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Fachbereich

THEORETISCHE PHILOSOPHIE

Die Wirklichkeit des freien Willens

Prof. Dr. Godehard Brüntrup SJ

In dieser fünften Vorlesung in der Reihe Metaphysik werden wir uns mit der Frage nach der Freiheit des Willens beschäftigen, bevor wir in der letzten und sechsten uns mit dem tiefen metaphysischen Problem des Verhältnisses von Körper und Geist, dem sog. Leib-Seele-Problem, beschäftigen. Beide Probleme hängen zusammen. Das Problem der Freiheit des Willens verweist letztlich auf das ihm in mancher Hinsicht zugrunde liegende Leib-Seele-Problem.

In den letzten Jahren wurde gerade in der populären Presse oft diskutiert, ob die Willensfreiheit empirisch widerlegt sei. Dass es neurophysiologische Experimente gäbe, aus denen hervorginge, aus denen beweisbar und ableitbar wäre, dass wir uns über die Existenz der Willensfreiheit getäuscht hätten.

Wenn das tatsächlich so wäre, dann würde es sich beim Problem der Willensfreiheit gar nicht um ein philosophisches Problem handeln.

Erinnern Sie sich daran, dass ich in der ersten Vorlesung bei der Bestimmung dessen, was Metaphysik ist, herausgearbeitet hatte, dass metaphysische Fragen begriffliche Fragen sind, keine empirischen.

Das Problem der Willensfreiheit mag sicherlich eine empirische Komponente haben, aber wenn es denn überhaupt ein philosophisches Problem ist, muss es darüber hinaus eine rein begriffliche Komponente geben, die empirisch nicht entschieden werden kann. Um die Herausarbeitung dieser begrifflichen Komponente werde ich mich im Folgenden besonders bemühen.

In einem ersten Durchgang versuche ich zu definieren, was wir überhaupt unter „Freiheit des Willens“ verstehen. Was überhaupt ein freies Wesen ist.

Erstens: ein freies Wesen handelt aus Gründen. Das heißt, sein Verstand erfasst intentional gerichtet auf einen geistigen Inhalt, einen Begründungszusammenhang. Es hat also solche, wie die Philosophen sagen, intentionalen Zustände, mentale Gehalte, wie Überzeugungen und Wünsche. Überzeugungen gehen immer über etwas, ein Wunsch beinhaltet etwas - deshalb intentional. Ein System, was solche intentionalen Zustände nicht hat, kann auch nicht frei sein.

Zweitens: Ein freies Wesen muss normative Zusammenhänge erfassen. Also, Wesen, die nicht zwischen normativ richtig und normativ falsch und eventuell auch moralisch gut und moralisch böse unterscheiden können, können nicht in vollem Sinne frei sein. Diese Grundüberzeugung findet sich etwa in unserer Rechtsprechung, dass Personen, die nicht in der Lage sind, normative Urteile zu fällen, nicht in der Lage sind, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, auch nicht strafmündig sind.

Drittens: Der Prozess, der zu einer freien Entscheidung und einer freien Tat führt, muss in seinen wesentlichen Teilen bewusst erfolgen. Ein Wertempfinden ist konstitutiv für ein freies Wesen. Ein Wesen, das über keine bewusste Innenperspektive verfügt, also ein Wesen, das nichts erlebt, ein reiner Automat, kann auch nicht im relevanten Sinne frei sein.

Und viertens: Ein freies Wesen muss in der Lage sein, sich innerhalb von Grenzen – was diese genau sind, werden wir noch diskutieren müssen – selbst zu bestimmen. Es darf also nicht einfach ein Spielball fremder Mächte sein.

Kommen wir nun zu den empirischen Argumenten gegen die Existenz der Willensfreiheit. Die moderne Psychologie und Hirnforschung hat herausgefunden, dass viele unserer Handlungen quasi automatisch ablaufen. Wir kennen das vom Autofahren, dass wir etwa den Schalthebel betätigen, ohne dessen bewusst zu sein. Automatisch, vielleicht nur mit ganz geringer bewusster Aufmerksamkeit. Aus der Tatsache, dass sehr viele von unseren Handlungen derart halb oder gar nicht bewusst ablaufen, kann man natürlich nicht schließen, dass alle unsere Handlungen derart sind, dass wir uns für sie gar nicht bewusst und bei voller Klarheit entscheiden.

Libet-Experiment

Das stärkste Argument gegen die Willensfreiheit, das empirisch vorgebracht wurde, ist das sog. Libet-Experiment. In diesem Experiment stellte sich heraus, dass man durch Messungen von elektrischen Aktivitäten im Gehirn feststellen konnte, dass eine ganz kurze Zeit, bevor wir uns bewusst für etwas entscheiden, ein „Aktionspotential“ im Gehirn zu messen ist, das für sich allein schon ausreichen würde, die Handlung, für die wir uns einen Moment später bewusst entscheiden, auszulösen.

Es ist also so, dass das Bewusstsein immer einen Tick zu spät kommt. Das Bewusstsein erzählt nur das nach, für was sich das Gehirn schon entschieden hat. Der Punkt war hier allerdings, dass nur das positive Wollen ineffektiv ist, das positive Wollen strudelt sozusagen aus uns hervor, es ist ein unkontrollierter begleitender Kommentar.