachte nach. Welche Geschichte, fragte sie, such dir eine aus. Du suchst aus, sagte die Kleine. Nun musste sie sich konzentrieren. Das fiel ihr schwer nach dem langen Arbeitstag. Aber was sie dann erzählte, war Klara recht. Später setzte sie sich noch mit einem Buch ins Wohnzimmer. Aus dem Radio kam klassische Musik. Sie konnte sich nicht auf die Musik, nicht auf das Buch konzentrieren. Sie ging zum Schreibtisch, um ihre Ausgaben aufzuschreiben. Sie wusste, dass es nutzlos war, aber sie musste es tun. Das Telefon läutete. Eine Frau, die sie flüchtig kannte, die in ihrem Leben aber eine entscheidende Rolle gespielt hatte, überschüttete sie mit einem Schwall drohend klingender Worte.

Zwei, drei Minuten hörte sie zu, dann legte sie auf. Sie drehte das Radio ab und versuchte wieder zu lesen. Es gelang ihr nicht. Dann saß sie ganz still, die Finger ineinander verschränkt, sie wollte an nichts denken und wusste, es würde ihr nicht gelingen. Die Worte, die sie eben gehört hatte, hatten sich in ihrem Kopf festgesetzt. Sie sagte sich vor, sie könne sie nicht verstehen, obwohl sie sie längst verstanden hatte. Sie nahm diese Worte mit in die Nacht.

Jene Frau, der die Villa gehörte, war noch immer eine schöne Frau. Über vierzig Jahre alt, man sah es ihr nicht an. Sie hatte sehr jung geheiratet. Ihr Mann Paul war um einiges älter als sie, sie hatte ihn aber nicht aus Berechnung zum Mann genommen. Er hatte ihr gefallen, sein noch immer dunkles Haar, seine sportliche Figur hatten sie beeindruckt, seine Belesenheit, seine Bildung, die sich stets in seinen Gesprächen zeigten, hatten ihr imponiert. Fast war es eine Liebesheirat, auch von ihrer Seite. Sie wusste, als seine Frau würde sie ein anderes Leben führen können als bisher, sie würde sich viele Wünsche erfüllen können. In den ersten Monaten ihrer Ehe hatte sie sich ernstlich bemüht, ihm in jeder Hinsicht zu gefallen. Sie las die Bücher, die er für sie aussuchte, sie kleidete sich dezenter als früher, sie machte einen Kochkurs und bemühte sich, mit einer Hilfe das Haus in Ordnung zu halten. Das gefiel ihm. Er sagte ihr, dass er glücklich sei.

Er sagte ihr, dass er sich ein Kind wünsche. Das entsprach nicht ganz ihren Vorstellungen. Aber sollte es so kommen, dachte sie, würde sie es akzeptieren. So vergingen die ersten zwei Jahre. Der Kinderwunsch ihres Mannes schien nicht in Erfüllung zu gehen. Sie begann sich zu langweilen.

Eines Tages, nach dem Besuch bei Pauls Eltern, wollte sie noch einen Spaziergang machen. Der alte Gymnasialprofessor hatte sie mit seinen Sprüchen genervt, von seiner Frau wurde sie stets mit Misstrauen betrachtet. Nun wollte sie frische Luft, allein sein und nicht von ihrem Mann begleitet werden. Sie wusste, er würde sie verstehen.

Wie immer schlug sie den Weg zur Metallwarenfabrik ein, die immer noch arbeitete. Das weitläufige, unansehnliche Gebäude übte eine eigenartige Faszination auf sie aus. Bröckelnde Steine, weit aufgerissene Tore, der Blick in riesige verschmutzte Höfe, die voll von Gerümpel waren. Hier war sie schon oft gewesen, der Weg von der Villa bis hierher war nicht weit.

Diesmal war es bereits Abend. Der Weg, der zur Fabrik führte, war von Gras und Unkraut bewachsen. Nur selten fuhr noch ein Lastwagen dorthin. Das Gras dämpfte die Schritte, die Dämmerung begann, es war, als ginge sie in einen dichten Schatten hinein. Angst kam in ihr auf. Sie wollte umkehren und blieb stehen. Sie wollte weglaufen und machte keinen Schritt. Es war ihr heiß und kalt zugleich. Dann hörte sie, dass jemand näher kam. Sie erkannte die Umrisse eines Mannes.

Eva, sagte er, was machst du da. Ich bin es, Franz.

Heute Nacht schlief ich ziemlich schlecht. Jener Albtraum war wieder da, der mich schon oft gequält hat. Ich wollte eigentlich über Paul schreiben, versuchen, seinen Charakter nachzuzeichnen. Vielleicht ist es besser, ich schreibe meinen Traum nieder.

Eine Art von Befreiung. Auch in diesem Traum kam Paul vor.

Ich erinnere mich. Es war ein Sonntag. Wie gewohnt besuchten wir mit unseren Eltern die Messe. Damals waren Paul und ich noch in der Volksschule. Richtige Kinder also. Der Pfarrer war auch unser Religionslehrer. Ich hatte die Erstkommunion seit zwei Jahren hinter mir, Paul hatte erst vor kurzem das Sakrament empfangen. Wie üblich bekam ich jedes Mal nach der Beichte und dem anschließenden Bußgebet ein Heiligenbild. Maria, Josef, das Jesuskind oder irgendein Märtyrer, meist umgeben von Lilien und Myrthen, waren darauf abgebildet. Das Sammeln solcher Bilder hatte damals für uns Kinder noch einen gewissen Reiz. Wir zeigten sie einander, tauschten sie und rühmten uns ihrer Zahl. Klar, dass ich Paul meine Sammlung zeigte. Er schien nicht interessiert. Ich fragte ihn, ob er auch schon solche Bilder habe. Nein, antwortete er. Wieso, fragte ich. Der Herr Pfarrer hat mir keine gegeben, sagte er. Warum, fragte ich. Weil ich sie nicht haben wollte, sagte er.

