Reigen

Cover

Hinweise zur E-Book-Ausgabe

Die E-Books des Reclam Verlags verwenden entsprechend der jeweiligen Buchausgabe Sperrungen zur Hervorhebung von Textpassagen. Diese Textauszeichnung wird nicht von allen Readern unterstützt.

Enthält das E-Book in eckigen Klammern beigefügte Seitenzählungen, so verweisen diese auf die Printausgabe des Werkes.

Fußnoten

  1. (frz.) große Leidenschaft.

  2. Engels bezieht sich auf die Forschungen des US-amerikanischen Anthropologen Lewis H. Morgan (1818–1881) und dessen Hauptwerk Ancient Society, Or: Researches in the Lines of Human Progress from Savagery through Barbarism to Civilisation (1877).

  3. Umlenkung und Umwandlung von Trieben.

  4. Sexualenergie.

  5. magisches Glaubenssystem.

  6. Zit. nach: Irène Lindgren, »Seh’n Sie, das Berühmtwerden ist doch nicht so leicht!« Arthur Schnitzler über sein literarisches Schaffen, Frankfurt a. M. [u. a.] 2002, S. 184.

  7. Zit. nach: Alfred Pfoser [u. a.], Schnitzlers »Reigen«. Zehn Dialoge und ihre Skandalgeschichte. Analysen und Dokumente, Bd. 1, Frankfurt a. M. 1993, S. 135.

  8. Der Kampf um den Reigen. Vollständiger Bericht über die sechstägige Verhandlung gegen Direktion und Darsteller des Kleinen Schauspielhauses Berlin, hrsg. von Wolfgang Heine, Berlin 1922, S. 122.

  9. Herbert Marcuse, »Berlin 1920. Sex, Politik und Kunst – im Reigen«, in:
    H. M., Obszön. Geschichte einer Entrüstung, München 1962, S. 207–263,
    hier S. 245.

  10. Brief an Olga Schnitzler vom 14. Januar 1931, in: Arthur Schnitzler, Briefe 1913–1931, hrsg. von Peter Michael Braunwarth [u. a.], Frankfurt a. M. 1984, S. 743.

Reigen

Personen

Die Dirne und der Soldat

Spätabends. An der Augartenbrücke.

SOLDAT

(kommt pfeifend, will nach Hause).

DIRNE.

Komm, mein schöner Engel.

SOLDAT

(wendet sich um und geht wieder weiter).

DIRNE.

Willst du nicht mit mir kommen?

SOLDAT.

Ah, ich bin der schöne Engel?

DIRNE.

Freilich, wer denn? Geh, komm zu mir.

Ich wohn gleich in der Näh.

SOLDAT.

Ich hab keine Zeit. Ich muss in die Kasern’!

DIRNE.

In die Kasern’ kommst immer noch zurecht.

Bei mir is besser.

SOLDAT

(ihr nahe). Das ist schon möglich.

DIRNE.

Pst. Jeden Moment kann ein Wachmann kommen.

SOLDAT.

Lächerlich! Wachmann! Ich hab auch mein Seiteng’wehr!

DIRNE.

Geh, komm mit.

SOLDAT.

Lass mich in Ruh. Geld hab ich eh keins.

DIRNE.

Ich brauch kein Geld.

SOLDAT

(bleibt stehen. Sie sind bei einer Laterne). Du brauchst kein Geld? Wer bist denn du nachher?

DIRNE.

Zahlen tun mir die Zivilisten. So einer wie du, kann’s immer umsonst bei mir haben.

SOLDAT.

Du bist am End die, von der mir der Huber erzählt hat. –

DIRNE.

Ich kenn kein’ Huber nicht.

SOLDAT.

Du wirst schon die sein. Weißt – in dem Kaffeehaus in der Schiffgassen – von dort ist er mit dir z’ Haus gangen.

DIRNE.

Von dem Kaffeehaus bin ich schon mit gar vielen z’ Haus gangen … oh! oh! –

SOLDAT.

Also gehn wir, gehn wir.

DIRNE.

Was, jetzt hast’s eilig?

SOLDAT.

Na, worauf soll’n wir noch warten? Und um zehn muss ich in der Kasern’ sein.

DIRNE.

Wie lang dienst denn schon?

SOLDAT.

Was geht denn das dich an? Wohnst weit?

