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Nr. 3

 

Konfrontation auf Mimas

 

Im Wettlauf mit der Zeit – tödlicher Poker in Vergangenheit und Zukunft

 

Roman Schleifer

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Terrania, Imperium-Alpha

2. Vergangenheit Juki Leann, Southside

3. Vergangenheit Juki Leann, Nosmo

4. Vergangenheit Juki Leann, Southside

5. Terrania, Imperium-Alpha

6. Mimas

7. Mimas

8. Vergangenheit Juki Leann, Terrania

9. Vergangenheit Juki Leann, Southside

10. Mimas

11. Mimas

12. Vergangenheit Juki Leann, Sydney

13. Vergangenheit Juki Leann, Southside

14. Vergangenheit Juki Leann, Muraj

15. Vergangenheit Juki Leann, Muraj

16. Vergangenheit Juki Leann, HARDWIRE

17. Vergangenheit Juki Leann, Nosmo

18. Mimas

19. Mimas

20. Mimas

21. Mimas

22. Mimas

23. Mimas

24. Vergangenheit Juki Leann, Lepso

25. Vergangenheit Juki Leann, Nosmo

26. Vergangenheit Juki Leann, Nosmo

27. Mimas

28. Mimas

29. Mimas

30. Mimas

Lesermagazin

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

1500 Jahre nach dem Aufbruch ins All hat sich die Menschheit über die Milchstraße ausgebreitet. Welten sind besiedelt worden, neue Sternenreiche sind entstanden. Doch die Bewohner vieler Welten fühlen sich der Erde nicht mehr verbunden – sie bilden die Antiterranische Koalition.

Perry Rhodan will einen Bruderkrieg verhindern. Er ruft am 30. Oktober 3430 den Fall Laurin aus. Das gesamte Sonnensystem wird fünf Minuten in die Zukunft versetzt – alle Angreifer laufen ins Leere.

Im letzten Moment dringen Juki Leann und Darren Zitarra ins Solsystem vor. Die Agenten werden von den Ausläufern des Zeitschirms erfasst. Seither können sie durch die Zeit springen. Dadurch decken sie eine große Gefahr auf.

Widerstrebend verbünden sie sich mit den Terranern – und es kommt zur KONFRONTATION AUF MIMAS ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Großadministrator will Spione zu Verbündeten machen.

Juki Leann – Die Zeitspringerin gerät mitten in eine Raumschlacht.

Darren Zitarra – Der Agent steht vor einer schweren Entscheidung.

Renier Bievre – Der Hyperphysiker ist in seinem Element.

1.

Terrania, Imperium-Alpha

3. November 3430

 

Sechs terranische Soldaten – Bürstenhaarschnitt, stiernackig, muskulös und mit entsicherten Strahlern – eskortierten Juki Leann und Darren Zitarra durch die Korridore des Nervenzentrums des Solaren Imperiums. Seit dem Betreten der Anlage wunderte Leann sich, dass weder sie noch Zitarra Hand- oder Fußfesseln tragen mussten. Dachte der terranische Sicherheitsdienst tatsächlich, dass sechs Soldaten ausreichten, um zwei Agenten des Imperiums Dabrifa in Schach zu halten?

Leann lächelte. Auf Nosmo wäre dieses Vorgehen undenkbar gewesen. Kein Agent der Solaren Abwehr – der SolAb – oder eines anderen Geheimdienstes wäre derart frei durch das Heiligtum des Imperiums spaziert.

Sie bogen in einen Gang und betraten einen der Expressaufzüge. Leann verstand. In einem Antigravschacht wären sie ohne Fesselfeld schwerer zu kontrollieren.

Der Lift fuhr abwärts. Automatisch musterte Leann die Soldaten. Fünf hatten die Kombistrahler zu Boden gerichtet, vier davon den Finger nicht einmal am Abzugsbügel. Nur der Kahlköpfige vor ihr hielt den Strahler vorschriftsmäßig vor der Brust. Ihn hätten sie zuerst ausschalten müssen.