Die Szene, wie Paul vor dem Pfarrer steht und die Bilder ablehnt, träumte ich heute Nacht.

Sie zeigte auch mich, wie ich zu meiner Mutter rannte und ihr von Pauls Verhalten erzählte. Der Traum ging allerdings nicht weiter und die Bilder der Strafe, die mein Vater Paul auferlegte, blieben mir erspart. Entschuldigung beim Pfarrer, drei Tage Hausarrest, zwei Wochen kein Spiel auf der Straße. So war es damals. Paul zeigte sich nicht geknickt. Ich war es umso mehr. Als ich dann schon zehn Mal Sei mir nicht bös gesagt hatte, gab ich auf. Ich weiß nicht, ob Paul mir verziehen hat. Wir redeten nicht mehr über diese Sache. Ich habe auch später kein Heiligenbild mehr bei ihm gesehen.

Handlungen, die ich nicht verstand, hat es noch oft bei Paul gegeben. Sehr oft.

Heute sollte meine Tochter kommen, sie rief aber an, dass sie keine Zeit habe. Es wird schon wahr sein, sie hat viel Arbeit im Büro und nachher das Kind. Den Grund für ihre Scheidung kenne ich bis heute nicht. Ich war nicht dafür, sie hatte wahrscheinlich ihre Gründe. Darüber hat sie nicht gesprochen. Was meinen Schwiegersohn betrifft, kann ich mir vorstellen, dass sie es nicht leicht mit ihm hatte. Auch wer der Vater des Kindes ist, weiß ich nicht. Jedenfalls ist sie nicht mehr mit ihm zusammen.

Ich liebe meine Tochter. Ich liebe sie sehr.

Auf der Autobahn war ein Personenwagen sehr rasch unterwegs, mit ungefähr hundertsechzig Stundenkilometern. Knapp vor der nächsten Raststätte kam das Auto ins Schleudern und überschlug sich. Der Fahrer, ein Mann von ungefähr fünfundvierzig Jahren, war sofort tot. Die Polizei fand in seinem Wagen weder persönliche Dokumente noch den Führerschein. Man stellte fest, dass der Wagen als gestohlen gemeldet worden war. Die Identifizierung des Lenkers erwies sich als schwierig.

In einem Modegeschäft der Innenstadt langweilte sich die junge Mitarbeiterin. Seit einer Stunde war keine Kundin mehr gekommen. Mit spröden Fingern rückte sie Stöße von Pullovern zurecht, drapierte ein teures Kleid, für das sich noch niemand interessiert hatte, über einen mit Seide bezogenen Stuhl. Dann stellte sie sich vor den großen Wandspiegel, um Frisur und Make-up zu korrigieren. Später sah sie zum Fenster der Auslage hinaus auf die Straße. Sie schien auf jemanden zu warten. Nach einer Weile ging sie zurück in den Personalraum des Geschäftes. Sie kochte Kaffee, den sie, noch sehr heiß, mit vorsichtigen, kleinen Schlucken trank.

Nach fast einer Woche meldete eine Tageszeitung, dass es sich bei jenem Mann, der bei dem Unfall auf der Autobahn mit einem gestohlenen Wagen ums Leben gekommen war, um den fünfzigjährigen Heinz K. gehandelt hatte. Der Diebstahl war vorerst rätselhaft, da Heinz K., ein vermögender Wirtschaftstreibender, selbst ein teures Auto besaß. Heinz K. war geschieden und hinterließ keine Familie. Der rechtmäßige Besitzer des total beschädigten Wagens würde Ansprüche an seine Versicherung stellen, die Polizei weiter ermitteln.

Die Angestellte des Modegeschäftes nahm eine Woche Urlaub. Da sie nach der abgelaufenen Zeit nicht wieder kam und weder über Festnetz noch Handy erreichbar war, nahm die Besitzerin des Modegeschäftes eine neue Kraft auf.

Franz

spricht

Gut, dass Sie da sind. Wissen Sie, was passiert ist? Sie wissen es natürlich nicht. Also.

Ich gehe einkaufen. Nicht viel. Brot, Eier, Milch. Und Bitterschokolade, mein einziger Luxus. Kennen Sie diese Bitterschokolade in der roten Hülle, in dieser Hülle mit Goldbuchstaben? Wirklich, der einzige Luxus, den ich mir leiste. Also zwei Tafeln nehme ich mit. Sie kennen diese Bitterschokolade wirklich nicht? Die hat es schon in meiner Jugend, in meiner Kindheit gegeben. Ich gehe also mit meiner Plastiktasche, die nehme ich immer, denn mit einem Korb, nein. Am Sonntag, aber nicht an jedem Sonntag, hat mir meine Mutter ein paar Groschen gegeben. Die habe ich dann gespart, und wenn ich genug für eine Bitterschokolade beisammen hatte, habe ich sie gekauft. Im kleinen Keller unseres Siedlungshauses habe ich mich versteckt und sie dort gegessen. Wäre anders nicht gegangen. Bei den vielen Geschwistern. Einmal habe ich die Schokolade aus lauter Gier schon auf dem Weg nach Hause ausgepackt. Da ist der Peter vorbeigegangen, der mich sonst nie angeschaut hat. Dieses eine Mal hat er hergeschaut zu mir. Die esse ich auch gern, hat er gesagt. Und hat mir die Schokolade, ganz langsam, ganz sanft, aus der Hand genommen. Und ich habe es mir einfach gefallen lassen. Was sagen Sie dazu. Sie finden keine Worte. Kann ich verstehen. Ich habe es dem Paul erzählt, der hat mir eine neue Schokolade gekauft. Das hat mich ein wenig getröstet. Aber heute, auf dem Weg nach Hause, mit der Bitterschokolade in der Plastiktasche, ist mir das wieder eingefallen. Ganz kurz bin ich stehen geblieben, um Atem zu holen. Und ich habe gedacht, wenn jetzt der Peter vorbeikommt, gehe ich zu ihm hin und erzähle ihm die Geschichte. Das würde ich tun. Aber er ist nicht gekommen. Haben Sie ihn in letzter Zeit gesehen? Ja, stimmt, Sie kennen ihn ja nicht.