DIRNE.

Zehn Minuten zum Gehn.

SOLDAT.

Das ist mir zu weit. Gib mir ein Pussel.

DIRNE

(küsst ihn). Das ist mir eh das liebste, wenn ich einen gern hab!

SOLDAT.

Mir nicht. Nein, ich geh nicht mit dir, es ist mir zu weit.

DIRNE.

Weißt was, komm morgen am Nachmittag.

SOLDAT.

Gut is. Gib mir deine Adresse.

DIRNE.

Aber du kommst am End nicht.

SOLDAT.

Wenn ich dir’s sag!

DIRNE.

Du, weißt was – wenn’s dir zu weit ist heut abend zu mir – da … da … (weist auf die Donau).

SOLDAT.

Was ist das?

DIRNE.

Da ist auch schön ruhig … jetzt kommt kein Mensch.

SOLDAT.

Ah, das ist nicht das Rechte.

DIRNE.

Bei mir is immer das Rechte. Geh, bleib jetzt bei mir. Wer weiß, ob wir morgen noch’s Leben haben.

SOLDAT.

So komm – aber g’schwind.

DIRNE.

Gib Obacht, da ist so dunkel. Wennst ausrutschst, liegst in der Donau.

SOLDAT.

Wär eh das Beste.

DIRNE.

Pst, so wart nur ein bissel. Gleich kommen wir zu einer Bank.

SOLDAT.

Kennst dich da gut aus.

DIRNE.

So einen wie dich möcht ich zum Geliebten.

SOLDAT.

Ich tät dir zu viel eifern.

DIRNE.

Das möcht ich dir schon abgewöhnen.

SOLDAT.

Ha –

DIRNE.

Nicht so laut. Manchmal is doch, dass sich ein Wachter herverirrt. Sollt man glauben, dass wir da mitten in der Wienerstadt sind?

SOLDAT.

Daher komm, daher.

DIRNE.

Aber was fällt dir denn ein, wenn wir da ausrutschen, liegen wir im Wasser unten.

SOLDAT

(hat sie gepackt). Ah, du –

DIRNE.

Halt dich nur fest an.

SOLDAT.

Hab kein’ Angst …

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

DIRNE.

Auf der Bank wär’s schon besser gewesen.

SOLDAT.

Da oder da … Na, krall aufi.

DIRNE.

Was laufst denn so –

SOLDAT.

Ich muß in die Kasern’, ich komm eh schon zu spät.

DIRNE.

Geh, du, wie heißt denn?

SOLDAT.

Was interessiert dich denn das, wie ich heiß?

DIRNE.

Ich heiß Leocadia.

SOLDAT.

Ha! – So an’ Namen hab ich auch noch nie gehört.

DIRNE.

Du!

SOLDAT.

Na, was willst denn?

DIRNE.

Geh, ein Sechserl für’n Hausmeister gib mir wenigstens! –

SOLDAT.

Ha! … Glaubst, ich bin deine Wurzen … Servus! Leocadia …

DIRNE.

Strizzi! Fallot! –

(Er ist verschwunden.)

Der Soldat und das Stubenmädchen

Prater. Sonntagabend. – Ein Weg, der vom Wurstelprater aus in die dunkeln Alleen führt. Hier hört man noch die wirre Musik aus dem Wurstelprater; auch die Klänge vom Fünfkreuzertanz, eine ordinäre Polka, von Bläsern gespielt.

Der Soldat. Das Stubenmädchen.

STUBENMÄDCHEN.

Jetzt sagen S’ mir aber, warum S’ durchaus schon haben fortgehen müssen.

SOLDAT

(lacht verlegen, dumm).

STUBENMÄDCHEN.

Es ist doch so schön gewesen. Ich tanz so gern.

SOLDAT

(fasst sie um die Taille).

STUBENMÄDCHEN

(lässt’s geschehen). Jetzt tanzen wir ja nimmer. Warum halten S’ mich so fest?

SOLDAT.

Wie heißen S’? Kathi?

STUBENMÄDCHEN.

Ihnen ist immer eine Kathi im Kopf.

SOLDAT.

Ich weiß, ich weiß schon … Marie.

STUBENMÄDCHEN.

Sie, da ist aber dunkel. Ich krieg so eine Angst.

SOLDAT.