Zitarras Blick schnellte in der Reihenfolge von einem Soldaten zum anderen, in der auch sie die Männer angegriffen hätte. Auffordernd sah er sie an, doch sie schüttelte sanft den Kopf. Sie hatten sich den Terranern nicht vor ein paar Stunden ergeben, um nun erneut zu fliehen.

Der Expresslift wurde langsamer und hielt mit einem leichten Ruck. Zwei Kampfroboter und drei Soldaten erwarteten die Gruppe. Die neuen Bewacher setzten sich an die Spitze, bis alle vor einem der vielen Eingänge stoppten. Zischend fuhr das Schott beiseite und gab einen Besprechungsraum frei.

Da saß ein Teil der Elite der Menschheit und wollte Leann und Zitarra über den Tisch ziehen. Perry Rhodan wurde von dem hageren SolAb-Agenten mit der unheimlichen Plastikmaske und dem fetten Ilt flankiert. Gucky griff nach einer der Mohrrüben auf dem Teller und bot sie der Frau mit den blauen Haaren und der bronzefarbenen Haut an. Sie schüttelte den Kopf, woraufhin der Mausbiber auf den korpulenten Mann mit Bartstoppeln und dunkelblonden, zu einem Zopf zusammengebundenen Haaren deutete. Er lehnte ebenfalls ab. Gucky zuckte mit den Achseln, während die Soldaten Leann und Zitarra in den Raum führten.

Was auch immer ihr vorhabt, es wird euch nicht gelingen!, dachte Juki Leann. Sie blieben vor dem ovalen Tisch stehen. Dieses Mal bin ich besser vorbereitet.

 

*

 

»Großadministrator, die Agenten Leann und Zitarra!« Oberst Tiare Walzim, der Kommandant des Sicherheitsdienstes von Imperium-Alpha, salutierte.

»Danke, Oberst!« Perry Rhodan tippte sich ebenfalls an die Schläfe, obwohl er seit gefühlten fünftausend Jahren darauf wartete, dass die Terraner diese Phase endlich hinter sich ließen. Noch sah es nicht danach aus, also bediente er die Erwartungen.

»Die Kampfroboter übernehmen die Bewachung, Sir!« Der Oberst drehte sich zackig um und verließ mit den anderen Soldaten den Raum, um im Korridor zu warten, während die Roboter mit aktivierten Abstrahlmündungen in Stellung verharrten.

Rhodan deutete zu seinem Team. »Ich darf vorstellen: Professor Renier Bievre, Takayo Sukurai, Gucky und Alaska Saedelaere.«

Weder Leann noch Zitarra reagierten.

»Setzen Sie sich«, bat Rhodan sie.

Leann schüttelte den Kopf. Mit hinter dem Rücken verschränkten Armen stand sie breitbeinig vor ihnen, blickte auf sie hinab. Vermutlich erhoffte sie sich stehend einen psychologischen Vorteil.

Zitarra ließ den Blick über ihn und sein Team gleiten. An Alaska Saedelaeres silberfarbener Maske blieb er länger hängen. Vermutlich nahm Zitarra dem SolAb-Agenten die Verabreichung des Wahrheitsserums nach der ersten Festnahme übel. Demonstrativ verschränkte er die Arme und zog arrogant die Mundwinkel hoch.

Offenbar wollte sich Zitarra diesmal das Gespräch zwischen Juki Leann und Rhodan zunächst anhören, bevor er sich aktiv daran beteiligte. Nachdenklich musterte Rhodan die Dabrifa-Agenten. Die beiden waren schon bei der ersten Gefangennahme kein Herz und eine Seele gewesen, doch nun wirkten sie zerstritten. Er traute Leann und Zitarra aber zu, dieses Vorgehen lediglich einstudiert zu haben. Schließlich waren sie keine Anfänger.

»Wasser?«, versuchte Rhodan erneut, positive Stimmung zu erzeugen.

»Kennen Sie Grun Phovidan?«, fragte die Agentin.

»Dabrifanischer Handels-Generalkonsul auf Terra von 3402 bis 3413, danach auf Arkon und zuletzt auf Gatas stationiert.« Rhodan hatte seine Hausaufgaben gemacht.