»

Jenes Mädchen, welches nach einer Urlaubswoche nicht mehr im Modegeschäft erschienen war, hieß Dagmar und war eine Freundin des tödlich verunfallten Heinz K.

Schon seit längerer Zeit hatte sie beobachtet, dass Heinz K. sich verändert hatte. Er war einsilbig, jähzornig und ging nicht mehr auf sie ein. Gerade seine Eigenschaft, sich ihr gegenüber interessiert und voller Anteilnahme zu zeigen, vor allem aber sein nicht nur sexuelles Interesse an ihrer Person, hatten ihr imponiert. Sie fühlte sich durch ihn aufgewertet. Das war, nach einer Reihe von eindeutig auf ihren Körper ausgerichteten Beziehungen, für sie besonders wichtig. Nachdem sie während ihrer Urlaubswoche vergeblich auf ihn gewartet hatte, konnte sie sich kaum aus ihrer Enttäuschung lösen.

Heinz K. hatte ihr verboten, ihn in seiner Firma oder zu Hause anzurufen. Manchmal hatte er sie vom Geschäft abgeholt. Aber nur, wenn er wusste, dass die Chefin nicht da war. Zu ihren von Mal zu Mal vereinbarten Treffen in Dagmars Wohnung war er stets pünktlich erschienen.

Erst als die Zeitung von seinem Unfalltod berichtete, wusste Dagmar, was geschehen war. Der gestohlene Wagen ging ihr nicht aus dem Sinn. Dieser Diebstahl lag, wenn sie an Heinz K. dachte, für sie außerhalb jeder Möglichkeit. Als die echte Trauer um seinen Verlust sich endlich etwas gemildert hatte, fasste sie den Entschluss, mehr über diesen seltsamen Tod erfahren zu wollen.

Wie sie es anstellen sollte, wusste sie nicht.

Es war ein ruhiger Nachmittag. Im Garten waren die Sommerblumen verblüht, der kommende Herbst zeigte sich im Fallen erster Blätter. Die Luft war klar und angenehm.

Eva, die Frau aus der Villa, hatte Besuch. Nette, gebildete Leute aus der Hauptstadt, die hier, in diesem Ort, ihr zweites Domizil hatten. Sie kamen meistens am Wochenende und zu den Feiertagen. Im Winter ließen sie ihre Häuser versperrt. Eva war eine perfekte Hausfrau. Wenn sie eine Jause richtete, hatte sie für Frühjahr, Sommer und Herbst jeweils das passende Geschirr. Diesmal deckte sie den Tisch noch auf der Terrasse, mit Steingut, auf dem bunte Blätter und späte Früchte zu sehen waren. Sie war nun allein, ohne Hilfe. Aber stets war alles bei ihr in Ordnung, immer gab es Blumen in den Vasen. Das war der Wunsch ihres ersten Mannes, Paul, gewesen, ihr war es zur Gewohnheit geworden.

Die Gäste kamen, ein Arzt mit seiner Frau, ein bekannter Musiker, die Besitzerin eines Restaurants, ein Rechtsanwalt mit seiner Freundin. Bei Tee und englischem Kuchen war die Unterhaltung noch förmlich, später, als Eva Wein und Gebäck reichte, wurden die Gespräche gelöster, fast vertraulich. Aus einem fernen Garten hörte man leise Musik.

Eva ging kurz ins Haus. Wie immer blickte sie im Vorbeigehen rasch in den großen Spiegel, der im Wohnraum hing. Sie wollte es nicht sehen, aber sie sah, dass die Falten um ihren Mund stärker geworden waren, sich tiefer eingegraben hatten. Im Badezimmer nahm sie einen Hauch von Puder und schloss während des Auftragens die Augen. Dabei hörte sie die laute Stimme des Anwalts, der von einem schwierigen Prozess erzählte.

Einen Augenblick lang glaubte sie, nicht mehr zu ihren Gästen hinausgehen zu können. Dann gab sie sich einen Ruck und ging mit festen Schritten zurück auf die Terrasse.

Der Anwalt erzählte später, dass er den so seltsam ums Leben gekommenen Heinz K. gut gekannt hatte. Von seinem Tod hörte Eva, die selten Zeitung las, zum ersten Mal.

Es gibt noch einige Kindheitserinnerungen, die mit Paul zu tun haben. Manches habe ich vielleicht vergessen, aber manches steht klar vor mir. Zum Beispiel. Die Mutter, die mich ihm meistens vorgezogen hat. Eines Tages sollte ich ein Paket von der Post abholen. Eifrig machte ich mich auf den Weg. Auch Paul wäre gern zur Post gelaufen. Die Mutter meinte, ich hätte mich zuerst für diesen Dienst angetragen, sein Angebot komme zu spät. Außerdem sei er ja oft auf der Gasse zu finden. Ich glaubte zu wissen, warum Paul das wollte. Wegen der kleinen Münze, die mir die Mutter dann gab.