Wenn ich bei Ihnen bin, brauchen S’ Ihnen nicht zu fürchten. Gott sei Dank, mir sein mir!

STUBENMÄDCHEN.

Aber wohin kommen wir denn da? Da ist ja kein Mensch mehr. Kommen S’, gehn wir zurück! – Und so dunkel!

SOLDAT

(zieht an seiner Virginierzigarre, dass das rote Ende leuchtet). ’s wird schon lichter. Haha! Oh, du Schatzerl!

STUBENMÄDCHEN.

Ah, was machen S’ denn? Wenn ich das gewusst hätt!

SOLDAT.

Also der Teufel soll mich holen, wenn eine heut beim Swoboda mollerter gewesen ist als Sie, Fräul’n Marie.

STUBENMÄDCHEN.

Haben S’ denn bei allen so probiert?

SOLDAT.

Was man so merkt, beim Tanzen. Da merkt man gar viel! Ha!

STUBENMÄDCHEN.

Aber mit der Blonden mit dem schiefen Gesicht haben S’ doch mehr ’tanzt als mit mir.

SOLDAT.

Das ist eine alte Bekannte von einem meinigen Freund.

STUBENMÄDCHEN.

Von dem Korporal mit dem auf’drehten Schnurrbart?

SOLDAT.

Ah nein, das ist der Zivilist gewesen, wissen S’, der im Anfang am Tisch mit mir g’sessen ist, der so heisrig red’t.

STUBENMÄDCHEN.

Ah, ich weiß schon. Das ist ein kecker Mensch.

SOLDAT.

Hat er Ihnen was ’tan? Dem möcht ich’s zeigen! Was hat er Ihnen ’tan?

STUBENMÄDCHEN.

O nichts – ich hab nur gesehn, wie er mit die andern ist.

SOLDAT.

Sagen S’, Fräulein Marie …

STUBENMÄDCHEN.

Sie werden mich verbrennen mit Ihrer Zigarrn.

SOLDAT.

Pahdon! – Fräul’n Marie. Sagen wir uns du.

STUBENMÄDCHEN.

Wir sein noch nicht so gute Bekannte. –

SOLDAT.

Es können sich gar viele nicht leiden und sagen doch du zueinander.

STUBENMÄDCHEN.

’s nächste Mal, wenn wir … Aber, Herr Franz –

SOLDAT.

Sie haben sich meinen Namen g’merkt?

STUBENMÄDCHEN.

Aber, Herr Franz …

SOLDAT.

Sagen S’ Franz, Fräulein Marie.

STUBENMÄDCHEN.

So sein S’ nicht so keck – aber pst, wenn wer kommen tät!

SOLDAT.

Und wenn schon einer kommen tät, man sieht ja nicht zwei Schritt weit.

STUBENMÄDCHEN.

Aber um Gottes willen, wohin kommen wir denn da?

SOLDAT.

Sehn S’, da sind zwei grad wie mir.

STUBENMÄDCHEN.

Wo denn? Ich seh gar nichts.

SOLDAT.

Da … vor uns.

STUBENMÄDCHEN.

Warum sagen S’ denn: zwei wie mir? –

SOLDAT.

Na, ich mein halt, die haben sich auch gern.

STUBENMÄDCHEN.

Aber geben S’ doch acht, was ist denn da, jetzt wär ich beinah g’fallen.

SOLDAT.

Ah, das ist das Gatter von der Wiesen.

STUBENMÄDCHEN.

Stoßen S’ doch nicht so, ich fall ja um.

SOLDAT.

Pst, nicht so laut.

STUBENMÄDCHEN.

Sie, jetzt schrei ich aber wirklich. – Aber was machen S’ denn … aber –

SOLDAT.

Da ist jetzt weit und breit keine Seel.

STUBENMÄDCHEN.

So gehn wir zurück, wo Leut sein.

SOLDAT.

Wir brauchen keine Leut, was, Marie, wir brauchen … dazu … haha.

STUBENMÄDCHEN.

Aber, Herr Franz, bitt Sie, um Gottes willen, schaun S’, wenn ich das … gewusst … oh … oh … komm! …

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

SOLDAT

(selig). Herrgott noch einmal … ah …

STUBENMÄDCHEN.

… Ich kann dein G’sicht gar nicht sehn.