»Er wurde am 15. Oktober 3430 auf Olymp irrtümlich verhaftet.«

»Ich darf Sie korrigieren.« Rhodan lächelte. »Ihr Vater wurde von der Solaren Abwehr als Agent der Schwarzen Garde entlarvt, der Spionage und des vierfachen Mordes überführt.«

»Das war ein Irrtum.«

»Die Beweise sind erdrückend.«

Leann blinzelte. »Lassen Sie ihn frei, und holen Sie ihn ins Solsystem.«

»Glauben Sie etwa den Gerüchten, dass Imperator Dabrifa Agenten samt Angehörige aus dem Verkehr zieht, die Fehler begangen haben? Und ...« Rhodan rieb sich mit dem Zeigefinger das Kinn. »... müssten wir dann nicht auch Ihre Mutter Ahna, die dabrifanische Botschafterin auf Gatas, und Ihre Schwester Gahma ins Solsystem bringen?«

»Das wäre meine nächste Bedingung gewesen.«

»Bedingung für eine Zusammenarbeit?«

Leann nickte. »Ich erinnere an unser voriges Gespräch. Falls Sie die Zukunft verändern wollen, benötigen Sie Informationen darüber. Durch meine Zeitsprünge liefere ich sie Ihnen, sobald meine Familie im Solsystem ist.«

»Sie haben eine falsche Vorstellung davon, wie Zusammenarbeit mit assoziierten, demokratischen Welten funktioniert. Ich bin nicht Imperator Dabrifa, der sich mit einem Dekret über die Gesetze hinwegsetzt. Das Solare Imperium fußt auf Rechtsstaatlichkeit. Daher akzeptiere ich die Vorgehensweise auf der Freihandelswelt. Die Staatsanwaltschaft auf Olymp wird die Vorwürfe prüfen, über eine Anklage entscheiden und ein Gericht wird über die Anschuldigungen urteilen.« Rhodan lehnte sich im Stuhl zurück. »So leid es mir tut, mir sind die Hände gebunden.«

»Kommen Sie mir nicht so!« Leann wurde lauter. »Es ist kein Geheimnis, dass Ihnen Kaiser Argyris gehorcht.«

»Das wüsste ich aber.«

Leann schnaufte. »Ihr letztes Wort?«

»Ich würde Ihre Familie gern vor den Schergen des Imperators schützen, aber die Umstände hindern mich daran.«

Die Agentin starrte ihn an, suchte offenbar nach einer Lösung der verfahrenen Situation. Obwohl er ihre Sorge verstand, musste er Widerstand leisten.

»Nun gut, Herr Großadministrator.« Leann sprach den Titel mit einer ironischen Betonung aus. »Dann endet unsere Zusammenarbeit, bevor sie begonnen hat, und Sie führen die Menschheit und die Milchstraße in den Abgrund. Genügend Übung und Erfahrung damit haben Sie ja.« Sie wiegte den Kopf. »Stichwort Bruderkrieg und Chaos in Andromeda.«

Oha, nun wird sie persönlich.

Übergangslos materialisierte Gucky vor der Agentin. Mithilfe seiner telekinetischen Fähigkeiten schwebte er auf ihrer Augenhöhe und zeigte mit der angebissenen Mohrrübe auf sie. »Wer sagt uns, dass wir durch unsere Aktivitäten nicht überhaupt erst jene Zukunft schaffen, die du siehst? Vielleicht wäre es besser, nichts zu unternehmen.« Langsam umkreiste er sie in der Luft. »Wir haben schon ganz andere Dinge geschaukelt, ohne einen Blick in die Zukunft geworfen zu haben.«

Leann wartete, bis der Ilt wieder vor ihrem Gesicht schwebte. »Gegenfrage, kleiner, schlauer Mausbiber: Wer von uns hat mehr zu verlieren?«

»Nur damit das klar ist!« Gucky tippte mit der Mohrrübe gegen ihr Brustbein. »Ich bin der größte Ilt des Universums!«

Leann ging nicht auf den traurigen Witz ein. »Ich beantworte die Frage gern für dich, Herr Sonderoffizier. Ich verliere nur meine Heimat und meine Familie, aber ihr Unsterblichen verliert eure Vision. Das, wofür ihr seit Jahrtausenden kämpft.« Sie schnippte mit den Fingern. »Puff. Und weg.«