In unserer Mansarde gab es nur einen einzigen Schrank, jeder von uns hatte ein Abteil zum Hängen für die Kleider, jeder eine Lade für die Wäsche. Diese Lade eignete sich gut, um gewisse Dinge zu verstecken, die verboten waren. Ein Messer, eine Schleuder, ein Feuerzeug und Ähnliches. Mich reizte es immer, in Pauls Lade nachzusehen, was es dort gab. Meistens gab es nichts Neues. Als ich mit dem Paket zurückkam und die Münze, wie aufgetragen, in mein Sparschwein geworfen hatte, bemerkte ich Paul, der im Garten herumtrödelte. Ich öffnete seine Lade. Ungeordnet lag seine Wäsche da. Bei mir lag sie, wie die Mutter es wollte, zu kleinen Stößen geschlichtet. Ich wühlte mich durch, um vielleicht ein neues, verbotenes Spielzeug zu finden. Nein, nicht dass ich ihn verraten wollte. Wirklich, nur aus Neugierde. Aber da war nichts. Gar nichts. Nicht einmal die alten Sachen waren da. Das hielt ich nicht aus. Ich musste ihn fragen und lief in den Garten. Paul saß auf einer Bank, den Kopf zurückgeworfen und schlenkerte mit den Beinen. Das tat er oft, und ich fragte ihn jedes Mal, was er dabei denke. Alles Mögliche, sagte er dann ohne mich anzusehen. Ich fand es lächerlich.

Erst als ich vor ihm stand, sah er auf. Wo sind deine Sachen, fragte ich. Welche, fragte er zurück. Die, die wir nicht haben sollen, antwortete ich. Die habe ich verschenkt, sagte er. An wen, fragte ich verblüfft. Franz, sagte er, als sei es selbstverständlich. Warum, fragte ich. Er ist mein Freund, sagte Paul. Aber der hat doch von diesen Sachen mehr als du, meinte ich. Jetzt hat er noch mehr, sagte Paul. Ich verstand ihn nicht. Und die Münze? fragte ich noch. Hättest du sie auch verschenkt? Klar, sagte Paul. Wieder an Franz? fragte ich. An wen sonst, sagte er.

Dieser Franz, dachte ich. Er nützt ihn aus. Er nützt meinen Bruder aus.

Er hätte ja auch mir alle diese Dinge geben können.

Ich will mich aber nicht schlecht machen. Kinder sind meistens Egoisten. Paul war vielleicht keiner. Paul war als Kind und später als Erwachsener nicht berechenbar. Niemals. Und nicht nur für mich. Ich muß jetzt abschweifen. Meine Enkelin Klara hat mich angerufen. Diese zarte Stimme am Telefon zu hören ist eine schöne Sache. Sie macht den Tag heller. Opa, sagte sie, wann kommst du uns besuchen. Wenn deine Mutter Zeit hat, antwortete ich. Aber ich habe immer Zeit, sagte sie. Das weiß ich, sagte ich, aber ihr müsst beide Zeit haben.

Kurze Stille. Ja, sagte sie dann. Die Mama ruft dich an. Gut, sagte ich und dachte vielleicht. Vielleicht.

Unlängst habe ich in den Sachen meiner Frau herumgestöbert. Viel ist nicht mehr da. Das meiste habe ich verschenkt, manches weggeworfen. Aber einige Kleider, die für mich eine besonders schöne Erinnerung bedeuten, habe ich aufgehoben. Ein Frühjahrskostüm – Kostüme sind heute lächerlich, ich weiß, ist aber schade – einen Bademantel, ein Nachthemd aus Seide, das sie immer mitnahm, wenn wir auf Urlaub fuhren, einen weißen Strohhut mit schwarzem Band. Den trug sie zur Hochzeit unserer Tochter. Sie verwendete stets ein bestimmtes Parfum, L’air du temps. Manchmal bilde ich mir ein, diesen Duft noch zu spüren.

Heute habe ich noch keinen Spaziergang gemacht. Ich müsste einmal die Richtung wechseln. Woanders hingehen. Ich frage mich aber wozu. Es geht um die Bewegung, die ich machen soll. Der Arzt verlangt es, meine Vernunft verlangt es. Vielleicht sollte ich versuchen, meine Vernunft auszuschalten. Ob das noch möglich ist. Wäre einen Versuch wert, aber nicht heute.

Ich sehe schon, ich schweife ab. Es soll nur ein Bericht werden, den ich schreibe, er soll von meinem Leben und von den Menschen, die es begleiteten, handeln. Ich müsste weiter über Paul berichten, der eine wichtige, nein, eine bedeutende Rolle für mich spielte. Er hat mein Leben stark beeinflusst. Auch durch seine Frau.

Es brennen zu viele Lichter in meiner Wohnung. Das ist nicht nötig. Ich werde sie ausschalten. Nur meine Bettlampe nicht, die brauche ich zum Lesen. Ich bin noch an Vielem interessiert. Was das betrifft, bin ich nicht nachlässig.

Meine Frau hat mich geliebt. Ich weiß es, sie hat mich geliebt.

Miriam fiel es in letzter Zeit immer schwerer, die Fragen ihrer Tochter zu beantworten. Warum habe ich keinen Papa, fragte Klara immer öfter. Seit sie den Kindergarten besuchte, wusste sie, dass die meisten Kinder einen Papa hatten. Du hast ja auch einen, sagte sie zu Miriam, ich weiß es, das ist der Opa. Die erste Antwort, die sie Klara gab, hielt nicht lang. Er sei auf Reisen, auf Reisen in sehr ferne Länder, hatte sie erklärt.

Wann kommt er zurück, hatte Klara gefragt. Noch lang nicht, hatte sie gesagt. Vor einigen Tagen hatte Klara gemeint, lang sei nun eigentlich vorbei. Die Antwort, es würde noch eine Weile dauern, hatte nicht die gewünschte Wirkung. Sie erkannte es an Klaras Blick. So geht es nicht weiter, dachte sie, nein, so geht es nicht weiter.

Seit Miriam dieser Anruf erreicht hatte, an jenem Abend, den sie nicht aus ihrer Erinnerung streichen konnte, dachte sie wieder öfter an ihren geschiedenen Mann. Die Scheidung lag nun zehn Jahre zurück. Schon bald nachher glaubte sie, sie hätte sich von ihm gelöst. Ganz gelöst, das wollte sie. So schien es auch zu sein, als sie Klaras Vater kennen lernte.