SOLDAT.

Ah was – G’sicht …

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

SOLDAT.

Ja, Sie, Fräul’n Marie, da im Gras können S’ nicht liegenbleiben.

STUBENMÄDCHEN.

Geh, Franz, hilf mir.

SOLDAT.

Na, komm zugi.

STUBENMÄDCHEN.

O Gott, Franz.

SOLDAT.

Na ja, was ist denn mit dem Franz?

STUBENMÄDCHEN.

Du bist ein schlechter Mensch, Franz.

SOLDAT.

Ja, ja. Geh, wart ein bissel.

STUBENMÄDCHEN.

Was lasst mich denn aus?

SOLDAT.

Na, die Virginier werd ich mir doch anzünden dürfen.

STUBENMÄDCHEN.

Es ist so dunkel.

SOLDAT.

Morgen früh ist schon wieder licht.

STUBENMÄDCHEN.

Sag wenigstens, hast mich gern?

SOLDAT.

Na, das musst doch g’spürt haben, Fräul’n Marie, ha!

STUBENMÄDCHEN.

Wohin gehn wir denn?

SOLDAT.

Na, zurück.

STUBENMÄDCHEN.

Geh, bitt dich, nicht so schnell!

SOLDAT.

Na, was ist denn? Ich geh nicht gern in der Finstern.

STUBENMÄDCHEN.

Sag, Franz, hast mich gern?

SOLDAT.

Aber grad hab ich’s g’sagt, dass ich dich gern hab!

STUBENMÄDCHEN.

Geh, willst mir nicht ein Pussel geben?

SOLDAT

(gnädig). Da … Hörst, – jetzt kann man schon wieder die Musik hören.

STUBENMÄDCHEN.

Du möcht’st am End gar wieder tanzen gehn?

SOLDAT.

Na freilich, was denn?

STUBENMÄDCHEN.

Ja, Franz, schau, ich muss zu Haus gehn. Sie werden eh schon schimpfen, mei Frau ist so eine … die möcht am liebsten, man ging gar nicht fort.

SOLDAT.

Na ja, geh halt zu Haus.

STUBENMÄDCHEN.

Ich hab halt ’dacht, Herr Franz, Sie werden mich z’ Haus führen.

SOLDAT.

Z’ Haus führen? Ah!

STUBENMÄDCHEN.

Gehn S’, es ist so traurig, allein z’ Haus gehn.

SOLDAT.

Wo wohnen S’ denn?

STUBENMÄDCHEN.

Es ist gar nicht so weit – in der Porzellangasse.

SOLDAT.

So? Ja, da haben wir ja einen Weg … aber jetzt ist’s mir zu früh … jetzt wird noch ’draht, heut hab ich über Zeit … vor zwölf brauch ich nicht in der Kasern’ zu sein. I geh noch tanzen.

STUBENMÄDCHEN.

Freilich, ich weiß schon, jetzt kommt die Blonde mit dem schiefen Gesicht dran!

SOLDAT.

Ha! – Der ihr G’sicht ist gar nicht so schief.

STUBENMÄDCHEN.

O Gott, sein die Männer schlecht. Was, Sie machen’s sicher mit einer jeden so.

SOLDAT.

Das wär z’viel! –

STUBENMÄDCHEN.

Franz, bitt schön, heut nimmer, – heut bleiben S’ mit mir, schaun S’ –

SOLDAT.

Ja, ja, ist schon gut. Aber tanzen werd ich doch noch dürfen.

STUBENMÄDCHEN.

Ich tanz heut mit kein’ mehr!

SOLDAT.

Da ist er ja schon …

STUBENMÄDCHEN.

Wer denn?

SOLDAT.

Der Swoboda! Wie schnell wir wieder da sein. Noch immer spielen s’ das … tadarada tadarada (singt mit) … Also wannst auf mich warten willst, so führ ich dich z’ Haus … wenn nicht … Servas –

STUBENMÄDCHEN.

Ja, ich werd warten.

(Sie treten in den Tanzsaal ein.)

SOLDAT.

Wissen S’, Fräul’n Marie, ein Glas Bier lassen S’ Ihnen geben. (Zu einer Blonden sich wendend, die eben mit einem Burschen vorbeitanzt, sehr hochdeutsch.) Mein Fräulein, darf ich bitten? –