»Wir verlieren gar nichts«, hielt Gucky dagegen. »Deine Zukunft ist nur eine Zukunft von vielen. Nur die Vergangenheit ist unverrückbar, nicht jedoch die Zukunft. Jede Sekunde unseres Lebens stehen wir an einer Wegkreuzung und entscheiden, welchen Weg wir wählen und welche Zukunft sich dadurch manifestiert.«

»Ich erzähle dir, an welcher Weggabelung du stehst, kleiner Mausbiber.« Sie beugte sich zu ihm. »Du verlierst nicht nur die Vision, sondern auch bald dein Leben!«

Rhodan horchte auf. Bluffte sie, oder hatte sie wirklich Guckys Tod gesehen?

»Das ist nur eine mögliche Zukunft«, beharrte der Ilt. Dann teleportierte Gucky zurück, saß wieder neben Rhodan und legte die Beine auf den Tisch.

»Vermutlich trägst du deshalb einen Zellaktivator, weil dir der Tod gleichgültig ist«, setzte sie nach.

Demonstrativ biss der Ilt von der Mohrrübe ab, sodass es laut knackte.

»Und wenn wir schon dabei sind.« Leann wandte sich Rhodan zu. »Sie, Herr Großadministrator, werden ebenfalls bald sterben.« Sie hob die Arme. »Aber da es nur eine von vielen Möglichkeiten ist ...« Sie ließ den Satz offen.

Äußerlich blieb Rhodan gelassen. Innerlich rasten seine Gedanken. Einerseits hatte sein Tod in Anbetracht des Zellaktivators etwas Abstraktes, andererseits hatte er mit so vielen Psychologen über dieses Thema gesprochen, dass er es nicht mehr hören konnte. »Mein Tod schreckt mich nicht.«

»Diese Aussage kann nur ein Unsterblicher tätigen.«

»Mag sein.«

Er musterte sie. Im Vorfeld dieser Besprechung hatten sich der Ilt und Rhodan mit Geoffry Abel Waringer über potenzielle Zukünfte unterhalten. Einen Teil des Gesprächs hatte Gucky soeben wiedergegeben. Unter dem Strich blieb die Frage: Glaubte Rhodan daran und nutzte die Chance, Leanns Zukunft zu verhindern, oder hielt er ihre Visionen für Unfug?

»Beginnen wir noch einmal von vorn«, schlug Rhodan vor. »Unser Einstieg war etwas holprig.«

»Nun also doch interessiert?«

»Das war ich von Anfang an, sonst stünden Sie und Ihr Kollege nicht hier.«

»Dann erhöhen wir den Einsatz«, sagte Darren Zitarra, der sich noch immer mit verschränkten Armen im Hintergrund hielt. »Wir fordern unsere Freilassung, Rückkehr nach Nosmo und die Abschaltung des Antitemporalen Gezeitenfelds.«

Gucky lachte auf. »Seid ihr sicher, dass ihr nicht außerdem eine Privatjacht und einhundert Kilo Howalgonium wollt?«

Weder Zitarra noch Leann reagierten auf die Frage des Ilts.

Rhodan nahm die Wasserkaraffe, füllte sein Glas. »Abgesehen von Guckys und meinem Tod ... Was haben Sie noch gesehen?«

Leann strich sich eine Haarsträhne, die Rhodan farblich an eine japanische Kirschblüte erinnerte, aus dem Gesicht. »Sie haben Darren Zitarra gehört. Für mehr Informationen will ich freies Geleit für ihn und mich, meine Familie im Solsystem und das Solsystem zurück in der Gegenwart sehen.«

Diesmal agierten die Agenten taktisch klüger. Zuerst hielten sie ihm eine erfüllbare Forderung hin, die er selbstverständlich ablehnen musste, um sie danach zu wiederholen und um zwei unerfüllbare zu ergänzen. Er rang mit sich. Ja, er konnte über Anson Argyris die Verlegung von Leanns Vater bewirken.