Es war eine stürmische Liebe, deren Ende sie voraussah. Als es dann kam, schneller als sie gedacht hatte, brach sie fast zusammen. Sie war schwanger.

Und allein in einer kleinen, ungemütlichen Wohnung. Der Freund war weg. Nicht mehr erreichbar. Zuerst sagte sie zu ihrem Vater, das Kind sei von ihrem geschiedenen Mann. Der Versuch einer Wiedervereinigung. Er glaubte ihr nicht. Sie gab es dann auf. Immer öfter sagte sie zu ihm vieles, was nicht stimmte. Manchmal hatte sie den Verdacht, dass er mehr wusste, als sie dachte. Aber es war gut so. Für beide.

Ihre Ehe war in gegenseitigem Einverständnis gelöst worden. Auf Unterhaltszahlungen hatte sie verzichtet. Später tat es ihr leid. Als sie allein war, ging es. Als dann das Kind kam, konnten sie gerade durchkommen. Ihr Vater gab ihr monatlich einen kleinen Betrag mit der Auflage, dass sie aufschreiben sollte, wofür sie ihn ausgegeben hatte. Das schadete ihrer Beziehung. So nett er zu Klara war, so oft er ihr auch kleine Geschenke machte, dieses Verhalten konnte sie ihm nicht verzeihen.

Dass ihr Exmann tot war, hatte sie aus der Zeitung erfahren. Sie wusste, das Erbe würde ziemlich umfangreich sein. Fabrik, Immobilien, Geldwerte. Ich hätte damals anders handeln sollen, dachte sie.

Etwas hatte der Tod ihres Exmannes in ihr bewegt. Etwas, von dem sie noch nicht wusste, was es war. Vielleicht war es auch die Stimme dieser Frau am Telefon gewesen. Eine Stimme, kalt und überheblich.

Franz

spricht

Verstehen Sie, ich lebe gesund. Das ist nicht schwer für mich, denn schon in meiner Kindheit war es so. Gemüse aus dem Garten, selbst gebackenes Brot, viel Erdäpfel, wenig Fett, manchmal Obst, Fallobst, das ich selbst aufklaubte. Fleisch selten. Manchmal Wurst. Kennen Sie diese billige Wurst, stark geräuchert, allerdings mit viel Speck drin, die man mit einem Taschenmesser schneiden kann. Mein Vater hat sie manchmal zur Arbeit mitgenommen. Den letzten Zipf, wo kaum noch was drinnen war, haben wir Kinder gekriegt. Das war schon gut. Heute bekommt man diese Art Wurst kaum mehr. Aber ich weiß einen Marktstand, wo sie manchmal noch verkauft wird. Dort schau ich öfter vorbei. Aber sonst. Wie Sie sehen. Gesunde Nahrung. Also ich bin ja noch ziemlich tätig. Habe meine kleine Werkstatt unten im Kellerabteil. Wollen Sie die einmal besichtigen. Nichts Besonderes, aber vielleicht originell. Ich habe nämlich die verschiedensten Metallsägen, auch elektrische und einen Schweißapparat. Damit mache ich meine Arbeiten. Kleine Kunstwerke, wenn ich so sagen darf, alles aus Metall. Eine Burg habe ich bereits gebaut. Das Modell eines Autos. Mercedes. Und sonst Kleinigkeiten, Häuser, Ställe, Zäune, alles aus Metall. Man kann das, was man gelernt hat, eben nicht vergessen und macht es im Kleinen weiter. Was man später lernt, alles nichts. Auch wenn man dazu gezwungen wird, wie ich. Haben Sie den Peter wieder einmal gesehen. Ja, stimmt, Sie kennen ihn nicht, ich vergesse es immer wieder.

Die Abende sind lang, sehr lang. Dann kommen immer so dumme Gedanken. Krankwerden, niemanden haben, der einem hilft. Ja, so ist es halt. Kommen Sie doch einmal am Abend herauf. Wir könnten dann Kartenspielen. Schnapsen vielleicht.

»

Sie hatte ein kleines Auto, schon seit Jahren. Es war schlecht gepflegt, dafür nahm sie sich nie Zeit. Nun aber wusch Dagmar den Wagen, putzte ihn innen und außen. Es ging ihr um die Arbeit, nicht um das Ergebnis. Seit sie vom Tod des Heinz K. wusste, war sie voller Unruhe. Sie dachte unentwegt daran, wie sie mehr darüber erfahren könnte. In jenen Zeitschriften, die über die Society berichteten, war nichts über Heinz K. zu finden. Was seine Person betraf, hatte er sich stets bedeckt gehalten. Die Polizei gab keine Auskunft über die näheren Umstände seines Todes. Es sei ein Unfall gewesen, darüber habe man berichtet.

An das Modegeschäft, an die Arbeit, die sie dort zu machen hatte, dachte Dagmar kaum noch. Beides gehörte nicht mehr zu ihrem Leben. Heinz K. hatte ihr einmal gesagt, dass er geschieden sei. Als sie mehr darüber hatte wissen wollen, hatte er gemeint, das gehe sie nichts an. Sie hatte nicht gewagt, weiter danach zu fragen. Er konnte sehr abweisend werden, er sprach dann fast nichts mit ihr. Das wollte sie nicht. Vor allem das Gespräch mit ihm, das sich nicht nur um banale Dinge drehte, war ihr wichtig geworden.

Sie war es nicht gewohnt, dass man mit ihr über wichtige Vorfälle des täglichen Lebens sprach, dass man vergangene Ereignisse erwähnte und von Theateraufführungen berichtete. Nicht alles war für sie verständlich. Aber alles interessierte sie. Nun interessierte sie die Ursache seines Todes. Ihr Gefühl sagte ihr, sie würde dann mehr von ihm wissen. Sie glaubte nicht an einen Unfall.

An einem Abend in Dagmars Wohnung hatte er erwähnt, dass er das nächste Mal nicht kommen könne, da er das Konzert eines bekannten Pianisten besuchen wollte. Kann ich da mit, hatte sie schüchtern gefragt. Später, hatte er gesagt. Vielleicht später.

Er wollte ja nie mit ihr gesehen werden. Vielleicht hätte es sich einmal geändert, dachte sie. Später.

Nach einer Nacht ohne Schlaf brach sie auf. Sie wollte zuerst ihre Schwester besuchen, die in einer ländlichen Kleinstadt wohnte.

Am Tag nach jener Einladung begann es zu regnen. Eva hatte es vorausgesehen und für die kommende Woche einige Termine in der Stadt ausgemacht. Sie liebte das Leben auf dem Land, aber nicht bei schlechtem Wetter. Dann fühlte sie sich allein, dann wusste sie wenig mit sich anzufangen. Wenn sie an der Bibliothek vorbeiging, streiften ihre Blicke gelangweilt die Bücher. Nach Pauls Tod hatte sie das Lesen fast aufgegeben. Tageszeitungen, Zeitschriften nahm sie gern zur Hand, abends im Bett, nach dem Mittagessen. Für sich selbst kochte sie kaum. Sie lebte von Toast, fettarmer Suppe und magerem Fleisch. Diese Speisen herzurichten machte ihr keine Mühe. Trotzdem fühlte sie sich nachher müde, und sie verbrachte ein bis zwei Stunden auf ihrer Liege. Manchmal schlief sie ein, nachher bedauerte sie es, sie glaubte etwas versäumt zu haben, wusste aber, dass es nicht so war. Ihr Handy war immer griffbereit. Im Frühling, im Sommer bekam sie viele Anrufe. Im Herbst, im Winter, wurde es still bei ihr. Dann halfen nur mehr ausgedehnte Besuche in der Stadt.

Die Bemerkung des Anwalts, der am Vortag berichtet hatte, dass Heinz K., den er persönlich gekannt hatte, so seltsam ums Leben gekommen war, hatte sie tief getroffen.

Es war lang her, dass er sich von ihr getrennt hatte. Noch vor dem Schlafengehen holte sie ihren Kalender und sah nach, wann genau diese Trennung stattgefunden hatte. Wichtige Ereignisse, die ihre Person betrafen, zeichnete sie immer auf. Sie hatte sich richtig erinnert. Vor zwei Jahren, an einem einundzwanzigsten Februar, einem Freitag, war es gewesen. Da war er nach einem langen Arbeitstag in der Firma noch zu ihr gekommen. Eine weite Fahrt. Sie hatte ihn nicht erwartet. Sie trug einen Hausanzug, ein teures Modell, sie hatte sich vor dem Abendessen noch einmal zurechtgemacht. Das tat sie immer, auch wenn sie allein an ihrem Couchtisch saß. Ein Sandwich, ein Glas Wein, eine CD mit sanfter Musik. Den Fernseher hatte sie noch nicht eingeschaltet.

Sie hörte, dass die Tür geöffnet wurde. Sofort dachte sie an Heinz K., der einen Schlüssel hatte. Sie erkannte seinen Schritt, hörte, wie er seinen Mantel aufhängte, die Schuhe an der Matte abstreifte. Sie wartete. Als er hereinkam, erschrak sie. Er sah blass aus, er hatte sich irgendwie verändert, sie hatte ihn seit mehreren Wochen nicht gesehen. Ab und zu hatten sie telefoniert, kurze Gespräche, wie geht es dir, was gibt es Neues. Dabei hatte er ganz normal geklungen, wie immer. Jetzt aber war es anders. Der Besuch, den er nicht, wie sonst, angekündigt hatte. Wie er sich dann langsam auf sie zu bewegte. Wie er sie mit heiserer Stimme fragte, ob er nicht störe. Wie er sich dann in einen der Fauteuils warf und stumm sitzen blieb, als hätte er ihre Gegenwart vergessen. Sie versuchte, ihn wie immer freundlich zu begrüßen.

Schön, dass du kommst, sagte sie. Wenn ich dich auch nicht erwartet habe, ich freue mich.

Du freust dich also, fragte er. Es klang, als würde er ihr nicht glauben.

Sie schwieg und wartete, dass er weiter sprach. Manchmal gab es solche Momente bei ihm, wo sie nicht wusste, was ihn bewegte. Meistens riss er sich zusammen und begann mit ihr zu plaudern, sprach über Dinge, die sie gern hörte, gesellschaftliche Ereignisse, Geschäftsreisen in ferne Länder, Pläne, wieder einmal ein neues Auto zu kaufen, noch größer, noch stärker. Nun blieb er still. Sie ließ ihn, wartete, dachte kurz daran, dass es wichtig sei, immer so auszusehen, als käme ein angemeldeter Besuch. Sie wippte mit dem Pantoffel, der an ihren Zehenspitzen hing und versuchte die Angst, die langsam in ihr aufstieg, zu unterdrücken.

Mit Heinz K. war irgendwas geschehen. Nichts Gutes, dachte sie, nein, nichts Gutes. Sie spürte das Klopfen ihres Herzens und gleichzeitig einen seltsamen Druck auf ihrer Brust.

Mir gefällt mein Leben nicht mehr, sagte er nach Minuten der Stille. So ist das. Es gefällt mir nicht mehr.

Evas Leben war sehr bewegt gewesen. Die Höhen hatte sie genossen, die Tiefen nicht ernst genommen. Aus kurzer Trauer war nie Schmerz geworden.

Sie schaute ihn an und wusste nicht, was sie sagen sollte. Er stand auf und ging auf sie zu.

Hast du mich verstanden? Mein Leben gefällt mir nicht mehr. Sie schluckte und war ratlos. Irgendwie spürte sie, dass sie die richtige Antwort nicht finden würde.

Setz dich bitte, sagte sie. Ich bring dir was zu essen.