»Die Gesetzeslage ist eindeutig. Ich habe keine Handhabe auf der Freihandelswelt. Aber ...«, sagte er, als Leann tief Luft holte, »... ich lasse meine Kontakte spielen, damit der Kaiser den Fall höchstpersönlich prüft.«

»Das ist mir zu wenig.«

»Mehr kann ich Ihnen aus besagten Gründen nicht anbieten.«

»Und die anderen zwei Forderungen?«

»Ich halte Sie für ausreichend intelligent, um zu wissen, dass sie unerfüllbar und daher nicht verhandelbar sind.«

»Viel Spaß beim Sterben, Herr Unsterblicher!«

Demonstrativ drehte sie sich zum Schott. Darren Zitarras Gesicht blieb ausdruckslos.

»Das Gespräch ist beendet«, sagte Leann. »Bringen Sie mich in meine Zelle!«

»Und mich ebenfalls!« Zitarra sah Rhodan geringschätzig an.

Rhodan musterte Leanns schwarze, weit über die Schulter reichenden Haare, die sie nach der aktuellen Mode stufenförmig geschnitten hatte. »Auch ich habe eine Information für Sie.«

»Bringen Sie mich in meine Zelle!«

»Wie Sie wissen, schädigen die Zeitpartikel Ihren Körper«, begann Rhodan.

»Bringen Sie mich in meine Zelle!«

»Genau genommen, verschlechtern sich mit jedem Wechsel der Zeitebene Ihre Vitalwerte um zwei Prozent«, fuhr Rhodan fort. »Damit können Sie nur fünfzig Mal die Zeitebene wechseln.« Täuschte er sich, oder zitterte ihr rechter Oberschenkel? »Bei einem bisherigen Intervall von drei Tagen sterben Sie in fünf Monaten – und das ist keine mögliche Zukunft, sondern Fakt.«

Zitarras Mundwinkel zuckten, während Leann sich langsam umwandte.

»Sie lügen.« Obwohl ihre Stimme höher als im Streitgespräch war, wirkte sie gefasst. Offenbar hatte sie mit dieser Möglichkeit gerechnet.

Rhodan blickte zu Professor Renier Bievre, der sich eine Zigarette ansteckte. Nach der ersten Besprechung mit dem Hyperphysiker hatte Rhodan darauf bestanden, dass er nur geruchslose Zigaretten rauchte. An der Decke sprang die Absaugvorrichtung der Klimaanlage an. »Professor, würden Sie es erklären?«

Der korpulente Terraner mit den Bartstoppeln räusperte sich. »Mit der instabilen Superposition im Hyperraum, die Sie zu Ihrer temporalen und räumlichen Versetzung zwingt, geht eine prinzipielle Instabilität Ihrer ...«

»Die Zeitpartikel entziehen euch Lebensenergie«, fiel ihm Gucky ins Wort.

»Es sind keine Zeitpartikel!« Wütend schlug Bievre mit der Faust auf den Tisch. »So etwas gibt es nicht. Es ist ...«

Offenbar hatte er sich mit der Wortschöpfung des Mausbibers weiterhin nicht vollends anfreunden können und fiel wieder in alte Reaktionsmuster zurück.

»Schon gut, Professor.« Rhodan sah die Agenten an. »Ihre Vitalwerte nach dem Zeitsprung in Imperium-Alpha waren schlechter als nach Ihrer Gefangennahme durch Icho Tolot. Und nun ...« Er sah von Leann zu Zitarra und wieder zurück. »Nun sind Ihre Werte noch einmal schlechter, es muss also in der Botschaft zu einem Zeitsprung gekommen sein. Auf Basis dieser Vermutung ergibt sich auch das dreitätige Intervall Ihrer Zeitsprünge.«

Leann blinzelte, starrte ihn an. Ihre Selbstbeherrschung bröckelte.

»Sie sind doch in der Botschaft in der Zeit gesprungen, nicht wahr?«, fragte er.

Die Agentin nickte. Er spürte, wie ihre Gedanken rasten. Genau wie die Solare Abwehr verpflichtete der Geheimdienst des Imperiums Dabrifa die Agenten zu psychologischen Gesprächen, in denen auch das Berufsrisiko besprochen wurde: der Tod.