Er setzte sich und verbarg den Kopf in seinen Händen. Die CD, die sie vor seinem Kommen eingelegt hatte, spielte noch immer. Sie spielte nun ein melancholisches Lied, und Eva hatte das Gefühl, sie müsste abdrehen, diesem Lied ein Ende machen, aber sie ging in die Küche und richtete ein Sandwich mit Salami und Schinken, dem sie besondere Aufmerksamkeit schenkte. Als sie damit in den Wohnraum zurückkam, war er aufgestanden und dabei, seinen Mantel anzuziehen.

Was machst du, was willst du, fragte sie überrascht.

Heimfahren, sagte er.

Ich verstehe nicht, sagte sie.

Er ging auf sie zu und strich über ihre Wange, dabei sah er sie nicht an. Du hörst von mir, meinte er noch.

Seither hatte sie ihn nicht mehr gesehen. In der Woche nach diesem Abend hatte sie einen Brief erhalten, in dem er erklärte, er fände keine Liebe, kein Verständnis bei ihr, hätte es nie gefunden. Trotzdem. Die Zeit mir ihr sei schön gewesen.

Die Erinnerung an Heinz K. war Eva nicht angenehm. Es geschah selten, dass sie einen Fehler bei sich suchte. Nachdem er sie verlassen hatte, hatte sie es kurz getan, war aber zu keinem Ergebnis gekommen.

Die Nachricht von seinem plötzlichen Tod verwirrte sie, und sie begann wieder, sich Gedanken über Heinz K. zu machen.

Ich habe jetzt nicht jeden Tag geschrieben, weil ich über meine Tochter nachdenken musste. Es ist so: Ich habe drei Tageszeitungen abonniert, komme aber oft nicht dazu, alle drei am Tag ihres Erscheinens zu lesen. Die gelesene Zeitung lege ich beiseite, die nicht gelesenen Zeitungen lege ich auf einen kleinen Tisch neben meinem Lehnstuhl. Am nächsten, am übernächsten Tag nehme ich sie mir vor. Stets lese ich sie alle, nie lasse ich eine aus. Wäre ja schade um das Geld. Aus diesem Grund habe ich nicht gleich von Heinz’ Unfalltod erfahren, die Zeitung, in der davon berichtet wurde, war bereits drei Tage alt. Abends rief ich Miriam zu Hause an, im Büro wollte sie keine Anrufe haben. Sie nahm nicht ab. Auch am Handy nicht. Das wunderte mich, sie hatte ja das Kind, wo sollte sie sein. Endlich, nach zwei Tagen, konnte ich sie erreichen. Ich weiß schon davon, sagte sie sofort, du brauchst es mir nicht zu sagen.

Hat es dich bewegt, fragte ich. Ja und nein, antwortete sie. Also hat es dich schon bewegt, sagte ich. Papa, warum glaubst du immer, du könntest in mich hineinschauen, sagte sie, und ich spürte ihre Abwehr. Ich brauche dich also nicht zu trösten, meinte ich. Nein, sagte sie, wirklich nicht. Und sonst, fragte ich weiter, geht es dir gut. Ja, wie immer, erwiderte sie.

Dieses Wie immer gefiel mir nicht. Hat mir noch nie gefallen. Deshalb begann ich über sie nachzudenken. Aber was hilft das schon. Beim eigenen Kind.

Noch immer bin ich nicht dazugekommen, ausführlich über Paul zu schreiben. Ich habe mir überlegt, dass eine allgemeine Beschreibung seines Charakters nicht viel bringt. Besser ist, ihn durch seine Entwicklung, durch seine Handlungen lebendig werden zu lassen. An so vieles, was ihn betrifft, kann ich mich erinnern, vieles, was zwischen uns vorgefallen ist, steht klar vor mir. Meistens war ich der vom Unrecht Betroffene. Das macht mich vielleicht parteiisch. Aber ich kann alles nur aus meiner Sicht begreiflich machen.

Ich erinnere mich zum Beispiel eines Herbsttages, als ich, ein momentaner Einfall, mit Paul in einen Wald lief, der nicht weit von unserem Ort entfernt war. Vielleicht zwölf und zehn Jahre waren wir damals alt. Paul trieb sich oft mit einer Gruppe von Arbeiterkindern herum, jener Wald gehörte zu ihrem Revier, Franz war immer dabei.

Wir liefen voraus, die Gruppe sollte nachkommen. Warum ich damals mitgelaufen bin.

Aus Neugierde vielleicht. Ich wollte wissen, was sie dort machten. Der Wald war mir immer unheimlich gewesen, hohe alte Bäume, viel Gestrüpp, keine Wege. Paul ging voraus. Du musst leiser sein, sagte er zu mir, du erschreckst sonst die Tiere. Welche Tiere es dort gab, wollte ich wissen. Rehe und Hasen, antwortete er. Und Füchse. Und viele kleine Tiere. Und Vögel. Siehst du dort den Vogel auf dem Ast. Das ist eine Tannenmeise. Sie rührt sich nicht. Sei ganz still. Sie ist schwarz und weiß und hat einen roten Bauch. Jetzt fliegt sie weg. Hast du sie gesehen. Ich hatte sie nicht gesehen, aber ich sagte Ja. Merk sie dir, sagte Paul. Manchmal bin ich auch allein hier. Dann sind meine Schritte kaum zu hören, und ich sehe viele verschiedene Vögel. Zu Hause schlage ich dann im Lexikon nach, um zu wissen, zu welcher Art die Vögel gehören.

Ich fand das komisch. Paul mit zehn Jahren. Ich hatte noch nie ein Lexikon zur Hand genommen. Das änderte sich später, ich muss es hier einfügen. Aber damals. Bald kamen die anderen Buben. Mit ihnen Franz. Auf einer Lichtung begann ein wildes Indianerspiel. Selbstverständlich gehörte ich zu den Weißen und Franz band mich an den Marterpfahl. Er hatte leichtes Spiel mit mir, ich wehrte mich nicht, alles war mir fremd und unheimlich. Paul, der eifrig mitgetan hatte, band mich bald los. Das ist, glaub ich, nichts für dich, sagte er. Es war nichts für mich. Ich ging allein nach Hause. Die anderen tobten weiter. Wieso ist Paul so, und dann wieder ganz anders, dachte ich. Das dachte ich später noch oft.

Miriam. Für sie war Paul ein Spielkamerad, ein Lehrer, ein Freund. Mir, als Vater, ist es nie geglückt, Miriam so zum Lachen zu bringen, sie so fröhlich zu machen. Manchmal war ich fast eifersüchtig. Dass Paul selbst keine Kinder hatte, war ein Unglück. Aber kein Wunder, bei der Frau. Auch meine Frau hatte Paul sehr gern. Einmal sagte sie zu mir: Paul hätte dir was geben können. Was, fragte ich erstaunt. Ein Stück von seinem Herzen, sagte sie. Damals verstand ich sie nicht, ich war gekränkt.

Heute will ich Miriam noch anrufen. Es könnte ihr vielleicht gut tun, mit mir zu reden, Dinge, die sie nicht allein schafft, mit mir zu besprechen. Sie könnte mich ja besuchen und Klara mitbringen. Klara könnte vielleicht bei mir schlafen, ich würde sie morgen in den Kindergarten bringen.

Ich kann es mir nicht abgewöhnen, Dinge, die mich persönlich betreffen, in diesen Bericht einfließen zu lassen, statt nur über meine Beziehung zu Paul zu schreiben. Aber ich denke, es gibt ein Bild von mir, ein anderes, das Miriam, oder wer immer es lesen mag, noch nicht kennt. Das ist kein Fehler.

Ein einziges Mal hatte Heinz K. vor Dagmar jene Frau erwähnt, mit der er einige Jahre lang verbunden gewesen war. Es war ein Abend in Dagmars Wohnung, beide hatten mehr als die üblichen zwei Gläser Rotwein getrunken. Heinz K. war, entgegen seiner Art, sehr gesprächig gewesen, er hatte rasch die Themen gewechselt, die Dagmar interessierten, und war schließlich auf Eva zu sprechen gekommen. Er nannte nicht ihren Namen, schilderte aber die Villa, in der sie nun allein wohnte und erklärte, warum er sie verlassen hatte. Er sagte zu Dagmar – es war das einzige Mal –, dass er sehr froh sei, sie gefunden zu haben, er wisse nicht, wie es sonst mit ihm weitergegangen wäre. Dagmar hatte überrascht und voller Staunen zugehört. Sie überlegte lang, ob sie ihn beim nächsten Treffen noch einmal nach dieser Frau fragen sollte. Ihre Neugierde war groß, und sie fragte. Ein anderer Heinz K. als jener des vergangenen Abends zeigte sich ungehalten und abweisend und verlangte von Dagmar, sie möge, was er gesagt habe, vergessen, es sei nicht mehr von Bedeutung.

Dagmar bewegte immer mehr die Frage, ob Heinz K.s Zustand damals, als er jene Frau verlassen hatte, ähnlich gewesen war wie jetzt, als er mit einem gestohlenen Auto verunglückte.

Ihre Schwester hatte sie freundlich begrüßt. Sie fragte nicht sofort nach dem Grund von Dagmars Kommen, bemerkte aber, dass sie verändert war. Am dritten Tag erzählte Dagmar von sich aus die Geschichte. Ihre Schwester meinte, es würde schwierig sein, diese Frau zu finden. Aber wie Dagmar glaube, sei Heinz K. einmal verheiratet gewesen. Vielleicht könne sich Dagmar mit seiner Exfrau in Verbindung setzen. Die sei leichter zu finden. Sie wisse auf jeden Fall mehr über Heinz K.s Charakter, vielleicht kenne sie auch jene Frau aus der Villa. Dagmar verwarf sofort diese Möglichkeit. Aber immer öfter musste sie daran denken.

Es war die eigenartige Weise wie Heinz K. seine Hände hielt, die sie faszinierte. Wenn er saß, verschränkte er sie auf seinem Schoß – Miriam selbst tat es später auch –, dabei senkten und hoben sich immer wieder seine Finger. So saß er, noch nicht neunzehn Jahre alt, auf einer Bank im Park, im Garten eines einfachen Gasthauses, bei einem Rockkonzert. Saß ihm Miriam gegenüber, sah er sie unentwegt an, versenkte seine Blicke in ihrem Gesicht, redete kaum. Hast du was, fragte sie ihn oft, und er schüttelte den Kopf. Lass mich dich anschauen, sagte er dann, mehr brauch ich nicht. Sie freute sich über seine Worte, aber sie verstand ihn nicht ganz. Das geschah oft. Er konnte fröhlich sein, übertrieben fröhlich. Dann packte er sie, schwenkte sie wild herum, stellte sie auf den Boden, hob sie wieder auf, bis ihr schwindlig wurde. Gleich danach war er seltsam still, setzte sich irgendwo hin und blieb eine Weile stumm.

Eines Tages, es war Sommer und ziemlich heiß, gingen sie schwimmen. An einer ruhigen Stelle des Flusses, wo es keine gefährlichen Strömungen gab. Sie hatten sich vorgenommen, nachher am Ufer zu bleiben, im Gras zu liegen, die mitgebrachten Brote zu essen, Obstsaft zu trinken, die Zeit nicht wahrzunehmen. Nachdem sie aus dem Wasser gestiegen waren und der Ostwind über ihre feuchten Köper strich, nachdem sie soviel von ihrer Liebe genommen hatten, wie Miriam es erlaubte, sprang Heinz auf.

Ich geh noch einmal hinein, sagte er.

Warum jetzt, fragte Miriam. Wir wollten doch was essen.

Später, sagte er und war schon weg.