Tatsächlich mit dem vorzeitigen Tod konfrontiert zu werden, war jedoch ein anderes Kaliber. Rhodan spürte, dass vor allem Leann verunsichert war, dass aus der kampferprobten Agentin innerhalb einer Sekunde ein Mensch geworden war, der Angst hatte.

Sie spannte die Muskeln an und lockerte sie wieder. Zitarra hingegen hatte mittlerweile die Mundwinkel abermals nach oben gezogen und wirkte so arrogant und unbeteiligt wie zuvor.

»Offenbar sterben wir also beide«, sagte Rhodan und erinnerte sich an einen Satz aus einer psychologischen Sitzung. Sterben ist einfach. Sie haben alle Fähigkeiten dafür schon in sich und müssen es nur zulassen.

»Es geht indes nie darum, wie wir sterben, sondern wofür.« Er gab Leann einen Moment, damit der Satz wirkte. »Ich will diese Zukunft nicht. Sie wollen diese Zukunft nicht. Lassen Sie uns aktiv in die Gegenwart eingreifen, damit Ihre Zukunftsvision nicht real wird«, appellierte er. »Kämpfen wir für das Wohl der Milchstraßenvölker, damit wir sagen können, dass unser Leben sinnvoll war.«

»Ich will Beweise für Zitarras und meinen Tod!«

Nummer eins der fünf Trauerphasen: Nicht-wahrhaben-Wollen.

Rhodan tippte auf die raue Tastatur, die im Tisch integriert war. Der Raum verdunkelte sich. Auf einem großen Wandbildschirm erschienen die Vitalwerte der Agenten.

»Links sehen Sie Ihre Werte nach dem ersten Zeitsprung in Imperium-Alpha und rechts ...«

»Ich habe verstanden«, unterbrach Leann ihn. »Vermutlich ködern Sie uns nun erneut mit einer Heilung gegen Information.«

»Das biete ich Ihnen in der Tat an.« Er blickte zu Bievre. »Professor?«

»Wir versuchen eine Bandbreite an Lösungen. Am erfolgversprechendsten ist, Sie vom Zeiteffekt abzuschirmen, der durch das ATG-Feld hervorgerufen wird. Eine weitere Option ist, Sie aus der bipolaren Verschränkung zu lösen, die Sie, Agentin Leann, in die Zukunft und Sie, Agent Zitarra, in die Vergangenheit verschlägt. Das Risiko, dass einer von Ihnen dabei stirbt und dieser Umstand den anderen das Leben kostet, ist zwar vorhanden, aber angesichts Ihres ohnehin drohenden Tods zu vernachlässigen. Eine eher philosophische Möglichkeit ist, dass einer für den anderen das Leben opfert.« Er zog an der Zigarette. »Dann könnten wir ...«

»Wie Sie sehen«, stoppte Rhodan den Redeschwall des Professors, »gibt es eine Vielzahl an Möglichkeiten, Ihr Leben zu retten. Außerdem sind wir Ihre einzige Chance auf medizinische Behandlung, denn Sie werden das Solsystem in der gegenwärtigen Situation nicht verlassen.«

Leann starrte ihn an, schien nachzudenken. Zitarra hatte Bievres Worten aufmerksam gelauscht und sogar einmal mit der Augenbraue gezuckt.

»So funktioniert das nicht, Herr Unsterblicher.« Kopfschüttelnd näherte sie sich dem Tisch. »Sie erpressen mich nicht mit meinem Tod. Wenn Sie meiner Familie nicht helfen, sterbe ich eben.«

Sie konzentrierte sich auf ihre Kernforderung. Rhodan spürte, dass sie es ernst meinte. Innerlich zog er vor ihr den Hut. Er kannte nicht viele Menschen, die sich so entschieden und ihn dadurch derart in die Enge getrieben hätten.

»Ich darf präzisieren«, sagte er. »Das Angebot der Heilung erfolgt dieses Mal ohne Bedingung und Gegenleistung.«

Zitarra schnaufte. »Oh, was seid Ihr Terraner doch für edle Menschen!«

»Wertungen überlasse ich Historikern und politischen Kommentatoren.« Rhodan hatte keine Lust auf eine soziologische Diskussion. Es galt, eine fürchterliche Zukunft zu verhindern.